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FORTBILDUNG
Hirntumorerkrankungen
Palliativmedizinische Konzepte und Advanced Care Planning
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Patienten mit Hirntumoren leiden nicht nur an einer aggressiven und lebenslimitierenden Krebserkrankung, sondern auch an einer neurologischen Krankheit, die mit zahlreichen einschneidenden Symptomen einhergeht. Der rasche Verlauf der Erkrankung einerseits und frühe neurokognitive und neuropsychiatrische Veränderungen sowie kommunikationseinschränkende Ausfälle wie Sprach- und Sprechstörungen andererseits erschweren eine vorausschauende Planung sowohl für die erkrankte Person als auch für die Angehörigen. Das Ziel der Behandlung eines Hirntumors sollte daher neben der Verbesserung des Gesamtüberlebens auch die Lebensqualität und die frühe palliativmedizinische Begleitung mit besonderer Berücksichtigung des Advanced Care Plannings (ACP) in den Vordergrund stellen.
Caroline Hertler Steffen Eychmüller
von Caroline Hertler1 und Steffen Eychmüller2
Einleitung An einem Hirntumor zu erkranken, stellt für Patientinnen und Patienten ebenso wie für ihre Angehörigen eine einschneidende Diagnose dar. Hirneigene Tumoren (Gliome) gelten als nicht heilbar und entsprechen somit einer Erkrankung, die von Beginn an als «palliativ» eingeschätzt wird mit dem Hauptziel, die individuell definierte Lebensqualität so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Höhergradige Gliome (Glioblastome) gehen zudem mit einem relevant verkürzten Überleben von durchschnittlich 12 Monaten ab Diagnosestellung einher, trotz multimodaler Therapie mit Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie (1). Zudem leiden Hirntumorpatienten an einer hohen Symptomlast, insbesondere in der letzten Lebensphase (2). Zusätzlich zu den Symptomen, die sich bei den meisten Krebserkrankungen unabhängig von der Tumorentität finden, wie Fatigue und psychologischer Distress, treten bei Hirntumoren zusätzlich spezifische Symptome des zentralen Nervensystems auf, wie Kopfschmerzen, epileptische Anfälle oder auch neurokognitive Störungen bis hin zu einer Veränderung des Verhaltens und der Persönlichkeit (3, 4). Auch niedriggradige Gliome mit einem längeren Gesamtüberleben weisen aufgrund ihres infiltrierenden Wachstums im Hirnparenchym eine hohe Morbidität auf. Neben dem destruktiven Tumorwachstum können auch die Therapien Nebenwirkungen mit sich bringen, die die Lebensqualität beeinträchtigen oder tumorbe-
1 Stv. Ärztliche Leitung Kompetenzzentrum Palliative Care, Klinik für Radio-Onkologie, UniversitätsSpital Zürich 2 Chefarzt, Universitäres Zentrum für Palliative Care, Insel Gruppe AG
dingte Symptome weiter verschlechtern. In diesem Kontext kommen den symptomlindernden, patientenzentrierten Ansätzen der Palliative Care im gesamten Verlauf der Erkrankung sowie in der letzten Lebensphase eine wichtige Bedeutung zu (Abbildung).
Symptome Patienten mit Hirntumoren sind oft bereits früh im Verlauf der Erkrankung durch neurologische Symptome eingeschränkt (Tabelle). Schon bei Diagnosestellung weisen bis zu 90 Prozent der Patienten eine neurokognitive Störung auf, die sie im Alltag beeinträchtigen können, wie Aufmerksamkeitsdefizite, Sprach- oder Gedächtnisstörungen (5). Im Verlauf der Erkrankung nimmt die Ausprägung dieser Ausfälle häufig zu, einerseits im Rahmen der weiteren Tumorprogression, andererseits auch bedingt durch die Therapien (Radiotherapie, antiepileptische Therapie) (6). Diese Defizite stellen eine besondere Herausforderung für Patienten, Behandler und Angehörige dar. Einerseits haben sie einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität, Kommunikation und Fähigkeit der Alltagsbewältigung, andererseits sind weder pharmakologische Behandlungen mit beispielsweise Donezepil oder Dexamphetamin, noch interventionelle Therapieansätze wie Yoga evidenzbasiert erfolgreich (7, 8). Diese meist progredienten neurokognitiven Symptome beeinflussen eine vorausschauende Planung und Therapieentscheide insbesondere in der späten Lebensphase und stellen eine Besonderheit der neuro-onkologischen Erkrankung dar.
