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PHARMA FORUM
Jahresfortbildungsveranstaltung der Universitäts-Frauenklinik Basel
Hormonersatztherapie der postmenopausalen Frau
Unter Berücksichtigung von Brust und Knochen und der Rolle der Androgene
ANNEGRET CZERNOTTA
Wachsendes Interesse wird derzeit den Androgenen innerhalb der Hormonersatztherapie entgegengebracht. Denn unter anderem scheinen sie wichtig in Bezug auf das Wohlbefinden und die Libido der Frau zu sein. Die Sicherheit und Effektivität der hormonellen Substitutionsbehandlung postmenopausaler Frauen müssen allerdings im therapeutischen Mittelpunkt stehen, wie am Symposium «Hormontherapie und Tibolon» in Basel zu hören war.
Das Vertrauen in die Hormonersatztherapie (HRT) ist nach Publikation der WHI-Studie weiterhin gestört. Ergebnisse der publizierten Studie wiesen unter der Langzeittherapie mit einer Östrogen-Gestagen-Kombination ein erhöhtes Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs, Thrombosen und Embolien nach.
Prof. Johannes Huber, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Wien, wiederholte zu Beginn des Symposiums die vor dem Sommer geäusserte provokative Kritik der amerikanischen Akademie der Wissenschaften, dass die durchgeführten Studien zur HRT einen zu simplen Aufbau hätten, als dass sie die jetzige Unsicherheit der Frauen rechtfertigen könnten. «Das Hauptproblem der WHI-Selektion lag darin, dass davon ausgegangen wurde, dass ein Hormonmangel vorhanden ist, wenn der Eierstock seine Produktion einstellt. Das ist aber ein Fehler», so Huber.
Rolle der Androgene Denn neben den Ovarien übernimmt auch das Brustgewebe einen Teil der Hormonversorgung. In der Brust werden Substanzen gebildet, die scheinbar der proliferativen Wirkung von Östrogen und Progesteron in der Brustdrüse entgegenwirken können (1). Die Balance zwischen diesen Androgenen und Östrogenen sei deshalb ein entscheidendes Faktum. Wenn diese Balance verloren geht, hat die Frau zu wenig dieser Androgene, das Gleichgewicht verschiebt sich zugunsten des Östrogens, und die Frau ist gefährdet für ein Mammakarzinom, erklärte Huber (2). Die klinisch relevanten Androgene der Frau sind das Androstendion, DHEA, DHEAS (Dehydroepiandrosteron/Dehydroepiandrosteron-Sulfat) und Testosteron. Androgene sind aber nicht nur für die Brust entscheidend. Bei der Frau kommt auch dem Testosteron Bedeutung für die weibliche Libido sowie für das allgemeine Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit zu. Androgene sind auch entscheidend für die Lipolyse und die Insulinresistenz (3). Mit zunehmendem Alter kann der defizitäre Androgenspiegel bei der Frau zur
gestörten Glukosetoleranz und zu Diabetes mellitus führen (4). Weitere Anzeichen eines Androgendefizits sind die Sarkopenie, eine Veränderung der «Body Composition» (Reiterhosen), Zellulitis, Veränderungen des Immunsystems und der Brust. Der ∆4-Metabolit von Tibolon (Livial®) (5) weist eine hauptsächlich gestagene und androgene Wirkung auf. Es wird vermutet, dass die Libidosteigerung und die Absenkung der Triglyzeride unter Tibolon auf die androgene Wirkung des ∆4-Metaboliten und den erniedrigten SHBG-(Sexualhormon bindendes Globulin)Spiegel zurückführbar sind. Die Indikation zur Behandlung einer Hypoandrogenämie liegt nach Angaben von Huber dann vor, wenn die Frau Libidoprobleme, Veränderung der Body Composition und der Brustgrösse beklagt. «Die HRT kann durch die Gabe von Androgenen nur sicherer und effizienter werden. Der Eierstock der postmenopausalen Frau darf nicht mehr allein betrachtet werden», meinte Huber zum Abschluss.
