Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
In ARS MEDICI Nr. 10 (Seite 417) stellten wir die Motion von Nationalrätin Ruth Humbel Näf, CVP, Kanton AG, vor. In der Zwischenzeit hat der Bundesrat darauf geantwortet:
Wirksame Massnahmen gegen Rauschtrinken
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament Massnahmen und gesetzliche Grundlagen zu unterbreiten, welche vorsehen, dass Rauschtrinker wie auch Eltern bei Alkoholexzessen ihrer Kinder
besser in die Verantwortung genommen werden, namentlich bei der Finanzierung der Folgekosten.
Aus der Antwort des Bundesrats vom 21.5.2008
Das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts sieht Kürzungen von Geldleistungen (insbesondere Renten, Taggelder) vor, wenn eine versicherte Person einen Versicherungsfall vorsätzlich herbeiführt. Sachleistungen (insbesondere Heilbehandlung, Hilfsmittel, Aufwendungen für Transporte) können nur gekürzt werden, wenn sich eine versicherte Person einer Behandlung oder Eingliederung entzieht. Somit fehlt es heute an den rechtlichen Voraussetzungen, um Vergütungen für bestimmte Krankenpflegeleistungen im Sinne der Motion zu verweigern oder zu kürzen.
Der Bundesrat hat eine Motion von NR Stahl vom 23. März 2007, die eine stärkere Kostenbeteiligung der Versicherten bei Behandlungen infolge exzessiven Alkohol- und Drogenkonsums verlangte, abgelehnt. Der Bundesrat wies in seiner damaligen Antwort darauf hin, dass das KVG dem Bundesrat zwar erlaubt, für «bestimmte Leistungen» eine höhere Kostenbeteiligung vorzusehen. Allerdings wird im KVG das Verschulden der versicherten Person weder für die Übernahme von Leistungen noch für die Kostenbeteiligung berücksichtigt. Zudem ist es bei Krankheiten schwierig, das Verschulden der versicherten Person zu ermitteln. Es gibt zahlreiche Verhaltensweisen, die als gesundheitsschädigend gelten, besonders wenn sie intensiv und häufig sind oder über längere Zeit anhalten. Im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtsgleichheit ist es sachlich kaum zu begründen, nur auf den Leistungen bei der Behandlung von Alkoholvergiftungen eine höhere Kostenbeteiligung zu erheben. Zu beachten ist sodann, dass die notfallmässigen Behandlungen nach übermässigem Alkoholkonsum oft auf mehrere Ursachen (zusätzliche übermässige Einnahme von Medikamenten, Verletzungen nach Gewaltanwendung oder Unfall, vorbestehende Erkrankungen) zurückzuführen sind. Damit dürfte es für die behandelnden Leistungserbringer schwierig sein, den Anteil der Behandlung, der sich auf die Alkoholvergiftung bezieht, auszuscheiden. Für die Versicherer wäre es unverhältnismässig aufwendig, diese Leistungen gesondert zu erfassen und allenfalls Verfahren zu deren Abgrenzung durchzuführen.
Der Bundesrat erachtet die vorgeschlagene Massnahme deshalb als nicht sachgerecht und unverhältnismässig.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
552 ARS MEDICI 13 ■ 2008
Die Interpellation von Maya Graf, Nationalrätin Grüne Partei, Kanton BL, stellten wir in ARS MEDICI Nr. 10 (Seite 416) vor. Hier noch einmal die Fragen in Kürze:
Nationaler Forschungsschwerpunkt SESAM. Wer trägt die Verantwortung?
1. Wie stellt er sich dazu, dass 10,2 Millionen öffentliche Forschungsgelder in ein Projekt flossen, das gescheitert ist, bevor es begann?
2. Wer trägt beim Bund die Verantwortung für die Bewilligung dieses Forschungsschwerpunkts?
3. Wer hat die Rahmenbedingungen festgelegt, unter welchen SESAM starten konnte?
4. Warum wurde von den Verantwortlichen keine Pilotstudie verlangt, eine Mindestanforderung für ein Forschungsprojekt dieser Grösse?
5. Welche Teilprojekte werden weitergeführt und wie werden diese weiterfinanziert?
6. Welche Lehren ziehen Bundesrat und verantwortliche Stellen aus diesem Fiasko eines hochgejubelten Nationalen Forschungsschwerpunkts?
