Transkript
Moderne Basistherapien in der Rheumatologie
Was muss der Internist wissen?
BERICHT
Einen Überblick und ein Update zu den derzeit verfügbaren medikamentösen Therapien zur Behandlung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises gab Prof. Peter Villiger am FOMF UpdateRefresher Innere Medizin.
Das Medikamentenspektrum zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen umfasst derzeit nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Glukokortikoide, DMARD (disease-modifying anti-rheumatic drugs), Biologika und Januskinase(JAK)-Inhibitoren.
NSAR/COX-2-Hemmer
Villiger erachtet NSAR immer noch als wertvolle Medikamente in der Rheumatologie, vor allem in akuten Situationen. Er wies jedoch darauf hin, dass die Patienten – und insbesondere die älteren – über deren Einfluss auf den Wasserund Mineralhaushalt informiert werden sollten. Des Weiteren machte der Referent darauf aufmerksam, dass NSAR die Beurteilung einer rheumatischen Erkrankung erschweren können. «Wenn jemand Voltaren® erhält, erscheint die Krankheitsaktivität reduziert, denn NSAR sind sehr gute symptomatische Medikamente, die jedoch keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben», führte er weiter aus. Wenn die Wirksamkeit der Basismedikation genauer überprüft werden soll, müsse man NSAR daher vorher absetzen. Rofecoxib (Vioxx®; in der Schweiz nicht mehr erhältlich) und Dioclofenac (Voltaren® und Generika) sind äquipotent und deutlich stärker wirksam als die anderen NSAR. Bei Patienten, die aus kardiovaskulären Gründen Acetylsalicylsäure (Aspirin® und Generika) einnehmen, sollten eher COX(Cyclooxygenase)-2-Hemmer angewendet werden, um Wechselwirkungen zu vermeiden. Andernfalls müssten die Patienten instruiert werden, das Aspirin® eine halbe Stunde vor dem NSAR einzunehmen.
KURZ & BÜNDIG
� NSAR weisen eine starke symptomatische Wirksamkeit auf.
� NSAR beeinflussen den Krankheitsverlauf nicht.
� Methotrexat gilt als Goldstandard-DMARD.
� Biologika können sehr gezielt eingesetzt werden.
� JAK-Inhibitoren weisen ein breites Wirkungsspektrum auf.
Glukokortikoide
Viele Ärzte betrachten Glukokortikoide wie Prednison immer noch als Basismedikamente. Diese Medikamente weisen genomische Effekte wie die Transaktivierung (aktivierte Expression von antiinflammatorischen und regulatorischen Proteinen) auf. Der für die Behandlung relevante genomische Effekt sei die Transrepression, die darauf abzielt, die Expression inflammatorischer Moleküle zu unterbinden, erläuterte Villiger. Dafür werden metabolische Nebenwirkungen infolge der Transaktivierung von 4 Genen beispielsweise auf die Knochen und das Fettgewebe in Kauf genommen. Für Rheumatologen sei es wichtig zu wissen, bei welcher Dosis welche Effekte induziert werden, so der Referent. Für die genomischen Effekte seien mindestens 40 mg/Tag erforderlich. Allgemein übliche Dosen betragen bis zu 50 mg/Tag (1). Als niedrige Dosen gelten ≤ 7,5 mg/Tag, eine mittlere Dosis beträgt > 7,5 bis ≤ 30 mg/Tag, eine hohe Dosis > 30 bis ≤ 100 mg/Tag und eine sehr hohe Dosis > 100 mg/Tag. Bei Patienten mit Risikofaktoren wie Atherosklerose oder Diabetes sollte die Dosierung unter 5 mg/Tag liegen. Patienten ohne metabolische Probleme können eine Zeitlang auch 10 mg oder 7,5 mg/Tag erhalten. Zwischen 5 und 10 mg/Tag nimmt das Risiko für Nebenwirkungen entsprechend den individuellen Risikofaktoren der Patienten zu. Bei unter 5 mg/Tag liegt die Dosierung im sicheren Bereich (2).