Epileptische Anfälle Epileptische Anfälle gehören mit 30 bis 50 Prozent zu den häufigsten diagnoseweisenden Symptomen bei Hirntumorpatienten. Niedriggradige Gliome haben
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tome und Informationsbedarf in imensionen der Palliative Care
Fragen zum Lebensende
Fragen zur Krankheit
Physisch
Fragen zu psychologischem
support
Sozial
Patient und Angehörige Psychisch
Fragen zur Symptomlast
Spirituell
Fragen zu Progredienz
Fragen zu sozialem support
Abbildung: Symptome und Informationsbedarf in vier Dimensionen der Palliative Care (Grafik: © C. Hertler)
hierbei eine höhere Inzidenz für Anfälle im Verlauf der Erkrankung (bis zu 80%) (9). Für die Behandlung epileptischer Anfälle stehen mehrere gut verträgliche und nicht-enzym-induzierende Antiepileptika zur Verfügung, wie z. B. Levetiracetam. Bei vorbekannten psychiatrischen Erkrankungen wird aufgrund des Nebenwirkungsprofils bevorzugt Brivaracetam eingesetzt, das im Vergleich zu Levetiracetam weniger häufig mit psychiatrischen Nebenwirkungen assoziiert ist (10). In der «end-of-life»-Phase erfolgt meist eine Umstellung der Medikation, insbesondere wenn Dysphagien auftreten oder die Vigilanz progredient abnimmt. Ein Sistieren der antiepileptischen Therapie ist nicht empfohlen. Levetiracetam kann in diesem Kontext off-label subkutan appliziert werden; in der Terminalphase ersetzt häufig ein Midazolam-Perfusor die antiepileptische Therapie gänzlich (11).
Tumorödem Hirndruck durch Zunahme des Tumorödems äussert sich durch verschiedene Symptome, wie Zunahme vorbestehender neurologischer Ausfälle, epileptische Anfälle, Erbrechen und Kopfschmerzen (12). Medikamentös wird das Hirnödem mit Kortikosteroiden, insbesondere Dexamethason behandelt. In frühen Phasen der Hirntumorerkrankung und bei Patienten in einem guten Allgemeinzustand kann eine Therapie mit Bevacizumab, einem antiangiogenen Antikörper, zur Tumorkontrolle, zur Symptomkontrolle und zu steroidsparender Linderung des Hirnödems eingesetzt werden. Damit lassen sich gleichzeitig die Nebenwirkungen der Steroidtherapie minimieren (13). Während Dexamethason in der späten Lebensphase in der Symptomlinderung einen guten Stellenwert hat, sollte in der Terminalphase, insbesondere bei somnolenten Pa-
tienten, ein Sistieren der Dexamethasongaben erwogen werden.
Neuropsychiatrische Symptome Neuropsychiatrische Symptome treten bei Hirntumorpatienten ebenfalls gehäuft auf. Persönlichkeitsveränderungen finden sich bei bis zu 67 Prozent aller Gliompatienten (4), Depression und Angststörungen wurden von bis zu 25 Prozent der Betroffenen angegeben (14). Die medikamentöse Behandlung dieser neuropsychiatrischen Störungen sollte analog derer von Patienten ohne Tumorerkrankung erfolgen. Für psychotherapeutische Ansätze dagegen bestehen bei Gliompatienten Einschränkungen aufgrund der deutlich verkürzten Lebensdauer und rezidivierenden Verschlechterungen. Denn einerseits kann die langfristige psychotherapeutische Intervention oft nicht erfolgreich durchgeführt und abgeschlossen werden; andererseits ist ein derartiges Vorgehen aufgrund der langen Wartezeiten für psychotherapeutische Plätze und der häufig raschen Progression des Hirntumors oft unrealistisch. Medikamentöse Behandlungen, z. B. mit selektiven SerotoninWiederaufnahme-Hemmern (SSRI) oder neuerdings auch mit Ketamin zeigen bei Hirntumorpatienten Wirkung (15). Aufgrund des starken Einflusses von neuropsychiatrischen Symptomen auf die Lebensqualität der Betroffenen, aber auch auf jene der Angehörigen, sollten diese aktiv erfragt und eine Behandlung initiiert werden. Im Vordergrund steht hierbei besonders der Selbstschutz der Angehörigen, beispielsweise wie sie auf plötzlich auftretendes aggressives Verhalten oder psychotische Symptome der erkrankten Person reagieren können, und wie ein Notfallplan im Fall einer Fremdgefährdung aussieht (16).
