Transkript
Schwerpunkt
Dyslipidämien im Kindesalter
Sinnvolle Diagnostik und indizierte Therapiestrategien
Dyslipidämien zählen zu den häufigsten pädiatrischen Stoffwechselkrankheiten und sind ein Paradebeispiel für Prävention in der Pädiatrie. Generell ist es wichtig, die verschiedenen Dyslipidämien möglichst früh zu erkennen, damit durch eine konsequente Ernährungsumstellung, das Vermeiden von Risikofaktoren und, zumindest bei ausgeprägten Befunden, eine medikamentöse Therapie kardiovaskulären Komplikationen entgegengewirkt werden kann.
Von Alexander Lämmle1 und Johannes Häberle2
In diesem Artikel richten wir den Fokus auf die häu figste primäre Dyslipidämie – die heterozygote fami liäre Hypercholesterinämie. Es werden gezielt einzelne andere, weitaus seltenere primäre Dyslipidämien er wähnt, da auch diese möglichst frühzeitig diagnostiziert und therapiert werden sollten. Betreffend Diagnostik kommt weiterhin der Familienanam nese eine wichtige Rolle zu. Des Weiteren scheint ein generelles einmaliges Screening des Gesamtcholesterins bei allen Kindern oder Jugendlichen sinnvoll.
Eine einmalige Bestimmung des Gesamtcholesterins bei allen Kindern im Vorschulalter oder spätestens zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr scheint sinnvoll zu sein.
1 Universitätsklinik für Kinderchirurgie und Kinderheilkunde und Universitäts-Institut für Klinische Chemie, Inselspital Bern 2 Abteilung für Stoffwechselkrankheiten, Universitäts-Kinderspital Zürich
Therapeutisch stehen an erster Stelle eine konsequente Ernährungsumstellung und das Vermeiden anderer Risi kofaktoren, und erst in zweiter Linie eine medikamentöse Therapie. Auf PCSK9-Inhibitoren wird in diesem Beitrag etwas ausführlicher eingegangen, da diese Medikamente erst seit Kurzem bei Kindern zugelassen sind – dies aller dings nur unter Berücksichtigung von strengen Limitatio nen und in Ausnahmesituationen.
Vorbemerkungen
Dieser Artikel aktualisiert einen 2013 erschienenen Bei trag in der «Paediatrica» (1) und lehnt sich an die derzeit nicht mehr aktuell verfügbaren S2k-Leitlinien zur Diag nostik und Therapie von Hyperlipidämien bei Kindern und Jugendlichen an (2). Eine neue Version dieser Leitlinie ist aktuell in Bearbeitung und sollte planmässig 2024 ver öffentlicht werden. Unser Artikel bezieht sich ausdrücklich auf Kinder und Jugendliche und nicht auf Erwachsene. Dennoch spielen gerade bei Dyslipidämien, die oft erst im Erwachsenen alter symptomatisch werden, Überlegungen zu Primärund Sekundärprävention, Langzeitverlauf und Transition von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin eine wich tige Rolle. Tatsache ist aber, dass die Mehrzahl der Studien betreffend Krankheitsverlauf spezifischen diätetischen
und medikamentösen Therapien in Erwachsenenkohor ten durchgeführt wurden. Deren Resultate lassen sich nur vereinzelt, oft nur mit Einschränkung und zum Teil auch gar nicht auf Kinder übertragen. Es wird hier insbesondere auf die wichtigste beziehungs weise häufigste Dyslipidämie – die familiäre Hypercholes terinämie – inklusive deren Behandlungsmöglichkeiten eingegangen. Einige andere primäre, das heisst genetisch bedingte Dyslipidämien werden hier nur am Rande er wähnt. Auf eine systematische oder komplette Auflistung aller Dyslipidämien wird bewusst verzichtet. Folgende Fragen sollten nach Lektüre dieser Übersicht beantwortet werden können: Bei welchen Kindern ist eine Labordiagnostik indiziert? Welche Laborwerte wer den bestimmt? Was ist der Stellenwert der Familienanam nese? Was sind die wichtigsten Massnahmen zur Ver meidung von Risikofaktoren für die vorzeitige Entstehung von Atherosklerose? Ist eine generelle Screeninguntersuchung betreffend Dys lipidämien im Kindesalter sinnvoll? Welche Dyslipidämien sind im Kindesalter am häufigsten? Welche Therapieop tionen gibt es? Was gibt es Aktuelles betreffend neuer Therapiemöglichkeiten der familiären Hypercholesterin ämie mittels PCSK9-Inhibitoren?
