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Titel
Onkologie – Was Barkeeper und Onkologe gemeinsam haben
Untertitel
Dr. med. Thomas von Briel Klinik für Hämatologie und Onkologie Hirslanden Zürich
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Rubrik
Rückblick 2024 / Ausblick 2025
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81109
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Onkologie
Dr. med. Thomas von Briel Klinik für Hämatologie und Onkologie Hirslanden Zürich
Was Barkeeper und Onkologe gemeinsam haben
Es gibt einen Beruf, der dem des Onkologen ähnelt: der Barkeeper. Auch wir mischen unsere flüssigen Medikamente zu mehr oder weniger bekömmlichen Drinks und servieren dazu Tabletten als knackige Beilagen, in der Hoffnung, unseren Patienten möglichst gut zu helfen. Jedes
«Auch wir mischen unsere flüssigen Medikamente zu Drinks und servieren dazu Tabletten als knackige Beilagen.»
Jahr kommen neue Schnäpse, Chips und Nüsse dazu, und die Mischungen mit bekannten Zutaten werden teils opulenter, teils abgespeckter. Einige Cocktails erweisen sich als Flop, und andere stechen so sehr heraus, dass sie zu neuen Standards werden.
Nicht allein die Mischung macht es ... Hierzu eine kleine Auswahl aus dem vergangenen Jahr: Beim bereits metastasierten kleinzelligen Bronchuskarzinom weiss man, dass die Immuntherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor im Anschluss an die konventionelle Chemotherapie das Überleben verbessert. Am Jahreskongress der American Society of Oncology (ASCO) 2024 wurde ein vergleichbares Vorgehen auch beim noch lokalisierten

kleinzelligen Karzinom im Stadium «limited disease» publik gemacht (ADRIATIC-Studie), und das dürfte der neue Standard sein. Im Anschluss an die Chemoradiotherapie verbessert eine Immuntherapie (Durvalumab) das mittlere Überleben um 22 Monate. Nach drei Jahren sind immerhin noch 57% der Patienten am Leben. Wie schon beim metastasierten Kleinzeller ist es nicht die Mischung der Immuntherapie mit der Chemotherapie, sondern das Servieren der Immuntherapie nach der Chemoradiotherapie als zweiten Drink, was diesen Nutzen bringt. Anders beim muskelinvasiven Blasenkarzinom, wie am Jahrestreffen der European Society of Medical Oncology (ESMO) 2024 gezeigt. Da erweist sich ein kombinierter Mix aus Chemo- und Immuntherapie – viermal ein DreierCocktail mit Durvalumab, Cisplatin und Gemcitabin vor der Operation und postoperativ der Mono-Drink mit der Immuntherapie Durvalumab für insgesamt ein Jahr – als erfolgreich. Die Beimischung der Immuntherapie schon zur präoperativen Chemotherapie ist besser als die Chemotherapie allein. Dieser Mix erhöht die Rate kompletter Tumorremissionen von 27 auf 37%. Und zusammen mit den acht postoperativen Immuntherapie-Drinks einmal im Monat verbessert sich das Überleben nach zwei Jahren von 75 auf 82%. Auch das dürfte ein neuer Standard sein.
... auch der Zeitpunkt ist wichtig Bei einigen Tumoren schenken wir nur Immuntherapien ein. Ein typisches Beispiel ist das Melanom. Auch da gibt es wichtige Erkenntnisse. Will man das Rückfallrisiko verringern, ist es effizienter, die Immuntherapie schon vor der Resektion des Melanoms zu servieren (neoadjuvant). So lernt die Abwehr, die Melanomzellen besser zu erkennen, und wird auch gegen vermeintliche Mikrometastasen effizienter. Das zeigte sich beim lokal fortgeschrittenen Melanom erstmals mit Pembrolizumab (SWOG S180, eine Phase-II-Studie). Und was, wenn wir gleich zwei Immuntherapien mischen? Am ASCO 2024 wurden die Ergebnisse der NADINA-Studie publiziert. Verglichen wurde eine bisherige Standardtherapie mit Nivolumab nach der Resektion mit dem präoperativen Mix von Nivolumab und Ipilimumab gefolgt von Nivolumab postoperativ. Mit dem zusätzlichen neoadjuvanten Doppel-Drink blieben nach einem Jahr 84% der Patienten ereignisfrei, verglichen mit 57% mit Nivolumab als Mono-Drink. Zudem war das An-

