Transkript
FORTBILDUNG
Reisemedizinische Beratung beim Hausarzt
Empfehlungen für Hypertoniker
Bei der reisemedizinischen Betreuung eines Hyper-
tonikers sind die Anamnese des Reisenden und die
zu erwartenden Belastungen der geplanten Tour ent-
scheidend.
JOHANNES RECK
Resultat unserer Beratung darf nicht sein, dem Reisenden Angst vor den vielen drohenden Gefahren zu machen, ihn zu entmutigen und somit seinen Aktionsradius einzuengen. Wir sollten ihm ganz im Gegenteil durch vernünftige Aufklärung darüber, wie er sich vor eventuellen Risiken schützen kann, einen grösseren Bewegungsspielraum geben, als er ohne unsere Ratschläge hätte. Ein 70-jähriger Bergsteiger mit Bandscheibenvorfall und koronarer Herzkrankheit, der um seine körperlichen Einschränkungen weiss, die Risiken des Wetters in den Bergen und der geplanten Tour einschätzen kann, geht ein erheblich geringeres Risiko ein als der kerngesunde 30-Jährige ohne einen blassen Schimmer. So müssen wir unsere Beratung ausrichten: mehr Möglichkeiten durch gute Planung eröffnen, nicht Möglichkeiten verschliessen durch Angstmachen. Die Grundkrankheit essenzielle arterielle Hypertonie muss keine Einschränkung irgendwelcher Aktivitäten bedeuten. Entscheidend ist, dass der Patient – insbesondere bei einer ausgeprägten Hypertonie mit schwankenden Blutdruckwerten und unter kombinierter Behandlung – seine Werte zuverlässig kontrollieren kann.
Wie sieht das individuelle Risiko aus? Zunächst kommt es darauf an, das Risiko des Patienten aufgrund seiner Hypertonie einzuschätzen und möglichst zu minimieren. Ist die Hypertonie wirklich essenziell oder sekundär? Sind andere renale oder kardiale Grund- oder Folgeerkrankungen zu beachten? Ist der Blutdruck stabil eingestellt oder kommt es immer wieder zu hypertonen Entgleisungen? Ist der Blutdruck in den besonders gefährlichen Morgenstunden im akzeptablen Rahmen? Im Zweifelsfall empfiehlt sich eine erneute 24-Stunden-RR-Messung, um Medikation und/
oder Einnahmezeitpunkte zu optimieren. In diesem Zusammenhang müssen Sie mit dem Patienten auch Weglassen oder zusätzliches Einnehmen wegen Zeitverschiebungen bei Fernreisen nach Osten oder Westen schon während des Fluges besprechen, denn gerade bei Ankunft nach langem und unbequemem Flug sind grössere körperliche Anstrengungen (Gepäcktransport, Weiterreise zum Hotel usw.) zu erwarten. Seine Dauer- und Bedarfsmedikamente (z.B. ein Nitropräparat für hypertone Entgleisungen) sollte der Patient in mehr als eben ausreichender Menge je einmal im Hand- und aufgegebenem Gepäck mitführen. Sie müssen ihm eventuell ein entsprechendes Formular zur Vorlage beim Check-in ausstellen.
Welche Gefahren birgt die Reise? Welche Medikamente nimmt der Patient ein, und was hat er auf der Reise vor? Grundsätzlich behindern alle blutdruckwirksamen Substanzen die Autoregulation, mit deren Hilfe sich der Körper an wechselnde Temperaturen und Belastungen anpassen kann. Behandelte Blutdruckpatienten sind unter klimatischen Belastungen und erhöhten Leistungsanforderungen stärker durch orthostatische Dysregulation bedroht. Sie müssen um diese Zusammenhänge wissen, um sich darauf einstellen zu können.
Merksätze
■ Reisemedizinische Beratung soll mehr Möglichkeiten durch gute Planung eröffnen und nicht Möglichkeiten durch Angstmachen verschliessen.
