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XUNDHEIT IN BÄRN
POLITFORUM
Nicht ärztliche Psychotherapie als Leistung der Grundversicherung
FRAGE vom 26.9.2011
Katharina Prelicz-Huber Nationalrätin Grüne Kanton Zürich
Nach geltender KVG-Regelung werden Psychotherapien von der Grundversicherung nur übernommen, wenn sie durch (ärztliche) Psychiaterinnen und Psychiater erbracht werden. Demgegenüber können (nicht ärztliche) psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ihre Leistungen nicht selbstständig über die Grundversicherung abrechnen. Eine Verrechnung ist nur möglich, wenn sie ihre psychotherapeutischen Leistungen in einem Anstellungsverhältnis und unter Aufsicht und Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten in deren Praxis erbringen (sogenannte
delegierte Psychotherapie). Ihre Leistungen gelten dann als ärztliche Leistungen. Dieses Delegationsprinzip benachteiligt die Patientinnen und Patienten in verschiedener Hinsicht: Der Zugang zu Psychotherapien wird erschwert, weil entweder über eine Ärztin oder einen Arzt um eine delegierte Psychotherapie nachgesucht oder eine Psychiaterin oder ein Psychiater aufgesucht werden muss, was für viele Menschen auch heute noch eine grosse Hürde ist. Psychotherapien bei selbstständigen Psychotherapeutinnen und -therapeuten aber müssen selbst bezahlt werden, sofern nicht eine Zusatzversicherung einen Beitrag übernimmt – und das bei einer bestehenden Unterversorgung im Bereich der psychischen Krankheiten. Bereits 1992/93 hat die damalige Bundesrätin Ruth Dreifuss im Rahmen der KVG-Beratungen zugesichert, die psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten als selbstständige Leistungserbringerinnen und erbringer in die Grundversicherung aufzunehmen,
sobald deren Aus- und Weiterbildung geklärt sei. Mit dem positiven Entscheid zum Psychologieberufegesetz (PsyG) ist diese Frage nun klar beantwortet. Das PsyG verlangt für den Psychotherapieberuf eine Grundausbildung in Psychologie (Hochschulabschluss auf Masterstufe) und einen eidgenössischen Weiterbildungstitel, der in einer mehrjährigen Fachausbildung in einem vom Bund akkreditierten Weiterbildungsgang erworben werden muss. Angesichts dieser klaren Ausgangslage bitte ich den Bundesrat, mir folgende Fragen zu beantworten: ❖ Wie gedenkt er vorzugehen, um die Leis-
tungen der nicht ärztlichen Psychotherapeutinnen und -therapeuten angemessen in der Grundversicherung zu verankern? ❖ Wie gedenkt er die selbstständige Abrechnung von Leistungen der nicht ärztlichen Psychotherapeutinnen und -therapeuten zu regeln? ❖ Bis wann und in welcher Form will er diese Schritte unternehmen?
Antwort des Bundesrates vom 23.11.2011
1. Dem Bundesrat ist bekannt, dass die nicht ärztlichen Psychotherapeutinnen und -therapeuten einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung leisten. Sofern die nichtärztlichen Psychotherapeutinnen und -therapeuten von einem Arzt oder einer Ärztin angestellt sind und die Behandlungen unter deren Aufsicht und Verantwortlichkeit in der Arztpraxis vornehmen (sogenannte delegierte Psychotherapie), werden die Leistungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet. In diesem Fall gelten diese Leistungen als ärztliche Leistungen und sind unter den Voraussetzungen der Artikel 2 bis 3b in der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung von der Krankenversicherung zu vergüten.
2. Mit dem voraussichtlich auf den 1. Januar 2013 in Kraft tretenden Bundesgesetz über die Psy-
chologieberufe (PsyG) werden die Voraussetzungen für die Prüfung einer Neuregelung der Leistungsabrechnung im Rahmen des Krankenversicherungsgesetzes geschaffen: Mit dem PsyG wird die Aus- und Weiterbildung der psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten schweizweit harmonisiert und auf hohem Niveau festgelegt. Der Bundesrat wird daher verschiedene Modelle der Zulassung der psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten zur Leistungsabrechnung und konkrete Vorschläge für die Ablösung des derzeitigen Modells der delegierten Psychotherapie prüfen. 3. Im Zentrum der Überlegungen dürfte die Prüfung einer Anpassung der Verordnung über die Krankenversicherung stehen: Die Ergänzung der Liste der Leistungserbringer, die auf ärztliche Anordnung hin Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung er-
bringen können, liegt in der Kompetenz des Bundesrates. Die KVV müsste auch die Zulassungsvoraussetzungen präzisieren, welche die psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten erfüllen müssten. Die konkreten Bedingungen zur Kostenübernahme von deren Leistungen (z. B. Art, Umfang, Modalitäten der Überprüfung der Leistungspflicht) wären im Detail in der KLV zu regeln. 4. Die Prüfung der Grundlagen für eine allfällige Anpassung von KVV und KLV wird im Verlauf des nächsten Jahres an die Hand genommen. Die interessierten Kreise werden Gelegenheit haben, im Rahmen einer Anhörung zu allfälligen Vorschlägen Stellung zu nehmen. Konkrete Anpassungen wären frühestens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des PsyG möglich.
