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STUDIE REFERIERT
Apixaban bei Patienten mit Vorhofflimmern
AVERROES und ARISTOTLE zeigen günstiges Wirkungs- und Blutungsprofil
Zwei randomisierte Studien an unterschiedlichen Patientenpopulationen haben gezeigt, dass der orale direkte Faktor-Xa-Hemmer Apixaban bei Patienten mit Vorhofflimmern eine gute Alternative zur Antikoagulation mit Vitamin-KAntagonisten ist.
NEJM
Vorhofflimmern ist eine häufige Arrhythmieform, die das Hirnschlagrisiko erhöht. Zur Prävention von Hirnschlägen sind Vitamin-K-Antagonisten bei Vorhofflimmern der Verab-
Merksätze
❖ In der AVERROES-Studie verringerte der neue direkte Faktor-Xa-Hemmer Apixaban bei für Vitamin-K-Antagonisten ungeeigneten Patienten mit Vorhofflimmern das Risiko für Stroke und systemische Embolien, ohne das Risiko für schwere Blutungen oder intrakranielle Hämorrhagien zu erhöhen.
❖ In der ARISTOTLE-Studie bei Patienten mit Vorhofflimmern und mindestens einem zusätzlichen Risikofaktor für Stroke reduzierte Apixaban im Vergleich zu Warfarin bei akzeptablem Nebenwirkungsprofil das Risiko für Hirnschlag oder systemische Embolien um 21 Prozent, dasjenige für schwere Blutungen um 31 und die Mortalität um 11 Prozent.
❖ Die Gruppe der neuen oralen Wirkstoffe dürfte für Patienten mit Vorhofflimmern eine neue Ära der Antikoagulation einläuten, mit mindestens so guter prophylaktischer Wirkung hinsichtlich Stroke, aber günstigerem Blutungsprofil.
reichung von Aspirin überlegen. Bestehen jedoch Kontraindikationen für den Einsatz eines Vitamin-K-Antagonisten, greift man dennoch auf Aspirin zurück.
AVERROES-Studie Mit dieser Situation befasste sich im Rahmen des klinischen Forschungsprogramms der Herstellerfirmen die Studie AVERROES (Apixaban Versus Acetylsalicylic Acid to Prevent Stroke in Atrial Fibrillation Patients Who Have Failed or are Unsuitable for Vitamin K Antagonist Treatment) (1). In der doppelblinden Studie wurden 5999 Patienten mit wegen Vorhofflimmerns erhöhtem Strokerisiko, welche für eine Vitamin-K-Antagonisten-Prophylaxe ungeeignet waren, zu Apixaban (Eliquis®, 2 × 5 mg/Tag) oder zu Aspirin (81–324 mg/Tag) randomisiert. Die Studie sollte klären, ob Apixaban überlegen ist. Die mittlere Beobachtungszeit betrug 1,1 Jahre. Primärer Endpunkt war das Auftreten eines Hirnschlags oder einer systemischen Embolie. Vor Einbezug in die Studie hatten 40 Prozent der Patienten einen Vitamin-K-Antagonisten benutzt. Die Studie wurde durch das Überwachungskomitee vorzeitig beendet, da sich ein eindeutiger Vorteil für Apixaban gezeigt hatte. In der Apixabangruppe traten 51 primäre Ereignisse auf (1,6% pro Jahr), in der Aspiringruppe hingegen 113 (3,7% pro Jahr). Dies entspricht einer Hazard Ratio (HR) von 0,45 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,32–0,62; p < 0,001). Die Sterblichkeitsraten unterschieden sich zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant (3,5%/Jahr unter Apixaban, 4,4%/Jahr unter Aspirin; HR 0,79; 95%-KI 0,62–1,02; p = 0,07). In der Apixabangruppe traten 44 schwere Blutungen auf (1,4%/Jahr), in
der Aspiringruppe 39 (1,2%/Jahr). Dies entspricht einer HR von 1,13 (95%-KI 0,74–1,75; p = 0,57), also keiner statistisch signifikanten Differenz. Unter Apixaban traten 11 intrakranielle Blutungen auf, unter Aspirin 13. Im Vergleich zu Aspirin war das Risiko einer Hospitalisation wegen kardiovaskulärer Ursachen mit Apixaban statistisch signifikant tiefer (12,6 vs. 15,9%/Jahr; p < 0,001). Als Konsequenz der AVERROES-Studie ergab sich somit, dass Apixaban bei für Vitamin-K-Antagonisten ungeeigneten Patienten mit Vorhofflimmern das Risiko für Stroke und systemische Embolien reduziert, ohne das Risiko für schwere Blutungen oder intrakranielle Hämorrhagien zu erhöhen.