DMARD
Methotrexat (MTX) gilt als Goldstandard-DMARD und wird 1-mal wöchentlich gegeben. In der Schweiz und in der Europäischen Union beginnt man mit der Behandlung fast immer parenteral und standardmässig subkutan. In besonderen Situationen, wie beispielsweise in den Ferien, kann die Behandlung auch eine Zeitlang oral erfolgen. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass die Resorption per os sehr unzuverlässig ist. Bei subkutaner Applikation weiss man dagegen sehr genau, welche Menge des Arzneimittels sich im Körper des Patienten befindet. MTX sollte deshalb – zumindest bis eine stabile Remission erreicht ist – subkutan appliziert werden. Sulfasalazin (Salazoprin®) hat sich bei Psoriasisarthritis, reaktiver Arthritis und peripheren Manifestationen einer Spon-
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dyloarthritis als wirksam erwiesen. Das Medikament ist gut verträglich und weist eine gute Dosis-Wirkungs-Beziehung auf. Übliche Dosierungen liegen bei 2 g, 1 g oder 500 mg/Tag. Beim vollständigen Absetzen des Medikaments kommt es jedoch zu einem Schub. Antimalariamedikamente sind zur Behandlung der milden symmetrischen Polyarthritis sowie als Basistherapie bei systemischem Lupus erythematodes (SLE) geeignet. Diese Substanzen sind mit günstigen Nebenwirkungen verbunden. Sie wirken cholesterinsenkend und beeinflussen die Atherosklerose günstig. Bei SLE gelten Antimalarika wie Hydroxychloroquin (Plaquenil®) als unerlässlich. Bei Standarddosen bestehen dem Referenten zufolge kaum Risiken für eine medikamenteninduzierte Retinopathie. In den ersten 3 Behandlungsmonaten sollte der Patient dennoch vorsorglich an den Ophthalmologen überwiesen werden. Ansonsten reicht es aus, wenn die Augen und der Augenhintergrund 1-mal jährlich oder alle 2 Jahre untersucht werden. Kürzere Zeitabstände seien bei den tiefen Dosierungen in der Rheumatologie nicht erforderlich, erläuterte Villiger. Leflunomid (Arava® und Generika) gilt als sehr gut verträgliche Alternative zu MTX. Das Medikament ist durch eine lange Verweildauer im Körper gekennzeichnet und wirkt nach dem Absetzen noch 2 bis 3 Monate nach. Dies muss gegebenenfalls bei der Beurteilung der Krankheitsaktivität berücksichtigt werden. Für junge Frauen ist Leflunomid nicht uneingeschränkt zu empfehlen, denn bei einer geplanten Schwangerschaft muss das Medikament rechtzeitig abgesetzt werden. Azathioprin (Imurek® und Generika) und MycophenolatMofetil (MMF; Myfortic®) werden in der Rheumatologie zur Behandlung von Konnektivitiden und Vaskulitiden angewendet. Die Gelenke könnten mit diesen Medikamenten allerdings nicht positiv beeinflusst werden, so der Referent. MMF ist sehr gut wirksam bei Lupusnephritis.