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Betreuung, Pflege und Überwachung von schwerbehinderten Kindern zu Hause
MOTION vom 30.9.2011
Rudolf Joder Nationalrätin Grüne Kanton Zürich
Der Bundesrat wird beauftragt, die Pflege und Überwachung von schwerbehinderten Kindern durch Angehörige rechtlich so zu regeln, dass schwerbehinderte Kinder – wenn dies medizinisch möglich ist – zu
Hause betreut werden können und nicht in Pflegeeinrichtungen oder Spitäler eingewiesen werden müssen, dass die Betreuung durch die Angehörigen für diese finanziell und bezüglich der Arbeitslast verkraftbar ist und dass diese ohne Nachteile vorgenommen werden kann.
Begründung Durch Bundesgerichts-Entscheide betreffend die Finanzierung der Betreuung, Pflege und Überwachung von schwerbehinderten Kindern
zu Hause ist Unsicherheit entstanden. Es besteht die Gefahr einer massiven Mehrbelastung zum Nachteil der Eltern und Angehörigen, was dazu führen kann, dass diese schwerbehinderten Kinder in Pflegeeinrichtungen und Spitäler eingewiesen werden müssen, verbunden mit Mehrbelastungen der IV und Krankenkassen. Deshalb besteht rechtlicher Handlungsbedarf.
Stellungnahme des Bundesrates vom 23.11.2011
In einem ersten Urteil vom 7. Juli 2010 hat das Bundesgericht bezüglich Kinderspitex festgehalten, dass nur diejenigen Vorkehren als medizinische Massnahmen im Sinne von Art. 13 und 14 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) gelten können, welche notwendigerweise durch den Arzt oder auf seine Anordnung hin durch medizinische Hilfspersonen vorzunehmen sind. Daraus folgt, dass blosse Überwachung keine medizinische Massnahme im Sinne des IVG ist. In einem zweiten Urteil vom 10. Juni 2011 hat das Bundesgericht festgehalten, dass Überwachung nicht unter die Grundpflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Bst. c der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) fällt. Daraus folgt, dass auch die Krankenversicherung für die Überwachung von schwerbehinderten Kindern nicht leistungspflichtig ist. Der Bundesrat hat die bestehende Lücke erkannt und hat sie mit der Einführung des Assistenzbeitrags und der entsprechenden Regelung für Minderjährige in der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) geschlossen. Gemäss der vom Bundesrat beschlossenen Verordnungsregelung haben minderjährige Versicherte ab 1. Januar 2012 Anspruch auf einen Assistenzbeitrag, wenn sie einen Intensivpflegezuschlag für einen Pflege- und Überwachungsbedarf von mindes-
tens 6 Stunden pro Tag beziehen. Dieser Umstand erlaubt es den Eltern, jemanden einzustellen, der sich um ihr Kind kümmert und sie selbst etwas entlastet. Sie können mit einer oder mehreren natürlichen Personen einen Arbeitsvertrag abschliessen, damit diese Personen die von der versicherten Person benötigten Hilfeleistungen erbringen, die nicht bereits durch andere Leistungen der IV sowie von der Grundpflege gemäss KVG abgedeckt sind. Eltern minderjähriger Kinder sind damit von allen Hilfeleistungen befreit, die von diesen Assistenzpersonen übernommen werden. Die minderjährigen Versicherten erhalten folglich die erforderliche Hilfe, ohne dass den Eltern dadurch zusätzliche Kosten entstehen. Die Invalidenversicherung (IV) sieht für schwer pflegebedürftige Kinder, die zuhause wohnen, verschiedene Leistungen vor. Für die Grundpflege und für die durch Laien ausgeführte Behandlungspflege werden eine Hilflosenentschädigung (HE) (bis 1856 Fr. pro Monat) und ein Intensivpflegezuschlag (IPZ) (bis 1392 Fr. pro Monat) ausgerichtet (insgesamt maximal 3248 Fr. pro Monat). Die Ausgaben der IV für diese Leistungen betragen 135 Millionen Franken pro Jahr für rund 8000 Kinder. Für Massnahmen, welche notwendigerweise durch medizinische Fachpersonen vorgenommen werden müssen, übernimmt die IV
zusätzlich die Kosten der Kinderspitex. Die Leistungen sind im Normalfall auf 7 Stunden pro Tag begrenzt. Die Ausgaben der IV für diese Leistungen betragen 10 Millionen Franken pro Jahr für rund 1000 Kinder. Eine subsidiäre Haftung der Krankenversicherung für von der IV nicht gedeckte Kosten der Grund- und Behandlungspflege ist gemäss Rechtsprechung gegeben, sofern die nicht gedeckten Leistungen unter die Bestimmungen von Art. 7 KLV fallen und insgesamt keine Überentschädigung resultiert. Für die Überwachung und ähnliche Leistungen, die weder medizinisch sind noch der Grundpflege zugerechnet werden, kann der neu eingeführte Assistenzbeitrag geltend gemacht werden, sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Der Bundesrat ist der Meinung, dass damit die rechtliche Regelung für die Finanzierung von Pflege und Überwachung von schwerbehinderten Kindern durch Angehörige im Sinne des Motionärs geregelt ist. Ein weitergehender Handlungsbedarf besteht somit nicht.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
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