Transkript
FORTBILDUNG
Gynäkologie in der Hausarztpraxis
Krankheiten und Beschwerden der älteren Frau
Beratungsursachen, die gynäkologische Kenntnisse erfordern, kommen in einer Häufigkeit
Merksätze
von immerhin 8 Prozent in der Hausarztpraxis vor. Besonders häufig suchen Frauen nach der Menopause hausärztlichen Rat, sei es wegen des langjährigen Vertrauensverhältnisses oder weil der Weg zum Gynäkologen ihnen zu weit
■ Altersprobleme wie Harninkontinenz, vulvovaginaler Pruritus und Kohabitationsbeschwerden können vom Hausarzt auch unter Einbeziehung des Partners erfragt werden.
■ Die hausärztliche, routinemässige Palpation der Mammae im Rahmen anderer Beratungsursachen (z.B. Auskultation) sollte bei allen Frauen über 50 erfolgen.
erscheint. Hausbesuche oder auch Gespräche
mit der Praxisassistentin bieten Anlässe, die
Patientinnen auch auf mögliche gynäkolo-
gische Probleme direkt anzusprechen.
PETER GRÜNDAHL
Nach der Menopause treten vermehrt Beschwerden und Erkrankungen auf wie Osteoporose, Arteriosklerose, Psycholabilität, Urininkontinenz, Haut- und Schleimhautatrophie, Keratoconjunctivitis sicca und Gelenkbeschwerden. Zur Früherkennung oder zum Ausschluss postmenopausaler Erkrankungen ist eine gezielte Befragung erforderlich (Kasten 1).
Osteoporose Etwa 20 Prozent aller Frauen erkranken an einer behandlungsbedürftigen postklimakterischen Osteoporose. Durch erhöhten Knochenabbau führt sie in der Spätfolge zu Lenden- und Brustwirbelfrakturen (Witwenbuckel), Schenkelhalsfrakturen, Humerusfrakturen oder Radiusfrakturen durch Bagatelltraumen. Einfache Hinweise ergibt die körperliche Untersuchung (Kasten 2). Durch Sinterung der Wirbelkörper nimmt die Körpergrösse ab (Vergleich aktuell und Personalausweis). Bei der Inspektion des Rückens weisen die Hautfalten wie Zweige eines Tannenbaums nach unten. Im Vergleich zur Spannweite der
Arme scheint der Rumpf verkürzt. Bei einem grossbogigen Rundrücken zeigt der Körperschwerpunkt nach hinten bei gleichzeitig nach vorne gehaltenem Kopf. Durch die Verkürzung des Abstands unterer Rippenbogen/Hüftschaufel zeigen auch sehr schlanke Frauen einen auffallenden Bauch (Abbildung 1). Sie klagen über chronische, diffuse Rückenschmerzen, zunächst bewegungsabhängig, dann im Stehen, Sitzen oder Liegen. Bei raschem Verlauf einer Osteoporose (fast looser) kann es zu einem jährlichen Knochenmasseverlust von 10 Prozent und mehr kommen.
Harninkontinenz und vulvovaginaler Pruritus Aus Schamhaftigkeit werden von vielen älteren Frauen oft eine Harninkontinenz und vulvovaginaler Juckreiz verschwiegen. Der Östrogenmangel führt zu einer Atrophie der urogenitalen Schleimhäute mit Störungen der Scheidenflora und erhöhter Infektanfälligkeit. Schrumpfung von Blasen- und Harnröhrenschleimhaut begünstigt die Inkontinenz. Die Atrophie der Vulva führt zu einem quälenden Juckreiz (Craurosis vulvae). Aus ihr kann sich über eine Leukoplakie (Abbildung 2) ein Vulvakarzinom entwickeln. Gezielt sollte der Hausarzt bei älteren Frauen erfragen, ob sie Vorlagen tragen müssen und nachts wegen eines vulvovaginalen Pruritus aufstehen müssen. Nach Karzinomausschluss kann eine lokale Östrogentherapie (z.B. OestroGynaedron® Neu, Ortho-Gynest®, Ovestin®) schnelle Linderung bringen und das Vulvakarzinom vermeiden helfen. Auch bei Kohabitationsbeschwerden führt diese Therapie zu Linderung bis Beschwerdefreiheit.
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FORTBILDUNG
Abbildung 1: 56-jährige (!) Patientin mit Osteoporose: Witwenbuckel, Hände erreichen die Kniekehlen, Rippen auf dem Beckenkamm, «Tannenbaum-Phänomen» (Hautfalten am Rücken)
Sexualität im Alter Frauen und Männer können bis ins hohe Alter lieben und sexuell aktiv sein. Das Bedürfnis nach Liebe, Zärtlichkeit und Sexualität kann bis zum Tode erhalten sein und wird oft tabuisiert. Auch im Umgang mit den Angehörigen alter Patienten oder mit dem Pflegepersonal muss der Hausarzt auf dieses urmenschliehe Bedürfnis hinweisen. Kohabitationsprobleme sind häufig organisch bedingt (s.o.) und können dem Partner gegenüber nicht immer verbalisiert werden. Da altersbedingte Beschwerden («trockene Scheide», Juckreiz der Vulva, Libidostörungen, Potenzverlust) oft verschwiegen werden, sollte der Hausarzt sie direkt erfragen und auf die Therapiemöglichkeit hinweisen (Tabelle). Die Demografie zeigt, dass 75 Prozent aller Frauen über 60 alleinstehend, 75 Prozent aller Männer über 60 verheiratet sind. Sexuelle Pro-
Kasten 2: Wichtige Zeichen der klinischen Osteoporose
■ langsam zunehmende, zunächst diffuse Rückenschmerzen ■ eingeschränkte Mobilität ■ zunehmende BWS-Kyphose ■ überlanges Erscheinen der Arme ■ verkürzter Oberkörper ■ dicker Bauch ■ nach dorsal verlagerter Körperschwerpunkt ■ «Tannenbaum»
bleme sind bei Mann und Frau etwa gleich häufig vertreten, das grösste Problem dieser Altersgruppe ist das Fehlen eines Partners. Körperliche Probleme werden oft nicht verbalisiert und sind therapeutisch meist leicht beeinflussbar.
