Transkript
BERICHT
Impfungen
Was wird wem wann empfohlen?
Ein Update zu den aktuellen Impfempfehlungen, unter anderem gemäss Schweizerischem Impfplan, gab Dr. Christoph T. Berger, Universitäres Zentrum für Immunologie und Leitender Arzt Medizinische Poliklinik am Unispital Basel, an der medArt Basel.
Der Schweizerische Impfplan (1) sei ein extrem wichtiges Dokument, betonte der Experte einleitend, denn sehr viele Fragen, die im ärztlichen Alltag aufträten, seien darin aufgeführt. Jedes Jahr erscheint ein Update; die aktuelle Version datiert von Januar 2023. Es gibt darin neben den allgemeinen auch separate Impfempfehlungen, zum Beispiel zur COVID-19(coronavirus disease 2019)-Impfung oder für bestimmte Patientengruppen, etwa Personen mit malignen Erkrankungen, gastroenterologischen Problemen und anderen Erkrankungen.
KURZ & BÜNDIG
� Die Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) wird bei allen männlichen Personen zwischen 9 und 26 und bei allen weiblichen zwischen 9 und 45 Jahren empfohlen.
� Die Empfehlung zur FSME-Impfung wurde inzwischen auf die ganze Schweiz (Ausnahme: Kantone Genf und Tessin) ausgeweitet.
� Herpes Zoster ist eine sehr häufige Erkrankung mit potenziell schwerwiegenden Komplikationen. Eine Impfung mit der rekombinanten Vakzine Shingrix® wird seit Januar 2022 für alle Personen ab 65, für Patienten mit leichtem Risiko ab 50 und für Patienten mit hohem Risiko ab 18 Jahren empfohlen.
� Das BAG empfiehlt neu die Varizellenimpfung für alle Säuglinge (Basisimpfung) und noch nicht infizierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis zum Alter von 39 Jahren.
� Zur Impfung gegen Meningokokken ist neben dem Impfstoff gegen die Serotypen A, W, C und Y (Menveo®) neu die Serotyp-B-Vakzine (Bexsero®) für 11- bis 24-Jährige zugelassen.
� Auffrischimpfungen gegen COVID-19 sollen aktuell nur in Einzelfällen (Antikörpermangel, Transplantation, Immunsuppression, alte Menschen mit Komorbiditäten) durchgeführt werden.
� Zur Grippeimpfung ist seit 2021 der Hochdosisimpfstoff Efluelda® für Personen ab 65 und für Patienten unter Immunsuppression zugelassen.
Nur kurz riss Berger, der in Basel auch die Impfsprechstunde leitet und gleichzeitig Mitglied der Eidgenössischen Impfkommission ist, eingangs die verschiedenen empfohlenen Grundimpfungen an: s Masern/Mumps/Röteln (MMR; Lebendimpfung, kontra-
indiziert bei Immunsuppression [IS]): Alle nach 1963 geborenen Personen sollten geimpft sein, ältere haben normalerweise im Kindesalter eine natürliche Immunität erworben. Es sind 2 Impfungen erforderlich. s Varizellen (Windpocken; Lebendimpfung, kontraindiziert bei IS): Die Impfung gegen Windpocken wird neu bei Kleinkindern als Basisimpfung empfohlen. Erwachsene sollten geimpft werden (2 Dosen in 4-wöchigem Abstand), falls sie nicht bis zum 40. Lebensjahr an Varizellen erkrankt und keine Impfung erhalten haben, da ein deutlich erhöhtes Risiko für Varizellenpneumonie und Varizellenmeningitiden besteht. s Diphtherie und Tetanus (Di/Te): In der Schweiz wird ein grosszügiges Impfintervall (mit 25, 45 und 65 Jahren, danach alle 10 Jahre Auffrischimpfung) empfohlen; bei Patienten unter IS können die Intervalle abgekürzt werden. s Pertussis (Keuchhusten): Geimpft werden sollten Schwangere (Ende 2. Trimenon), um die Kinder zu schützen (passiver Antikörpertransfer); Gleiches gilt für Grosseltern und alle, die in den ersten 6 Monaten engen Kontakt zu den Säuglingen haben. Die Impfung gegen Pertussis ist nur in Kombination mit derjenigen gegen Di/Te möglich. s Poliomyelitis: Die Erkrankung ist nahezu ausgerottet; ein Problem besteht allenfalls bei Reisen (Nigeria, Pakistan, Afghanistan) oder Kontakt mit Migranten. Die Impfung erfolgt 1-malig im Erwachsenenalter.
