Transkript
FORTBILDUNG
Eisensupplemente bei Fatigue
Auch bei nicht anämischen Frauen mit niedrigem Ferritinspiegel sinnvoll
Einer neuen Studie zufolge kann eine Eisensupplementation bei menstruierenden nicht anämischen Frauen subjektiv die Fatigue-Symptome lindern. Zudem zeigten sich die entsprechenden Blutwerte als objektive biologische Marker unter der Eisentherapie ebenfalls deutlich verbessert.
CANADIAN MEDICAL ASSOCIATION JOURNAL
Unter den Patienten in der Hausarztpraxis klagen etwa 14 bis 27 Prozent, davon etwa dreimal so viele Frauen wie Männer, über Fatigue-Beschwerden. In den meisten Fällen lässt sich keine direkte Ursache für die chronische Müdigkeit ausmachen. Ein Grund für eine ungeklärte Fatigue-Symptomatik kann jedoch Eisenmangel sein. So liess sich in einer früheren plazebokontrollierten Studie zeigen, dass Eisensupplementation bei nicht anämischen Frauen die Müdigkeit bessern kann. Unklar blieb jedoch, ob die Eisentherapie auch Effekte auf die Hämoglobinwerte dieser Patientinnen hat. Mit ihrer aktuell im Canadian Medical Association Journal publizierten kontrollierten randomisierten Studie zur Wirkung von Eisensupplementation auf die Fatigue-Symptomatik bei nicht anämischen eisendefizienten Patientinnen hat die Gruppe um PD Dr. med. Bernard Favrat von der Universität
Merksätze
❖ Gut ein Viertel aller Patienten in der Hausarztpraxis, darunter dreimal mehr Frauen als Männer, klagt über FatigueBeschwerden. Meist lässt sich keine direkte zugrunde liegende Ursache feststellen.
❖ Ein Grund für eine ungeklärte Fatigue-Symptomatik kann Eisenmangel sein.
❖ Orale Eisensupplementation über zwölf Wochen reduzierte bei eisendefizienten nicht anämischen Frauen die Fatigueeschwerden um nahezu 50 Prozent und um 19 Prozent mehr als unter Plazebo.
❖ Bei Frauen mit Fatigue ohne klinische Ursache und Ferritinwerten unter 50 µg/l sollte stets eine Eisensupplementation in Erwägung gezogen werden.
Lausanne nun auch untersucht, wie sich die Therapie mit oralen Eisenpräparaten auf Hämoglobin-, Ferritin- und lösliche Transferrinrezeptorspiegel auswirkt. Zu diesem Zweck wurden zwischen März und Juli 2006 insgesamt 198 Fatigue-Patientinnen im reproduktiven Alter (1853 Jahre) aus 44 allgemeinärztlichen Praxen in Frankreich in die Studie eingeschlossen. Bedingungen für die Aufnahme waren neben einer substanziellen Fatigue-Symptomatik (6 oder mehr Punkte auf der Likert-Skala) ohne eindeutige klinische Ursache, unter anderem ein Ferritinspiegel unter 50 μg/l und ein Hämoglobinwert von mindestens 12 g/dl. Die Patientinnen erhielten für zwölf Wochen entweder Eisensulfat (80 mg elementares Eisen täglich, n = 102) oder Plazebo (n = 96). Primärer Endpunkt waren die von den Patienten subjektiv wahrgenommenen und nach zwölf Wochen mithilfe des «Current and Past Psychological Scale» gemessenen FatigueBeschwerden. Ebenfalls mithilfe psychologischer Testverfahren erfasst und evaluiert wurden die subjektive Einschätzung der Lebensqualität sowie eine eventuelle Depressions- und Angstsymptomatik. Blutproben wurden nach sechs und zwölf Wochen Behandlungsdauer entnommen und untersucht.