Fatigue Fatigue wird in unterschiedlicher Ausprägung von bis zu 90% aller Hirntumorpatienten im Verlauf der Erkrankung berichtet (17). Ursachen sind neben dem Tumor auch die Therapien wie Radio- oder Chemotherapien. Auch symptomatische Behandlungen wie z. B. anti-epileptische Medikationen können eine Fatigue verstärken. Die Fatigue kann den Alltag von Patienten stark einschränken. Medikamentöse Behandlungsversuche haben bis anhin keine gesicherte Wirkung gezeigt. Aerobes Training und kognitive Verhaltenstherapie konnten dagegen eine Reduktion der Fatigue Symptomatik bewirken (8, 18).
Palliativmedizinische Konzepte Lange als reine «end-of-life care» angesehen hat sich die Palliative Care inzwischen als begleitende, supportive Disziplin auch in frühen Phasen von unheilbaren oder akut lebensbedrohenden Erkrankungen etabliert. Das Ziel der palliativmedizinischen Patientenversorgung ist die Linderung von Symptomen in vier Dimensionen – körperlich, psychisch, sozial und spirituell, in einem multiprofessionellen Ansatz. In mehreren grossen onkologischen Studien konnte durch eine frühe Integration von Palliative Care, mit Ausarbeitung eines problemund symptombezogenen Behandlungsplans parallel zu den tumorgerichteten Therapien, eine Verbesserung der Lebensqualität ohne Verkürzung des Gesamtüberlebens gezeigt werden. Dieses parallele Vorgehen wird von der American Society for Clinical Oncology als «con-
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Tabelle:
Symptome von Hirntumorpatienten in der Palliative Care
Symptom Neurokognitive Störungen Epilepsie Hirndruck Neuropsychiatrische Symptome Fatigue
Quelle: mod. nach (24)
Supportive Ansätze ● keine Empfehlung für medikamentöse Ansätze ● neurokognitive Rehabilitationen individuell bei Patienten mit längerer Prognose
evaluierbar ● Levetiracetam als Medikation mit schwachem Nebenwirkungsprofil und guter
Wirksamkeit empfohlen. ● off-label Umstellung auf s. c.-Gaben in der späten Lebensphase möglich ● end-of-life care: Midazolam-Perfusoren oder Midazolam nasal bei Anfällen ● Dexamethason als schnellwirksames Medikament bei Hirndruck zur Symptom-
linderung von Kopfschmerzen und Erbrechen ● Bevacizumab bei Hirnödem als Option bei Patienten mit möglichem längeren
Krankheitsverlauf nach vorgängiger Kostengutsprache evaluieren. ● In der end-of-life care sollte Dexamethason zur Symptomlinderung nur bei wachen,
symptombelasteten Patienten gegeben werden. ● Depressionen und Ängste sollten analog Nicht-Hirntumor-Patienten
pharmakologisch behandelt werden. ● Medikamente mit potenziellen psychischen Nebenwirkungen (z. B. Levetiracetam,
Steroiden) sollten als Auslöser überprüft und ggf. ausgewechselt werden. ● aerobes Training kann individuell zur Verbesserung der Fatigue erwogen werden. ● pharmakologische Ansätze sind nicht indiziert.
