Transkript
STUDIE REFERIERT
Neue Antikoagulanzien bei Vorhofflimmern
Gibt es Unterschiede bei der Prävention von Schlaganfällen?
Studien: Einmal wurden die Patienten mit Vorhofflimmern verglichen, die bereits einen Schlaganfall erlitten hatten (Sekundärprävention), und einmal die Patienten mit Vorhofflimmern, bei denen das nicht der Fall war (Primärprävention).
Man weiss nicht, welches der drei neueren Antikoagulanzien (Rivaroxaban, Dabigatran und Apixaban) am besten für die Verhinderung eines Schlaganfalls bei Patienten mit Vorhofflimmern geeignet ist. Ein indirekter Vergleich bescheinigt allen drei Substanzen eine ähnliche Wirksamkeit mit kleinen Unterschieden bei der Primärprävention.
BMJ
In den Zulassungsstudien erwiesen sich Rivaroxaban (Xarelto®), Dabigatran (Pradaxa®) und Apixaban (Eliquis®) dem Standardmedikament Warfarin als mindestens ebenbürtig in der Prävention von Schlaganfällen und systemischen Embolien, wobei Dabigatran in der Dosis 2 × täglich 150 mg und Apixaban in diesen Studien besser ab-
Merksätze
❖ Bei Patienten mit Vorhofflimmern, die bereits einen Schlaganfall hatten, haben die neuen Antikoagulanzien Apixaban, Rivaroxaban und Dabigatran wahrscheinlich eine vergleichbare Wirksamkeit bezüglich Schlaganfall, systemischer Embolien und Mortalität.
❖ Bei Patienten mit Vorhofflimmern, die noch keinen Schlaganfall hatten, bestehen kleine Unterschiede bezüglich Wirksamkeit und Blutungsrisiko von unklarer klinischer Relevanz.
❖ Es gibt bis anhin nur indirekte Vergleiche, sodass erst echte Head-to-head-Studien definitive Aussagen erlauben würden.
schnitten als der altbekannte VitaminK-Antagonist. Auf der anderen Seite war das Blutungsrisiko mit den neuen Antikoagulanzien nicht erhöht (Rivaroxaban) oder geringer: Dabigatran (110 mg/2 × tgl.) und Apixaban schnitten hier im Vergleich mit Warfarin um 20 beziehungsweise 31 Prozent besser ab. Die Studienkollektive der drei Studien waren allerdings nicht vergleichbar. Insbesondere hatten die Patienten in der Rivaroxabanstudie (ROCKETAF) per se ein höheres Risiko für Schlaganfälle als die Patienten in den beiden anderen Studien (RE-LY für Dabigatran und ARISTOTLE für Apixaban). In der Schweiz und in Europa sind für die Indikation Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern bis anhin nur Rivaroxaban und Dabigatran zugelassen. Da direkte Vergleichsstudien (head to head) fehlen, ist die Frage offen, ob und gegebenfalls welche Unterschiede die drei Antikoagulanzien in ihrer Wirksamkeit und Sicherheit zur Prävention von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern aufweisen. Die Autoren der BMJ-Publikation versuchten der Antwort auf diese Frage mithilfe eines indirekten Vergleichs näher zu kommen. In allen drei Studien wurden die Antikoagulanzien mit Warfarin verglichen. Insofern ist es zulässig, mit der gebotenen Vorsicht bei der Interpretation der Resultate, einen Vergleich der relativen Wirksamkeiten durchzuführen. Entsprechende Studien mit dem in Europa in der Regel verwendeten Vitamin-K-Antagonisten Phenprocoumon gibt es nicht. Um das bereits erwähnte Problem der unterschiedlich zusammengesetzten Patientenkollektive in den Studien in den Griff zu bekommen, betrachteten die Autoren bei ihrem Vergleich jeweils nur bestimmte Patientengruppen der
Kein wesentlicher Unterschied in der Sekundärprävention Beim Vergleich von Apixaban mit Dabigatran zeigte sich nur bei der Anzahl der Herzinfarkte ein statistisch signifikanter Unterschied. Sie waren mit Apixaban seltener als mit Dabigatran in der 150-mg-Dosierung, wobei das Konfidenzintervall sehr breit war (HR 0,39; 95%-KI 0,16–0,95). Im Grossen und Ganzen fand sich kein Unterschied bei der Wirksamkeit und bei den meisten Endpunkten zur Arzneimittelsicherheit beim Vergleich Apixaban/Rivaroxaban oder Dabigatran/Rivaroxaban. Nur beim Vergleich von 2 × täglich 110 mg Dabigatran mit Rivaroxaban zeigten sich einige statistisch signifikante Unterschiede zugunsten von Dabigatran: hämorrhagischer Schlaganfall (HR 0,15; 95%-KI 0,03–0,66), vaskulär bedingter Tod (HR 0,64; 95%-KI 0,42–0,99), schwere Blutungen (HR 0,68; 95%-KI 0,47–0,99) und intrakranielle Blutungen (HR 0,27; 95%-KI 0,10–0,73). Trotzdem seien Wirksamkeit und Sicherheit der drei Antikogulanzien zur Verhütung eines erneuten Schlaganfalls bei Patienten mit Vorhofflimmern insgesamt als gleichwertig zu betrachten, so die BMJ-Autoren.