Und hier die Antwort des Bundesrats vom 21.5.2008 in Auszügen
Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) ist für die Beurteilung der wissenschaftlichen Aspekte zuständig. Er stützt sich dabei auf ausgewiesene ausländische Expertenpanels ab. Das Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF) ist demgegenüber für die forschungs- und hochschulpolitische Beurteilung zuständig und holt diesbezüglich auch die Stellungnahme des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierats (SWTR) ein. Das SBF unterbreitet schliesslich dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) einen begründeten Antrag zum Entscheid.
Vor diesem Hintergrund können die Fragen folgendermassen beantwortet werden:
■ Ad 2 und 3: Nach Abschluss des erwähnten Entscheidverfahrens oblag es dem Leitungsgremium des NFS SESAM, sämtliche zur Durchführung der Projekte notwendigen Bewilligungen einzuholen. Am 25. Juli 2007 wurde dieser Prozess mit der Freigabe der (Kern-)Studie durch die Ethikkommission beider Basel (EKBB) abgeschlossen, und es konnte mit der Rekrutierung von Studienteilnehmerinnen begonnen werden. Die Leitung des NFS SESAM musste dann im März 2008 feststellen, dass das mit dem SNF vereinbarte Ziel betreffend Anzahl Studienteilnehmerinnen nicht mehr in der vorgegebenen Frist erreicht werden konnte, und hat am 13. März 2008 beim SNF den Abbruch der Kernstudie beantragt.
■ Beim NFS SESAM müssen zwei Sachlagen unterschieden werden: einerseits die Beurteilung des Forschungsvorhabens unter ethischen Kriterien und andererseits die rein wissenschaftliche Vorgabe betreffend die notwendige Anzahl Probanden. Wie dargelegt, ist die Kernstudie (entsprechend den Kriterien der Ethikkommission) mit geringfügigen Anpassungen genehmigt worden. Dass heute die notwendige Anzahl Probanden nicht zur Verfügung steht, stellt eine andere Sachlage dar, tangiert aber keineswegs die von den Experten bestätigte wissenschaftliche Qualität des Vorhabens.
■ Ad 4: Wie dies bei jeder derartigen Studie der Fall ist, hatte auch der NFS SESAM eine Pilotstudie geplant. Die Ethikkommission beider Basel EKBB verlangte von SESAM jedoch den Verzicht auf die vorgesehene Etappierung in Pilot- und Hauptstudie, verknüpft mit der Auflage, die Kernstudie als Ganzes zur Beurteilung nach ethischen Kriterien einzureichen. Angesichts der Kritik verschiedener Kreise an SESAM wäre es aus politischen Gründen undenkbar gewesen, Rekrutierungstests mit Müttern ohne vorangehende Beurteilung durch eine Ethikkommission durchzuführen.
■ Ad 1 und 5: Genaue Angaben zu den seit dem Start des NFS SESAM bereits gewonnenen Forschungsresultaten und zu den bisher verwendeten Bundesmitteln können zum jetzigen Zeitpunkt ausserhalb des SNF-Reportings nicht gemacht werden.
■ Ad 6: Der NFS SESAM wurde 2005 zusammen mit fünf weiteren NFS in einem kompetitiven Verfahren ausgewählt. Die unabhängigen Experten sprachen dem Forschungsvorhaben höchste Qualität auf internationalem Niveau zu. Auch was die Lancierung einer gross angelegten Kohortenstudie in der Schweiz zur Thematik der psychischen Gesundheit anbelangte, beurteilten die Experten die Situation äusserst positiv. Gemäss ihrer Einschätzung war die Schweiz für die Durchführung einer multigenerational angelegten Studie dieses Typs eines der wenigen prädestinierten Länder (zuverlässige Meldeverfahren, Verfügbarkeit pränataler Diagnostik, geringe Bevölkerungsmobilität). Bei allen innovativen Forschungsvorhaben bleibt immer ein Restrisiko, dass unvorhergesehene Schwierigkeiten auftreten. Ob und wie weit das Risiko betreffend die Probandenrekrutierung bei Kohortenstudien über eine konsolidierte Abschätzung (Machbarkeitsprüfung) inskünftig minimiert werden könnte, wird der SNF im Rahmen seiner Abklärungen überprüfen.
ARS MEDICI 13 ■ 2008 553