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STUDIE REFERIERT
Ein Antihistaminikum gegen Alzheimer?
Dimebon — als Antiallergikum ausgemustert, bei Demenz wirksam
Ausgerechnet ein Antihistaminikum scheint in der Lage, den klinischen
hemmt die Signalkaskade der N-MethylD-Aspartat-Rezeptoren und die Cholinesterase. Es vereint folglich Wirkmecha-
erhielten nach dem Zufallsverfahren dreimal täglich 20 mg Dimebon (89 Patienten) oder Plazebo (94 Patienten). Andere Antidementiva waren nicht erlaubt, was in Russland leicht sichergestellt werden kann. Dort mangelt es an Geld für die teuren Cholinesterasehemmer, zudem sind, wie Alistair Burns von der Universität Manchester und Robin Jacoby von der Universität Oxford in einem «Lancet»-Editorial vermerken (Lancet 2008; 372: 179), nichtmedikamentöse Therapieansätze den russischen Therapeuten fremd.
Verlauf der Alzheimer-Krankheit nachhaltig zu verbessern. Das zeigt eine Studie, die kürzlich im «Lancet» erschienen ist. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen,
«Die Studie von Doody und Kollegen zeigt, dass Dimebon besser als Plazebo ist — eine beachtliche Leistung,
wenn man die positiven Plazeboreaktionen bei Demenz in Betracht zieht.»
Alistair Burns und Robin Jacoby im Lancet-Editorial
steht womöglich eine kostengüns-
tigere Alternative zu den bislang
eingesetzten Acetylcholesterin-
hemmern bereit. Um eine kausale
Therapie handelt es sich aber
auch hier nicht.
LANCET
Dimebon ist ein oral verabreichtes Medikament, das eine Zeitlang in Russland verkauft wurde, zuletzt allerdings mit wenig durchschlagendem Erfolg. Mit den neueren selektiven Antihistaminika konnte es schlicht nicht mithalten, die Verkaufszahlen sanken, bis der Hersteller sich entschloss, das Präparat aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt zu nehmen. Momentan ist es nirgends auf der Welt erhältlich. Das allerdings könnte sich bald ändern. Untersuchungen hatten zwischenzeitlich ergeben, dass das Antihistaminikum Eigenschaften besitzt, die bei neurodegenerativen Erkrankungen sehr erwünscht sind. Es
nismen der Cholinesterasehemmer wie Donepezil oder Rivastigmin mit denen des NMDA-Blockers Memantin. In Tiermodellen ergaben sich tatsächlich Hinweise auf neuroprotektive Wirkungen bei Alzheimer- und Huntington-Krankheit. Die Forscher mutmassen inzwischen, dass Dimebon darüber hinaus die Mitochondrien stabilisiert und möglicherweise den Untergang von Gehirnzellen hinauszögert. Letztlich ist der Wirkmechanismus aber nicht sicher geklärt.
Erste Studie bei AlzheimerPatienten Rachelle S. Doody vom Alzheimer's Disease and Memory Disorders Center am Baylor College of Medicine im USamerikanischen Houston und mehrere Kollegen, darunter auch russische Mediziner, haben sich jedenfalls daran gemacht, Wirkung, Sicherheit und Verträglichkeit von Dimebon bei AlzheimerPatienten zu testen. An der randomisierten und kontrollierten Studie nahmen 183 leicht bis mittelschwer erkrankte Patienten teil, die in russischen Pflegeheimen leben. Der Krankheitsgrad wurde anhand des Mini-Mental-StatusTests (MMSt) festgelegt. Die Patienten
Klinisch signifikante Ergebnisse Die Ergebnisse fielen durchwegs positiv aus: Die Therapie mit Dimebon führte in den ersten 26 Wochen zu einer Besserung der Alzheimer-Disease-CognitiveAssessment-Skala (ADAS-cog-Skala) um 2 Punkte. Der ADAS-cog, der als primärer Endpunkttest eingesetzt wurde, ist ein Fragenkatalog, mit dessen Hilfe die Fähigkeit des Patienten bewertet wird, ein Datum zu erkennen, Anleitungen zu verstehen, Anweisungen zu folgen, eine Wörterliste zu erinnern und einfache Aufgaben wie Zeichnungen zu kopieren oder einen Briefumschlag zu beschriften. Die mit Plazebo Behandelten büssten hingegen wie zu erwarten 2 Punkte
Merksätze
■ Das Antihistaminikum Dimebon hat einen langfristigen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei Alzheimer-Patienten.
■ Die Wirkung übertrifft womöglich die von Cholinesterasehemmern.
■ Die Ergebnisse müssen allerdings zunächst in weiteren Studien bestätigt werden.
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STUDIE REFERIERT
auf der Skala ein. Dieser Unterschied von 4 Punkten erscheint nicht nur statistisch, sondern auch klinisch relevant. Das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln bezifferte im vergangenen Jahr die Wirkung von Donepezil mit 2 bis 3 Punkten auf der ADAS-cog-Skala. Auch in 4 weiteren Messparametern – MMSE, ADCS-ADL, CIBIG-plus und NPI – konnten Verbesserungen mit Dimebon dokumentiert werden. In einer sich anschliessenden 26-wöchigen Extensionsphase hielten diese Wirkungen an. Erst ab der 39. Woche war eine allmähliche Verschlechterung zu beobachten. Nach einem Jahr fielen die Ergebnisse jedoch immer noch besser aus als bei Aufnahme der Behandlung. «Normalerweise sind wir zu einem frühen Zeitpunkt der Me-
Alzheimer-Tests
■ MMSE: Mini Mental State Examination, prüft die Kognition
■ NPI: Neuropsychiatric Inventory, prüft das Verhalten
■ ADCS-ADL: Alzheimer's Disease Cooperative Study — Activities of Daily Living, misst die Funktionsfähigkeit im Alltag
■ CIBIC-plus: Clinician's Interview-based Impression of Change plus Caregiver Input ist ein halbstrukturiertes Interview von Patient und Versorger über allgemeinen Zustand, Kognition, Verhalten und Alltagsaktivität
dikamentenentwicklung froh, wenn ein
Parameter positiv anspricht, hier waren
es alle fünf», erklärte Studienleiter
Doody erfreut. «Wir hoffen nun, dass wir
die Ergebnisse bestätigen können.» In-
zwischen wird in den USA eine interna-
tionale Phase-III-Studie geplant.
Die Verträglichkeit von Dimebon erwies
sich übrigens als gut. Die häufigste Ne-
benwirkung scheint ein trockener Mund
zu sein, worüber fast jeder fünfte Patient
klagte. Kein Patient brach die Studie
wegen Nebenwirkungen ab.
■
Rachelle S. Doody et al.: Effect of dimebon on cognition, activities of daily living, behaviour, and global function in patients with mild-to-moderate Alzheimer's disease: a randomised, doubleblind, placebo-controlled study. Lancet 2008; 371: 207-215.
Interessenkonflikte: keine deklariert
Uwe Beise
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