HRT und Brust Auch die Million-Women-Studie (MWS, [6]) zeigt, dass Frauen unter Einnahme einer kombinierten Progesteron-ÖstrogenTherapie eine erhöhte Inzidenz für die Entwicklung eines Mammakarzinoms aufweisen. Prof. Håkan Olsson, Department Onkologie, University Hospital, Lund, schränkte jedoch ein: «Die MWS zeigt, dass vor allem die Behandlungsdauer und die aktuelle HRT-Anwendung entscheidenden Einfluss auf die Inzidenz für Brustkrebs nehmen. Die MWS weist aber Mängel im Studiendesign auf, da sie in einer Sub-
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Hormonersatztherapie der postmenopausalen Frau
gruppe von Frauen durchgeführt wurde, die zur Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchung kamen, und zudem wurden nur Daten zur zuletzt angewandten HRT bezogen.» Auch für Tibolon ergab sich mit einem relativen Risiko von 1,45 (95%-Konfidenzintervall 1,25–1,68) ein erhöhtes Risiko für Mammakarzinom. Olsson: «Aufgrund der niedrigen Anzahl Frauen von 6 Prozent relativiert sich das Risiko für Tibolon. Hinzu kommt, dass Gynäkologen Tibolon vermehrt Hochrisikopatientinnen verordneten.» Er geht davon aus, dass Tibolon eine effektive und sichere HRT ist, weil es einen anderen Wirkungsmechanismus zeigt. Tibolon ist der erste Vertreter der Wirkstoffklasse STEAR (Selective Tissue Estrogenic Activity Regulator) und wirkt gewebeselektiv. Die Brust wird deshalb fast nicht stimuliert, ebenso das Endometrium (5, 7). «In der Regel weisen HRT, die einen Einfluss auf die Brustdichte nehmen, auch ein erhöhtes Risiko für ein Mammakarzinom auf», so das Fazit von Olsson. Allerdings bedarf es nach seinen Angaben weiterer Studiendaten zu Tibolon. Aufschluss geben wird in dieser Hinsicht die plazebokontrollierte, randomisierte LIBERATE-Studie (Livial Intervention following Breast Cancer: Efficacy, Recurrence And Tolerability Endpoints) bei Patientinnen nach Zustand mit Mammakarzinom. Erste Daten werden 2006 erwartet. Betreffend HRT gibt Olsson folgende Empfehlungen: ● Die HRT-Behandlung muss auf sympto-
matische Frauen individuell zugeschnitten werden. ● Die Behandlung soll bei Östrogen-Gestagen-Substitution über einen Zeitraum von zwei bis maximal vier Jahren erfolgen. ● Die kombinierte Therapie (kontinuierlich-kombiniert wie auch sequenziell) ist nur über kurze Zeit einzusetzen. ● Die Anwendung einer Östrogenmonotherapie, von Tibolon oder Östrogen und einem gestagenbeladenen IUD ist vorzuziehen, da diese Behandlungsanwendungen keine oder nur begrenzte Wirkungen auf das Brustkrebsrisiko haben (Studien zur Wirkung von Östrogen und Gestagen-IUD auf die Brust fehlen allerdings).
● Nach Hysterektomie ist nur HRT mit Östrogen einzusetzen.
● Wichtig ist eine Dokumentation von Brustdichte und Proliferation unter einer HRT.
Als Schutzfaktoren für die Inzidenz des Mammakarzinoms haben sich unter anderem Multiparität, langes Stillen, späte Menarche, frühe Menopause, Aromataseinhibitoren, physische Aktivität und eine Oophorektomie herausgestellt.
