Transkript
INTERVIEW
«Ich sehe keinen Grund für eine Entwarnung»
Ein Gespräch mit Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser über Nutzen und Risiken der Hormonersatztherapie
Manchmal kommt es vor, dass die noch eben blühenden therapeutischen Hoffnungen und Erwartungen mit einer einzigen Studie zerstört werden. Im Jahr 2002 wurde die WHI-Studie dafür berühmt. Seither hat man sich von dem Gedanken verabschieden müssen, die Hormonersatztherapie (HRT) als eine Art präventive Allzweckwaffe für Frauen in der Menopause in Gebrauch nehmen zu können. Die HRT soll heute nur noch bei schweren Menopausebeschwerden verordnet werden, niedrig dosiert und so kurz wie möglich. Manche Experten beklagen unterdessen eine übertriebene Angst vor den Hormonen (siehe Bericht auf Seite 566). ARS MEDICI sprach mit Ingrid Mühlhauser, die sich für einen eher restriktiven Einsatz der Hormone einsetzt und sich kritischere Ärzte und Patientinnen wünscht.
ARS MEDICI: Frau Professor Mühlhauser, kürzlich haben Experten der Internationalen Menopause-Gesellschaft betont, dass sich gesunde Frauen keine Sorgen über Risiken der Hormonersatztherapie machen müssen, zumindest nicht in den ersten Jahren der Menopause. Stimmen Sie dieser Auffassung zu? Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser: Grundsätzlich gibt es seit der WHI-Studie keine entscheidenden neuen Erkenntnisse, die für eine allgemeine Entwarnung Anlass geben könnten. Die Indikation zur Hormonersatztherapie ist ja zu Recht stark eingeschränkt worden, und zwar auf die Behandlung schwerer Wechseljahrbeschwerden in der niedrigst möglichen Dosis und über die kürzest mögliche Zeit. Man muss sich
bewusst sein, dass viele potenziell negative Auswirkungen der Hormonbehandlung Frauen aller Altersklassen treffen können. Es ist richtig, dass die kardialen Komplikationsrisiken bei jüngeren Frauen in der ersten Behandlungszeit nicht so ansteigen wie bei älteren. Es bleiben aber unter anderem das erhöhte Schlaganfallrisiko und die Thrombosekomplikationen.
ARS MEDICI: Das Mammakarzinomrisiko wird von den Menopauseexperten als sehr gering erachtet im Vergleich zu anderen Risikofaktoren. Mühlhauser: In Abhängigkeit von der Einnahmedauer steigt das Risiko für Brustkrebs. In der WHI-Studie waren durchschnittlich 8 von 10 000 Frauen pro Jahr zusätzlich betroffen. Das entsprach einem Anstieg um etwa 25 Prozent. Aber dies ist ja nur ein Aspekt unter vielen. Denken Sie beispielsweise auch an die Folgen für das Mammografiescreening. Die Sensitivität des Screenings, die ohnehin gering ist, wird durch eine Hormonbehandlung weiter verschlechtert. Die Zahl der falsch-positiven Diagnosen steigt noch einmal.
ARS MEDICI: Viele Menopauseexperten monieren, dass die WHI-Studie für jüngere Frauen gar nicht repräsentativ sei. Viele hätten Risikofaktoren gehabt, die zu Beginn der Menopause eher ungewöhnlich seien. Mühlhauser: Die WHI-Studie hatte ein sehr gemischtes Kollektiv und es waren auch viele jüngere Frauen dabei. Gerade wurde in Deutschland eine grosse Fallkontrollstudie namens MARIE abgeschlossen. Auch wenn diese Untersuchung nicht prospektiv und randomisiert durchgeführt wurde, bestätigt sie doch die Ergebnisse der WHI und der britischen «Million Women Study» – und zwar auch für jüngere Frauen und für die verschiedenen auf dem Markt befindlichen Hormonpräparate. In der MARIE-Studie schnitten sogar die Präparate, die in der WHI-Studie benutzt wurden, besser ab als jene die bei uns als nebenwirkungsärmer angepriesen werden. Die immer noch zu hörende Behauptung, die Risiken wären bei anderen Präparaten niedriger, sind wissenschaftlich nicht haltbar.
ARS MEDICI: Viele Experten der Menopause-Gesellschaften sehen sich aber immer wieder veranlasst, Ärzte und betroffene Frauen zu beruhigen und ihnen die Angst vor einer Hormonbehandlung zu nehmen. Wie beurteilen Sie diese Aktivitäten?
564 ARS MEDICI 13 ■ 2008
INTERVIEW
Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser ist Internistin, Diabetologin und Endokrinologin. Seit 1996 hat sie einen Lehrstuhl für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg.
Mühlhauser: Über die Motive kann ich natürlich nur Vermutungen anstellen. Manches deutet darauf hin, dass sich eine unheilige Allianz zwischen Industrie und Ärzteschaft gebildet hat. Die Industrie hat natürlich ein Interesse an der Verschreibung der Präparate.
