Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Aufgepasst bei Bauchschmerzen und Sterilität
Endometriose wird häufig verkannt
KONSTANTIN MANOLOPOULOS, M A R E K Z Y G M U N T, U W E L A N G UND HANS-RUDOLF TINNEBERG
Endometriose ist die zweithäufigste benigne Erkrankung der Frau im reproduktiven Alter. Da die Beschwerden jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt und oft unspezifisch sind, wird die Diagnose vielfach erst spät gestellt. Insbesondere bei rezidivierenden Unterbauchbeschwerden und Infertilität sollte man auch an eine Endometriose denken. Durch eine adäquate Therapie lassen sich die Beschwerden lindern und Folgeschäden dieser chronisch rezidivierenden Erkrankung minimieren.
Bei der Endometriose findet man funktionell aktive endometriale Drüsen und Stroma ausserhalb des Cavum uteri, bevorzugt im kleinen Becken (Abbildung 1 und 2), aber auch in anderen Körperregionen wie Gastrointestinaltrakt, ableitenden Harnwegen oder Lunge (Tabelle). Man schätzt, dass 4 bis 12 Prozent aller Frauen im reproduktiven Alter eine Endometriose entwickeln (22). Bei Infertilität liegt die Prävalenz Studien zufolge bei 38 Prozent (18, 23), bei Patientinnen mit chronisch rezidivierenden Unterbauchschmerzen sogar bei 71 bis 78 Prozent (6, 12). Die Diagnose Endometriose wird heute häufiger gestellt, wahrscheinlich aber nicht deshalb, weil die Inzidenz zugenommen hat, sondern weil häufiger danach gesucht wird (19). Es scheint eine familiäre Häufung zu existieren, wobei es sich wahrscheinlich um eine polygene und multifaktorielle Vererbung der Endometriosedisposition handelt (1).
Wie entsteht eine Endometriose?
Es gibt verschiedene Theorien zur Genese der Endometriose (21). Es wäre zum Beispiel möglich, dass vitales Endometriumgewebe während der Menstruation retrograd über die Tuben in das kleine Becken gelangt, wo es zur Implantation und Proliferation kommt. Auch eine hämatogene oder lymphogene Aussaat von Endometriumzellen ist denkbar. Zudem könnten vitale Zellen durch operative Eingriffe am Uterus (z.B. Sectio, Myomenukleation) verschleppt werden. Die exakte Ätiologie und Pathogenese der Endometriose ist bis heute nicht bekannt. Genetische, hormonelle und immunologische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen.
Merk-
sätze
q Man schätzt, dass 4 bis 12 Prozent aller Frauen im reproduktiven Alter eine Endometriose entwickeln.
q Bei chronischen Unterbauchschmerzen, Dysmenorrhö, Dyspareunie, Zyklusstörungen und Infertilität sollte man an eine Endometriose denken.
q Bei Verdacht auf Endometriose ist der diagnostische Goldstandard die Laparoskopie oder die Laparotomie mit Probebiopsie und histologischer Sicherung.
q Stehen die Schmerzen bei einer Endometriose im Vordergrund, ist die Operation die Therapie der Wahl.
Symptome je nach Lokalisation
Zum einen kann die Schmerzsymptomatik, zum anderen eine schon länger bestehende Sterilität den Verdacht auf eine Endometriose lenken. Pathognomonische Endometriosesymptome gibt es indes nicht. Denn die Beschwerden sind weitgehend von der Lokalisation abhängig (Tabelle). Ausserdem korrelieren Schweregrad der Erkrankung und Schmerzintensität nicht miteinander (16). Patientinnen mit fortgeschrittener Endometriose sind mitunter völlig beschwerdefrei (5). Trotzdem gibt es Symptome, die bei einer Endometriose relativ häufig vorkommen, dazu zählen: q Zyklische oder chronisch-rezidivierende
Unterbauchschmerzen
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Abbildung 1: Diese aktive Endometriose im Bereich des Peritoneums wirkt opak und transparent.
