Transkript
EARLYSTIM: Frühe tiefe Hirnstimulation verbessert Lebensqualität
FORTBILDUNG
Die EARLYSTIM-Studie zeigt, dass die motorischen Störungen und die Lebensqualität von ParkinsonPatienten in einem früheren Krankheitsstadium durch die Tiefe Hirnstimulation (THS, Neurostimulation) verbessert werden. Das operative Verfahren kommt derzeit lediglich bei medikamentöser Therapieresistenz auf Levodopa mit schwersten Symptomen nach mehr als zehnjähriger Krankheitsdauer zum Einsatz. Dr. Michael Schüpbach, Erstautor von EARLYSTIM und Oberarzt Neurologie, Kompetenzzentrum für Bewegungsstörung am Inselspital Bern, ist davon überzeugt, dass es zu einer Änderung der Behandlungskriterien kommen wird.
Michael Schüpbach
Psychiatrie & Neurologie: Woher kommt die Überlegenheit der THS-Gruppe plus Medikamente versus die medikamentöse Gruppe? Dr. Michael Schüpbach: Die tiefe Hirnstimulation imitiert die Symptome von L-DOPA. Im Gegensatz zur medikamentösen Behandlung wirkt die THS allerdings über 24 Stunden, weshalb sogenannte On-Off-Fluktuationen nicht auftreten. Wie lange der Patient allerdings sensitiv reagiert und sich im therapeutischen Zeitfenster befindet, ist individuell unterschiedlich. EARLYSTIM zeigt, dass wir schwerwiegende motorische Komplikationen nicht abwarten sollten, sondern dass bereits im Anschluss an die «Honeymoon»-Phase die THS von Vorteil ist.
Was würde passieren, wenn mit dem operativen Eingriff zu lange abgewartet wird? Michael Schüpbach: Wenn wir im Rahmen des therapeutischen Fensters zu lange abwarten, könnten sich Ausschlusskriterien für eine Operation entwickeln: Der neurodegenerative Prozess schreitet voran, auch in Hirngebieten, die nicht Dopamin-abhängig sind. Es kommt dann zu neurodegenerativen Veränderungen wie Demenz, Inkontinenz, erhöhter Sturzgefahr, die sich auch mittels THS nicht mehr behandeln lassen.
Kasten:
EARLYSTIM in Kürze
In die Studie eingeschlossen waren 251 Probanden, die im Durchschnitt 52 Jahre alt und seit 7,5 Jahren an Morbus Parkinson erkrankt waren. Randomisiert wurde in zwei Gruppen: Eine Gruppe erhielt nur Medikamente, die zweite erhielt zusätzlich bilateral in einer stereotaktischen Operation stimulierende Elektroden in den Nucleus subthalamicus (Tiefe Hirnstimulation, THS) implantiert. Ein wichtiges Kriterium für die Teilnahme war eine gute Levodopa-Sensitivität. An EARLYSTIM beteiligten sich 9 deutsche und 8 französische Universitätskliniken.
Resultate: Im primären Studienoutcome Lebensqualität verbesserte sich der Score in der THS-Gruppe um 7,8 Punkte, in der Medikamenten-Gruppe verschlechterte sich dieser um 0,2 Punkte (Differenz zwischen den Gruppen von Baseline bis 2 Jahre: 8 Punkte; p = 0,002). Der Parkinson‘s Disease Questionnaire (PDQ-39) verbesserte sich also um 26 Prozent von durchschnittlich 30,2 auf 22,4 Punkte. Die THS-Gruppe war überlegen in Bezug auf die motorischen Störungen (p < 0,001), Aktivitäten des täglichen Lebens, L-DOPA-induzierte motorische Komplikationen (p < 0,001) und Zeit mit guter Mobilität und ohne Dyskinesie (p = 0,01). Positiv wirkte sich die Neurostimulation auch auf den Medikamentenverbrauch aus: Die tägliche L-DOPA-Äquivalenzdosis reduzierte sich um 39 Prozent, ohne THS nahm sie im Untersuchungszeitraum um 21 Prozent zu. Keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen fanden sich bei den kognitiven Fähigkeiten der Probanden und deren Apathie. Schwerwiegende Ereignisse traten bei 54,8 Prozent der Patienten nach der Neurostimulation auf und in 44,1 Prozent der medikamentös behandelten Patienten. 2 Suizide traten in der THS-Gruppe auf, 1 in der Medikamentengruppe. Zusätzlich gab es in jedem Studienzweig 2 belegte Suizid-Versuche.