Frühzeichen gynäkologischer Tumoren Gynäkologische Tumoren imitieren oft das Bild anderer Gesundheitsstörungen (Kasten 4), weil Veränderungen an Uterus und Ovarien häufig zuerst Verdrängungserscheinungen bewirken. Sie entgehen der abdominellen Palpation, solange sie nicht wesentlich vergrössert sind. Das häufigste Karzinom der Frau ist das Mammakarzinom (Abbildung 3). Die Inzidenz steigt ab dem 30. Lebensjahr steil an. Frühsymptom ist ein tastbarer, nicht verschieblicher Knoten (Kasten 3), 80 Prozent der Knoten werden von der Frau ab einer Grösse von 2 cm selbst entdeckt. Ein geübter Untersucher findet
Kasten 1: Befragung bei Verdacht auf klimakterische Beschwerden
■ letzte Regel und Blutungsstörungen ■ Medikamenteneinnahme (Hormone!) ■ Blasen-, Scheiden- und Darmbeschwerden ■ Unterleibsoperationen ■ psychovegetative Beschwerden ■ Gewichtsveränderungen ■ Muskel-, Gelenk- und Rückenbeschwerden ■ Schlafstörungen, Depressionen ■ Genussmittelkonsum ■ Osteoporose in der Familienanamnese ■ Harninkontinenz ■ Unterleibsbeschwerden
Abbildung 2: 80-jährige Patientin, die als Begründung für ihre Schlaflosigkeit den quälenden nächtlichen vulvovaginalen Juckreiz angibt. Zu sehen ist eine perlmuttartige Aufhellung der Vulva. Beachte auch die rechte Labia majora im kranialen Anteil.
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GYNÄKOLOGIE IN DER HAUSARZTPRAXIS
Tabelle: Somatische altersbedingte Veränderungen und ihre Therapie
Befund Vaginalatrophie postkoitales Urintröpfeln koitale Schmerzen durch mangelnde Lubrikation und Scheidenschleimhautatrophie Libidoverlust von Mann oder Frau Potenzstörung des Partners
Therapie Lokaltherapie mit östrogenhaltigen Salben oder Cremes 1 x wöchentlich normale Reaktion, offenes Gespräch mit dem Partner, ggf. Vaginalcreme Vaginalcreme (s.o.)
direkte Ansprache durch den Hausarzt
Knoten ab 1 cm, Mammografie und Sonografie finden auch unterhalb dieser Grenze. 5 Prozent aller Mammatumoren entziehen sich der bildgebenden Diagnostik beziehungsweise sind ohne Histologie nicht eindeutig identifizierbar. In Deutschland erkranken jährlich 42 600, in der Schweiz 5200 Frauen an einem Mammakarzinom.
Zusammenarbeit mit den Spezialisten Gerade in ländlichen Gebieten haben viele Frauen grosse Bedenken, den Gynäkologen aufzusuchen. Bewährt hat es sich,
Kasten 3: Hinweiszeichen auf ein Mammakarzinom
■ deutlich tastbarer Tumor ■ Hauteinziehung über dem Karzinom ■ Mamillenretraktion ■ Apfelsinenhaut ■ Mamillensekretion
FORTBILDUNG
Kasten 4: Beschwerden durch Tumoren im kleinen Becken
■ Polyurie ■ Obstipation ■ Rückenschmerzen ■ Zunahme des Leibesumfanges ■ Dyspareunie ■ Fremdkörpergefühl
im Becken
■ Druck nach unten ■ Nierenschmerzen
(Ureterkompression) ■ vaginale Blutungen ■ Bild der Koxarthrose ■ Bild der Gonarthrose ■ Beinschmerzen
Abbildung 3: 72-jährige Patientin. Im Rahmen eines EKG betrachtet die Helferin den suspekten Befund: Mamille nach aussen ziehend, Haut strahlenförmig eingezogen. Der Tumor hat in Bildmitte die Haut durchbrochen.
im Beisein der Patientin einen Gynäkologen oder eine Gynäkologin anzurufen und einen Untersuchungstermin auszumachen. Da viele gynäkologische Eingriffe auch ambulant durchgeführt werden können, wie Abrasio, Konisation, Laparoskopie, Mamma-Probeexzision, können zusätzliche Ängste genommen werden.
Die Operationsvorbereitung durch den Hausarzt sollte auch zur Übermittlung von Risikofaktoren, Medikation und Dauerdiagnosen genutzt werden, zum Beispiel präoperative Heparinprophylaxe bei hormoneller Kontrazeption. Bei Kontinenzproblemen sollte nach dem Gynäkologen in der Regel auch ein Urologe zugezogen werden. Der Verdacht auf psychosomatische Erkrankungen des weiblichen Genitales kann eine zusätzliche Psychotherapie erforderlich machen. ■
Dr. med. Peter Gründahl Facharzt für Allgemeinmedizin und Gynäkologie
D-21640 Horneburg
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 15/2007. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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