ARISTOTLE-Studie In der deutlich grösseren Studie ARISTOTLE (Apixaban for Reduction of Stroke and Other Thromboembolic Events in Atrial Fibrillation) wurden 18 201 Patienten mit Vorhofflimmern und mindestens einem zusätzlichen Risikofaktor für Stroke zu Apixaban (2 × 5 mg/ Tag) oder zu einer oralen Antikoagulation mit Warfarin (INR-Ziel 2,0–3,0) randomisiert (2). Primärer Outcome war ischämischer oder hämorrhagischer Stroke oder systemische Embolie. Die Untersuchung wurde als Nichtunterlegenheitsstudie (Noninferiority) mit den beiden sekundären Zielen der Überlegenheit hinsichtlich des primären Outcomes und der Raten für schwere Blutung und Gesamtmortalität geplant. Die mediane Beobachtungszeit betrug 1,8 Jahre. Zu einem Ereignis des primären Outcomes kam es in der Apixabangruppe bei 1,27 Prozent pro Jahr und in der Warfaringruppe bei 1,60 Prozent pro Jahr, entsprechend einer HR von 0,79 (95%-KI 0,66–0,95; p < 0,001 für Nichtunterlegenheit und p = 0,01 für Überlegenheit). Die Rate schwerer Blutungen betrug in der Apixabangruppe 2,13 Prozent pro Jahr und war gegenüber derjenigen von 3,09 Prozent pro Jahr in der Warfaringruppe signifikant tiefer (HR 0,69, 95%-KI 0,60–0,80; p < 0,001). Auch die Sterblichkeitsraten (alle Ursachen) waren mit Apixaban tiefer als mit Warfarin (3,52 vs. 3,94%/Jahr), entsprechend einer HR von 0,89 (95%-KI 0,80–0,99; p = 0,047).
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STUDIE REFERIERT
Die Rate hämorrhagischer Hirnschläge lag in der Apixabangruppe bei 0,24 Prozent pro Jahr und in der Warfaringruppe bei 0,47 Prozent pro Jahr (HR 0,51; 95%-KI 0,35–0,75; p < 0,001), diejenige der ischämischen Hirnschläge oder von unklarem Stroke betrug mit Apixaban 0,97 Prozent pro Jahr und mit Warfarin 1,05 Prozent pro Jahr (HR 0,92; 95%-KI 0,74–1,13; p = 0,42). «Bei Patienten mit Vorhofflimmern und mindestens einem zusätzlichen Risikofaktor für Stroke reduzierte der Einsatz von Apixaban im Vergleich zu Warfarin das Risiko für Hirnschlag oder systemische Embolien um 21 Prozent, dasjenige für schwere Blutungen um 31 Prozent und die Mortalität um 11 Prozent», resümieren die Autoren. Für 1000 Patienten, die während 1,8 Jahren mit Apixaban anstatt Warfarin behandelt werden, wird bei 6 Patienten ein Hirnschlag, bei 15 Patienten eine schwere Blutung und bei 8 Patienten der Tod verhütet. Überwiegend betraf die präventive Wirkung die hämorrhagischen Hirnschläge. Von diesen schweren Strokeformen wurden 4 pro 1000 behandelte Patienten verhütet, von den anderen Hirnschlagformen 2 pro 1000 Behandelte. Die Resultate waren in Subgruppen nach geografischer Region, vorangegangener Warfarinbehandlung, Alter, Geschlecht, Einschränkung der Nierenfunktion und den Risikofaktoren für Stroke konsistent, wie die Autoren anmerken. Apixaban hatte nach ihrer Einschätzung ein akzeptables Nebenwirkungsprofil und zeigte keine unerwarteten Effekte; auch die Therapieabbrüche waren unter Apixaban seltener als unter Warfarin.
