Transkript
MRSA-Kolonisation
Wann isolieren, wann sanieren?
FORTBILDUNG
MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus)
neigen dazu, ihre Wirte zu besiedeln, ohne Infektions-
symptome auszulösen. Bei einer Kolonisation stellt
sich die Frage, mit welchen Antiinfektiva gegen die
unerwünschten Gäste vorgegangen werden soll. Haus-
ärzte, die im Altersheim tätig sind, müssen zusätzlich
eine individuelle Risikobewertung vornehmen. Was
dies für die Praxis bedeutet und wie zweckmässiger-
weise vorgegangen werden kann, soll in diesem Artikel
anhand von Fallbeispielen dargestellt werden.
ANDREAS SCHWARZKOPF
Die Beseitigung einer MRSA-Kolonisation (Abbildung 1 und 2), auch als Sanierung oder Eradikation bezeichnet, kann laut der RKI-Empfehlung «lnfektionsprävention in Heimen» nicht allgemein gefordert werden, ist aber epidemiologisch wünschenswert (1). Notwendig wird die Sanierung bei Selbstgefährdung oder Fremdgefährdung. Selbstgefährdung ist zu unterstellen ■ wenn therapierefraktäre, jedoch nicht infizierte Wunden
vorhanden sind ■ bei erheblicher Einschränkung der Immunabwehr (hier
würde jede Erkältung die Gefahr einer eitrigen Bronchitis und/oder Pneumonie durch die Kolonisten bedeuten) ■ vor grossen Operationen, insbesondere Implantateinbau (2). Hier belegen Studien ein klar erhöhtes Risiko postoperativer Wundinfektionen.
Eine Fremdgefährdung ist zu unterstellen, wenn in der gleichen Einrichtung – erst recht im Doppelzimmer – infektionsgefährdete Mitbewohner mit den Betroffenen regelmässig Kontakt haben. Als Beispiele für Risikofaktoren werden Tracheostoma, Katheter, Sonden und Wunden genannt (1). Auch liegt eine Fremdgefährdung vor, wenn die Betroffenen regel-
mässig eine andere Einrichtung des Gesundheitsdienstes, in der Risikopatienten betreut werden, aufsuchen müssen, zum Beispiel ein Dialysezentrum.
Sanierung Die Sanierung kann nach wie vor mit Mupirocin (Bactroban®) durchgeführt werden. Als neuere Alternative gibt es polyhexanidhaltige Nasengels (Pantoderm®, in der Schweiz nicht im Handel), die allerdings häufiger (bis zu sechsmal am Tag) in den Nasenvorhof eingebracht werden müssen. Wunden werden am besten antiseptisch behandelt, hierzu bieten sich Octenidin (Octenisept®) und Polyhexanid (in der Schweiz nicht im Handel) als Wirkstoffe an. Ganz allgemein gilt: Wenn eine Sanierung gestartet ist, muss sie sorgfältig durchgeführt werden, um erfolgreich zu sein. Hierzu gehören Ganzkörperwaschungen mit mikrobiziden Lösungen, gegebenenfalls Gurgeln mit antiseptischen Gurgellösungen und der tägliche Wäschewechsel (Bett- und Leibwäsche, vor allem Unterwäsche). Vor Abschluss der Sanierung müssen sämtliche Gegenstände, die die Betroffenen berühren (Brille, Hörgerät, Wecker etc.) entweder ausgetauscht werden (z.B. Zahnbürste) oder geeignet gereinigt, möglichst desinfiziert werden. Der Erfolg der ausreichend lange durchgeführten Sanierungsmassnahmen sollte durch einen Abstrich dokumentiert werden.
Auch Haustiere untersuchen! Gegebenenfalls vorhandene Haus- und Nutztiere (Schweine, Pferde, Rinder) müssen in die Untersuchungen mit einbezogen werden, da sie zunehmend als Quelle für Rekontaminationen beschrieben werden (3, 4). Das Vorgehen ist mit dem zuständigen Tierarzt abzusprechen.