Quelle: Schuepbach WMM; Rau J; Knudsen K et al: Neurostimulation for Parkinson´s Disease with Early Motor Complications. New Engl J Med. 2013 Feb 14. 368; 7: 610–622.
Welche Besserungen konnten in EARLYSTIM bei der Lebensqualität beobachtet werden? Michael Schüpbach: Unter der Behandlung mit THS und L-DOPA verbesserte sich die Motorik: der schlech-
&26 3/2013 PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
teste Off-Zustand war signifikant besser als in der medikamentösen Gruppe, und sogar der On-Zustand verbesserte sich leicht in einem additiven Effekt von THS und Medikamenten. Entscheidend war, dass der OnZustand im Laufe des Tages viel länger anhält. Die Einnahme der Medikamente wurde reduziert, und auch die vollständigen Offs, die aufgrund der motorischen Fluktuationen unter der L-DOPA-Therapie entstehen. Deshalb verbessert sich auch die Lebensqualität signifikant. Zusätzlich verbessern sich die Aktivitäten des täglichen Lebens. Sekundär tritt eine Verbesserung der psychischen Situation ein. Subjektiv von den Patienten im Parkinson‘s Disease Questionnaire (PDQ-39) beurteilt, besserten sich alle Aspekte wie emotionales Wohlbefinden (p < 0,001), Stigma (p < 0,001), Mobilität (p < 0,001). In Bezug auf die Feinmotorik ist die Wirkung der THS in besonders anspruchsvollen Einzelfällen jedoch dennoch nicht optimal: Einschränkungen bei Schönschreiben oder professionellem Musizieren auf einem Instrument bleiben auch trotz erfolgreicher THS bestehen. Allerdings ist die normale Beweglichkeit erhalten, die es für alltägliche Tätigkeiten braucht. Auch der Tremor verbessert sich deutlich. Entscheidend für den Erfolg ist neben der Programmierung der Stimulationsparameter die exakte Implantation der Elektroden. Die Sonde muss nur einen Millimeter falsch liegen, um negative Konsequenzen zum Beispiel auf die Sprache oder das Verhalten zu haben.
Warum hatte es in der THS-Gruppe einen Suizid mehr? Michael Schüpbach: Die Zahlen sind zu klein, als dass ein Vergleich der beiden Gruppen möglich ist. In der THS-Gruppe kam es zu zwei Suiziden, in der medikamentösen Gruppe zu einem. Die Zahlen erlauben keine zuverlässige statistische Schlussfolgerung. Allerdings muss klar festgehalten werden, dass der operative Eingriff belastend ist und sich dies in der psychischen Befindlichkeit widerspiegeln kann. Das Leben stellt sich durch die THS komplett um, deshalb müssen die Patienten auch einen psychologischen Support erhalten. Zudem können manche Patienten durch die Stimulation vorübergehend irritabler und impulsiver reagieren, weshalb sich das Suizidrisiko erhöhen könnte. Und ein wichtiger Punkt ist die medikamentöse Behandlung: Wird im Anschluss an die THS die medikamentöse Behandlung zu aggressiv gesenkt, kann es zu einem nicht motorischen Dopamin-Entzug-Syndrom kommen, zum Beispiel mit einer Apathie oder einer depressiven Symptomatik. Nicht zuletzt entschliessen sich wahrscheinlich mehr risikobereite Patienten für die Operation. Gerade in den ersten Monaten nach dem Eingriff ist die Vulnerabilität erhöht, weshalb ein engmaschiges Monitoring auf suizidale Tendenzen notwendig ist.