current care» definiert (19). So hatten Patienten mit Lungenkarzinomen unter begleitender Palliative Care weniger Depressionen und Ängste, bei gleichzeitig verlängertem Überleben im Vergleich zur Vergleichsgruppe im Standardtherapie-Arm (20). Die Involvierung von Palliative Care wird innerhalb von acht Wochen ab Diagnose einer fortgeschrittenen Erkrankung empfohlen (21). Für Hirntumoren ist der Zeitpunkt und das Konzept der frühen Integration weniger untersucht. Ein Ansatz aus dem Jahr 2017 definierte fünf Phasen der Erkrankung, die jeweils mit spezifischen Bedürfnissen von Patienten und Angehörigen einhergeht: 1. Diagnose; 2. Zeitpunkt bis zum Abschluss der ersten Radio-Chemotherapie; 3. Rezidiv; 4. Verschlechterung bis zum Tod und 5. die Zeit nach dem Tod (22). Der Wunsch nach einem Ansprechpartner für Unterstützung bei Symptomen und Fragen war in allen Phasen ein relevantes Bedürfnis, und gerade im späteren Krankheitsverlauf kann Palliative Care eine gute Anlaufstelle sein, wenn Hirntumorpatienten weniger häufig onkologische Sprechstunden wahrnehmen. Die Wertigkeit der Palliative Care für Hirntumorpatienten wurde analog der onkologischen auch von den neuroonkologischen Gesellschaften aufgenommen. Die European Association of Neuro-Oncology (EANO) hat eine spezifisch auf Hirntumoren zugeschnittene Guideline zu palliativer und supportiver Behandlung erstellt, die die besonderen Herausforderungen dieser Krebserkrankung an der Schnittstelle von Onkologie und Neurologie beleuchtet (23, 24).
Advanced Care Planning Advanced Care Planning (ACP) macht sich zur Aufgabe, Menschen zu ermöglichen, ihre Ziele und Wünsche in Bezug auf prospektive Behandlungen festzuhalten und
diese mit den Angehörigen und den Behandlern zu besprechen. Kernthemen sind z. B. Behandlungsziele, aber auch Entscheidungen bezüglich Sinnhaftigkeit von tumorspezifischen Massnahmen, Reanimationsstatus, Rehospitalisationen am Lebensende und Vertretungspersonen. Grundsätzlich wird empfohlen, dies bei onkologischen Erkrankungen spätestens bei einem antizipierten Überleben von weniger als 12 Monaten anzusprechen (21). Bei Hirntumorpatienten ist die Frage nach dem Zeitpunkt der ACP aufgrund der spezifischen neurologischen Symptomlast jedoch besonders fordernd. Sprach- und Sprechstörungen, neurokognitive Defizite, Persönlichkeitsveränderungen und Vigilanzminderungen im Verlauf erschweren eine Kommunikation der Wünsche und Gedanken in relevanter Weise und führen damit auch aufgrund des fehlenden Dialogs über die Erkrankung zu einer Belastung der Angehörigen. Ein krankheitsspezifisches ACP-Programm wurde deshalb für Glioblastompatienten entwickelt, in welchem die Auseinandersetzungen mit verschiedenen Themen auch in Bezug auf das Lebensende bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt, möglicherweise bereits bei Diagnosestellung stattfinden sollte. Dazu zählen gesundheitliche Themen wie Symptome und geplante Interventionen, supportive Massnahmen und Alltagsfunktionalität, ebenso wie Ängste, Therapiebegrenzungen im Verlauf und bevorzugter letzter Lebens- und Sterbeort. Zudem wurde der optimale Zeitpunkt für ein ACP-Gespräch aus der Sicht von Hirntumorpatienten und Angehörigen evaluiert, wobei die Zeit nach der Radio-Chemotherapie, entsprechend innerhalb der ersten 9 Monate nach Diagnose, als am geeignetsten empfunden wurde (25). In Anbetracht der zahlreichen Faktoren, die eine Kommunikation beeinträchtigen können,
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Merkpunkte:
● Hirntumorpatienten sind durch eine Krebserkrankung und eine neurologische Erkrankung gleichzeitig betroffen.
● Hirntumoren gehen häufig mit frühen neurokognitiven und -psychiatrischen Symptomen einher, die eine vorausschauende Planung erschweren.
● Hirntumorpatienten weisen insbesondere in der letzten Lebensphase häufig eine hohe Symptomlast auf.
● Eine gute Symptomlinderung und eine frühe vorausschauende Planung entlasten nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Angehörigen.
erscheint jedoch ein Termin in der frühen Phase der Erkrankung sinnvoll und wurde auch vom involvierten medizinischen Personal bevorzugt. Als einschränkende Besonderheit bei Hirntumoren kommt hinzu, dass im weiteren Verlauf der Erkrankung eine Urteilsfähigkeit möglicherweise nicht mehr gegeben ist. Bis zu 50% der Hirntumorpatienten zeigen eine eingeschränkte Urteilsfähigkeit im Verlauf der Krankheit. Das ist insbesondere für Patienten, die sich mit der Frage eines assistierten Suizides auseinandersetzen, von grosser Relevanz, und muss entsprechend thematisiert werden.
