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BERICHT
Update zur HPV-Impfung
Impfraten in der Schweiz und neue Daten zur Wirksamkeit
VII. Schweizer Impfkongress
Update zur HPV-Impfung Basel, 9. November 2012
Die Wirksamkeit der HPV-Impfung
zeigt sich im Lauf der Jahre immer
deutlicher. Über aktuelle Studien-
daten und die Zahlen in der Schweiz
informierten an der Schweizer Impf-
tagung Dr. med. Virginie Masserey
Spicher und Dr. med. Anne Spaar
Zographos, BAG.
RENATE BONIFER
Die HPV-Impfraten sind in der Schweiz von Kanton zu Kanton nach wie vor sehr unterschiedlich. 2011 hatten im Durchschnitt 53 Prozent der 16-jährigen Mädchen drei Impfdosen erhalten, das zeigen die Daten aus 9 Kantonen (Tabelle 1). Die Schwankungsbreite der Impfrate ist jedoch hoch und reicht von 27 bis 67 Prozent, je nach Kanton. Die durchschnittliche Impfrate ist höher, wenn die HPV-Impfung im Rahmen von Schulimpfungen durchgeführt wird (53 vs. 40% für ≥ 1 Impfdosis), und sie ist in der Romandie höher als in der deutschsprachigen Schweiz (65 vs. 43% für ≥ 1 Impfdosis). Man gehe davon aus, dass ungefähr 16 Prozent aller neuen Krebserkrankungen auf Infektionen zurückgehen, sagte Dr. med. Anne Spaar Zographos, BAG. Man nehme weiterhin an, dass HPV die Ursache für zirka 5 Prozent aller neuen Krebserkrankungen sei. Für einige Tumoren wurden HPV-Prävalenzen publiziert. Demnach sind 99,7 Prozent aller Zervixkarzinome mit HPV assoziiert (76% mit HPV
16/18) und die HPV-Prävalenzen (alle Typen) anderer Tumoren betragen 84,2 Prozent (Anus), 76,8 Prozent (Vagina), 46,7 Prozent (Penis), 34,7 Prozent (Vulva) und 28,2 Prozent (Oropharynx). Ausserdem ist HPV das kausale Agens für Genitalwarzen (zu mehr als 90% mit HPV 6/11 assoziiert), die am häufigsten sexuell übertragene Viruserkrankung mit einem Lebenszeitrisiko von etwa 10 Prozent. Für die Schweiz präsentierte Anne Spaar Zographos folgende Inzidenzen pro Jahr, die sich auf Erhebungen des NICER (National Institute for Cancer Registration) von 2004 bis 2008 stützen: ❖ 240 Fälle von Zervixkarzinom pro
Jahr Hochgerechnet aufgrund internationaler Daten zur HPV-Prävalenz wären das 239 Fälle mit HPV, davon 182 mit den HPV-Stämmen 16 und 18 (Vakzine). ❖ 166 Fälle von Analkarzinom (44 Männer, 122 Frauen) pro Jahr Hochgerechnet aufgrund internationaler Daten zur HPV-Prävalenz wären das schätzungsweise bei den Männern 37 Fälle mit HPV, davon 35 Fälle mit HPV 16/18; bei den Frauen 103 Fälle mit HPV, davon 96 mit HPV 16/18. ❖ Es ist mit 1054 Tumoren der Mundhöhle und des Pharynx pro Jahr zu rechnen (741 Männer, 313 Frauen), doch gibt es hierzu keine verlässlichen Daten zur HPV-Prävalenz. ❖ Daten zu Genitalwarzen liegen für die Schweiz nicht vor. Allgemein könne man sagen, dass international die Inzidenz von Analkarzinomen bei Männern und Frauen ansteigt, mit höheren Erkrankungsraten bei den Frauen, sagte Spaar Zographos. Auch die Inzidenz der Oropharyngealkarzinome steige gemäss Daten aus den USA, insbesondere bei Männern.