Biologika
Nach einem immunologischen Stimulus, beispielsweise durch ein Bakterium, ein Antigen oder ein Virus, kommt es zur Aktivierung immunkompetenter Zellen wie B-Zellen, Monozyten oder T-Zellen. Dies führt zur Expression von Zytokinen wie Tumornekrosefaktor (TNF) und Interleukin(IL)-1 sowie zeitversetzt von IL-6. Mit Biologika kann in dieser Entzündungskaskade an jeder Stelle gezielt interveniert werden: s T-Zellen: Abatacept (Orencia®), Ustekinumab (Stelara®),
Secukinumab (Cosetyx®), Ixekizumab (Taltz®) und Guselkumab (Tremfya®) s B-Zellen: Rituximab (MabThera®) und Belimumab (Benlysta®) s TNF: Etanercept (Enbrel® und Biosimilars), Infliximab (Remicade® und Biosimilars), Adalimumab (Humira® und Biosimilars), Certolizumab (Cimzia®) und Golimumab (Simponi®) s IL-1: Anakinra (Kineret®), Canakinumab (Ilaris®) und Rilonacept (in der Schweiz nicht zugelassen) s IL-6: Tocilizumab (Actemra®) und Sarilumab (Kevzara®). «Wir haben vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme, und in der Rheumatologie schauen wir, welche Intervention die zielführendste beim jeweiligen Patienten sein könnte», so
Villiger. Die Auswahl des geeigneten Biologikums erfolgt in Abhängigkeit von der Krankheit, aber auch von anderen Faktoren. Auch die Wirkungsweise von Antizytokinen ist vielfältig und kann gezielt genutzt werden. Die beiden Antikörper Infliximab und Adalimumab binden und neutralisieren das lösliche Zytokin. Anakinra ist ein Strukturhomolog zum natürlichen IL-1 und kompetiert mit diesem am Zellrezeptor. Etanercept fungiert als löslicher TNF-Rezeptor und fängt dieses vom Zellrezeptor ab.
Nebenwirkungen
Alle genannten Medikamente, insbesondere die Stereoide, sind mit einem erhöhten Risiko für Infektionen verbunden. Des Weiteren kann es zu substanzspezifischen unerwünschten Wirkungen kommen. Bei den gegen TNF gerichteten Substanzen (siehe weiter oben) muss mit einer Reaktivierung granulomatöser Erkrankungen wie Tuberkulose, Sarkoidose oder Morbus Crohn gerechnet werden. Zu den potenziellen Nebenwirkungen der Anti-IL-R6-Medikamente gehört die Entwicklung einer Divertikulitis. Unter dem gegen B-Zellen gerichteten Rituximab wird das Potenzial zur Entwicklung von Antikörpern supprimiert, sodass die Patienten nicht mehr auf Impfungen ansprechen. Vakzinationen sollten deshalb etwa 2 Wochen vor dem Beginn mit Rituximab vorgenommen werden.
JAK-Inhibitoren
Die JAK-Inhibitoren Tofacitinib (Xeljanz®), Baricitinib (Olumiant®), Upadacitinib (Rinvoq®) werden oral appliziert, wirken intrazellulär und sind im Gegensatz zu den gezielt einsetzbaren Biologika mit einem breiten Wirkungsspektrum verbunden. Ihre Wirksamkeit liegt statistisch leicht über der von Biologika. Zu den Risiken der JAK-Inhibitoren gehören schwerwiegende Infektionen, Malignome, schwere unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse (major adverse cardiovascular events, MACE) und Thrombosen. Vor Behandlungsbeginn sollte daher eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risken vorgenommen werden.
Linktipp
Abschliessend wies Villiger noch auf das Internetportal www. rheuma-net.ch hin. Hier können Ärzte unter «Fachinformationen/Behandlungsempfehlungen» alle wichtigen Informationen zur Krankheitskontrolle bei ihren Patienten finden.s
Petra Stölting
Quelle: Vortrag von Prof. Peter Villiger, Update-Refresher Innere Medizin des Forums für medizinische Fortbildung (FOMF), Zürich, 5. Juni 2023.
Referenzen: 1. Matteson EL, Buttgereit F et al.: Glucocorticoids for management of
Polymyalgia Rheumatica and Giant Cell Arteritis. Rheum Dis Clin Am. 2016;42:75-90. 2. Buttgereit F, Bijlma JW: Glucocorticoids in rheumatoid arthritis: the picture is shaping up. Ann Rheum Dis. 2017;76:1785-1787.
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