Dabei zeigen sich echoarme, mit altem Blut gefüllte Zysten («Schokoladezysten» [Abbildung 3]). Kleine Endometrioseläsionen werden mit den bildgebenden Verfahren unzureichend erfasst (1). Symptome, die auf Lokalisationen im Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt schliessen lassen (z.B. zyklische Hämaturie, rektale Blutung), machen weitere endoskopische Verfahren (z.B. Rektosigmoidoskopie, Zystoskopie) notwendig. Bei Verdacht auf Endometriose ist der diagnostische Goldstandard die Laparoskopie oder die Laparotomie mit Probebiopsie und histologischer Sicherung.
q Sterilität q Dysmenorrhö q Dyspareunie q Zyklusstörungen (prämenstruelle «Spot-
tings») q Rückenschmerzen q Hämaturie oder rektale Blutungen
während der Menses q Rezidivierende Adnexitis/Zystitis. Bei chronischen Unterbauchschmerzen, Dysmenorrhö, Dyspareunie, Zyklusstörungen und Infertilität sollte man an eine Endometriose denken. Am häufigsten wird die Endometriose nach dem 30. Lebensjahr diagnostiziert. Dabei ist zu beachten, dass Frauen mit Schmerzsymptomatik über alle Altersklas-
sen fast gleichmässig verteilt vorkommen, während Sterilitätspatientinnen oft jenseits des 30. Lebensjahres den Arzt aufsuchen.
Reinschauen oder aufschneiden
Bei entsprechendem Verdacht und abdominellen Symptomen ist der diagnostische Goldstandard die Laparoskopie unter Weisslichtbedingungen oder die Laparotomie mit Probebiopsie (24, 25). Bildgebende Verfahren wie transvaginale Sonografie, Magnetresonanz- und Computertomografie erscheinen nur bei zystischen Formationen im Adnexbereich oder im Bereich des kleinen Beckens sinnvoll.
Endometriose und Sterilität
Warum kommt es bei einer Endometriose überhaupt zur Sterilität? Zum einen, weil rezidivierende entzündliche Veränderungen im kleinen Becken zu Adhäsionen und damit zu Veränderungen der Tubenmotilität mit gestörter Ei-Aufnahme führen. Anderseits wirken die von den Endometrioseherden freigesetzten entzündlichen Mediatoren im kleinen Becken und Uterus als immunologische Sterilitätsfaktoren.
Therapie ruht auf drei Säulen
Minimale Endometrioseherde (z.B. Zufallsbefunde im Rahmen einer Sterilisation),
Abbildung 2: Komplette Exzision eines oberflächlichen Endometrioseherdes an der Ovaroberfläche. A R S M E D I C I 1 8 q 2 0 0 4 927
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Abbildung 3: Eröffnung einer Endometriosezyste am Ovar (so genannte «Schokoladenzyste»).
die keine Beschwerden machen, müssen auch nicht behandelt werden. Liegen Beschwerden vor, basiert die Therapie auf drei Säulen: q Operation (Laparoskopie/Laparotomie)
mit Sanierung der Endometrioseherde (Exzision, Vaporisation, Koagulation) oder Entfernung von Endometriosezysten, eventuell kombiniert mit Adhäsiolyse q Medikamentöse Therapie (GnRH-Agonisten, Danazol, Gestagene, orale Kontrazeptiva, Antiphlogistika) q Kombination von operativer und medikamentöser Therapie. Welcher therapeutische Weg eingeschlagen wird, hängt zum einen vom Befund (Stadium und Aktivität der Endometriose, Beschwerden) und zum anderen von den Bedürfnissen der Patientin (Kinderwunsch, abgeschlossene Familienplanung, Alter) ab.
