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Medikamentöse Gewichtsreduktion bei Typ-2-Diabetes
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Eine Metaanalyse dokumen-
tiert für Fluoxetin, Orlistat
und Sibutramin bescheidene,
aber statistisch signifikante
Abnahmen von Gewicht und
HbA1c bei Typ-2-Diabetikern.
Typ-2-Diabetikerinnen und -Diabetiker sind grossmehrheitlich übergewichtig, und ihr Übergewicht verschlechtert die metabolische Situation. Bei übergewichtigen Diabetikern ist daher die Gewichtsreduktion ein Eckpfeiler jeder Therapie, da auf diese Weise Insulinsensitivität und Blutzuckerkontrolle verbessert werden. Zusätzlich beeinflusst bei diesen Patienten ein Gewichtsverlust auch Lipidprofile, Blutdruck, psychische Gesundheit und Lebensqualität günstig. Von nichtdiabetischen Übergewichtigen ist bekannt, dass Diät und Verhaltenstherapie im Durchschnitt zu einem Gewichtsverlust von 8 Prozent des initialen Körpergewichts über drei bis zwölf Monate führen. Ebenso bekannt ist, dass nach einer erfolgreichen Intervention die Mehrheit der übergewichtigen Patienten die meisten der verlorenen Kilos bald wieder zunehmen. Dies gilt auch für Zuckerkranke, zudem haben Studien gezeigt, dass Diabetiker mehr Mühe haben, ihr Gewicht zu reduzieren und den Gewichtsverlust längerfristig zu erhalten. Patienten, denen mit Diät und Verhaltenstherapie kein zufrieden stellender Gewichtsverlust gelun-
gen ist, können Kandidaten sein für eine unterstützende Pharmakotherapie.
Methodik
Die Autorinnen und Autoren der vorliegenden Untersuchung wollten daher mittels einer systematischen Übersicht und Metaanalyse die Wirksamkeit der Pharmakotherapie zur Gewichtsreduktion und -kontrolle bei Typ-2-Diabetikern abschätzen. Nach Methoden der Cochrane Collaboration sammelten sie Studien zum Thema, die in den letzten Jahrzehnten publiziert wurden und suchten auch nach unpublizierten Studien. Ihr Fokus waren dabei Medikamente, die zur Zeit in den USA erhältlich sind. Für die Berücksichtigung spielte die Art weiterer gleichzeitiger Interventionen wie Diätberatung oder Verhaltenstherapien keine Rolle.
Resultate
Für 59 Studien trafen die Einschlusskriterien zu. Von diesen wurden 39 für die Metaanalyse ausgeschlossen, da die Daten unvollständig waren oder es sich nicht um randomisierte kontrollierte Studien handelte. Ausreichende Daten für die Analyse boten schliesslich sechs Studien mit Fluoxetin (Fluctine® u. Generika) und je vier Studien mit Orlistat (Xenical®) beziehungsweise Sibutramin (Reductil®) an insgesamt 2231 Patienten. Die Pharmakotherapie mit den drei erwähnten Substanzen bewirkte eine statistisch signifikante, bescheidene Gewichtsreduktion. Für Fluoxetin betrug sie 3,4 kg (95%-KI 1,7–5,2 kg) nach einem Followup von 8–16 Wochen sowie 5,1 kg (3,3–6,9 kg) nach 24–30 Wochen und 5,8 kg (0,8–10,8 kg) nach 52 Wochen. Für Orlistat machte der Gewichtsverlust nach
Merk-
sätze
q Ein systematischer Review zur medikamentösen Gewichtssenkung bei fettleibigen Typ-2-Diabetikern fand ausreichende Daten für die drei Wirkstoffe Fluoxetin, Orlistat und Sibutramin.
q Die Metanalyse von 14 randomisierten kontrollierten Studien ergab mit diesen Wirkstoffen statistisch signifikante, aber bescheidene Gewichtsverluste von 2,6 bis 4,5 kg oder 2 bis 3 Prozent des ursprünglichen Körpergewichts.
q Die langfristigen Behandlungsnutzen und die Langzeitsicherheit der medikamentösen Gewichtssenkung bleiben unklar.
q Behandlungskonzepte, die eine Pharmakotherapie mit Verhaltensinterventionen kombinieren, könnten effektiver sein, bedürfen aber noch weiterer Forschung.
52 Wochen 2,6 kg (2,1–3,2 kg) aus, entsprechend einer Abnahme von 2,6 Prozent vom Ausgangsgewicht. Sibutramin bewirkte einen Gewichtsverlust von 4,5 kg (1,8–7,2 kg) nach einer Beobachtungszeit von bis zu 26 Wochen; dies entspricht einer Abnahme von 3,3 Prozent des initialen Gewichts. Auch das glykosilierte Hämoglobin (HbA1c) wurde in bescheidenem Umfang reduziert, zum Beispiel für Fluoxetin um 1,8 Prozent, für
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Orlistat um 0,4 Prozent und für Sibutramin um 0,7 Prozent nach 52 Wochen. Gastrointestinale Nebenwirkungen waren häufig unter Orlistat, hingegen Tremor, Somnolenz und Schweissausbrüche unter Fluoxetin sowie Palpitationen unter Sibutramin. Die vier Studien mit Sibutramin zeigten eine signifikante Heterogenität sowohl bei der Gewichts- als bei der HbA1cReduktion. Eine Studie mit hoher Sibutramin-Dosierung (2 x 10 mg/Tag) fiel aus dem Rahmen und bewirkte ausgeprägtere Reduktionen von Gewicht und HbA1c. Wurde diese Untersuchung nicht berücksichtigt, fielen die gepoolten Abnahmen von Gewicht und HbA1c deutlich geringer aus (2,5 kg [1,8–3,2 kg] und 0,2 Prozent [-0,1%–0,4%]).