Familiäre Hypercholesterinämien
Der heterozygote LDL-Rezeptor-(LDLR-)Defekt ist die häu figste vererbte Dyslipidämie. Sie wird durch eine Mutation im LDLR-Gen verursacht. Der LDLR-Defekt tritt mit einer Inzidenz von zirka 1:500 auf. Der heterozygote LDLR-De fekt wird autosomal-dominant vererbt, was bedeutet, dass bereits ein defektes Allel des LDLR-Gens zu einer Dyslipidämie führt. Zudem bedeutet dies, dass in der Re gel mindestens ein Elternteil ebenfalls von einer familiä ren Hypercholesterinämie betroffen ist. Klinisch verläuft der heterozygote LDLR-Defekt in der Re gel lange symptomlos. Die bereits seit der Kindheit er höhten LDL-Cholesterinwerte führen dann aber nicht selten im frühen Erwachsenenalter zu akuten und schwe ren kardiovaskulären Ereignissen wie zum Beispiel zum Myokardinfarkt (generell gelten kardiovaskuläre Ereig nisse als «früh» bei Männern < 55 Jahren sowie bei
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Frauen < 65 Jahren). Neben den kardiovaskulären Symp tomen sind Xanthelasmen (Cholesterineinlagerungen meist im Bereich des inneren Lidwinkels), Xanthome (Cholesterineinlagerungen über Strecksehnen, vor allem Ellenbogen und Knie) und Arcus lipoides corneae (korneale Lipideinlagerungen am Aussenrand der Iris) typische klinische Merkmale. Diese Symptome sind im Kindesalter bei der heterozygoten familiären Hypercho lesterinämie nur selten bereits vorhanden. Eine klinisch weitaus ausgeprägtere Form der Dyslipid ämie liegt vor, wenn von beiden Elternteilen ein krank haftes LDLR-Allel vererbt wird. Dann liegt der LDLRDefekt entweder in «compound-heterozygoter» Form (beide LDLR-Allele defekt, jedoch zwei unterschiedliche Mutationen) oder in homozygoter Form (z. B. bei Ver wandtschaft der Eltern, wenn beide Eltern dieselbe Mutation tragen und an die Kinder weitergeben) vor. Die Inzidenz der bi-allelischen familiären Hypercholesterin ämie beträgt zirka 1:1 000 000. Betroffene leiden teil weise bereits im frühen Kindesalter an einer koronaren Herzkrankheit. Das therapeutische Management ist ent sprechend äusserst aggressiv und zielt auf eine rasche und deutliche Senkung der deutlich erhöhten Gesamtund LDL-Cholesterinwerte. Dies wird unter anderem mit tels frühem Einsatz von Statinen (für Details siehe Ab schnitt zu medikamentösen Therapien), Lipidapherese und manchmal im Sinne einer Ultima Ratio mittels Leber transplantation angestrebt. Einer weiteren Form der familiären Hypercholesterinämie liegt ein ApoB100-Defekt zugrunde. Dieser ist mit einer Inzidenz von zirka 1:200 bis 1:700 ähnlich häufig wie der heterozygote LDLR-Defekt. Die Folge eines ApoB100Defekts ist diesem sehr ähnlich mit einer deutlichen Er höhung des LDL-Cholesterins. Eine weitere wichtige, wenn auch viel seltenere Ursache der familiären Hypercholesterinämie sind sogenannte «Gain-of-function»-Mutationen im PCSK9-Gen. Dadurch kommt es zu einem vermehrten Abbau des LDL-Rezeptors und infolgedessen zu hohen LDL-Cholesterinwerten im Plasma. Die verschiedenen Behandlungsmethoden bei familiärer Hypercholesterinämie werden weiter unten ausgeführt. Neben Modifikationen der Lebensumstände inklusive einer gezielten Diät, einer allfälligen Gewichtsreduktion und einer Steigerung der körperlichen Aktivität, kommt auch dem Einsatz von Medikamenten wie vor allem Statinen, zum Teil auch Ezetimib und nur selten Anionen austauscherharzen eine bedeutende Rolle zu. Neu kom men für spezifische Indikationen auch PCSK9-Inhibitoren zum Einsatz.
