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Cholesterin: gefährlichster kardiovaskulärer Risikofaktor
Experten befürchten in Europa bis zu 3 Millionen Tote pro Jahr
BERICHT
Schweizer Experten schätzen die Hypercholesterinämie als einen der wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren ein und beklagen das mangelhafte Cholesterinsenkungsmanagement in der Schweiz.
Kardiologie – Stand heute
Berichte und Neuigkeiten vom Kongress der American
Heart Association vom November 2007 in Orlando
Neben Hypertonie und Rauchen ist die Hypercholesterinämie der wichtigste behandelbare kardiovaskuläre Risikofaktor. Das bestätigt bei einem von der Firma MSD organisierten Pressegespräch Professor Bernhard Meier, Direktor und Chefarzt der Klinik für Kardiologie am Inselspital Bern. Und er ergänzt: «Verbunden mit der grossen Wichtigkeit in Bezug auf den krankheitsfördernden Effekt muss die Hypercholesterinämie insgesamt als Risikofaktor Nummer 1 in Primär- und Sekundärprävention betrachtet werden.» Beunruhigend ist für Meier die Tatsache, dass die Prävalenz der Hypercholesterinämie – angesichts der zunehmenden Neigung zu Übergewicht – in der Schweiz zurzeit auf über 50 Prozent geschätzt wird.
Sekundärprävention: Nur 3 von 10 Patienten erreichen die geforderten Zielwerte Dramatisch stellt sich die Situation in der Sekundärprävention dar: Die Studienlage zeigt nach Meinung aller Experten, dass hier bei 100 Prozent aller Patienten eine Cholesterinsenkung erfolgen muss. Nur, die Umsetzung ist alles andere als erfolgreich. Die Cholesterinsenkung in den Schweizer Arztpraxen wird als unzureichend eingeschätzt und die LDLCholesterinzielwerte werden nur bei einer Minderheit erreicht. Laut Professor
Spektakel in Orlando: zwischen AHA-Kongress und Universal Studios
Georg Noll, Leitender Arzt der Klinik für Kardiologie und Innere Medizin am Universitätsspital Zürich, erreichen nur gerade 30 Prozent der behandelten Risikopatienten die geforderten Richtwerte. Noll hält das vor dem Hintergrund einer Datenlage, die unzweifelhaft nachweist, dass die LDL-Cholesterinwerte kaum tief genug gesenkt werden können, für ausgesprochen unbefriedigend. Noll: «Es gilt weiterhin die Devise: The lower, the better!»
Suboptimale Umsetzung von bekannten Richtlinien und Massnahmen Die Gründe für die ungenügende Cholesterinsenkung sind vielseitig. An sich sinnvolle konventionelle Massnahmen wie Diätumstellung, Bewegungstherapie und Gewichtsreduktion erfordern die Mitarbeit der Patienten und sind deshalb in der Praxis nur sehr schwer umzusetzen. Um die geforderten Richtwerte zu erreichen, ist daher in den meisten Fällen
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BERICHT
Professor Dr. med. Bernhard Meier
Professor Dr. med. Georg Noll
Professor Dr. med. Roger Darioli
eine medikamentöse Behandlung unerlässlich. Und hier werden die Statine als wichtigste Cholesterinsenkergruppe in der Regel immer noch zu tief dosiert. Aus Angst vor Nebenwirkungen üben Ärztinnen und Ärzte eine unnötige Zurückhaltung vor höheren Statindosen. Ausserdem werden die neueren Cholesterinresorptionshemmer eher selten eingesetzt. Dies, obwohl Untersuchungen zeigen, dass durch die Kombination von Cholesterinsynthese- und Cholesterinresorptionshemmern die Zielwerte besser erreicht werden. Dazu Georg Noll: «Die Kombinationstherapie von einem Statin mit einem Cholesterinresorptionshemmer führt zu einer zusätzlichen 25-prozentigen LDL-Cholesterinreduktion, wohingegen die blosse Verdoppelung der Statindosis nur eine 6-prozentige Verstärkung der LDL-Senkung bewirkt.» Als weitere Ursachen für das ungenügende Cholesterinmanagement ortet er eine insuffiziente Kommunikation zwischen Verschreiber und Patient sowie mangelnde Compliance.
Ungenügendes Cholesterinsenkungsmanagement kostet langfristig Abgesehen von den individuellen medizinischen Aspekten gilt es, die sozioökonomischen Auswirkungen eines ungenügen-
den Cholesterinsenkungsmanagements zu berücksichtigen. Deshalb wurde auf europäischer Ebene die «Stockholm Network»-Initiative ins Leben gerufen. Sie ist getragen von einer gesamteuropäischen Dachgruppe aus Medizin, Politik und Wirtschaft. Ziel des Stockholm Network ist es, die aktuelle Cholesterinsenkungsstrategie in Europa zu beleuchten und Empfehlungen zur Vermeidung von die Volkswirtschaften belastenden Kostenfolgen bis zum Jahr 2020 zu geben. Dazu Professor Roger Darioli, Mitglied des Netzwerks und Chefarzt an der Medizinischen Poliklinik in Lausanne: «Wird die Therapie nicht in absehbarer Zeit verbessert, werden im Jahr 2020 über 3 Millionen der Todesfälle in Europa auf die Hypercholesterinämie zurückzuführen sein. Die Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen macht bereits heute den grössten Kostenanteil im Gesundheitswesen aus.» Er hält eine stärkere Förderung der Präventivmedizin und der persönlichen Verantwortung – auch über erhöhte individuelle Kostenbeteiligungen an der Gesundheitspflege – für notwendig.
Swiss Cholesterol Network Neben seinen Aktivitäten auf europäischer Ebene engagiert sich Darioli auch als Mitglied der Swiss-Cholesterol-Net-
work-Dachgruppe. Diese hat sich zum
Ziel gesetzt, das Cholesterinsenkungs-
management in der Schweiz nachhaltig
zu verbessern. Darioli: «Es besteht drin-
gender Handlungsbedarf. Stark verbes-
serte Präventionsmassnahmen sowie
eine breite, nachhaltige Aufklärungs-
kampagne in der Öffentlichkeit über das
Cholesterin als kardiovaskulärer Risiko-
faktor sowie über die Wichtigkeit von
richtiger Ernährung und ausreichender
Bewegung sind unabdingbar.»
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Pressegespräch vom 6. November 2007, anlässlich des Jahreskongresses der American Heart Association in Orlando. Der Anlass wurde organisiert von der Firma MerckSharp Dohme, die auch die Teilnahme finanziell ermöglichte.
Richard Altorfer
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