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sprechen auf diese Vortherapie bei einem beachtlichen Teil der Patienten so gut, dass man sogar auf die Nachbehandlung mit Nivolumab verzichten konnte. Zum Melanom sei hier auch noch erwähnt, dass man eine wirksame Impfung entwickelt hat. 2024 wurde eine adjuvante und somit postoperative, randomisierte Phase-II-Studie mit der mRNA-4157(V940)-Impfung in Kombination mit Pembrolizumab versus Pembrolizumab allein publiziert. Die Corona-Impfung lässt grüssen. Mit der Impfung konfrontiert man die Abwehr mit Eigenheiten der resezierten Melanomzellen. Das rückfallfreie Überleben nach 18 Monaten konnte dank der Impfung signifikant von 62 auf 79% verbessert werden.
Lieber etwas bekömmlicher oder etwas stärker? Immer wieder finden wir uns als Barkeeper in der schwierigen Lage, zwei Cocktails anbieten zu können, ohne zu wissen, ob einer besser ist. So war das beim lokal fortgeschrittenen Adenokarzinom des Ösophagus. Soll man nebst der Resektion besser ein CROSS oder ein FLOT servieren? Das heisst entweder einen Drink mit Carboplatin und Paclitaxel in relativ bekömmlicher Dosis gewürzt mit einer Strahlentherapie vor dem Eingriff oder einen härteren Drink mit Fluorouracil, Leucovorin, Oxaliplatin und Docetaxel dreimal vor und dreimal nach der Operation ohne Strahlentherapie. Nach Jahren der Unsicherheit haben wir nun mit der am ASCO 2024 gezeigten ESOPECStudie eine Phase-III-Studie, die diese beiden Optionen verglich. Die Resultate sprechen für den intensiveren Drink ohne Radiotherapie. Das mediane Überleben verbessert sich von 37 auf 66 Monate, die Chance, nach fünf Jahren noch am Leben zu sein, steigt damit von 38,7 auf 50,6%. Eine Frage bleibt. Wenn man mit der schlechteren Chemoradiotherapie (CROSS) im Resektat keine kompletten Remissionen findet, bringt eine adjuvante Immuntherapie einen zusätzlichen Überlebensvorteil. Sollte man nun dem FLOT-Cocktail nicht auch eine Immuntherapie beimischen? Wen wundert es, dass solche Studien am Laufen sind. Und was, wenn man die Drinks entschärft? Eine randomisierte Phase-II-Studie aus Deutschland (ALPACA; ASCO GI 2024) ging dieser Frage beim metastasierten Pankreaskarzinom (n = 174) nach. Statt jedes Mal nab-Paclitaxel mit Gemcitabin zu mischen, hat man bei der Hälfte der Patienten ab dem vierten Zyklus bei jedem zweiten Zyklus nur noch einen Mono-Drink mit Gemcitabin serviert. Diese Patienten hatten weniger Nebenwirkung, insbesondere weniger Neuropathien, und das mediane Überleben war genau gleich. Schliesslich noch ein Beispiel zu neuen Nüssen, sprich onkologischen Tabletten. Metastasierte Nierenzellkarzinome werden seit einiger Zeit mit Immuntherapien und antiangiogenetisch wirkenden Tabletten behandelt. Inzwischen haben wir auch da die Qual der Wahl. Neu verfügen

wir mit Belzutifan über eine weitere Beilage, welche den Hypoxyie-induzierten Faktor (HIF) blockiert. Diese Tablette kann auch dann noch helfen, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind.
Der Fortschritt bringt nicht nur Freude So schön er auch ist, die steigenden Kosten für Medikamente und damit verbunden die Notwendigkeit von komplexeren Untersuchungen, wie Mutationsanalysen, werden zunehmend ein Problem. Schon heute könnten wir Tabletten servieren, für die man täglich 1000 Franken bezahlt. Ärgerlich ist der Trend, den Leistungserbringer für die
«Ärgerlich ist der Trend, den Leistungserbringer für die immer teurer werdenden Untersuchungen und Behandlungen finanziell in die Pflicht zu nehmen.»
immer teurer werdenden Untersuchungen und Behandlungen finanziell in die Pflicht zu nehmen. Man denke an die geplanten Fallpauschalen. Ist denn der Barkeeper für den Preis seines Drinks verantwortlich? Niemand würde ihm den Lohn kürzen, weil der Champagner zu teuer war. Er kann ihn nicht billiger beschaffen, höchstens vorenthalten. Gewissen Kreisen scheint das der rechte Weg zu sein. Da sitzen wir Ärzte alle im gleichen Boot. Ob Grundversorger oder Spezialist. Deswegen sollten wir uns auch zusammen dagegen wehren.
Und wie stets um die künstliche Intelligenz (KI) in der Onkologie? Heutzutage gibt es an den grossen Kongressen Sitzungen über KI. Tatsächlich findet dieses neue Tool in der Onkologie bereits Anwendungen. Derzeit vor allem in der Diagnostik, namentlich der Radiologie und der Pathologie. Die Computer bilden sich selbst zu Top-Radiologen und TopPathologen aus. In meinem Alltag brauche ich die KI ab und zu wie eine Suchmaschine. So wie ich mich an Google gewöhnt habe, so funktioniert das auch mit KI. Bequem, wenn man einfach eine Anfrage stellen kann. Noch habe ich aber diesen Rückblick selbst verfasst. Ob das so bleiben wird?
Und was würde Walti meinen? Dann doch lieber Bar statt Onkologie.

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