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STUDIE REFERIERT
LDL-Cholesterin-Senkung mit Statinen
Auch bei geringem kardiovaskulärem Risiko von Nutzen
Statine reduzieren den LDL-Cholesterin-Spiegel und damit das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und koronare Revaskularisationen – auch bei Menschen mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko. Sollte man die Indikation für eine Statintherapie grosszügiger stellen?
LANCET
Statine senken das LDL-Cholesterin und verhindern kardiovaskuläre Ereignisse. Deshalb wird immer wieder diskutiert, ob die Indikation für eine Statintherapie erweitert werden sollte. Die Cholesterol Treatment Trialists’ (CTT) Collaborators prüften vor Kurzem in einer umfangreichen Metaanalyse, welchen Nettoeffekt eine Statinbehandlung bei Menschen mit geringem kardiovaskulärem Risiko bringt. In dieser Metaanalyse untersuchten die Wissenschaftler individuelle Teilnehmerdaten, die aus insgesamt 27 randomisierten Studien stammten. In 22 Stu-
Merksätze
❖ Statine werden üblicherweise in der Sekundärprävention oder bei Personen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko primärpräventiv eingesetzt.
❖ Eine gross angelegte Metaanalyse zeigt, dass Statine auch bei Menschen mit einem Fünfjahresrisiko für schwere vaskuläre Ereignisse von unter 10% effektiv und sicher sind.
❖ Nach Ansicht der Studienautoren sollte man in Anbetracht dieser Ergebnisse aktuelle Leitlinienempfehlungen neu überdenken.
dien wurde die Statintherapie mit Plazebo verglichen (n = 134 537; durchschnittliche LDL-Cholesterin-Differenz 1,08 mmol/l; mediane Nachbeobachtungszeit 4,8 Jahre), in den übrigen 5 Studien wurden unterschiedliche Statindosen untersucht (n = 39 612; durchschnittliche LDL-Cholesterin-Differenz 0,51 mmol/l; mediane Nachbeobachtungszeit 5,1 Jahre). Analysiert wurde, wie häufig schwere koronare Ereignisse (d.h. nicht letale und letale Myokardinfarkte) oder Schlaganfälle auftraten beziehungsweise koronare Revaskularisationen durchgeführt werden mussten. Die Teilnehmer wurden in 5 Kategorien eingeteilt, je nachdem, wie hoch ihr Fünfjahresrisiko für ein schweres vaskuläres Ereignis zu Beginn der Studie unter der Kontrolltherapie (kein Statin beziehungsweise niedrigdosiertes Statin) war (< 5%, ≥ 5% bis < 10%, ≥ 10% bis < 20%, ≥ 20% bis < 30%, ≥30%). Für jede Kategorie wurde die Rate Ratio (RR) pro 1,0 mmol/l LDL-Cholesterin-Senkung geschätzt. Ergebnisse Die Senkung des LDL-Cholesterins mit einem Statin reduzierte das Risiko für schwere vaskuläre Ereignisse (RR 0,79, 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,77– 0,81 pro 1,0 mmol/l Reduktion), und zwar weitgehend unabhängig von Alter, Geschlecht, LDL-Cholesterin-Ausgangswert oder früherer vaskulärer Erkrankung; darüber hinaus wurden die vaskuläre sowie die Gesamtmortalität gesenkt. Die proportionale Reduktion schwerer vaskulärer Ereignisse war in den beiden niedrigsten Risikokategorien mindestens so ausgeprägt wie in den höheren Risikokategorien (RR pro 1,0 mmol/l Reduktion vom niedrigsten zum höchsten Risiko: 0,62 [99%-KI 0,47–0,81], 0,69 [0,60–0,79], 0,79 [0,74–0,85], 0,81 [0,77–0,86] und 0,79 [0,74– 0,84]; Trend p = 0,04). Diese Daten reflektieren signifikante Reduktionen in den beiden niedrigsten Risikokategorien hinsichtlich