Beginn einer neuen Ära Ein begleitendes Editorial zur Publikation der ARISTOTLE-Studie im «New England Journal of Medicine» versucht eine Einordnung der neuen oralen Antikoagulanzien (3). ARISTOTLE steht im Umfeld von zwei weiteren grossen Behandlungsstudien zur Strokeprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern, RE-LY mit dem direkten Thrombininhibitor Dabigatran (Pradaxa®) und ROCKET AF mit einem weiteren direkten Faktor-Xa-Inhibitor (Rivaroxaban [Xarelto®]). Die drei Studien haben gewisse gemeinsame Schlussfolgerungen. Apixaban,
Dabitran und Rivaroxaban reduzieren alle im Vergleich zu Warfarin das Risiko für einen hämorrhagischen Hirnschlag. Gerade die Reduktion beim Risiko für hämorrhagische Insulte trug in allen Studien in hohem Masse zur Verminderung beim primären Behandlungsendpunkt bei. «Von den drei Substanzen kann sich nur Dabigatran in der 150-mg-Dosierung mit der Auszeichnung schmücken, im Vergleich zu Warfarin auch das Risiko für ischämischen Stroke signifikant gesenkt zu haben», schreibt Jessica L. Mega (Cardiovascular Division, Department of Medicine, Brigham and Women’s Hospital and Harvard Medical School), «trotzdem war auch in diesem Fall der Einfluss auf hämorrhagische Insulte grösser als auf ischämische zerebrovaskuläre Ereignisse.» Ähnlich war mit jedem der drei Medikamente das Risiko für besonders ernsthafte Blutungen im Vergleich zu Warfarin geringer, und mit Apixaban traten auch insgesamt weniger grössere Blutungen auf. «Somit rühmen sich die neueren Antikoagulanzien bei Patienten mit Vorhofflimmern günstiger Blutungsprofile im Vergleich zu Warfarin», hält die Editorialistin fest. Auch beim Einfluss auf die Mortalität lassen sich Gemeinsamkeiten entdecken. Apixaban zeigt als Erstes der neueren Antikoagulanzien eine signifikante Reduktion bei der Gesamtmortalität (HR 0,89; 95%-KI 0,80–0,99; p = 0,047). Dies ist bemerkenswert, aber auch für Dabigatran in der 150-mgDosis (HR 0,88; 95%-KI 0,77–1,00; p = 0,051) und Rivaroxaban (HR 0,92; 95%-KI 0,82–1,05; p = 0,15) ergaben sich zumindest Trends in derselben Richtung. So darf man schliessen, dass mit den neuen oralen Wirkstoffen bei Vorhofflimmern eine etwa 10-prozentige Reduktion des Sterberisikos im Vergleich zu Warfarin resultiert. Allerdings bestehen zwischen den Studien auch wichtige Unterschiede im Design und bei der Verabreichung der Medikamente. In RE-LY war die Zuteilung zu Dabigatran oder Warfarin nicht verblindet, in ROCKET AF und in ARISTOTLE wurde ein doppelblindes Design hingegen erfolgreich eingehalten. Sowohl Dabigatran als auch Apixaban wurden zweimal täglich eingenommen, Rivaroxaban hingegen nur einmal täglich. Die Rivaroxaban-Studie
ROCKET AF hatte im Vergleich zu
den anderen Wirkstoffprüfungen ein
Patientengut mit höherem Stroke-
risiko. Auch die Behandlungsqualität
in den Warfaringruppen, gemessen an
der prozentualen Zeit innerhalb des
INR-Zielbereichs, war etwas unter-
schiedlich (Dabigatran 64%, Rivaro-
xaban 55%, Apixaban 62%). Diese
wie noch etliche weitere Unterschiede
machen einen Vergleich zwischen den
Studien problematisch, und Direktver-
gleiche gibt es vorderhand nicht.
Zunächst waren die neuen Wirkstoffe
mit der Mission auf den Weg geschickt
worden, Warfarin nicht unterlegen zu
sein. In drei grossen Studien an unter-
schiedlichen Patientenpopulationen
erreichten Apixaban, Dabigatran und
Rivaroxaban aber noch mehr, indem
sie mindestens so wirksam waren wie
der Vitamin-K-Antagonist Warfarin,
aber ein günstigeres Blutungsprofil
zeigten. Zusammen mit einem weite-
ren, zurzeit in Phase III stehenden di-
rekten Faktor-Xa-Hemmer, Edoxaban,
dürften die neuen oralen Antikoagu-
lanzien für Patienten mit Vorhofflim-
mern eine neue Ära einläuten. Auch im
Zusammenhang mit den direkten
Thrombin- und Faktor-Xa-Hemmern
werden Kostenüberlegungen eine Rolle
spielen. Daher dürften Vitamin-K-Ant-
agonisten bei Vorhofflimmern vieler-
orts auch weiterhin eingesetzt werden,
vermutet die Editorialistin.
❖
Halid Bas
Quellen:
1. Stuart J. Connolly et al. for the AVERROES Steering Committee and Investigators: Apixaban in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med 2011; 364: 806–817.
2. Christopher B. Granger et al. for the ARISTOTLE Steering Committee and Investigators: Apixaban versus Warfarin in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med 2011; 365: 981–992.
3. Jessica L. Mega: A New Era for Anticoagulation in Atrial Fibrillation. N Engl J Med 2011; 365: 1052–1054.
Interessenlage: AVERROES und ARISTOTLE wurden mit Unterstützung der Firmen Bristol-Myers Squibb und Pfizer durchgeführt.
Die im Text erwähnten Präparate besitzen in der Schweiz die Indikation zur Thromboembolieprophylaxe bei orthopädischen Eingriffen, aber noch nicht bei Vorhofflimmern (Stand 28.2.2012).
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