Transkript
STUDIE
Folsäuresupplementation zur Hirnschlagprävention
Eine Metaanalyse versucht,
die Frage zu beantworten, ob
eine Folsäuresupplementation
in der Primärprävention von
Hirnschlägen sinnvoll ist.
LANCET
Seit 1969 wird für die schwefelhaltige Aminosäure Homocystein postuliert, dass sie einen Einfluss auf atherosklerotische Prozesse hat. Entsprechend werden erhöhte Homocysteinspiegel im Blut als beeinflussbarer, unabhängiger Risikofaktor für koronare Herzkrankheit, Hirnschlag und tiefe Venenthrombose propagiert. Die anfängliche Evidenz kam aus Fall-Kontroll-Studien, aber auch genetische Untersuchungen und eine Metaanalyse prospektiver Studien legten eine kausale Rolle nahe. Allerdings sind die bisher berichteten Studienergebnisse sehr inkonsistent, und eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch homocysteinsenkende Therapien konnte in randomisierten Studien nicht bewiesen werden. Für diese Diskrepanz zwischen frühen Beobachtungsstudien und den neueren klinischen Studien könnten verschiedene Faktoren verantwortlich sein. So erfolgten die neueren Studien allesamt bei Patienten mit vorbestehender kardiovaskulärer Schädigung im Rahmen der Sekundärprävention. Vielleicht ist es dann für eine Schutzwirkung von Folsäure schon zu spät. Zudem ist die Herz-Kreislauf-Erkrankung eine heterogene klinische Einheit, sodass einzelne klinische Endpunkte auf eine Folsäuresupplemen-
tation unterschiedlich ansprechen könnten. Ein weiterer Einfluss ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig: In gewissen Ländern, etwa den USA oder Kanada, ist die Folsäureanreicherung von Getreideprodukten seit 1998 voll implementiert – und tatsächlich ist dort für die Jahre 1998 bis 2002 eine deutliche Beschleunigung der Abnahme der Hirnschlagmortalität in allen Bevölkerungsschichten zu erkennen. Im Gegensatz dazu gab es in England und Wales, wo die Folsäureanreicherung (ebenso wie in der Schweiz) nicht obligatorisch ist, zwischen 1990 und 2002 keine signifikante Veränderung der Hirnschlagsterblichkeit. Die Autoren der vorliegenden Metaanalyse werteten dies als deutlichen Hinweis auf eine mögliche, besonders günstige Auswirkung einer Folsäuresupplementation auf den Krankheitsendpunkt Hirnschlag.
Methodik Die Autoren suchten in den üblichen Quellen nach allen randomisierten, kontrollierten Studien, die den Einfluss einer mindestens sechsmonatigen Folsäuresupplementation (mit oder ohne zusätzliche B-Vitamin-Zufuhr) auf das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen untersucht und den Endpunkt Hirnschlag rapportiert hatten. Als Mass für den Effekt der Folsäuresupplementation auf das Hirnschlagrisiko diente das relative Risiko (RR) in einem Random-Effect-Modell.
Ergebnisse Von den gesammelten Studien entsprachen schliesslich 8 Untersuchungen den Einschlusskriterien der Metaanalyse (je 3 in den USA und Europa, je 1 in Australien und Neuseeland).
Merksätze
■ Genetische und ältere Beobachtungsstudien lassen erhöhte Homocysteinspiegel im Blut als unabhängigen Risikofaktor für atherosklerotische Erkrankungen erscheinen.
■ Entsprechend müsste eine therapeutische Senkung der Homocysteinkonzentration, beispielsweise mittels Folsäuresupplementation, einen Beitrag zur Senkung des kardiovaskulären Risikos leisten.
■ Kontrollierte Studien haben bisher jedoch widersprüchliche Resultate gebracht.
■ Eine neue Metaanalyse untersuchte den Einfluss auf das Hirnschlagrisiko und fand für die Folsäuresupplementation eine signifikante Schutzwirkung.