schwerer koronarer Ereignisse (RR 0,57 [0,36– 0,89], p = 0,0012 bzw. 0,61 [0,50– 0,74], p<0,0001) sowie hinsichtlich koronarer Revaskularisationen (0,52 [0,35–0,75] bzw. 0,63 [0,51–0,79]; jeweils p < 0,0001). Was Schlaganfälle anbelangt, war die Risikoreduktion bei Teilnehmern mit einem Fünfjahresrisiko für schwere vaskuläre Ereignisse unter 10 Prozent (0,76 [0,61–0,95], p = 0,0012) ebenfalls ähnlich ausgeprägt wie in den höheren Risikokategorien (Trend p = 0,3). Bei Teilnehmern ohne Gefässerkrankung in der Anamnese reduzierten Statine das vaskuläre (0,85 [0,77–0,95]) sowie das Gesamtmortalitätsrisiko (0,91 [0,85–0,97]). Teilnehmer mit geringem Ausgangsrisiko wiesen ähnliche proportionale Risikoreduktionen auf wie diejenigen mit höherem Ausgangsrisiko. Es gab keine Hinweise dafür, dass die Senkung des LDL-Cholesterins mit einem Statin die Krebsinzidenz erhöhte (1,00 [0,96–1,04]). Auch die Krebsmortalität (0,99 [0,93–1,06]) und die Mortalität aufgrund anderer nicht vaskulärer Ursachen schienen nicht erhöht zu sein. Was bedeutet das für die Praxis? Die Ergebnisse der vorliegenden Metaanalyse zeigen, dass eine Statintherapie das Risiko für schwere vaskuläre Ereignisse (nicht letaler und letaler Herzinfarkt, koronare Revaskularisation und Schlaganfall) auch bei Menschen mit einem Fünfjahresrisiko unter 10 Prozent senkt. Wenn bei diesen Personen das LDL-Cholesterin um 1,0 mmol/l reduziert wird, führt das dazu, dass innerhalb von 5 Jahren 11 schwere vaskuläre Ereignisse pro 1000 Behandelte verhindert werden. Dieser Nutzen ist weitaus grösser als die Gefahren, die aufgrund des Nebenwirkungsprofils der Statine zu erwarten wären. Nach den Empfehlungen verschiedener europäischer Leitlinien würden Personen mit einem Fünfjahresrisiko für schwere vaskuläre Ereignisse unter 10 Prozent (was den beiden niedrigsten Kategorien in der vorliegenden Metaanalyse entspricht) typischerweise keine 1160 ARS MEDICI 21 ■ 2012 STUDIE REFERIERT Statintherapie erhalten. Ob ein grosszügiger Einsatz von Statinen in der Primärprävention bei Personen mit niedrigerem Risiko angemessen ist, hängt unter anderem auch von der Kosteneffektivität einer solchen Strategie ab, schreiben die Autoren. Wenn generische Statine effektiv sind, dürften sie selbst bei Menschen mit einem jährlichen vaskulären Risiko von einem Prozent (und wahrscheinlich noch darunter) kosteneffektiv sein. Die aktuelle Metaanalyse der Cholest- erol Treatment Trialists zeigt, dass Sta- tine bei Menschen mit einem Fünfjah- resrisiko für schwere vaskuläre Ereig- nisse von unter 10 Prozent tatsächlich effektiv und sicher sind. Deshalb soll- ten die derzeit gültigen Leitlinien nach Ansicht der Autoren neu überdacht werden. ❖ Andrea Wülker Quelle: Cholesterol Treatment Trialists’ (CTT) Collaborators; B. Mihaylova, et al.: The effect of lowering LDL cholesterol with statin therapy in people at low risk of vascular disease: a meta-analysis of individual data from 27 randomised trials. Lancet 2012; 380: 581–590. Interessenkonflikte: Die meisten Studien dieser Metaanalyse wurden durch die pharmazeutische Industrie unterstützt. Einige Autoren der Metaanalyse bekamen von Pharmaunternehmen Reisekosten erstattet, die durch die Teilnahme an wissenschaftlichen Tagungen entstanden. 1162 ARS MEDICI 21 ■ 2012