Familiäre Hypertriglyzeridämien
Es gibt verschiedene Formen der familiären Hypertri glyzeridämie, die jeweils mit erhöhten Triglyzeridwerten (Referenzwerte sind altersabhängig, beziehen sich auf eine Nüchternblutentnahme und liegen zwischen 0,9– 1,5 mmol/l) einhergehen. Liegen die Triglyzeridkonzent rationen im Plasma > 10 mmol/l, besteht unter anderem die Gefahr einer akuten Pankreatitis. Klinisch kann zudem eine Steatosis hepatis (Fetteinlagerungen in der Leber) imponieren. Die häufigsten Ursachen einer Hypertriglyze ridämie sind entweder ein Defekt der Lipoproteinlipase oder von deren Co-Faktor, dem Apolipoprotein C-II. Die
Lipoproteinlipase ist im Gefässendothel lokalisiert und spaltet die Triglyzeride der Chylomikronen und VLDL-Par tikel im Plasma in Glyzerol und freie Fettsäuren. Diese werden dann von verschiedenen Geweben wie zum Bei spiel dem Herz- und Skelettmuskel zur Energiegewinnung mittels Betaoxidation verwendet.
Isolierte Lipoprotein-(a)-Erhöhung
Nicht selten sehen wir in der Praxis/Stoffwechselsprech
stunde Kinder mit isoliert erhöhtem Lipoprotein (a) im
Plasma, welches als unabhängiger Risikofaktor für vor
zeitige koronare Herzkrankheiten gilt. Das Lipoprotein (a)
ist dem LDL strukturell ähnlich. Die Plasmakonzentration
des Lipoproteins (a) ist weitge
hend genetisch bestimmt, un terliegt nur geringen Schwan kungen und kann durch eine fettarme Diät nicht massgeb
Statine sind bei der familiären Hypercholesteriämie die Medikamente der 1. Wahl.
lich reduziert werden. Niacin als
Medikament zur Senkung der
Lipoprotein-(a)-Konzentration wird bereits seit einigen
Jahren aufgrund von Nebenwirkungen und mangelnder
Effektivität nur noch selten eingesetzt. Da die Höhe des
Lipoprotein-(a)-Spiegels genetisch determiniert ist, ge
nügt üblicherweise eine einmalige Bestimmung dieses
Wertes.
Mangel an lysosomaler saurer Lipase
Sie ist ein Beispiel für eine «ultra-seltene» lysosomale
Speicherkrankheit. Im Folgenden soll darauf aufmerksam
gemacht werden, auch sehr seltene und unbekanntere
Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen – insbesondere
dann, wenn bezüglich Anamnese, Klinik, Labor oder auch
dem zu erwartenden Therapieerfolg unerwartete Situa
tionen eintreten.
Exemplarisch verweisen wir hier auf den angeborenen
Mangel an lysosomaler saurer Lipase, eine autosomal-re
zessiv vererbte lysosomale Speicherkrankheit, bei welcher
es aufgrund des Enzymdefekts zu einer gestörten Spal
tung von Cholesterinestern und Triglyzeriden kommt.