Wie wurde die Verblindung in der THS-Gruppe gewährleistet, das heisst in Bezug auf die motorischen Scores? Michael Schüpbach: Eine Verblindung der subthalamischen Stimulation ist nicht möglich, weil die Wirkung der THS extrem ist. Patienten bemerken einfach, ob sie stimuliert sind oder nicht. Die Lebensqualität steigt, und das lässt sich nicht verblinden. Als Surrogat-Verblindung haben wir eine standardisierte motorische Untersuchung herangezogen, die per Video dokumen-
tiert wurde. Die Patienten trugen eine Haube, damit die OP-Narbe für den Untersucher nicht erkennbar war.
Was sind die Schwächen der Studie? Michael Schüpbach: Meiner Ansicht nach hat die Studie keine wesentlichen methodologischen Schwächen. Das hängt damit zusammen, dass durch die langjährige Zusammenarbeit der deutschen und französischen Zentren auf Erfahrungen aufgebaut werden konnte. Die Dokumentation war beispielsweise extrem sorgfältig. Jede Therapieanpassung und jedes Symptom musste dokumentiert werden. In die Studie wurden dadurch auch nur genau gescreente Patienten eingeschlossen. Methodologisch ist EARLYSTIM daher als eine starke Studie zu bezeichnen, weil sie eine der am präzisesten durchgeführten Studien zur Neurostimulation darstellt. Die Schwächen liegen eher in der Extrapolierbarkeit. Die Einschlusskriterien begrenzen das Alter der Patienten auf ≤ 60 Jahre, im klinischen Alltag sehen wir aber oft Patienten über 60 mit Parkinson. Zudem hatten wir dank Fördergeldern von deutscher und französischer Seite und Unterstützung von Medtronic genügend Mittel, um die Patienten optimal betreuen zu können. Jeder Patient konnte bei Problemen in kürzester Zeit einen Neurologen sprechen. Nach der Einlage der Sonden konnten wir die Patienten interdisziplinär engmaschig kontrollieren. THS ist aufwendige Spitzenmedizin. Das darf nicht vergessen werden. Ich denke, in der Schweiz hat es temporär personelle Versorgungsengpässe bei einer aber immer adäquat durchführbaren Behandlung. Ob diese medizinischen Ressourcen in anderen Ländern in der Routine immer vorhanden sind, wage ich zu bezweifeln. Die Einlage einer THS und die Extrapolierbarkeit der Daten sind dementsprechend ein Public-Health-Thema. Wir müssen zukünftig sehen, ob wir die Ressourcen für die optimale Nachbetreuung nach diesem Eingriff haben. Aber das ist ein gesundheitspolitischer Entscheid.
Welche Konsequenzen hat die Studie?
Michael Schüpbach: Aufgrund der Studiendaten kön-
nen wir sagen, dass es Sinn macht, innerhalb der ersten
3 Jahre nach der «Honeymoon»-Phase zu operieren,
wenn erste Dyskinesien oder motorische Fluktuatio-
nen aufgetreten sind. Eine Verbesserung der Lebens-
qualität ist so möglich, und die Medikamente lassen
sich um 21 Prozent reduzieren. Allerdings zeigt die Stu-
die auch, dass mit einer rein medikamentösen Therapie
eine Stabilisierung des Patienten über einen Zeitraum
von 2 Jahren gelingt. Die THS wäre dann nicht mehr die
Ultima ratio, sondern eine Alternative zur medikamen-
tösen Therapie in einer frühen Krankheitsphase des Pa-
tienten.
●
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Michael Schüpbach
Oberarzt Neurologie
Kompetenzzentrum für Bewegungsstörung
Inselspital, Universitätsspital Bern
3010 Bern
E-Mail: michael.schupbach@wanadoo.fr
Das Interview führte Annegret Czernotta.
3/2013
&PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
27