Caregiver Angehörige von Hirntumorpatienten spielen in der Versorgung der Patienten und für deren Lebensqualität eine grosse Rolle und sind ein integraler Bestandteil des Behandlungssystems (26). Gleichzeitig sind sie durch die duale Funktion als Begleiter von onkologisch und gleichzeitig neurologisch betroffenen Menschen sehr gefordert. So müssen sie einerseits die Krebserkrankung und die limitierte Lebenserwartung bewältigen, andererseits mit Persönlichkeitsveränderungen und neurologischen Ausfällen der nahen Person umgehen. Angehörige sind wie Betroffene Belastungen in allen vier Dimensionen der Palliative Care ausgesetzt. Diese multidimensionale Belastung, die bereits früh im Verlauf der Erkrankung angegeben wird, spiegelt sich in zahlreichen unerfüllten Bedürfnissen wider. Neben psychischen Belastungen wie Depression und Angst berichten Angehörige von Hirntumorpatienten insbesondere von fehlender Information über den Krankheitsverlauf, das Lebensende und über Unterstützungsangebote im psychologischen und sozialen Bereich (27–29). Wie fremd eine vertraute Person durch den Hirntumor werden kann, wie schwerwiegend die emotionalen Auswirkungen für Partnerschaft und Familie werden können, wird selten im Vorfeld angesprochen. Im Gegenzug zeigte sich bei frühen Unterstützungsangeboten eine bessere Lebensqualität der Angehörigen, aber auch der Patienten (30). Eine frühzeitige Berücksichtigung palliativmedizinischer Konzepte, in denen die Angehörigen mit einbezogen werden, kann diese entlasten und damit auch die Lebensqualität der Patienten verbessern. Auch in Bezug auf ACP-Beratungen zeigte sich, dass sich Angehörige von verstorbenen Hirntumorpatienten einen Dialog über die Themen der vorausschauenden Planung bereits nach der Diagnosestellung, also deutlich früher als nach Abschluss der ersten Therapielinie und damit auch früher als die Betroffenen selbst, ge-
wünscht hätten (25). Dies zeigt erneut den grossen Informationsbedarf der Angehörigen und unterstreicht die Notwendigkeit einer intensiven Berücksichtigung und eines frühen Einbezugs der Angehörigen.
Zusammenfassung
Hirntumorbetroffene leiden an einer dualen Erkrankung
an der Schnittstelle Onkologie und Neurologie. Im Kon-
text dieser dualen Erkrankung weisen sie eine hohe
Symptomlast auf, die sich durch den gesamten Krank-
heitsverlauf zieht und die Lebensqualität sowohl der
Patienten als auch der Angehörigen teilweise massiv
beeinträchtigt. Es ist wichtig, die Symptome in allen Di-
mensionen anzugehen und Ansprechpartner anzubie-
ten. Hier kommt der Palliative Care eine wichtige
begleitende, supportive Rolle parallel zur tumor-gerich-
teten Therapie im Sinne der «concurrent care» zu. Ein
Kernelement, das bei Hirntumorerkrankten früh ange-
sprochen werden sollte, ist die vorausschauende Pla-
nung. Diese ist im weiteren Verlauf der Erkrankung
infolge progredienter neurokognitiver Ausfälle, wie
Sprach- und Sprechstörungen, aber auch Persönlich-
keitsveränderungen, oft nur noch erschwert oder gar
nicht mehr möglich. Eine vorausschauende Planung er-
leichtert Patienten, Angehörigen und auch dem Be-
handlungsteam insbesondere in der späten
Lebensphase ein Vorgehen, das den vielfältigen symp-
tomatischen und emotionalen Herausforderungen
Rechnung trägt.
l
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Caroline Hertler Stv. Ärztliche Leitung Kompetenzzentrum Palliative Care
Klinik für Radio-Onkologie Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich
E-Mail: caroline.hertler@usz.ch
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