Merksätze
■ Zur MRSA-Sanierung ist Mupirocin geeignet, alternativ kommen polihexanidhaltige Nasengels und für Wunden Octenidin infrage.
■ Bei MRSA-Kolonisationen ohne Infektionszeichen ist ausserhalb des Krankenhauses selten eine antibiotische Behandlung indiziert. Meist genügen Antiseptika.
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FORTBILDUNG
Abbildung 1: 78-jährige Altersheimpatientin, Zustand nach Apoplex mit Hemiparese. Im Rahmen eines zweiwöchigen Krankenhausaufenthalts wegen Cholezystektomie lagerungsbedingter Dekubitus über der Hüfte mit MRSA-Besiedlung.
Abbildung 2: 58-jähriger Patient, der unter Chemotherapie wegen Morbus Hodgkin eine Aplasie entwickelte. Eitrige periokuläre Infektion mit Hautnekrose, MRSA-Besiedlung. Nach Sanierung und Abheilung erfolgreiche operative Korrektur.
Die folgenden Fallbeispiele erläutern die Indikationen zur Sanierung beziehungsweise Antibiotikagabe:
Fallbeispiel 1
Hände. Der mögliche Übertragungsweg Toilette entfällt hier, da der Patient Katheterträger ist. Eine Behandlungsindikation für diese Kolonisation ist also zunächst nicht gegeben, ausser es würde eine Gefahr für den Patienten vermutet (s. oben).
Der 76-jährige Alois T. kommt nach einer kleinen Operation (Bänderriss linker Aussenknöchel, primär heilend) ins Altersheim zurück. Aus dem Klinikarztbrief geht hervor, dass im Urin wiederholt MRSA nachgewiesen wurde, welcher gegenüber Cotrimoxazol sensibel ist. Der Patient ist Dauerkatheterträger (transurethral), hat jedoch keine Beschwerden oder klinischen Infektionszeichen. Der Nasenabstrich hat keine MRSA-Besiedelung ergeben. Der Einsatz von Antibiotika dient in erster Linie der Bekämpfung von Infektionen. Sollen damit Kolonisationen beseitigt werden, ist die Indikation streng zu stellen und vorher der wahrscheinliche Erfolg zu prüfen. Im vorliegenden Fall könnte Cotrimoxazol gegeben werden. In Anbetracht des vorhandenen Fremdkörpers (Katheter) ist jedoch ein Sanierungserfolg fraglich. Hat der Patient keinen Mitbewohner in der Alterspflegeeinrichtung, braucht weiter nichts unternommen zu werden. Auch bei Gewebeinfektionen gibt es mit Cotrimoxazol häufiger Therapieversager, dies wird mit einer Thymidinfreisetzung durch Gewebe und Erreger gleichermassen begründet (4). Laut der RIK-Empfehlung «Infektionsprävention in Heimen» (1) sollte der Patient lediglich aufgefordert werden, beim Verlassen des Zimmers seine Hände zumindest zu waschen, eventuell zu desinfizieren. Das Pflegepersonal ergreift geeignete Schutzmassnahmen (Schutzkittel, Handschuhe). Bei überwiegend pflegerischer Betreuung und einem entsprechend gefährdeten Mitbewohner ist auch dessen Risiko zu berücksichtigen. In diesem Fallbeispiel läuft der Hauptübertragungsweg über die
Fallbeispiel 2
Die 82-jährige Rosina K. lebt in einem Altersheim. MRSA trägt sie im Nasenvorhof und auf einer Unterschenkelwunde (Ulcus cruris venosum). Hier kann aufgrund des Befalls des Nasenvorhofs eine klassische Sanierung erwogen werden. Eine im Krankenhaus begonnene Sanierung sollte auf jeden Fall fortgeführt werden. Sie wäre sinnvoll und erforderlich, wenn Mitbewohner mit Abwehrschwäche nach Aufnahme der MRSA schwere Infektionen erleiden könnten. Dies gilt auch dann, wenn die Patientin regelmässig dialysiert oder zytostatisch behandelt werden müsste. Die Wundbesiedlung ohne Infektionszeichen ist keine Indikation zur Antibiotikagabe (5). Gegebenenfalls ist eine Einzelunterbringung zu erwägen, wenn eine überwiegend pflegerische Betreuung stattfindet (1).
