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Impfung gegen Nierenkrebs?
Lancet-Studie zeigt Wirksamkeit einer autologen Tumorvakzine, offenbart aber auch methodische Mängel
Nierenzellkarzinome in fortgeschrittenem Stadium neigen zur Metastastasierung, auch wenn die Niere operativ entfernt wird. Eine wirksame adjuvante Therapie nach Nephrektomie gibt es zurzeit nicht. Jetzt hat eine im «Lancet» (2004; 363: 594–599) publizierte Studie gezeigt, dass die Impfung mit autologer Tumorvakzine möglicherweise Anlass zu neuer Hoffnung bieten könnte. An der klinischen Phase-IIIStudie unter Leitung des Lübecker Urologen Professor Dieter Jocham nahmen insgesamt 558 Nierenkrebspatienten an 55 deutschen Kliniken teil. Allen Patienten wurde die betroffene Niere entfernt, die eine Hälfte erhielt anschliessend im Monatsabstand sechs Injektionen der Tumorvakzine. In halbjährlichen Abständen kontrollierten die Prüfärzte, ob sich Metastasen gebildet hatten. Nach fünfjähriger Beobachtungszeit können die Autoren Erfolge vermelden: In der Vakzine-Gruppe blieben 77 Prozent von Metastasen verschont, in der nichtbehan-
delten Gruppe waren es nur 68 Prozent. War der Tumor bereits weit fortgeschritten, aber noch auf die Organgrenzen beschränkt (T3), fiel das Ergebnis mit 67,5 gegenüber 45,9 Prozent noch deutlicher aus. Die Impfung erwies sich zudem als gut verträglich. Nach Auffassung der Autoren kommt die adjuvante Vakzinetherapie bei allen Patienten in Betracht, deren Nierenzellkarzinom einen Durchmesser über 2,5 Zentimeter aufweist. «Weltweit erstmals ist damit die Wirksamkeit eines Impfstoffes gegen Nierenzellkrebs nachgewiesen worden», heisst es in einer Pressemitteilung der Medizinischen Universität Lübeck. In einem «Lancet»Kommentar sprechen die amerikanischen Onkologen Mayer Fishman und Scott Antonia von einem «immunologischen Durchbruch». Andererseits lassen sie die Krebsimpfung noch nicht als neue Standardtherapie gelten. Grund für diese Zurückhaltung sind methodische Mängel, die zu Verzerrungen der Studienergeb-
nisse geführt haben könnten. So fand die
Untersuchung ohne Verblindung statt,
das heisst, Patienten und die behandeln-
den Ärzte wie auch die Auswerter wuss-
ten um die gewählte Behandlung – ein
Umstand, der das Therapieergebnis nen-
nenswert beeinflussen kann.
Der Hauptkritikpunkt richtet sich aber auf
den gewählten Studienendpunkt. Krite-
rium war das «rezidivfreie Überleben». Ob
die Überlebenszeit der Geimpften tat-
sächlich verlängert werden konnte, geht
aber aus der Studie nicht hervor. Nach-
dem erste Metastasen aufgetreten waren,
wurden die Patienten nämlich nicht wei-
terverfolgt. Unterdessen hat der Vakzine-
Hersteller LipoNova bei der Europäischen
Arzneimittelbehörde EMEA einen Zulas-
sungsantrag für den autologen Impfstoff
gestellt. Dem Vernehmen nach wird mit
der Zulassung spätestens Anfang kom-
menden Jahres gerechnet.
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U.B.
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Nasalflu® und Fazialisparese:
Es war doch der nasale Grippeimpfstoff
Vor Ort erinnert man sich: Im Herbst 2000 kam als Weltneuheit ein intranasal verabreichbarer neuer Grippeimpfstoff (Nasaflu®) auf den Schweizer Markt. Im selben Winter berichteten die Medien über eine angebliche Häufung von Fazialisparesen bei den so Geimpften. Zunächst wurde dies als «Zufall» und der Zusammenhang als «höchst unwahrscheinlich» abgetan. Der Impfstoff ist inzwischen zurückgezogen worden, und die Herstellerfirma Berna Biotech gab beim Zürcher Institut für Sozial- und Präventivmedizin eine Studie in Auftrag. Deren Ergebnisse sind eben im «New England Journal of Medicine» (2004; 350: 896–903) publiziert worden.
Die Falkontrollstudie, zu der sehr viele Schweizer Allgemein- und ORL-Ärzte sowie Neurologen beigetragen haben, ergab, dass 68 Patienten mit Fazialisparese (27,2%), aber nur 8 Kontrollen (1,1%) die Nasal-Grippeimpfung erhalten hatten (p < 0,001). Im Gegensatz zu parenteralen Impfstoffen erhöhte die intranasale Vakzine das Risiko für eine Fazialisparese signifikant (bereinigte Odds Ratio 84,0, 95%-KI 20,1 – 351,9). Auch unter konservativsten Annahmen lässt sich das Fazialisparese-Risiko im Vergleich zu den Kontrollen auf das 19fache schätzen, was 13 zusätzlichen Fällen pro 10 000 Geimpfte innert dreier Monate entspricht. Die Autoren räumen methodologische Schwierigkeiten ein, sehen aber in der starken, zeitlich eng parallelen und spezi- fischen Korrelation eine Stütze ihrer Schlüsse. Auf welchen Wegen es zu dieser Nebenwirkung kommen kann, die den grossen Hoffnungen in intranasale Vakzi- nen einen groben Dämpfer versetzt hat, bleibt weiterhin unklar. Diese Erfahrung gibt aber jenen Auftrieb, die für grössere Studien zur Sicherheit (und nicht bloss Wirksamkeit) vor der Lizenzierung und für ein verbessertes Monitoring nach der Pro- duktlancierung plädieren. q H.B. 188 A R S M E D I C I 5 q 2 0 0 4