Durch den mangelnden intrazellulären Abbau der Cho
lesterinester kommt es zu deren Akkumulation in ver
schiedenen Geweben und laborchemisch finden sich
neben erhöhten Transaminasen typischerweise erhöhte
LDL-Cholesterin- sowie mässig
erhöhte Triglyzeridwerte. Beim
Mangel an lysosomaler saurer Resultate von Studien mit Lipase besteht ein Krankheits Erwachsenen mit Dyslipidämie
spektrum, wobei der soge nannte Morbus Wolman mit rascher Progredienz und Ver sterben durch Leberversagen
lassen sich nur vereinzelt, oft nur mit Einschränkung und zum Teil auch gar nicht auf Kinder übertragen.
im Säuglingsalter die klinisch
schwerwiegendste Form dar
stellt. Demgegenüber ist die Cholesterinesterspeicher
krankheit eine der milderen Formen des Spektrums, wel
che oft erst im Erwachsenenalter zum Beispiel aufgrund
einer Leberverfettung manifest werden.
Die Diagnose wird mittels Enzymtestung der lysosomalen
sauren Lipase zum Beispiel in Lymphozyten und/oder mo
lekulargenetisch gestellt. Erhöhte LDL-Cholesterinwerte
können auch bei dieser Krankheit symptomatisch mit
Statinen behandelt werden. Eine rasche und korrekte
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Diagnosestellung hat deshalb therapeutische Bedeutung, weil seit 2015 eine Enzymersatztherapie mittels rekombi nant hergestellter lysosomaler saurer Lipase erhältlich ist.
Diagnostisches Vorgehen bei erhöhten Cholesterinwerten
Familienanamnese und allgemeines Screening: Der Familienanamnese kommt eine bedeutende Rolle zu. Wohl der häufigste Zuweisungsgrund eines Jugendlichen zur Abklärung einer Dyslipidämie ist, dass ein Elternteil vorzeitig an einer kardiovaskulären Komplikation auf grund einer Hypercholesterinämie erkrankt. Wesentliche Fragen sind daher: Welcher Elternteil ist betroffen? Sind weitere Mitglieder in dieser Linie der Familie betroffen? Ist es zu vorzeitigen Ereignissen (Herzinfarkt, Schlaganfall) gekommen? Lagen bei Betroffenen weitere Risikofakto ren und -konditionen vor (s. Tabelle)? Wie werden die in der Familie Betroffenen behandelt und sprechen sie auf eine Statinbehandlung an? In einem entsprechenden Fall ist eine laborchemische Diagnostik naheliegend und indiziert. Schwieriger ist die Frage nach der Indikation und dem optimalen Zeitpunkt eines generellen nicht selektiven Screenings auf Hyper cholesterinämien. Damit möglichst alle Betroffenen be reits im Kindesalter entdeckt werden, scheint eine ein malige Bestimmung des Gesamtcholesterins bei allen Kindern entweder im Vorschulalter oder spätestens im Alter zwischen 12 und 14 Jahren sinnvoll. Dies insbeson dere aufgrund der therapeutischen Möglichkeiten mittels Diät und spezifischen Medikamenten, deren Effektivität bei frühzeitigem Beginn deutlich besser ist. Laboruntersuchungen: Zur Abklärung einer Dyslipidä mie ist initial die Bestimmung des Gesamt-, LDL- und HDL-Cholesterin und der Triglyzeride bei nüchternem Patienten empfohlen. Für das spätere Monitoring bei be kannter Diagnose ist eine Nüchternblutentnahme nicht zwingend erforderlich, weil die Werte des Gesamt/HDL/ LDL-Cholesterins nur gering durch eine vorausgehende Nahrungsaufnahme beeinflusst werden. Zudem sollte (zumindest) einmalig das Lipoprotein (a) bestimmt werden. Zum Ausschluss einer sekundären Form einer Dyslipidämie sollten unter anderem der TSH-Wert, der Nüchternblutzuckerwert sowie die Werte von Lebertrans aminasen (ASAT, ALAT) und Kreatinin sowie ein Urinstatus (zum Ausschluss einer Proteinurie im Rahmen eines