Diskussion
Die Autorinnen und Autoren kommentieren ihre Ergebnisse wie folgt: «Diese Metaanalyse bietet Evidenz, dass Fluoxetin, Orlistat und Sibutramin einen bescheidenen («modest»), aber statistisch signifikanten kurzzeitigen Gewichtsverlust bewirken können, wenn sie als primäre Strategie zur Übergewichtsreduktion eingesetzt werden». Obwohl diese Gewichtsabnahme in einem Bereich von 2,6 bis 4,5 kg oder 2 bis 3 Prozent des ursprünglichen Körpergewichts klein sei, gebe es Hinweise aus der Allgemeinbevölkerung, dass auch ein bescheidener Gewichtsverlust Gesundheitsvorteile bieten könne. Auch über einen Bereich, wie er hier dokumentiert ist, sind positive Assoziationen zwischen Gewichtsabnahme und Blutdruck, Blutzucker und Lipidspiegeln bekannt. Da die Beobachtungszeiten in den
Studien mit den drei Wirkstoffen begrenzt waren, bleiben die Langzeitauswirkungen auf Gewicht- und Gesundheitsverlauf bei Typ-2-Diabetikern unsicher, schreiben die Autoren. Da in Behandlungsstudien zudem erfahrungsgemäss hoch selektierte Patienten behandelt werden, lassen sich die Ergebnisse auch nur auf ähnliche Populationen übertragen, nicht aber auf andere, insbesondere ältere Patienten. Fluoxetin und Orlistat hatten statistisch signifikante Effekte auf das HbA1c, Orlistat war zudem assoziiert mit signifikanten Verbesserungen bei Cholesterin, LDL-Lipoprotein und Trigylzeriden, die sich über bis zu 52 Wochen Beobachtungszeit erhielten. Von den an sich bescheidenen Verbesserungen dürfte man sich eine Abnahme der Häufigkeit ischämischer Herzerkrankungen erhoffen. Insgesamt bleibt aber unklar, ob die in diesem Review beobachteten positiven Veränderungen bei der Glykämiekontrolle und den Lipidspiegeln langfristig erhalten bleiben, sodass sie das Risiko von Diabeteskomplikationen senken können. Die Qualität der einzelnen Studien war ziemlich konsistent, schreiben die Autoren, allerdings mit den üblichen methodischen Schwächen bei den Angaben zur Therapieallokation und Randomisierung. Alle drei Wirkstoffe wurden in den Studien gut vertragen und riefen nur sehr selten schwerwiegendere Nebenwirkungen hervor. Grössere kardiovaskuläre Nebenwirkungen wurden in den Behandlungsstudien unter Sibutramin nicht beobachtet, und Rhythmusstörungen waren in den Behandlungs- und Kontrollgruppen ähnlich häufig. Bei nichtdiabetischen Patientenkollektiven können umfassende, intensive Gruppenverhaltenstherapien ohne pharmako-
logische Unterstützung zu einem Gewichtsverlust von 8 bis 10 kg nach sechs Monaten führen, wobei etwa ein Drittel des Gewichtsverlusts nach einem Jahr wieder «aufgeholt» wird. Auch nach anderen Beobachtungen scheint die Pharmakotherapie bei übergewichtigen Diabetikern nach einem Jahr nicht wirksamer zu sein als die Verhaltenstherapie. Klarerweise muss Fettleibigkeit bei Zuckerkranken langfristig aggressiv behandelt werden, ebenso wie irgendein anderer kardiovaskulärer Risikofaktor. Die Autorinnen und Autoren sehen aber zur medikamentösen Gewichtsreduktion bei Diabetes noch viele Fragen offen. Insbesondere wäre es wichtig zu wissen, ob die Kombination von Pharmakotherapie und Interventionen zur Lebensstiländerung die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung verbessert, ob solche Kombinationen synergistisch oder additiv wirken und welche Dosierungsschemata sowie welche Sequenz der Interventionen optimal ist.
Susan L. Norris (Division of Diabetes Trans-
lation, National Center for Chronic Disease
Prevention and Health Promotion, Centers
for Disease Control and Prevention, Atlan-
ta/USA) et al.: Efficacy of pharmacotherapy
for weight loss in adults with type 2 diabe-
tes mellitus. Arch. Intern. Med. 2004; 164:
1395–1404.
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Halid Bas
Interessenlage: Die Studie wurde unterstützt durch die Centers of Disease Control and Prevention, Atlanta. Einer der Autoren deklariert Forschungsgelder der Firma Roche für seinerzeitige Studien mit Orlistat.
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