Eisensupplementation lindert Fatigue und bessert Blutwerte Nach Analyse der Daten zeigte sich, dass sich die FatigueSymptomatik unter der Eisensupplementation deutlich verbessert hatte: Die von den Patientinnen durchschnittlich erzielten Werte auf der «Current and Past Psychological Scale» für Fatigue waren in der Verumgruppe um 47,7 Prozent gegenüber 28,8 Prozent mit Plazebo gesunken (-18,9%; 95%Konfidenzintervall: -34,5 bis -3,2; p = 0,02). Bezüglich der Lebensqualität – abgesehen von einer eventuellen Fatigue-bedingten Veränderung – sowie der Angst- und Depressionssymptome zeigten sich unter Eisentherapie hingegen keine signifikanten Effekte. Darüber hinaus zeigten sich bereits nach sechs Wochen Therapie bei den mit Eisensulfat behandelten Frauen im Vergleich mit denjenigen Patientinnen, die Plazebo erhalten hatten, die Blutwerte deutlich verbessert. Nach zwölf Wochen waren bei den Patientinnen in der Verumgruppe die Hämoglobinspiegel um 0,32 g/dl (p = 0,002) und die Ferritinwerte um 11,4 μg/l (p = 0,001) angestiegen und die Konzentration löslicher Transferrinrezeptoren um 0,54 mg/l (p < 0,001) gesunken. Die Effekte der Eisensupplementation auf die Hämoglobinwerte waren bei denjenigen Frauen besonders ausgeprägt, bei denen zu Beginn der Studie die Konzentration des Sauerstofftransportproteins unter 13 g/dl lag (siehe Tabelle).
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ARS MEDICI 18 ■ 2012
FORTBILDUNG
Tabelle:
Effekt der Eisensupplementation auf biologische Marker in Abhängigkeit vom initialen Hämoglobinwert
Hämoglobin (g/dl) Ferritin (µg/l) Mittleres Erythrozyteneinzelvolumen (fl) Hämatokrit (%) Transferrin (g/l) Löslicher Transferrinrezeptor (mg/l) Transferrinsättigung (%)
Behandlungseffekt nach 12 Wochen gegenüber Baseline (95%-Konfindenzintervall)
Initialer Hämoglobinspiegel
Initialer Hämoglobinspiegel
p-Wert
< 13,0 g/dl (n = 49)
≥ 13,0 g/dl (n = 149)
0,97 (0,54 – 1,40) 8,4 (2,0 – 14,8) 1,0 (-1,8 – 3,9) 2,3 (0,2 – 4,4) -0,1 (-0,4 – 0,2) -0,89 (-1,6 – -0,2) 2,5 (-5,7 – 10,7)
0,09 (-0,22 – 0,41) 12,7 (7,5 – 17,9) 2,2 (0,9 – 3,5) 0,5 (-0,7 – 1,7) -0,2 (-0,4 – 0,03) -0,4 (-0,6 – -0,1) 3,8 (-1,7 – 9,2)
< 0,001 0,4 0,4 0,1 0,5 0,05 0,8
Die Autoren erklären einen potenziellen kausalen Zusammenhang zwischen Eisenmangel und Fatigue damit, dass in der Mangelsituation die Aktivität eisenabhängiger Enzyme, z.B. von solchen, die den Metabolismus von Neurotransmittern, die neurophysiologische Veränderungen auslösen, herabgesetzt ist. Möglicherweise werden solche physiologischen Veränderungen aber durch Depressions- und Angstzustände ebenfalls beeinflusst. Die Auswirkungen einer Eisensupplementation auf Stimmungsparameter bleiben somit unklar.
Müdigkeit feststellen lassen, sollte bei Frauen mit Ferritin-
spiegeln unter 50 μg/l deshalb immer auch eine Eisensupple-
mentation in Betracht gezogen werden, statt entsprechende
Symptome ungerechtfertigterweise auf emotionale oder
Stressfaktoren zurückzuführen. Dies könne dazu beitragen,
unnütze pharmakologische Therapien zu vermeiden und
damit einhergehend die Ressourcen des Gesundheitssystems
nicht unnötig zu belasten.
❖
Ralf Behrens
Eisenmangel bei menstruierenden Frauen mehr Beachtung schenken Anhand ihrer Ergebnisse kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Eisenmangel eine nicht ausreichend beachtete Ursache für Fatigue-Beschwerden bei Frauen im geburtsfähigen Alter ist. Wenn sich keinerlei sekundäre Auslöser für die
Paul Vaucher et al.: Effect of iron supplementation on fatigue in nonanemic menstruating women with low ferritin: a randomized controlled trial. CMAJ 2012; published online on July 9, 2012; DOI: 10.1503/cmaj.110950
Interessenkonflikte: Die Autoren haben teils Beratungshonorare oder Sponsoring, teils finanzielle Unterstützung für Studien von den Firmen Robapharm, Pierre Fabre Médicament bzw. Vifor Pharma entgegengenommen.
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