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FORTBILDUNG
«Meine Mens: zu häufig, zu stark!»
Blutungsstörungen im jugendlichen Alter
Blutungsstörungen in der Adoleszenz sind ein häufiges Phänomen und betreffen mehr als ein Drittel der Konsultationen nach der Menarche. Häufig sind sie Folge einer Durchgangsphase innerhalb des Normbereichs im Rahmen der noch instabilen endokrinen Achse. Sie können aber auch Folge einer relevanten endokrinen oder organischen Störung sein, die erkannt und entsprechend behandelt werden sollte. Der folgende Artikel beleuchtet die zu häufige oder zu starke Blutung.
treme sportliche Aktivität, ein Androgenexzess oder eine andere endokrine Erkrankung stecken. Differenzialdiagnostisch sind ein Frühabort, eine Neoplasie, Entzündungen sowie hämatologische Erkrankungen einzubeziehen. Therapieempfehlungen: Therapieziel ist der rasche Blutungsstopp, der mit Östrogenen erreicht wird. Heute wird die Gabe von Ethinylestradiol (EE) empfohlen, meist in Form von oralen Kontrazeptiva. Bei milder oder moderater Anämie wird mindestens 30 µg EE, allenfalls 50 µg EE, einmal täglich eingenommen. Bei schwerer Anämie oder anhaltender Blutung wird über 3 bis 6 Tage ein 30-µg-EE-Präparat alle 6 Stunden verabreicht, dann die Dosis langsam reduziert, aber während mindestens 1 Monats fortgeführt. Anschliessend soll eine Rezidivprophylaxe mit oralen Kontrazeptiva (OC) über 3 Monate erfolgen. Alternativ zur Behandlung mit OC kann 10 mg Estradiolvalerat i.m. und anschliessend Primosiston® über 20 Tage gegeben werden. Zur Rezidivprophylaxe eignet sich auch ein Gestagen in der zweiten Zyklushälfte oder Cyclacur® über 3 bis 6 Monate.
RUTH DRATHS
Das erste und wichtigste Instrument zur Erfassung einer Blutungsstörung ist eine detaillierte Anamnese. Dabei geht es darum, die Menstruationsblutung in ihrer Stärke, Dauer und Häufigkeit zu erfassen, was insbesondere für Jugendliche schwierig ist, da die Auseinandersetzung mit der Periodenblutung noch neu ist. Hilfreich bei allen Formen der Blutungsstörungen ist das Führen eines Menstruationskalenders.
Juvenile Dauerblutung Die juvenile Dauerblutung ist eine azyklische Blutung. Sie entspricht einer Durchbruchsblutung bei anovulatorischem Zyklus. Die Blutung kann so stark werden, dass sie ohne Intervention lebensbedrohliche Ausmasse annehmen kann. Wichtig ist, dass Gestagene allein nicht ausreichen, da das Endometrium weitgehend abgestossen ist. Daher ist immer eine Östrogensubstitution nötig. Die Ursache der Anovulation liegt meist in der noch unreifen hypothalamo-hypophysären Achse, welche zu einer insuffizienten Ausschüttung von GnRH und LH und damit zur insuffizienten Ovarialfunktion mit gestörter Follikelreifung und fehlender Corpus-Luteum-Bildung führt. Hinter der Anovulation können aber auch eine Essstörung, ex-
Polymenorrhö Die Polymenorrhö ist definiert als eine zu häufige Blutung, die Blutungsabstände betragen weniger als 24 Tage. Davon zu
Merksätze
■ Blutungsstörungen in der Adoleszenz sind häufig und können für die Betroffenen sehr belastend sein.
■ Die wichtigsten diagnostischen Instrumente sind die sorgfältige Anamnese und der Blutungskalender.
■ Je nach Blutungsstörung und Ursache sind weitere Abklärungen sinnvoll.
■ Menorrhagie und Hypermenorrhö können auf eine hämorrhagische Diathese hinweisen und sollen sorgfältig abgeklärt werden.
■ In der Behandlung der Blutungsstörungen spielt die hormonelle Regulation eine wichtige Rolle.
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«MEINE MENS: ZU HÄUFIG, ZU STARK!»
unterscheiden ist eine Ovulationsblutung bei sonst genügendem Periodenabstand. Diese zeigt sich in einer kurzen, schwachen, meist nur eintägigen mittzyklischen Schmierblutung. Ein regelmässig geführter Menstruationskalender kann darüber Klarheit schaffen. Die Polymenorrhö ist während der Pubertät häufig und meist Ausdruck einer verkürzten Follikelreifungsphase, einer verkürzten Lutealphase oder von anovulatorischen Zyklen. Zur Diagnose reichen meist die Anamnese und der Menstruationskalender aus. Therapieempfehlungen: Eine Therapie der Polymenorrhö sollte erwogen werden, wenn sie anämisierend ist oder das Lebensgefühl der Adoleszenten einschränkt. An therapeutischen Alternativen stehen je nach Ätiologie eine Progesteronsubstitution in der zweiten Zyklusphase (bei Corpus-luteum-Insuffizienz), eine Östrogen-Gestagen-Kombination (Primosiston) oder eine komplette Substitution mit zyklischer ÖstrogenGestagen-Kombination zur Verfügung. Bei Kontrazeptionsbedarf ist die Wahl einer oralen Kontrazeption indiziert. Handelt es sich um eine Mittelblutung, die ihre Ursache im periovulatorischen Östrogenabfall hat, empfiehlt sich die Substitution mit 1 bis 2 mg Östradiol vom 10. bis 16. Zyklustag.