Impfungen, an die erinnert werden sollte
Im Folgenden besprach der Referent dann jeweils ausführlicher diejenigen Impfungen, an die der Hausarzt seine Patienten hin und wieder erinnern sollte.
HPV Die Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) wird inzwischen für alle Jugendlichen und bis ins Erwachsenenalter
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empfohlen. Man impfe dabei gleich gegen 2 Krankheiten, erklärte Berger, nämlich zum einen gegen Feigwarzen (Condylomata acuminata) und Larynxpapillome, welche von den Low-risk-HPV-Typen (6/11) hervorgerufen würden, und zum anderen gegen Tumoren, hauptsächlich Zervix-, aber auch Penis-, Vagina-, Vulva-, Analkarzinome und Karzinome im Hals-/Rachenbereich, welche mit den High-risk-HPVTypen (16/18) assoziiert seien. Es konnte gezeigt werden, dass die Impfung die Raten von HPV-assoziierten Warzen, Präkanzerosen und Tumoren um 75 bis 95 Prozent senkt sowie 95 Prozent aller HPV-assoziierten Zervixkarzinome abdeckt. «Man kann die HPV-Impfung insofern auch als Krebsimpfung bezeichnen, denn sie kann nachweislich Krebserkrankungen verhindern, wenn früh geimpft wird», sagte der Experte. In der Schweiz liegt das empfohlene Alter für die HPV-Impfung bei männlichen Personen zwischen 9 und 26, bei weiblichen zwischen 9 und 45 Jahren. Der Impfstoff (Gardasil 9®) wird im Alter ab 15 Jahren in 3 (0, 2, 6 Monate) beziehungsweise bei 9- bis 14-Jährigen in 2 aufeinanderfolgenden Dosen (0, 5 bis 13 Monate) verabreicht. Die Impfung schützt vor einer Reinfektion, es besteht jedoch keine therapeutische Indikation. Zwar habe sich in kleinen Fallserien nach Impfung ein Rückgang von Feigwarzen gezeigt, so Berger, sodass daher im Einzelfall eine mögliche Option gegeben sei, er empfehle hier aber die Zuweisung in die Impfsprechstunde. Erfolgt die Impfung im Alter zwischen 11 und 26 sowie im Rahmen des Kantonalen Impfprogramms, ist sie für die Patienten kostenlos. Das Kantonale Impfprogramm verlangt hierfür jedoch, dass die Impfung im jeweiligen Wohnkanton erfolgt. Nähere Informationen hält der Hersteller des Impfstoffs auf seiner Homepage bereit (https://www.mymsd.ch/ de/wp-content/uploads/sites/13/2021/05/HPV-ProgrammSlide-pro-Kanton_VACC-1229464-0004.pdf). Unterstützendes Aufklärungsmaterial, das sich vor allem an junge Leute wendet, kann auf der Webseite des Bundesamts für Gesundheit (BAG; https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/ das-bag/publikationen/broschueren/publikationen-ueber tragbare-krankheiten/krebs-und-genitalwarzen.html) heruntergeladen werden.
FSME Die Fallzahlen von Zeckenenzephalitiden in der Schweiz nehmen zu (derzeit ca. 300 Fälle/Jahr). Die Empfehlung zur Impfung gegen Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) wurde (mit Ausnahme der Kantone Genf und Tessin) inzwischen auf die ganze Schweiz ausgeweitet. Laut dem Referenten sei die Vakzinierung insbesondere wichtig bei Personen mit einem hohen Expositionsrisiko (z. B. Hundehalter, Waldarbeiter, ausgedehnter Aufenthalt in der Natur), «aber auch im eigenen Garten kann man sich die Zecken holen», so Berger. Es gibt 2 Impfstoffe in der Schweiz (Encepur®-N, FSME-Immun® CC), die entweder in einem normalen Schema mit 3 Dosen (0, 1 bis 3, 5 bis 12 Monate) oder in einem Schnellschema (kürzere Abstände) gegeben werden. Auffrischimpfungen sollen alle 10 Jahre erfolgen.
Impfungen für spezielle Risikopersonen
Der Kreis derjenigen, für die spezielle Impfempfehlungen abgegeben werden, umfasst vor allem Patienten unter IS und,
aufgrund des im Alter höheren Risikos für Infektionen (Immunseneszenz), ältere Menschen.