Fallbeispiel 3
Die 21-jährige Silke M. kommt von der Entbindungsstation in die häusliche Behandlung. Es besteht eine Mastitis puerperalis links, weswegen sie bereits abgestillt hat. Unter Vancomycin keine nennenswerte Rückbildung der Symptomatik. Hier ist eine orale Gabe von Linezolid (Zyvoxid®) – wegen der guten Weichteil- und Gewebeanreicherung – indiziert, zusätzlich können vorhandene Rhagaden der Brustwarze lokal antiseptisch behandelt werden.
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M R S A- K O L O N I S AT I O N
Fallbeispiel 4
Der 75-jährige Hubert N. kommt aus dem Krankenhaus zurück in die Pflegeeinrichtung. Ein kleines, gut zu verbindendes Dekubitalulkus ist mit MRSA besiedelt, Nasenabstriche waren wiederholt negativ. Der Patient ist kooperativ und rüstig. Dieser Patient braucht nicht isoliert zu werden, beim Verbandswechsel werden lokale Antiseptika eingesetzt. Wird der Verband auf dem Zimmer gewechselt, sind geeignete Unterlagen zu verwenden, da jeder Verbandswechsel Bakterien auf der Wunde freisetzt.
Fallbeispiel 5
Die 11-jährige Carina S. wird von ihrer Mutter beim Hausarzt vorgestellt. Anamnestisch hatte sie vor zirka acht Wochen einen Labienabszess, der ausgeheilt wurde. Die mikrobiologische Untersuchung ergab damals MRSA als Erreger. Jetzt hat sie erneut zwei Abszesse im Unterhautfettgewebe des linken Oberschenkels. Eine Eintrittspforte war nicht zu erkennen, wieder war MRSA die Ursache. Das Krankenhaus führt eine Sanierung durch, ausserdem werden Antibiotika gegeben, die nun weiter verordnet werden sollen. Diese Anamnese spricht für das Vorhandensein sogenannter Community Associated MRSA (CA-MRSA). Durch einen Pathogenitätsfaktor (Panton-Valentine-Leukozidin) kann der Erreger rezidivierende Abszesse ohne Eintrittspforten auslösen. In diesem Fall ist auch eine Untersuchung des familiären Umfelds einschliesslich der Haustiere indiziert, da dort häufig CAMRSA ihr Reservoir haben.
Anders als bei den bisherigen Fällen reiner Kolonisation ist hier bei einer Sanierung eine Begleitantibiotikagabe (Rifampicin in Kombination mit Cotrimoxazol) empfohlen. Allerdings muss auch vorher mittels Antibiogramm geprüft werden, ob die entsprechenden Sensibilitäten bestehen. Falls ja, können so intrazelluläre Staphylokokken erfasst werden (6).
Fazit
Bei Kolonisation mit MRSA ist eine antibiotische Behandlung
ausserhalb eines Krankenhauses nur selten indiziert. Dies gilt
auch für leichte Wundinfektionen bei bestehender Mikrozir-
kulationsstörung, hier ist eine antiseptische Behandlung mit
Octenidin oder Polyhexanid vorzuziehen. Wenn keine beson-
deren Risiken bestehen, ist auch eine asymptomatische Bakte-
riurie mit MRSA keine Indikation zur antibiotischen Behand-
lung.
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Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de
PD Dr. med. Andreas Schwarzkopf Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie
Sachverständiger für Krankenhaushygiene D-97708 Bad Bocklet
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 9/2008. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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