Die Folsäuresupplementation reduzierte das Hirnschlagrisiko um 18 Prozent (RR 0,82, 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,68–1,00; p = 0,045). Entsprechende statistische Analysen ergaben keine Hinweise auf signifikante Heterogenität. Unter Berücksichtigung weiterer Faktoren ergab sich zusätzlich ein grösserer Behandlungsnutzen bei einer Supplementationsdauer von mehr als 36 Monaten (RR 0,71, 95%-KI 0,57–0,87; p = 0,001), bei einer mehr als 20-prozentigen Abnahme des Homocysteinspiegels (RR 0,77, 95%-KI 0,63–0,94; p = 0,012), wenn gleichzeitig keine oder nur eine teilweise Folsäureanreicherung in Mehlprodukten erfolgte (RR 0,75, 95%-KI 0,62–0,91; p = 0,003) und auch dann, wenn anamnestisch kein Hirnschlag bekannt war (RR 0,75, 95%-KI 0,62–0,90; p = 0,002).
Diskussion «Unsere Metaanalyse bietet kohärente Evidenz, dass die Folsäuresupplementation das Hirnschlagrisiko in der
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FOLSÄURESUPPLEMENTATION ZUR HIRNSCHLAGPRÄVENTION
Primärprävention signifikant verringern kann», schreiben die Autoren. Eine letztes Jahr publizierte Metaanalyse von Bassano et al. war noch zum gegenteiligen Schluss gekommen. Auch dort ergab sich jedoch eine signifikante positive Assoziation, nachdem eine einzelne Studie an Patienten nach Hirnschlag aus der Berechnung entfernt worden war. Dass zwischen der Länge der Folsäuresupplementation und dem Hirnschlagrisiko eine inverse Relation besteht, deuten die Autoren als Hinweis auf eine kausale Wirkung der Folsäurezufuhr. Dieselbe Beobachtung war in den einzelnen Studien ebenfalls gemacht worden. In der HOPE-2-Studie ergab sich ein günstiger Effekt erst nach 36-monatiger Intervention, und der Unterschied zwischen Kontrollen und mit zusätzlicher Folsäure versorgten Teilnehmern schien mit der Zeit zuzunehmen.
«Weitere Evidenz für eine kausale Beziehung bietet unsere Beobachtung, dass in Ländern mit Folsäure-Anreicherung von Getreideprodukten die zusätzliche Supplementation mit Folsäure wenig Auswirkungen auf das Hirnschlagrisiko hatte», schreiben Wang und Mitautoren. Da sich in Ländern ohne Folsäureanreicherung mit der Folsäuresupplementation eine signifikante Senkung des Hirnschlagrisikos erzielen liess, ist diesem Aspekt auch in der Wertung von Interventionsstudien Rechnung zu tragen. Wichtig dürfte dabei aber auch das Ausmass der erzielten Homocysteinreduktion im Blut sein. Hier sahen die Autoren eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, die sie als Hinweis werten, dass die Homocysteinabsenkung ein valabler SurrogatBiomarker für das Hirnschlagrisiko ist. Obwohl es Evidenz dafür gibt, dass eine Folsäuresupplementation das Risiko für
Hirnschlag senken kann, bleibt die Kontroverse hinsichtlich anderer kardiovaskulärer Endpunkte bestehen. Auch diese Metaanalyse unterliegt den begrenzenden Bedingungen jeder derartigen Untersuchung, wie die Autoren anmerken. Die hier referierten Ergebnisse sollten also noch durch grosse klinische Studien bestätigt werden, die zurzeit laufen. ■
Xiaobin Wang et al.: Efficacy of folic acid supplementation in stroke prevention: a meta-analysis. Lancet 2007; 369: 1876–1882.
Interessenlage: Die Autoren deklarieren, keine Interessenkonflikte zu haben.
Halid Bas
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