Tabelle:
Risikofaktoren und -konditionen
Positive Familienanamnese Risikofaktoren Risikokonditionen
«frühzeitige» koronare Herzkrankheit (bei Männern < 55 Jahren, bei Frauen < 65 Jahren) bei Eltern oder Verwandten zweiten Grades Rauchen, Übergewicht, mangelnde körperliche Bewegung, arterielle Hypertonie, Lipoprotein-(a)Erhöhung, niedriger HDL-Cholesterin-Spiegel Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankungen, Kawasaki-Syndrom, chronisch-entzündliche Erkrankungen, Schilddrüsenunterfunktion adaptiert nach Chourdakis M et al. (2) nephrotischen Syndroms) bestimmt werden. Auch eine Messung des Homocysteinwerts als unabhängigem Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse wird empfoh len. In Bezug auf die Referenzwerte für die verschiedenen Lipide, welche alters- und geschlechtsabhängig stark variieren, verweisen wir auf die eingangs erwähnte S2k-Leitlinie (2). Nicht medikamentöse Therapiestrategien Die nicht medikamentösen Therapiestrategien beruhen auf den drei Eckpfeilern: Ernährung, körperliche Aktivität und Vermeidung von Risikofaktoren. Die Ernährung spielt sowohl bei Hypertriglyzeridämien als auch bei Hypercholesterinämien eine wichtige Rolle. Allerdings ist bei Letzteren selbst bei konsequenter Sen kung der Cholesterinzufuhr oft nur eine mässige Reduk tion der LDL-Cholesterinwerte möglich. Ziel der Diät ist eine verminderte Zufuhr tierischer, gesättigter Fette zu gunsten von ungesättigten Fettsäuren sowie eine einge schränkte Cholesterinzufuhr. Des Weiteren soll der Fett anteil in der Ernährung 30 bis 35 Prozent der insgesamt verzehrten Kalorien nicht überschreiten. Bei Hypertrigly zeridämien ist eine konsequente Reduktion der Fettzu fuhr oft erfolgsversprechender, erfordert jedoch zum Teil eine deutliche Einschränkung des Fettanteils auf zirka 20 Prozent der verzehrten Kalorien. Neben der Ernährung sind auch Faktoren wie eine verstärkte körperliche Aktivi tät, gerade bei Übergewicht, und eine konsequente Ver meidung von Risikofaktoren wie Zigarettenrauchen von Bedeutung. Eine vermehrte sportliche Aktivität (täglich mindestens eine Stunde körperliche Bewegung) wirkt sich sowohl auf das Lipoproteinprofil als auch auf den systo lischen Blutdruck positiv aus. Medikamentöse Therapien Statine: Die Statine sind bei der familiären Hypercholes teriämie die Medikamente der 1. Wahl. Statine hemmen das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der endoge nen Cholesterinsynthese, die HMG-CoA-Reduktase, was zu einer deutlichen Reduktion des LDL-Cholesterins führt. Durch die verminderte hepatische Cholesterinproduktion werden mehr LDLR an der Zelloberfläche exprimiert, was zu einer vermehrten Aufnahme an LDL-Cholesterin führt und den LDL-senkenden Effekt begünstigt, sofern der LDLR noch eine Restfunktion hat. Statine sind je nach Präparat frühestens ab 8 Jahren zugelassen. Im Einzelfall müssen Risiko und Nutzen abgewogen werden. Es mag durchaus sinnvoll und indiziert sein, früher mit einer The rapie zu beginnen. Für Statine wird eine einmalige Einnahme