Kleine Unterschiede in der Primärprävention Bei Patienten mit Vorhofflimmern, die noch keinen Schlaganfall erlitten hatten, wirkte Apixaban besser als Dabigatran (2 × 110 mg/tgl.) bezüglich der Risikominderung für einen tödlichen oder invalidisierenden Schlaganfall (HR 0,59; 95%-KI 0,36-0,97). Auf der anderen Seite war Apixaban im Vergleich mit der 150-mg-Dabigatrandosis (2 × tgl.) mit mehr Schlaganfällen (HR 1,45; 95%-KI 1,01–2,08) assoziiert, aber auch mit weniger schweren (HR 0,75; 95%-KI 0,6–0,94), gastrointestinalen (HR 0,61; 95%-KI 0,42– 0,89) und anderen (HR 0,75; 95%-KI 0,58–0,94) Blutungen.
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STUDIE REFERIERT
Der Vergleich zwischen Rivaroxaban und Dabigatran in der Primärprävention ergab folgendes Bild: Mit Dabigatran 110 mg/2 × täglich gab es mehr invalidisierende und tödliche Schlaganfälle (HR 1,74; 95%-KI 1,04–2,93) und Herzinfarkte (HR 1,73; 95%-KI 1,09–2,75). Mit der 150-mg-Dabigatrandosis fanden sich im Vergleich mit Rivaroxaban keine Unterschiede zwischen Wirksamkeit und Sicherheit. Im Vergleich zwischen Rivaroxaban und Apixaban kam es seltener zu schweren Blutungen mit Apixaban (HR 0,61; 95%-KI 0,48–0,78).
Was bedeutet das für die Praxis? Die BMJ-Autoren treffen keine konkreten Aussagen, ob und in welcher Weise die Ergebnisse ihres indirekten Vergleichs der drei neuen Antikoagu-
lanzien bei Patienten mit Vorhofflimmern das Vorgehen in der Praxis beeinflussen könnten. Sie betonen vielmehr, dass diese Daten nützlich sind, um Hypothesen zu formulieren, die in randomisierten direkten Vergleichsstudien (head to head) geprüft werden sollten. Vorab darf man wohl annehmen, dass die Unterschiede bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit zwischen den neuen Antikoagulanzien in dieser Indikation insgesamt nicht allzu gross sein dürften, sodass man sich bei der Verordnung eher anhand der jeweiligen Nebenwirkungsspektren überlegen muss, welches Antikoagulans für den jeweiligen Patienten individuell am besten geeignet sein dürfte. Die BMJ-Autoren weisen auch darauf hin, dass Patienten, die sehr gut mit dem altbekannten Warfarin eingestellt
sind, damit möglicherweise genauso
gut fahren wie mit einem der neuen
Antikoagulanzien.
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Renate Bonifer
Rasmussen LH et al.: Primary and secondary prevention with new oral anticoagulant drugs for stroke prevention in atrial fibrillation: indirect comparison analysis. BMJ 2012; 345: e7097.
Interessenkonflikte: Die Studie wurde nicht gesponsert. Die drei medizinischen Autoren waren für verschiedene Unternehmen als Berater und/oder Referenten tätig.
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