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Aktuelle Studien im «Lancet» und «New England Journal of Medicine» zeigen:
Osteoporosegene bestimmen das Frakturrisiko
Ob jemand an Osteoporose erkrankt, hängt sehr stark von seinen Erbanlagen ab. Heute geht man davon aus, dass die Knochenmineraldichte bis zu etwa 80 Prozent genetisch determiniert ist, auch wenn andere Faktoren wie Bewegungsmangel, hormonelle Einflüsse und Bewegungsmangel sicher ihren Beitrag leisten. Jetzt hat eine im «Lancet» (2008; 371: 1505–1512) publizierte Studie nachgewiesen, dass es OsteoporoseGene gibt, die in der Bevölkerung weitverbreitet sind. Tim Spector und Brent Richards vom King’s College in London verglichen die Genome von mehr als 2094 Zwillingen an über 314 075 Abschnitten, an denen sogenannte Single Nucleotide Polymorphisms (SNP) bekannt sind. Dabei stiessen die Forscher an zwei Positionen, auf Besonderheiten, welche die genetische Prädisposition erklären helfen könnten: auf dem Chromosom 11 ist es das Gen für LRP5
(lipoprotein-receptor-related protein); es kodiert einen Oberflächenrezeptor auf Osteoblasten, der die Knochenbildung stimuliert. Weitere SNP fanden die Forscher auf dem Chromosom 8. Hiervon ist Osteoprotegerin, ein Rezeptor, über den die Knochenresorption reguliert wird, betroffen. Das Besondere an den Befunden erklärt Spector so: «Jeder fünfte Erwachsene hat eine der Risikovarianten, durch die sich das Osteoporose- und Frakturrisiko um 30 Prozent erhöht.» Für den einzelnen Genträger steigt das Risiko aber um weniger als 10 Prozent. Die Variation der Knochenmineraldichte sei durch die gefundenen Polymorphismus auch nur zu einem geringen Teil erklärt, schreiben Joseph Zmuda und Candace Kammerer von der Universität Pittsburgh in einem begleitenden Editorial. Viele weitere häufig vorkommende Genvarianten sind ihrer
Meinung nach noch unentdeckt und warten darauf, ans Licht gebracht zu werden. Immerhin bedeute die Studie einen wichtigen Schritt hin zu einem besseren Verständnis der genetischen Grundlagen der Osteoporose, schreiben die Editorialisten. Die Existenz von SNP im Osteoprotegeringen wurde unterdessen von einer Arbeitsgruppe um Unnur Styrkarsdottir aus Reykjavik bestätigt. Ihr gehören Mitglieder der amerikanisch-isländischen Firma deCODE an, die Zugriff auf den genetischen Code der isländischen Bevölkerung hat. In ihren Analysen, die am 29. April im «New England Journal of Medicine» online publiziert wurden (www.nejm.org), fanden die Wissenschaftler weitere Gene, die mit der Osteoporose assoziiert sind – einige von ihnen waren bereits bekannt, andere stehen nun erstmals mit der Osteoporose in Verbindung. ■
U.B.
Harsche Töne und Marschmusik
John Kastelein hätte sich bei der Planung der ENHANCE-Studie nicht träumen lassen, welchen Wirbel die Ergebnisse acht Jahre später auslösen würden und welchen Angriffen er dadurch ausgesetzt sein würde. Der holländische Kardiologe war sich nach eigenen Worten zu 99 Prozent sicher, dass die Kombination aus Statinen mit dem Lipidsenker Ezetimib das ateriosklerotische Risiko senken würde. Aber es kam anders: Die Intima-Media-Dicke liess sich durch diese Behandlung nicht beeinflussen. Nach der Präsentation der unerwarteten Ergebnisse musste sich Kastelein beim amerikanischen Kardiologenkongress in Chicago von seinem Kollegen Krumholz eine ungewöhnlich grimmig vorgetragene Entgegnung gefallen lassen. Dieser stellte in Frage, ob die Wirkung der Statine auf die Gefässe durch andere Lipidsenker überhaupt gesteigert werden könne. Gelegenheit darauf zu reagieren bekam Kastelein nicht: «Ich er-
warte eigentlich von einem Panel, dass die Ergebnisse in einer echten wissenschaftlichen Diskussion erörtert werden können», erboste er sich. (Nun, inzwischen haben sich die Dinge beruhigt und der Stand der Diskussion ist überschaubar geworden – siehe Seite 427). Diese zentrale Session hatte es überhaupt in sich und trug bisweilen skurrile Züge: Nachdem der vielköpfige ACC-Vorstand unter Musikbegleitung im Gänsemarsch
eingelaufen war, wurden dessen Mitglieder
in einer fernsehreifen Darbietung einzeln
vorgestellt. Was folgte, versetzte so man-
chen Europäer in ungläubiges Staunen:
Eine Militärkapelle, angeführt von bewaff-
neten Soldaten, marschierte in die vollbe-
setzte Halle und schmetterte zusammen
mit dem Publikum stehend die amerikani-
sche Nationalhymne. Ein Kardiologenkon-
gress, der wirklich ans Herz ging.
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K.D.
412 ARS MEDICI 10 ■ 2008