■ Viel Zeit für die langsame Akklimatisation an die Höhe ist beim Hochdruckpatienten besonders wichtig, denn die Hypoxie induziert über einen vermehrten Sympathikotonus auch bei Gesunden einen Blutdruckanstieg.
■ Sind sportliche Aktivitäten wie zum Beispiel Bergtouren geplant, sollte gegebenenfalls die Betablockerdosis reduziert oder durch eine andere Substanz ersetzt werden.
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REISEMEDIZINISCHE BERATUNG BEIM HAUSARZT
© Dietmar Meinert/pixelio
© Johannes Reck
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ken, die keine Vasodilatatoren erhalten, durch die Vasokonstriktion eine Hochdruckentgleisung einstellen. Nicht oder unzureichend behandelte Hypertoniker sind überdurchschnittlich gefährdet, Erfrierungen zu erleiden. Besondere Umsicht bei der Wahl der Bekleidung, zum Beispiel bei Bergtouren, ist daher geboten (Abbildung 1).
Abbildung 1: Bei Kälte, vermindertem Sauerstoffpartialdruck und körperlicher Anstrengung ist Vorsicht mit Vasodilatatoren geboten.
Abbildung 2: Sand schaufeln bei der Sahara-Durchquerung — selbst ein Normotoniker hätte da seine Schwierigkeiten.
Abbildung 3: Reifen wechseln bei Gluthitze in der Wüste – der Ärger und die Anstrengung treiben den Blutdruck gleichermassen in die Höhe. Ausser der schieren Anstrengung der geplanten und eventuell ungeplant hinzukommenden Aktivitäten verdienen die Kreislaufstressoren Hitze (trocken/feucht) und Kälte, Höhe und Tiefe (Tauchen) besondere Berücksichtigung im Hinblick auf die Medikation und das Verhalten des Reisenden.
Kälte Der Kältereiz führt beim nicht durch Pharmaka beeinflussten Organismus zur peripheren Vasokonstriktion; Wärmeverluste werden so vermieden. Der Hochdruckpatient, den Sie mit Vasodilatatoren behandeln, ist demzufolge besonders gefährdet, auszukühlen. Andererseits kann sich bei Hochdruckkran-
Hitze Die Temperatur an sich – sei es trockenes Wüstenklima (Abbildungen 2 und 3) oder tropisch schwüle Witterung – hat keinen wesentlichen Einfluss auf den Blutdruck – vorausgesetzt, durch Schwitzen und Diuretika induzierte Flüssigkeitsverluste können angemessen ausgeglichen werden und es sind keine grösseren körperlichen Anstrengungen gefordert. Die periphere Vasodilatation und vermehrter Flüssigkeitsverlust können leicht – insbesondere unter dem Einfluss von Kalziumantagonisten und Diuretika – zu krisenhaftem Blutdruckabfall führen. Über ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eventuell notwendige Dosisreduktion und/oder Diuretikaauslass muss der Patient Bescheid wissen. Kombinationspräparate, die ein Diuretikum enthalten, sollten eventuell auf Einzelpräparate umgestellt werden, um differenzierte Dosisanpassungen zu ermöglichen. Das Hitzschlagrisiko für Hypertoniker – behandelte und unbehandelte – ist erhöht, und der Verlauf kann sehr viel schneller und dramatischer sein als bei Normotonikern.
Höhe Viel Zeit für die langsame Akklimatisation ist beim Hochdruckpatienten besonders wichtig, denn die Hypoxie induziert über einen vermehrten Sympathikotonus auch bei Gesunden einen Blutdruckanstieg. Bei Gesunden normalisiert sich das innerhalb einiger Tage, bei Hypertonikern kann dann aber bei längeren Höhenaufenthalten der angestiegene Hämatokrit wieder für bleibend erhöhte RR-Werte sorgen. Blutdruckselbstkontrolle und Wissen um die eingenommenen Medikamente sind hier entscheidend, um differenzierte Dosisanpassungen vornehmen zu können. Betablocker sind beim Höhentrekking besonders problematisch, weil sie in entscheidenden Momenten die körperliche Leistung stark limitieren können. In grosser Höhe besteht ohnehin eine deutliche Dehydratationsneigung – Diuretika sollten deshalb möglichst vermieden werden. Die Entwicklung einer akuten Höhenkrankheit wird durch Exsikkose massiv begünstigt.
