Transkript
STUDIE REFERIERT
HPV-Impfung nicht nur prophylaktisch wirksam?
Bis anhin galt die HPV-Impfung als
rein prophylaktische Massnahme.
Die nachträgliche Auswertung der
Daten aus Impfstudien legt nun
nahe, dass sie bereits erkrankte
Patientinnen nach einer Therapie
vor einer erneuten HPV-Erkran-
kung schützen könnte.
BMJ
Bekanntermassen kann eine HPV-Impfung das Risiko für Neoplasien von Zervix, Vulva und Vagina sowie das Auftreten von Genitalwarzen deutlich senken – sofern die Impfung vor dem ersten Kontakt mit den Viren erfolgt. Die Autoren einer kürzlich im «British Medical Journal» publizierten Studie sagen nun, dass die Impfung auch Frauen nützen könnte, die bereits mit HPV infiziert sind. Das Autorenteam unter der Leitung des Gynäkologen Professor Elmar Joura von der Universität Wien wertete erneut die Daten der grossen Impfstudien FUTURE I und II aus, die mit dem quadrivalenten HPV-Impfstoff (Gardasil®) mit 17622 Frauen im Alter von 15 bis 26 Jahren durchgeführt wurden. In diesem Studienkollektiv suchte man nach Frauen, bei denen nach der Impfung – sei es mit dem Impfstoff oder mit Plazebo – entweder ein chirurgischer Eingriff wegen Zervixneoplasien durchgeführt oder die Diagnose Genitalwarzen und/oder verdächtige Veränderungen an Vulva oder Vagina gestellt wurde. Anschliessend wurde nachgerechnet, ob sich
die Rate erneuter Erkrankungen (nach Chirurgie) beziehungsweise diejenige der Entwicklung HPV-assoziierter Erkrankungen (nach verdächtigen Veränderungen) zwischen den Geimpften und den Nicht-Geimpften im weiteren Verlauf (nach 1,5 bis 4 Jahren) unterschied.
Die Zahlen Von den 8799 Frauen, die damals mindestens 1 Impfdosis erhalten hatten, mussten 587 nach zirka 2 Jahren wegen Zervixneoplasien operiert werden. Genitalwarzen oder verdächtige Veränderungen in der Vulva- oder Vaginaschleimhaut traten bei 229 der geimpften Frauen auf (nach durchschnittlich 1,5 Jahren). Im Follow-up konnten die Daten von 475 operierten Frauen und von 211 Frauen mit ehemals verdächtiger Schleimhautdiagnose ausgewertet werden. Von den 8812 Frauen, die mindestens 1 Plazebodosis erhalten hatten, mussten 763 nach zirka 21/2 Jahren wegen Zervixneoplasien operiert werden. Genitalwarzen oder verdächtige Veränderungen in der Vulva- oder Vaginalschleimhaut fanden sich bei 475 Frauen aus der Plazebogruppe. Im Follow-up konnten die Daten von 593 Frauen nach Chirurgie und 422 Frauen nach verdächtiger Schleimhautdiagnose ausgewertet werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass die oben genannten Ersterkrankungen bei den Geimpften nicht auf ein Impfversagen zurückzuführen, sondern der Tatsache geschuldet seien, dass viele dieser Frauen bereits vor der Impfung mit HPV infiziert waren (z. B. 62–70% in der OP-Gruppe).
Merksatz
❖ Bei Frauen, die in HPV-Impfstudien wegen Zervixneoplasien operiert werden mussten, zeigte sich ein Unterschied in der Neuerkrankungsrate nach der OP zwischen Impf- und Plazebogruppe.
Die Resultate Zur Vergleichbarkeit der Daten wurde die Rate an Neuerkrankungen auf jeweils 100 Patientenjahre hochgerechnet. Es ergab sich folgendes Bild: ❖ Die Inzidenz (pro 100 Patientenjahre)
für HPV-assoziierte Neuerkrankungen nach Zervix-OP betrug bei den Geimpften 6,6 Prozent gegenüber
12,2 Prozent in der Plazebogruppe; dies entspricht einer relativen Risikoreduktion von 46,2 Prozent (95%Konfidenzintervall: 22,5–63,2%). Betrachtete man nur die im Impfstoff enthaltenen HPV-Typen 6, 11, 16 und 18, so betrug die Inzidenz 0,8 gegenüber 3,9 Prozent; dies entspricht einer relativen Risikoreduktion von 79,1 Prozent (95%-Konfidenzintervall: 49,4–92,8%). ❖ Die Inzidenz für HPV-assoziierte Neuerkrankungen nach der Diagnose von Genitalwarzen und/oder verdächtigen Befunden in der Vulva/Vaginaschleimhaut betrug bei den Geimpften 20,1 Prozent und bei den Nicht-Geimpften 31 Prozent; dies entspricht einer relativen Risikoreduktion von 35,2 Prozent (95%Konfidenzintervall: 13,8–51,8%). Betrachtete man nur HPV-Typen 6, 11, 16 und 18, so betrug diese Inzidenz 4,9 gegenüber 13,8 Prozent; dies entspricht einer relativen Risikoreduktion von 64,4 Prozent (95%Konfidenzintervall: 41,6–79,3%).
Die Schlussfolgerungen Nicht bezweifelt wird von den Autoren, dass die HPV-Impfung nicht vor der Progression einer präkanzerösen Läsion schützt – wichtigster Grund für die Empfehlung, nur HPV-naive Personen zu impfen. Die Autoren betonen hingegen, dass sich eine vorgängige Impfung doch als nützlich erwiesen habe, nämlich bei den Frauen, bei denen später eine Zervix-OP nötig wurde. Wie bei vielen retrospektiven Auswertungen mangelt es auch hier an statistischer «Power» für einen hieb- und stichfesten Nachweis der beobachteten Phänomene. Trotzdem kommen die Autoren dieser Studie zum Schluss, dass sogar eine HPV-Impfung von 45-jährigen Frauen sinnvoll sein könnte. ❖
Renate Bonifer
Quelle: Joura EA et al.: Effect of the human papillomavirus (HPV) quadrivalent vaccine in a subgroup of women with cervical and vulvar disease: retrospective pooled analysis of trial data. BMJ 2012;344:e1401 doi: 10.1136/bmj.e1401
Interessenlage: Die Studie wurde von Merck, Sharp & Dohme finanziert. Einige der Autoren sind Angestellte von MSD, die anderen erhielten Forschungsgelder und/oder Honorare für Beratertätigkeiten von MSD, GSK und/oder Sanofi Pasteur sowie anderen pharmazeutischen Unternehmen.
ARS MEDICI 14 ■ 2012
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