HRT und Knochen Die postmenopausale Osteoporose beruht vor allem auf einer hormonellen Insuffizienz der Frau, indem das Östrogen sinkt. Neben dem persönlichen Leid durch Bewegungseinschränkung und Immobilität ist die Osteoporose zudem auch eine finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem, meinte Prof. Janice Rymer, Guy’s und St. Thomas’ Hospital, London. Die Möglichkeit der Osteoporoseprävention durch eine HRT ist seit den Achtzigerjahren bekannt. Allerdings stoppten 60 Prozent der Frauen die kombinierte HRT nach acht Monaten aufgrund von Blutungen auch wieder (8). Es braucht von daher eine Behandlung, die gut verträglich ist und unter der Frauen nicht bluten. Zur Verfügung stehen die kombiniert-kontinuierliche Therapie, selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERM), die Östrogen-Monotherapie, gestagenbeladenes IUD oder Tibolon (STEAR). «58 Prozent der Frauen nahmen nach zehn Jahren noch immer Tibolon ein. Nach zwei Jahren waren es sogar 70 Prozent. Tibolon zeigt eine sehr gute Verträglichkeit und Effektivität zur Osteoporoseprävention», so Rymer (9, 10). In der Studie von J.C. Gallagher (11) zeigte sich zudem, dass bei jeder Dosierung über 0,3 mg Tibolon Verbesserungen in der Knochendichte messbar sind. Studien zur Frakturrisikosenkung unter Tibolon liegen allerdings nicht vor. Deshalb läuft derzeit die plazebokontrollierte LIFT-Studie (Longterm Intervention of Fractures with Tibolone), die Daten zur Frakturrisikosenkung liefern wird, aufgrund der signifikanten Wirkung auf die Knochendichte allerdings mit einer Dosierung von 1,25 mg Tibolon
statt 2,5 mg. Erste Ergebnisse werden
ebenfalls für 2006 erwartet.
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Quelle: «Hormontherapie und Tibolon» an der XXXIX. Jahresfortbildungsveranstaltung der Universitäts-Frauenklinik Basel zusammen mit der Schweizerischen Menopausengesellschaft und der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose vom 9. September 2004 in Basel.
Referenzen: 1. Labrie et al.: Endocrine and intracrine sources of androgens in women: inhibition of breast cancer and other roles of androgens and their precursor dehydroepiandrosterone. Endocrine Rev 2003; 24: 152–158. 2. Dimitrakakis C. et al.: A physiological role for testosterone in limiting estrogenic stimulation of the breast. Menopause 2003; 10: 292–298. 3. Redmond G.P.: Hormones and sexual function. Int J Fertil Women Med 1999; 44: 193–197. 4. Gaspard U.J. et al.: Postmenopausal changes of lipid and glucose metabolism: a review of their main aspects. Maturitas 1995; 21: 171–178. 5. Kloosterboer H.J.: Tissue-selectivity: the mechanism of action of tibolone. Maturitas 2004; 48 Suppl. 1: 30–40. 6. Million Women Study Collaborators. Breast Cancer and hormone-replacement therapy in the Million Women Study. Lancet 2003; 363: 419–427. 7. Kloosterboer HJ.: Tissue-selective effects of tibolone on the breast. Maturitas 2004; 49: 5–15. 8. Ryan P.J. et al.: Compliance with hormone replacement therapy (HRT) after screening for postmenopausal osteoporosis. Br J Obstet Gynaecol. 1992; 99: 325–328. 9. Rymer J. et al.: Effect of 8 Years of Treatment with Tibolone 2,5 mg Daily on Postmenopausal Bone Loss. Osteoporo Int 2001; 12: 478–483. 10. Berning B. et al.: Tibolone and its effects on bone: a review. Climacteric 2001; 4: 120–136. 11. Gallagher J.C. et al.: Prevention of bone loss with tibolone in postmenopausal women: results of two randomized, double-blind, placebocontrolled, dose-finding studies. J Clin Endocrinol Metab 2001; 86: 4717–4726.
Annegret Czernotta
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