Menorrhagie und Hypermenorrhö Definiert wird die Menorrhagie als Gesamtblutverlust von > 80 ml pro Menstruation, gemittelt über mehrere Monate. Diese betrifft zirka 30 Prozent der Frauen im reproduktiven Alter. Diese Angaben sind in der Praxis aber wenig hilfreich. Daher wurde versucht, den Blutverlust durch die Anamnese zu schätzen. Es ist wichtig, nach der Menstruationsdauer, -stärke und -häufigkeit zu fragen, aber auch nach der Anwendung von Binden und Tampons. Bei der Notwendigkeit von einem 1- bis 2-stündlichen Wechsel derselben an mehr als 2 Tagen pro Zyklus sowie einem nächtlichen Wechsel kann von einer Hypermenorrhö ausgegangen werden, sofern das Blutungsmuster über mehrere Zyklen besteht. Als weiteres Kriterium gilt der Abgang von Blutkoagula.
Tabelle 1: Fragebogen zur Evaluierung einer erhöhten Blutungsneigung bei Hypermenorrhö/ Menorrhagie (Deutsche Hämophilie-Gesellschaft)
Menstruationsdauer länger als 7 Tage? Tamponwechsel mehr als 4-mal täglich/mehr als 2-stündlich? Häufiges Nasenbluten? Zahnfleischblutung oder Blutungen der Mundschleimhaut? Häufige blaue Flecken/Hämatome bei Bagatellverletzungen ? Impfhämatome? Starke Blutung nach Zahneingriffen/Operationen/Geburten? Bluttransfusionen in Anamnese? Verlängerte Blutung nach Schnittverletzung? Verwandte mit bekannter Blutungsneigung?
Ätiologie: An erster Stelle steht bei Adoleszenten die physiologische Unreife der Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse mit Anovulation, Follikelpersistenz und Corpus-luteum-Insuffizienz. Dabei spielt der Prostaglandinhaushalt eine entscheidende Rolle. Während PGF2α zur Vasokonstriktion führt, wirken PGE2 sowie PGI2 gerinnungshemmend und vasodilatatorisch, was zu einem vermehrten Blutverlust während der Menstruation führt. Die erhöhte lokale Prostaglandinsekretion wird durch das Progesterondefizit und die konstante Östrogeneinwirkung begünstigt. So werden bei Frauen mit Menorrhagie höhere Prostazyklinspiegel und erhöhte PGE2-Spiegel im Vergleich zu PGF2α gefunden. In diesem Zusammenhang steht die günstige therapeutische Wirkung der Cyclooxygenasehemmer. Diagnostik: Differenzialdiagnostisch muss bei Jugendlichen eine Uterusanomalie, eine endokrine Störung und eine hämorrhagische Diathese einbezogen werden. Eine hämatologische Störung liegt bei zirka 2 Prozent der Bevölkerung vor, bei Frauen mit Menorrhagie aber in 10 bis 20 Prozent und bei Adoleszenten mit Menorrhagie noch häufiger. Dabei spielt die VonWillebrand-Erkrankung (ca. 1% der Bevölkerung) die wichtigste Rolle, daneben sind es Plättchenfunktionsstörungen und Thrombozytopenien. Entsprechende Hinweise sind in der Anamnese zu erfragen (Liste in Tabelle 1). In vielen Fällen ist aber die Menorrhagie der einzige Hinweis auf die Blutungsstörung. Die Abklärung im Labor ist nicht einfach, da der Von-Willebrand-Faktor von hormonellen Schwankungen beeinflusst wird (Schwankungen im Zyklus, Veränderungen unter oraler Kontrazeption sowie in der Schwangerschaft) und bei milden Formen mit normalen Gerinnungsparametern einhergehen kann. Als verlässlichster Labortest bei der Suche nach der Von-Willebrand-Erkrankung hat sich die Bestimmung des Kofaktors Ristocetin herausgestellt. Weiter soll die Labordiagnostik Auskunft geben über eine allfällige Anämie, die Thrombozytenzahl und -funktion sowie über die Blutungszeit und Gerinnungsparameter (TPZ, aPTT), welche aber erst bei einer Erniedrigung um mehr als 60 Prozent pathologisch erscheinen. Die Von-Willebrand-Erkrankung (benannt nach ihrem Erstbeschreiber, dem finnischen Arzt Erik Adolf von Willebrand) führt zu vermehrten Blutungen aufgrund einer Insuffizienz oder eines Fehlens des Von-Willebrand-Faktors (VWF). Die erste beschriebene Patientin war ein 13-jähriges Mädchen, das an der Menorrhagie verstorben ist. Der VWF wird aus Speicherbläschen vom Endothel freigesetzt und erfüllt mehrere Funktionen im Gerinnungssystem, darunter die Stabilisierung des Faktors VIII im Blut, die Bindung der Thrombozyten an Endothel und Kollagen sowie die Plättchenadhäsion. Durch diese vielseitige Funktion ist die Erkrankung unterschiedlich ausgeprägt und die Diagnostik komplex. Für die Praxis empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Bei Menorrhagie und Hypermenorrhö sind ein kleines Blutbild sowie eine Basisdiagnostik Gerinnung zu erheben (QuickWert, aPTT, Thrombozytenzahl).