Tabelle: Symptome in Abhängigkeit von der Lokalisation der Endometriose
Lokalisation Weibliches Genitale
Symptome Dysmenorrhö Unterbauchschmerzen, Schmerzen im kleinen Becken Dyspareunie Sterilität Zyklusstörungen Schmerzen durch Torsion oder Ruptur einer Endometriosezyste Rückenschmerzen
Gastrointestinalsystem
Zyklische, rektale Blutung Defäkationsschmerzen Diarrhö Obstipation Darmobstruktion
Ableitende Harnwege
Zyklische Hämaturie Miktionsschmerzen Ureterstenose/Obstruktion der ableitenden Harnwege Nierenstau
Postoperative Narben/Nabel
Zyklische Schmerzen und Blutung im Narbengebiet
Lunge
Zyklische Hämoptyse
Vorgehen bei Schmerzen
Die therapeutische Methode der Wahl bei gesicherter Endometriose ist die Operation. Als Alternative bei ausgedehnter, aber unzureichender operativer Sanierung empfiehlt sich die medikamentöse Behandlung mit GnRH-Agonisten oder Danazol. Bei einem Rezidiv oder persistierenden Beschwerden (20–40% der Frauen [7]) gilt es zunächst, die Diagnose erneut laparoskopisch und bioptisch zu bestätigen. Ging eine medikamentöse Behandlung voraus, kann man je nach Alter und individuellen Bedürfnissen der Patientin erneut medikamentös behandeln oder eine operative Sanierung der Endometrioseherde, kombiniert mit der laparoskopischen uterosakralen Nervablation (LUNA), anstreben. Die Uterusexstirpation mit bilateraler SalpingoOvarektomie kommt schliesslich als Ultima Ratio in Frage. 90 Prozent der Patientinnen sind danach schmerzfrei. Stehen die Schmerzen bei einer Endometriose im Vordergrund, ist die Operation die Therapie der Wahl.
Vorgehen bei Sterilität
Ist die Endometriose aktiv und liegen weitere Fertilitätshindernisse (z.B. Adhäsio-
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Adenomyosis uteri – eine pathologisch-
anatomische Variante der Endometriose
Die Adenomyosis uteri ist eine pathologisch-anatomische Variante der Endometriose, bei der endometriales Stroma ohne Drüsenbestandteile ausserhalb seiner anatomischen Grenzen vorliegt. Die meisten der in der Literatur beschriebenen Fälle betreffen Frauen zwischen dem 30. und dem 50. Lebensjahr. Charakteristische klinische Symptome sind Dysmenorrhö und Blutungsstörungen. Bei der gynäkologischen Untersuchung zeigt sich ein vergrösserter, gelegentlich elastischer Uterus. Die Hysterektomie ist die Therapie der Wahl.
nen) vor, empfiehlt sich die operative Sa-
nierung. Bei inaktiver Endometriose als
einzigem Sterilitätsfaktor sollte man nur
bei fortgeschrittener Erkrankung operie-
ren, da ansonsten auch das operative
Trauma zu Narbenbildung und Adhäsio-
nen führen kann und somit einen zusätz-
lichen iatrogenen Sterilitätsfaktor darstellt
(22).
Der Eingriff sollte in jedem Fall laparosko-
pisch erfolgen, entweder in Form der
ablativen Laserbehandlung oder als Elek-
trovaporisation/Koagulation (24). Patien-
tinnen mit aktiver, fortgeschrittener Endo-
metriose erhalten anschliessend eine
medikamentöse Therapie (z.B. GnRH-
Agonisten).
Eine suffiziente Endometriosediagnostik
sollte von einem erfahrenen und operativ
versierten Gynäkologen und wenn mög-
lich in einem dafür ausgewiesenen Endo-
metriosezentrum erfolgen.
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Das Literaturverzeichnis kann beim Autor angefordert werden.
Für die Autoren: Dr. med. Konstantin Manolopoulos
Universitäts-Frauenklinik Giessen Rudolf Buchheim-Strasse 8 D-35385 Giessen Tel. 0049-641 99 40001 Fax 0049-641 99 40009
Interessenkonflikte: keine deklariert
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt 6/2004». Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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