Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
Verstärkte Eigenverantwortung beim Leistungsbezug im Gesundheitswesen
Barbara SchmidFederer, Nationalrätin CVP, Kanton ZH, reichte am 11.6.2009 eine Motion ein.
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament folgende Änderung des KVG zu unterbreiten: Artikel 64 Absatz 6bis (neu): Der Bundesrat sieht für die Erstversorgung von Krankheiten durch Notfalleinrichtungen oder durch spezialisierte Leistungserbringer ohne Vorliegen einer Notfallsituation eine erhöhte Kostenbeteiligung vor. Er legt Bedingungen und Ausnahmen fest. Artikel 64 Absatz 2 litera a bleibt vorbehalten.
Begründung: Verschiedene Versuche, die Erwartungshaltung der versicherten Patienten gegenüber dem Gesundheitswesen einzudämmen und somit die Eigenverantwortung zu fördern, sind gescheitert. Die Einschränkung der freien Wahl des Leistungserbringers ohne prämienseitige finanzielle Kompensation ist vor dem Volk gescheitert. Auch die vom Bundesrat vorgeschlagene Praxisgebühr wird keine grosse Akzeptanz finden.
Das Ziel der vorliegenden Motion besteht darin, dass der Bundesrat die bereits im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten der Steigerung der Eigenverantwortung umsetzt und dass im Gesundheitswesen ein Denken in Alternativen dazu führt, dass Ressourcen bei der Erstversorgung von Krankheiten gezielt nach den tatsächlichen Bedürfnissen eingesetzt werden. Dazu muss das in der OKP vorherrschende Modell des «all inclusive» durch differenzierte Ein-
trittsschwellen bei der Erstversorgung abgelöst werden. Die Kosten zulasten der sozialen Krankenversicherung eindämmen würde insbesondere die rasche Umsetzung der Anliegen dieser Motion im Bereich der spitalambulanten Versorgung und der Versorgung durch den Spezialarzt. Indem der Bundesrat in diesem Bereich den Selbstbehalt auf beispielsweise 20 Prozent anheben würde, könnten schätzungsweise rund 300 Millionen Franken an Entlastung der OKP erreicht werden.
Damit die Behandlung echter Notfälle und die fundierte Erstversorgung durch Spezialisten (z.B. Spezialärzte) nicht verzögert werden, sind Bedingungen und Ausnahmen festzulegen. Der Begriff «Notfallsituation» ist analog zu den vorgesehenen Ausnahmen bei besonderen Versicherungsmodellen anzuwenden.
Aus der Antwort des Bundesrates vom 2.9.2009
Der Bundesrat hat am 26. Mai 2004 die Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung im Bereich der Kostenbeteiligung (04.034) verabschiedet. Darin hat er die Erhöhung des Selbstbehalts auf zwanzig Prozent vorgeschlagen sowie eine Erweiterung der Kompetenz des Bundesrates, für bestimmte Leistungen eine geringere Kostenbeteiligung festzulegen. Am 15. September 2004 hat der Bundesrat ausserdem eine Vorlage über Managed Care-Modelle (04.062) unterbreitet, welche alternative Versicherungsformen fördern will, indem den Versicherern die Möglichkeit eingeräumt wird, bei einer eingeschränkten Wahl der Leistungserbringer Prämienermässigungen zu gewähren. Mit beiden Vorlagen soll unter anderem die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt werden. Sie sind zurzeit bei der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) hängig.
Im Weiteren hat der Bundesrat dem Parlament am 29. Mai 2009 ein dringliches Massnahmenpaket vorgelegt, das insbesondere die Einführung eines Behandlungsbeitrages und die Einrichtung von kostenlosen telefonischen Beratungsdiensten vorsieht, um die Versicherten vom Bezug überflüssiger medizinischer Leistungen abzuhalten und dadurch ihre Eigenverantwortung zu erhöhen. Über die genannten Vorlagen hat nun das Parlament zu befinden. Der Bundesrat ist deshalb der Meinung, dass das Parlament geeignete und ausreichende Massnahmen zur Hand hat, um die Versicherten vermehrt in die Verantwortung einzubinden. Unter diesen Umständen erachtet der Bundesrat die Unterbreitung einer weiteren Vorlage an das Parlament als nicht angezeigt.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion. Im Plenum noch nicht behandelt.
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Studie zur Medikamentenabhängigkeit und zur Bedeutung der Medikamente als Smart Drugs
Jacqueline Fehr, Nationalrätin SP, Kanton ZH, reichte am 12.6.2009 folgendes Postulat ein:
Der Bundesrat wird gebeten, in einer breit zugänglichen Studie aufzuzeigen, welche Trends sich im Bereich Smart Drugs abzeichnen und welcher politische Handlungsbedarf besteht. Dabei ist insbesondere darzustellen, wie die Medikamentenabhängigkeit in eine umfassende, kohärente Suchtpolitik eingearbeitet werden kann und welche gesetzlichen Grundlagen dazu geschaffen werden müssen.
Begründung: Forschungsresultate zeigen immer deutlicher: Medikamente werden nicht nur als Arzneimittel eingesetzt. Sie dienen zunehmend auch der Leistungssteigerung und haben das Potential, Suchtmittel zu werden. Ein paar Zahlen: ■ Die Schweizerische Fachstelle für Alkohol-
und andere Drogenprobleme SFA schätzt, dass rund 60 000 Personen (1 Prozent der Bevölkerung) medikamentenabhängig ist. (Zum Vergleich: Beim Alkohol geht man von 1,9 Prozent stark abhängigen Personen aus.) ■ 25 Prozent der österreichischen Studenten haben Erfahrung mit «Hirndopingmitteln» wie Ritalin und Untersuchungen in den USA zeigen, dass zwischen 7 und 25 Prozent der Studierenden ihre geistige Leistung mit Hilfe von Medikamenten wie Ritalin zu steigern versuchen. ■ Laut einer Studie von Novartis bereitet die Pharmaindustrie gegenwärtig die Einführung von 600 neuen Medikamenten zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten vor.
Die Zahlen zeigen, dass sich die Gesundheitsund Suchtpolitik der Thematik der Medikamente
Abbildung: Medikamente werden nicht nur als Arzneimittel eingesetzt. Sie dienen zunehmend auch der Leistungssteigerung und haben das Potenzial, Suchtmittel zu werden.
stärker annehmen muss. Trotz des erklärten Zieles einer kohärenten und umfassenden Suchtpolitik ist die Medikamentenabhängigkeit in der Schweizer Suchtpolitik unerklärlicherweise wenig präsent. Zusätzlich muss auch der neue starke Trend der Smart Drugs, des Gebrauchs von Medikamenten zur Leistungssteigerung, genau beobachtet und analysiert werden. Mit der ansteigenden Verbreitung von diagnostizierten Krankheiten wie ADHS, Demenz, Alzheimer und anderen Hirnkrankheiten wird auch das Angebot an Medikamenten für diesen Bereich weiter steigen. Erfahrungen von Lehrpersonen und Jugendarbeiterinnen und -arbeitern zeigen, dass diese Mittel immer häufiger bewusst
zur Optimierung der eigenen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden. Die Thematik der Medikamente ist in eine auf aktuelle Herausforderungen ausgerichtete Suchtpolitik zu integrieren. Sie ist im Sinne einer kohärenten Suchtpolitik zu analysieren und einzubetten. Die geforderte Studie soll ein erster Schritt dazu sein.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
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