Dr. med. Anne Spaar Zographos, BAG
Wie wirksam ist die HPV-Impfung? Für die Wirksamkeitsanalyse der HPVImpfung müsse man drei Populationen unterscheiden, erläuterte Spaar Zographos: die Per- Protocol-Population (PPP), die naive Population und die Intentionto-Treat-Population (ITT). Die Per-Protocol-Population repräsentiert sozusagen die beste aller Welten: Hier haben die Probandinnen alle 3 Impfdosen erhalten, sie waren vor der Impfung sicher negativ für die relevanten HPV-Typen, und es gab keine Fehler bei der Studiendurchführung. Für die Mädchen in der naiven Population gilt fast das Gleiche, aber – und das ist der Unterschied zur Per-Protocol-Population – sie hatten kein ideales Impfschema, sondern nur 1 Impfdosis oder mehr. Diese Population kommt der Realität schon etwas näher, sofern es gelingt, junge Mädchen tatsächlich vor ihrem ersten Sexualkontakt zu impfen. Bleibt noch die Intention-to-TreatPopulation, wie sie den Verhältnissen in der wahren Welt entspricht: kein
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BERICHT
Tabelle 1:
Entwicklung der HPV-Impfraten in der Schweiz bei 16-jährigen Mädchen
≥ 1 Dosis 2009 (5 Kantone) 35% (12-42%) 2010 (10 Kantone) 57% (19-67%) 2011 (9 Kantone) 57% (31-70%)
3 Dosen 18% (6-36%) 52% (18-62%) 53% (27-67%)
Angaben in Klammern: kantonale Spannbreite der Impfraten
Quelle: Vortrag von Dr. med. Virginie Masserey Spicher am Schweizer Impfkongress, 9. November 2012 (vorläufige Daten, noch nicht publiziert).
Tabelle 2:
Wirksamkeit der HPV-Impfung bezüglich CIN-Stadien
Endpunkt HPV-Typ HPV-naiv
ITT
CIN 2+
16/18 alle
99% (94-100%)1 61% (50-70%)1 99% (91–100%)2 49% (40–58%)2 65% (53–74%)1 33% (22–43%)1 45% (29–57%)2 20% (10–29%)2
CIN 3+
16/18 alle
100% (86-100%)1 46% (23-62%)1 99% (81–100%)2 45% (30–57%)2 93% (79-99%)1 46% (29-59%)1 46% (19–64%)2 19% (4–32)2
Angaben in Klammern: 95%-Konfidenzintervall
PPP: Per-Protocol-Population; ITT: Intention-to-treat-Population Nach 1Lehtinen M et al., Lancet Oncol 2012 und 2Munoz J, Natl Cancer Inst 2010; Follow-up nach 3,6 Jahren.
Tabelle 3:
Wirksamkeit der HPV-Impfung bezüglich Genitalwarzen
HPV-Typ PPP
HVP-naiv ITT
6, 11, 16, 18 99% (96-100%) 96,4% (91-99%) 79% (73-84%)
alle –
83% (74-89%) 62% (54-69%)
Angaben in Klammern: 95%-Konfidenzintervall
PPP: Per-Protocol-Population; ITT: Intention-to-treat-Population
nach Dillner, BMJ 2012 und Munoz J, Natl Cancer Inst 2010; quadrivalenter Impfstoff (HPV 6, 11, 16, 18).
ideales Impfschmema (1 Impfdosis oder mehr) und unklarer HPV-Status vor der Impfung. Es handelt sich hier also um eine gemischte Population.
Hohe Wirksamkeit gegen zervikale Dysplasien bei HPV-naiven Mädchen Für HPV-naive Mädchen, die vor dem ersten Sexualkontakt geimpft wurden, zeigte sich in randomisierten Studien ein praktisch vollständiger Schutz vor HPV-16/18-assoziierten zervikalen Krebsvorstufen CIN 2+ und CIN 3+. Betrachtet man alle Dysplasien, das heisst mit jeglichen HPV-Typen assoziierte, ist der Impfschutz naturgemäss geringer (Tabelle 2).