Herpes zoster Klassisches Beispiel einer Infektion, deren Hauptrisikofaktoren höheres Alter und IS sind, ist der Herpes Zoster. Es handelt sich dabei um eine sehr häufige Erkrankung (1 von 3 Personen ist irgendwann in ihrem Leben davon betroffen), mit potenziell schwerwiegenden Komplikationen, wie etwa dem Zoster ophthalmicus, der zu Augenverletzungen bis hin zur Erblindung führen kann, oder der Post-Zoster-Neuralgie, die bis zu 1 Drittel der Zosterpatienten bekommt sowie schwierig zu behandeln und für die Betroffenen daher sehr einschneidend sein kann. Mittlerweile wird der rekombinante Zosterimpfstoff Shingrix® empfohlen, der im Gegensatz zum früher verwendeten Lebendimpfstoff (Zostavax®) mit dem gesamten (abgeschwächten) Virus als Antigen nur Glycoprotein E, das Oberflächeneiweissantigen des Virus, enthält. Zusätzlich sei Shingrix® adjuvantiert, um das Immunsystem zu aktivieren und starke T-Zell-Antworten auszulösen, erklärte Berger. T-Zellen hielten die über lange Zeit im Körper «schlafenden» Varizella-zoster-Viren in Schach, während Antikörper nur vor Reinfektion schützten. «Deshalb kann auch bei Personen mit hohen Antikörpertitern ein Erkrankungsrisiko bestehen», warnte der Referent. Das höchste Risiko tragen (stammzell-)transplantierte Patienten sowie Personen mit schwerer IS oder solche unter Behandlung mit Januskinasehemmern, die etwa bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder rheumatoider Arthritis zum Einsatz kommen. Die Wirksamkeit der Impfung gegen Zoster und die Post-Zoster-Neuralgie ist sehr hoch und beträgt bei gesunden Älteren fast 100 Prozent und in der Gesamtpopulation inklusive der IS-Patienten und chronisch Erkrankten noch etwa 90 Prozent. Die Impfung erfolgt in 2 Dosen (0, 2 bis 6 Monate) und kann schmerzhaft und mit starker Lokalreaktion (Schwellung, Rötung) assoziiert sein. Seit Januar 2022 besteht in der Schweiz eine ergänzende Impfempfehlung für alle Personen ab 65 Jahren. Patienten mit leichtem Risiko (Diabetes, Asthma, leichte IS) sollten die Impfung ab 50, solche mit hohem Risiko (Transplantierte, Kombinations-IS) bereits ab 18 Jahren erhalten, und zwar unabhängig von serologischen Werten oder davon, ob bereits früher eine Zostererkrankung durchgemacht oder eine Zostavax®-Impfung durchgeführt wurde. Bei einem akuten Zoster sollte vor Impfung die vollständige Abheilung abgewartet werden.
Affenpocken In 2023 sind in der Schweiz bisher nur 3 Fälle von Affenpocken registriert. Die Impfung wird als Postexpositionsimpfung empfohlen für Personen ab 18 Jahren bei ungeschütztem Kontakt zu Infizierten sowie präventiv für MSM(Männer, die Sex mit Männern haben)- und Trans-Personen mit häufig wechselnden Sexualpartnern und für Personen mit beruflicher Exposition (Infektiologen, Dermatologen, Labormitarbeiter). Als Impfstoff steht in der Schweiz die attenuierte Lebendvakzine Jynneos® zur Verfügung, die in 2 Dosen (0, 28 Tage) s.c. verabreicht wird. Bei Personen, die früher in ihrem Leben eine Pockenimpfung erhalten haben, ist 1 Dosis ausreichend.
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Pneumokokken/Meningokokken Pneumokokken und Meningokokken sind bekapselte Bakterien, die Lungen- respektive Hirnhautentzündungen hervorrufen. Besonders gefährdet sind Personen, die keine (funktionierende) Milz mehr haben, oder solche mit einem Antikörpermangel. Zur Impfung gegen Pneumokokken sind in der Schweiz verschiedene Impfstoffe verfügbar. «Wir empfehlen, die Pneumokokkenkonjugatimpfstoffe zu verwenden», sagte der Immunologe, als da wären: s Prevenar 13® (PCV-13) s Vaxneuvance® (PCV-15, neu seit Februar 2023 zugelas-
sen) s PCV 20 (bereits zugelassen in EU, Zulassung in CH er-
wartet für 2024). Schwere Pneumokokkeninfekte beträfen vornehmlich ganz alte und ganz junge Menschen, so Berger. Zur Risikogruppe zählen Patienten unter IS, mit Immundefizienz oder Autoimmunerkrankungen und Transplantierte sowie solche mit schweren chronischen Erkrankungen wie Lungenerkrankungen, Leberzirrhose oder Diabetes. Während PCV-13 früher nur für Kinder bis 5 Jahre zugelassen war, kann er nun wie PCV-15 auch bei Personen ab 65 Jahren eingesetzt werden. Durch Serotypenveränderungen der Pneumokokken über die Zeit sind immer wieder neue Impfstoffe erforderlich. «PCV15 und PCV-20 enthalten mehr Serotypen und sorgen so für eine bessere Abdeckung der zirkulierenden Stämme», erklärte der Referent. Zur Impfung gegen Meningokokken gab es bis anhin lediglich den Serotyp-AWCY-Impfstoff (Menveo®). Neu ist nun auch die Serotyp-B-Vakzine (Bexsero®) für 11- bis 24-Jährige und in speziellen Ausbruchsituationen zugelassen; speziell empfohlen ist sie bei Splenektomierten, denn etwa 25 bis 30 Prozent aller Meningitisfälle werden durch Meningokokken vom Serotyp B verursacht.
