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BERICHT
CGM bei psychisch kranken Diabetikern
Akzeptanz und Interesse sind vielversprechend
Eine kontinuierliche Blutzuckermessung könnte für psychisch erkrankte Menschen mit Typ-2-Diabetes eine Erleichterung darstellen. Geht es doch darum, auch bei ihnen zuverlässig Hypoglykämien zu vermeiden. Ob bei diesen Patienten eine CGM funktioniert und wie die Akzeptanz ist, erforschte eine britische Wissenschaftlerin, die ihre Resultate am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Hamburg vorstellte.
Patienten mit psychischen Erkrankungen wie beispielweise Schizophrenie, schizoaffektive Störungen, bipolare Störungen und Psychosen haben ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung als die Normalbevölkerung. Darüber hinaus leben sie etwa 20 Jahre kürzer. Dies, weil sie einerseits eine schlechtere Gesundheitsversorgung erhalten und andererseits einen gesundheitsbezogen schlechteren Lebensstil pflegen. Das führe zu mehr Diabeteskomplikationen, wie Jennifer Brown, University of York (UK), am EASD-Kongress erklärte. Die Therapie des Typ-2-Diabetes erfordert allerdings ein zuverlässiges Management hinsichtlich Blutzuckermessung und Medikamenteneinnahme. Das können diese Patienten nicht oder nur unzureichend leisten. Das britische NIHR-finanzierte Projekt «Diamonds» versucht mit einem Programm, den Verlauf und die Betreuung für psychisch beeinträchtigte Patienten mit Typ-2-Diabetes durch verbessertes Selbstmanagement zu verbessern. Eine erste Tranche dieses Programms, die DIAMOND Feasability Study, ist nun abgeschlossen. Dabei erhielten die Teilnehmer die Gelegenheit,
Diabetiker häufiger mit Angst und Depression
In einer Onlineumfrage in 6 europäischen Ländern gaben von 3444
befragten erwachsenen Diabetespatienten 17 Prozent an, unter einer
Depression zu leiden, 20 Prozent litten unter einer Angststörung und
8 Prozent unter beidem. Diese Patienten zeigen im Vergleich zu Diabe-
tikern ohne Angst und/oder Depression eine schlechtere Diabetes-
kontrolle beziehungsweise häufiger einen HbA1c-Wert > 7 Prozent oder einen Zeitanteil im Zielwertbereich (time in range) ≤ 70 Prozent.
In der Befragung interessierte auch die Bewältigungsstrategie in
Bezug auf die psychische Erkrankung. 40 Prozent der Befragten gaben
an, Unterstützung von ihren Nächsten zu erhalten, 41 Prozent treiben
Sport, und 40 Prozent haben eine psychiatrische Medikation. Während
Angstpatienten mehr auf Sport oder ihre Nächsten setzen, vertrauen
jene mit Depression oder beidem eher auf psychiatrische Medikation.
Unter jenen mit schlechter Diabeteskontrolle war der Anteil mit psy-
chiatrischer Medikation grösser und die körperliche Aktivität kleiner.
Wie eine bessere Unterstützung aussehen könnte, ist Gegenstand
weiterer Forschung.
vh
Quelle: Cox E et al.: Mental health coping strategies and glycaemic management among people with diabetes in Europe. Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 2. bis 6. Oktober 2023, in Hamburg.
eine kontinuierliche Glukosemessung (CGM) (FreeStyle
Libre Pro) blind auszuprobieren. Blind bedeutet hier, dass
nur der Arzt die gemessenen Werte sieht, nicht aber der Pa-
tient. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um durch die Mess-
werte und eventuell ausgelöste Alarme keinen Stress auszu-
lösen.
Von 21 angefragten Patienten akzeptierten 16; diese waren
im Durchschnitt 51 Jahre alt und adipös, ein Viertel von
ihnen war insulinpflichtig. Die vorgesehene Tragedauer be-
trug 14 Tage, auswertbar waren mindestens 5 Tragetage.
Dabei interessierte, ob eine CGM bei dieser Klientel zuver-
lässig durchgeführt werden kann und ob die Teilnehmer diese
Sensoren annehmen. In den anschliessenden Interviews fan-
den die Befragten die Sensoren einfach und bequem in der
Handhabung, diskret und in Bezug auf die Alltagstätigkeiten
nicht störend. Ermutigend seien Aussagen hinsichtlich eines
vermehrten Interesses für den Blutzucker und den eigenen
Einfluss darauf, so Brown. Denn bei diesen Patienten stehe
der Kampf mit ihrer psychischen Erkrankung im Vorder-
grund, die körperliche Gesundheit beziehungsweise das Ma-
nagement des Diabetes sei für sie völlig zweitrangig. Den-
noch hätten einige Teilnehmer gewünscht, ihre Blutzucker-
daten zu sehen, um darauf in Zukunft reagieren zu können.
Als Fazit zieht Brown eine positive Bilanz bezüglich der
Durchführbarkeit und der Akzeptanz von Blutzuckersenso-
ren bei dieser kleinen Patientengruppe. Als zweiter Schritt
folge eine grössere Studie mit Sensormessdaten, die für den
Teilnehmer einsehbar seien. Eine vorsichtige Schlussfolge-
rung aus dieser Untersuchung gehe dahin, dass CGM die
Diabetestherapie bei einer schwer belasteten Patientenpopu-
lation verbessern könnte. Dabei müsse aber im Fall einer re-
levanten Veränderung der HbA1c-Werte der grössere Zeitaufwand berücksichtigt werden, den diese Patientenpopulation
hinsichtlich Anleitung zum Selbstmanagement und der Ver-
mittlung von dafür notwendigen Kenntnissen über die Er-
krankung benötige.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Acceptability and feasibility of CGM for people with severe mental illness: a mixed-methods study». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 2. bis 6. Oktober 2023, in Hamburg.
ARS MEDICI 4 | 2024
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