ARS MEDICI: Aber ein Gynäkologe wird einer Frau doch keine Hormontherapie empfehlen, weil er von der Industrie abhängig ist. Das ist doch völlig unrealistisch. Mühlhauser: Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Abhängigkeiten sind natürlich subtiler Art. Ich unterstelle nicht, dass Ärzte bewusst gegen ihre Überzeugung handeln. Die Frage ist aber, wie sie zu dieser Überzeugung kommen. Mein Eindruck ist, dass viele Ärzte in evidenzbasierter Medizin immer noch nicht hinreichend geschult sind. Die Ausbildung ist leider zu wenig darauf ausgerichtet, Studienergebnisse kritisch hinterfragen zu können.
ARS MEDICI: Aber eine Frau, die wegen Wechseljahrbeschwerden ihren Arzt aufsucht, will Hilfe haben. Sollte man ihr eine Hormonbehandlung vorenthalten? Mühlhauser: Das sage ich ja nicht. Es besteht kein Zweifel, dass es Frauen gibt, die derart unter Hitzewallungen leiden, dass eine Hormontherapie hilfreich ist – so wie es ja auch die Zulassung vorsieht. Der Nutzen bei Hitzewallungen ist auch belegt. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass die Beschwerden nach dem Absetzen wieder auftreten können. Und grundsätzlich muss ich auch bei starken Beschwerden Nutzen und Risiken offen mit der Frau besprechen.
ARS MEDICI: Sie meinen, dass noch zu viele Hormone verschrieben werden? Mühlhauser: Die Zahl der Verschreibungen ist seit der WHIStudie stark rückläufig. Aber Hormone werden nach meinem Eindruck immer noch zu schnell angeboten – gerade auch wenn neben den Hitzewallungen andere Beschwerden hinzukommen. Viele Frauen klagen in dieser Lebensphase über Nervosität, schlafen schlecht, fühlen sich depressiv. Ich kann nun als Arzt oder Ärztin durch mein Verhalten die Bereitschaft der Frau, mit solchen Befindlichkeitsstörungen zu leben, sie bis zu einem gewissen Grad zu akzeptieren, auch steuern. Wenn ich rasch Hormone anbiete, muss ich jedenfalls auch über mögliche unangenehme Konsequenzen aufklären. Ich
MARIE-Studie bestätigt Risiken
Frauen, die länger als fünf Jahre eine Hormonersatztherapie (HRT) erhalten, haben ein bis zu 73 (Relativ-)Prozent erhöhtes Brustkrebsrisiko. Das hat die in Deutschland durchgeführte Fallkontrollstudie MARIE* ergeben. Fünf Jahre nach Absetzen der Hormonbehandlung besteht gegenüber Frauen, die nie Hormone einnahmen, allerdings kein erhöhtes Risiko mehr. Das spricht dafür, dass die HRT das Mammakarzinom nicht initiiert, sondern vielmehr ein vorhandenes Karzinom zum Wachstum anregt. Im Rahmen der Untersuchung waren fast 3500 an Brustkrebs erkrankte Frauen in einem strukturierten Interview unter anderem danach befragt worden, ob sie Hormone wegen Wechseljahrbeschwerden eingenommen hatten und wenn ja, welche Präparate und über welchen Zeitraum. Zum Vergleich wurden rund 6700 gesunde Frauen zwischen 50 und 74 Jahren befragt. «Es wurde häufig eingewandt, die Ergebnisse der amerikanischen Studien liessen sich nicht auf Deutschland mit seinen ganz anderen Verschreibungsgewohnheiten übertragen. Daher haben wir die verschiedenen Hormonpräparate, vor allem die unterschiedlichen Gestagene, genau erfasst. Dabei kommen wir zu ähnlichen Resultaten wie die Amerikaner», resümmiert Professor Dr. Jenny Chang-Claude, Studienleiterin am Deutschen Krebsforschungszentrum, die Ergebnisse, die Ende Mai im International Journal of Cancer online publiziert wurden. Die MARIE-Studie zeigte auch, dass die Art der HRT eine Rolle spielt. Das Brustkrebsrisiko verdoppelt sich demnach bei einer kontinuierlichen kombinierten HRT. Geringer ist es bei einer zyklischen kombinierten Therapie. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der amerikanischen WHIStudie fand sich auch das Risiko bei der reinen Östrogengabe um 15 Prozent erhöht. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Gestagenkomponenten schätzen die Studienautoren als gering ein. Viel wichtiger für das Brustkrebsrisiko scheint hingegen die Hormondosis. MARIE bestätigt demnach die Empfehlung, bei entsprechender Indikation eine möglichst niedrige Hormondosis über einen kurzen Zeitraum zu verabreichen.
*MARIE: Mammakarzinom Risikofaktoren-Erhebung
glaube, dass selbst Frauen, die stärkere Beschwerden haben, sich überlegen werden, ob sie die potenziellen Risiken der Hormontherapie in Kauf nehmen wollen. Es handelt sich bei der Menopause nicht um eine Erkrankung, auch wenn sie in unserer Gesellschaft dazu gemacht worden ist.
ARS MEDICI: Werden die betroffenen Frauen Ihrer Meinung nach ausreichend informiert? Mühlhauser: Ich glaube, Frauen mit Wechseljahrbeschwerden werden oft noch nicht in die Lage versetzt, eine informierte Entscheidung zu treffen. Ich begrüsse es deshalb sehr, dass das IQWiG* ein Merkblatt erstellt hat, mit dem sich jede Frau via Internet (www.gesundheitsinformation.de) sehr gut informieren kann.
ARS MEDICI: Frau Mühlhauser, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Uwe Beise.
* Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Köln
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