COVID-19 Das Thema COVID-Impfung sei in der letzten Zeit in den Hintergrund gerückt, so Berger. Fast alle Personen hätten inzwischen eine Immunität erlangt, entweder durch Infekte oder Impfung. Zudem seien die Risikogruppen (Alter ≥ 65 Jahre, Begleiterkrankungen) im Herbst 2022 noch einmal geboostert worden. Man habe inzwischen gelernt, dass Hybridimmunität, also eine über Infektion und Impfung aufgebaute Abwehr, sowie längere Intervalle zwischen den Virusexpositionen beziehungsweise Impfungen vorteilhaft seien, berichtete Berger; empfohlen werde daher jetzt ein Zeitraum von mindestens 6 Monaten zwischen Infektion und Auffrischimpfung.
Auffrischimpfungen sollen aktuell jedoch nur im Individualfall durchgeführt werden, etwa bei Personen, die nachweislich auf eine vorausgegangene Impfung keine Antikörper produziert haben, die neu stammzell- oder organtransplantatiert werden oder eine immunsupprimierende Therapie erhalten, bei alten Menschen mit vielen Komorbiditäten sowie bei Patienten, die neu keine immunsupprimierende Therapie mehr erhalten und nie eine Immunantwort aufbauen konnten. Wegen des geringeren Peri-/Myokarditisrisikos sei bei Personen unter 30 Jahren Comirnaty®, die COVID-Vakzine von BioNTech/Pfizer präferenziell zu verwenden, sagte der Immunologe. Für die Auffrischimpfung seien hoffentlich bald die Einzeldosen des bivalenten Impfstoffs Comirnaty® Original/Omicron BA.4-5 verfügbar, der neben dem ursprünglichen SARS-CoV-2(severe acute respiratory syndrome coronavirus 2)-Stamm auch die Omikron-Untervarianten BA.4 und BA.5 abdecke.
Grippe Für die Impfung gegen Grippe ist seit 2021 der Hochdosisimpfstoff Efluelda® neu zugelassen für Personen ab 65 und für Patienten unter IS. Die Vakzine enthalte 60 statt 15 g Hämagglutinine pro Stamm, und der Impfschutz sei gegenüber der Normaldosis um 24 Prozent erhöht, berichtete Berger. Die Kosten der Impfung werden inzwischen bei allen Personen über 75 Jahren und bei über 65-Jährigen mit Risikoerkrankungen von der Krankenkasse übernommen.
Reisen
Betreffend Reiseimpfungen beschränkte sich der Referent in
seinem Vortrag abschliessend auf den Verweis auf einen
eigenen praxisorientierten Übersichtsartikel (2) zum Thema
Reiseberatung und -impfungen inklusive einer Tabelle für die
Anwendung in der Sprechstunde, den er jedem Interessierten
auf Nachfrage gern zukommen lässt.
s
Ralf Behrens
Quelle: Vortrag «Wen, was, wann impfen» von PD Dr. Christoph T. Berger am 5. Juni 2023 an der medArt Basel.
Literatur: 1. Bundesamt für Gesundheit (BAG): Schweizerischer Impfplan 2023.
https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/i-und-b/ richtlinien-empfehlungen/neue-empfehlungen/schweizerischer-impf plan.pdf.download.pdf/schweizerischer-impfplan-de.pdf. 2. Güdel DS, Berger CT: Reiseimpfungen: Update und Tipps für die Beratung in der Grundversorgung. Therapeutische Umschau. 2021;78:83-92.
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