Tauchen RR-Werte über 160 mmHg systolisch und/oder über 100 mmHg diastolisch sowie instabile Einstellung des Blutdrucks stellen absolute Kontraindikationen für das Gerätetauchen dar (Abbildung 4), insbesondere wenn in Tiefen und/oder über eine Zeitdauer getaucht wird, aus der das sofortige Auftauchen ohne Dekompressionszeiten nicht möglich ist. Die Wassertemperatur sinkt mit der Tauchtiefe. Die Hypothermiegefahr steigt bei der Behandlung eines Hypertonikers mit Vasodilatatoren.
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FORTBILDUNG
Abbildung 4: Bei Blutdruckwerten über 160 mmHg systolisch und 100 mmHg diastolisch ist Tauchen kontraindiziert.
Wenn mit Betablockern behandelt wird, können Blutdruck und Pulsfrequenz nicht adäquat gesteigert werden. Sind sportliche Aktivitäten wie zum Beispiel Bergtouren geplant, sollte gegebenenfalls die Betablockerdosis reduziert oder durch eine andere Substanz ersetzt werden. «Gruppenzwang», die Angst vor dem körperlichen Versagen in der Gruppe oder einfach der höfliche Wunsch, die anderen Teilnehmer nicht aufzuhalten, können dazu führen, dass Ihr Patient weitergeht, wenn er eigentlich aufhören sollte. Darüber müssen Sie mit ihm reden und ihm von Touren abraten, bei denen ein rechtzeitiges Abbrechen nicht möglich ist.
Medikamentenwechselwirkungen Mefloquin (Lariam®) kann, insbesondere in Verbindung mit Betablockern und Kalziumantagonisten, die QT-Zeit erheblich verlängern. Grapefruitsaft kann die Wirkung von Kalziumantagonisten dosisabhängig verstärken, bis hin zum Kreislaufkollaps.
Reise-Krankenversicherung
Medizinische Versorgung – ambulant oder stationär – im Aus-
land kann sehr teuer werden. Raten Sie Ihren reisenden Pa-
tienten immer, eine Reisekrankenversicherung abzuschlies-
sen. Dabei sollten vorbestehende Erkrankungen als Ursache
der Behandlung oder des Rücktransports nicht ausgeschlossen
sein, ein Rücktransport sollte eingeschlossen sein, wenn
medizinisch sinnvoll und vertretbar, und nicht nur wenn
«medizinisch sinnvoll und ärztlich angeordnet» – Letzteres
lässt sich viel enger auslegen.
Lassen Sie sich als beratender Arzt niemals verleiten, gefällig-
keitshalber irgendwelche Grunderkrankungen zu verschwei-
gen oder andere Fragen der Versicherungsgesellschaft nicht
wahrheitsgemäss zu beantworten! Sie können für entstandene
Kosten haftbar gemacht werden.
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Dr. med. Johannes Reck Facharzt für Allgemeinmedizin
D-88400 Biberach an der Riss
Abbildung 5: Ungewohnte Anstrengung in Verbindung mit Hitze kann beim Hypertoniker hypertensive Krisen provozieren.
Körperliche Anstrengung Körperliche Anstrengung, vor allem wenn diese ungewohnt ist, kann bei Hochdruckpatienten, besonders unter thermischer Belastung, hypertensive Krisen provozieren (Abbildung 5). Völlig untrainiert sollten Sie Ihre Hochdruckpatienten nicht auf eine Reise mit zu erwartenden körperlichen Belastungen lassen.
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 19/2008. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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