Praxiserfahrungen bestätigen Studien Dass bei einer hohen Durchimpfungsrate auch ausserhalb von Studien mit Erfolg zu rechnen ist, zeigen die Daten aus Australien. Dort startete man 2007 an den Schulen ein Gratis-Impfprogramm für Mädchen im Alter von 12 bis 13 Jahren (quadrivalenter Impfstoff HPV 6, 11, 16, 18). Bis 2009 wurde die Impfung auch jungen Frauen bis zum Alter von 26 Jahren gratis angeboten, den 14- bis 17-Jährigen an der Schule, den älteren bei den Hausärzten und Gesundheitszentren. Heute ist die HPV-Impfrate in Australien hoch. Sie beträgt 70 Prozent bei den 14- bis 17-jährigen Mädchen, bei den älteren sind es 30 Prozent. Ein kleiner, aber statistisch signifikanter positiver Trend bei den präkanzerösen Veränderungn im Pap-Test zeichnet sich ab: Die Inzidenz der HSIL (high grade squamous intraepithelial lesion) sank vier Jahre nach Einführung der Impfung in Australien um 0,38 Prozent (95%-Konfidenzintervall: -0,61 bis -0,16) im Vergleich zu vier Jahre vor der Impfeinführung. Auch wenn die Autoren dieser Beobachtungsstudie selbst noch davor warnen, dies nur auf die Impfung zurückzuführen, scheint Optimismus angebracht.
Herdenschutz bei den Genitalwarzen Auch bei den Genitalwarzen sieht man die Wirksamkeit der HPV-Impfung (Tabelle 3). Die Erfahrungen aus der Praxis in Australien bestätigen die Studien. Dort zeigte sich in acht sexualmedizinischen Zentren von 2007 bis 2010 ein deutlicher Rückgang der Genitalwarzen bei den einheimischen Frauen unter 27 Jahre um 73 Prozent, berichtete Anne Spaar Zographos. Bei den gleichaltrigen Frauen, die nicht in Australien
geboren waren oder seit weniger als drei Jahren dort lebten, war dies nicht zu beobachten; diese waren in der Regel nicht geimpft, da das australische Impfprogramm für sie nicht galt. Es zeigte sich ein immunologischer Herdenschutz, der die männlichen, ungeimpften Sexualpartner vor Genitalwarzen schützt: Von 2007 bis 2010 sank die Erkrankungsrate bei den australischen heterosexuellen Männern unter 27 Jahre um 44 Prozent. In einer weiteren Studie an einem sexualmedizinischen Zentrum wurden für die Altersgruppe unter 21 Jahren noch höhere Erfolgsraten ermittelt. Während in einem 12-Monats-Intervall 2007/2008 noch 18,6 Prozent der neuen Patientinnen Genitalwarzen hatten, waren es 2010/2011 nur noch 1,9 Prozent; dies entspricht einem Rückgang um 90 Prozent. Bei den heterosexuellen Männern unter 21 Jahren waren es vorher 22,9 Prozent, drei Jahre nach Start des Impfprogramms (der Frauen!) nur noch 2,9 Prozent (ein Rückgang um 84%). Dieser Studie lagen die Daten von insgesamt 5021 Patienten mit Genitalwarzen von 2004 bis 2011 zugrunde.
Andere Dysplasien
Auch für die vulvären und vaginalen
Dysplasien (VIN, VAIN) ist eine hohe
Wirksamkeit bezüglich der Impftypen
HPV 6, 11, 16 und 18 dokumentiert.
Zur Wirksamkeit der Impfung gegen
HPV-assoziierte oropharyngeale Tumo-
ren gibt es noch keine Daten.
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Renate Bonifer
ARS MEDICI 24 ■ 2012 1319