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Tabelle 2: Medikamentöse Therapie der Menorrhagie
1. Eisensubstitution
2. Hemmung der Cyclooxygenase mit nichtsteroidalen Entzündungshemmern (NSAID): Mefenaminsäure 3 × 500 mg; erste Menstruationstage, andere NSAID (Ibuprofen): Verringerung der Blutung um ca. 30%
3. Antifibrinolytikum Tranexamsäure: 3 × 1,5 mg/Tag für erste 3 Menstruationstage
4. Gestagene: zyklisch, kontinuierlich, Depotpräparate, lokal/ Mirena®
5. Kombinierte hormonale Kontrazeption: wenig Studien, klare Besserung, günstig im Langzyklus, auch Patch oder Ring
■ Sind die Gerinnungswerte normal, ist eine Diathese unwahrscheinlich. In diesem Fall kann die Eisensubstitution, eine Behandlung mit NSAID perimenstruell und/oder, bei Kontrazeptionsbedarf, eine hormonelle Kontrazeption erfolgen. Bei fehlendem Erfolg ist eine Gerinnungsabklärung indiziert.
■ Bei pathologischen Gerinnungswerten oder Anämie und positiver Blutungsanamnese kann die Blutungszeit (PFATest) im Speziallabor eruiert werden. Bei pathologischen Werten ist eine VWF-Diagnostik im Speziallabor indiziert.
Therapieempfehlungen: Die Therapie der Menorrhagie umfasst die Eisensubstitution, die Reduktion des Blutverlustes durch Tranexamsäure (Cyclokapron®), die Gabe eines nichtsteroidalen Entzündungshemmers (NSAID) als Cyclooxygenase-Inhibitor (Mefenaminsäure [Postan® oder Generika] oder Ibuprofen [Brufen® oder Generika]) oder eine hormonelle Therapie. NSAID reduzieren die endometrialen Prostaglandine, erhöhen die uterine Vasokonstriktion und verstärken Plättchenaggregation und Degranulation. Sie sollten zu Beginn der Menstruationsblutung für 3 bis 5 Tage eingesetzt werden. An möglichen hormonellen Therapien stehen eine reine Gestagengabe (z.B. Medroxyprogesteronacetat [MPA, Prodafem®] zweite Zyklushälfte oder kontinuierlich), ein kombiniertes Östrogen-Gestagen-Präparat oder, bei Kontrazeptionswunsch, die oralen Kontrazeptiva zur Verfügung. Eine weitere Möglichkeit ist die Einlage einer Hormonspirale, die jedoch bei Jugendlichen nicht an erster Stelle der Therapie steht. Ebenso bleibt die Gabe von Depot-MPA (Depot-Provera®) bei Jugendlichen für spezielle Indikationen vorbehalten (wegen der Verringerung der Knochendichte als Begleitwirkung). Bei Patientinnen mit Blutungsstörungen (z.B. der Von-WillebrandErkrankung) hat sich zusätzlich zur oralen Kontrazeption die Gabe von Desmopressin (Octostim®, z.B. als intranasale Applikation) für die Zeit der Menstruation bewährt und zeigt in über 90 Prozent Erfolg. Antifibrinolytika (Tranexamsäure in einer Dosierung von 4 × 1 g/Tag ab Menstruationsbeginn für 4 bis 5 Tage) reduzieren
die Blutungsstärke um 50 Prozent und sind der Gabe von Gestagen oder von NSAID überlegen. Orale Kontrazeptiva reduzieren den Blutfluss in zirka 73 Prozent, es existiert dazu aber nur 1 kontrollierte Studie. Über die Wirkung von Patch und Ring bei Menorrhagie liegen keine kontrollierten Studien vor, gemäss Beobachtungen weist der Ring bei normaler Menstruation eine sehr gute Zykluskontrolle auf. Der Langzyklus von OC, Ring oder Patch führt zur Reduktion des Blutverlustes sowie der Anzahl Blutungen pro Jahr. Diese Therapie steht damit an erster Stelle für Frauen mit Kontrazeptionswunsch und Menorrhagie bei Fehlen von Kontraindikationen. Eine gute Alternative ist auch die Einlage des Intrauterinpessars (Mirena®) (Tabelle 2).
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Dr. med. Ruth Draths Leitung firstlove-Projekt und Kinder-/Jugendgynäkologie
Kantonsspital Luzern E-Mail: ruth.draths@ksl.ch
Internet: www.firstlove.ch
Interessenkonflikte: keine
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