abends empfohlen, da die endogene Choles terinsynthese nachts am höchsten ist. Bei weiblichen Pa tienten ist aufgrund einer potenziellen Fetotoxizität der Statine auf eine konsequente Antikonzeption hinzuwei sen. Kommt eine Antikonzeption nicht infrage, kann eine Therapie mit Ezetemib (siehe unten) durchgeführt wer den. Seltene aber typische (und meist dosisabhängige) Nebenwirkungen der Statine sind Myalgien. Auch auf die Möglichkeit einer Rhabdomyolyse (extrem selten) sollte hingewiesen werden. Entsprechend werden Statine auch über mehrere Wochen eindosiert und laborchemische Verlaufskontrollen der Kreatinkinase- und der Trans aminasenwerte routinemässig zirka 6 Wochen nach 26 Pädiatrie 3/23 Therapiestart und danach bei guter Verträglichkeit alle 6 bis 12 Monate empfohlen. Ezetimib: Der Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib hemmt den Cholesterintransporter NPC1L1 und damit die intestinale Cholesterinresorption, was zu einer Senkung des LDL-Cholesterins von 15 bis 20 Prozent führt. Ezeti mib kommt sowohl als Mono- als auch als Kombinations therapie mit Statinen infrage. Bei der äusserst seltenen Sitosterolämie, bei der es zu einer Akkumulation von pflanzlichen Sterolen kommt, ist Ezetimib das Medika ment der 1. Wahl. Anionenaustauscherharze: Anionenaustauscherharze sind bei der Behandlung von Patienten mit Hypercholes terinämien lediglich Medikamente der 2. Wahl und kommen in der pädiatrischen Praxis selten zum Einsatz. Anionenaustauscherharze wirken lokal im Darm durch Bindung an Gallensäuren und Cholesterin und bewirken so die Hemmung von deren Aufnahme. Anionenaus tauscherharze werden nicht systemisch aufgenommen, weshalb abgesehen von gastrointestinalen Nebenwirkun gen wie Obstipation kaum Nebenwirkungen auftreten. Dennoch ist die Compliance bezüglich der Einnahme oft ungenügend, weil dieses Medikament zu jeder Mahlzeit eingenommen werden muss und einen unangenehmen Geschmack aufweist. Fibrate: Fibrate können über verschiedene Mechanismen sowohl das LDL-Cholesterin als auch die Triglyzeride sen ken. Fibrate spielen in der Behandlung von Kindern mit Dyslipidämien kaum eine Rolle. PCSK9-Inhibitoren: Das «proprotein convertase subtili sin-like kexin type 9» (PCSK9) bindet an den LDLR, führt zu dessen vermehrtem Abbau und resultiert in einer ge ringeren Dichte des LDLR an der Leberzelloberfläche. In folgedessen werden weniger LDL-Cholesterin-Partikel in die Leber aufgenommen und es liegen erhöhte Plasma spiegel für LDL-Cholesterin vor. PCSK9-Inhibitoren sind gegen PCSK9 gerichtete monoklonale Antikörper, welche zu einem Anstieg der Anzahl an LDLR führen und somit eine deutliche Reduktion des LDL-Cholesterins er möglichen. Der PCSK9-Inhibitor Evolocumab (Repatha®) ist durch die amerikanische und europäische Arzneimittelbehörden FDA und EMA und seit Kurzem auch in der Schweiz durch das Bundesamt für Gesundheit für Kinder > 10 Jahren zugelassen. Die Zulassung unterliegt spezifischen Voraus setzungen; unter anderem muss ein ausbleibender Erfolg einer maximal intensivierten cholesterinsenkenden The rapie (in der Regel mittels Statinpräparaten) dokumentiert werden. Die Therapie gilt als sicher und effektiv für hete rozygote und homozygote familiäre Hypercholesterin ämien. Im Jahr 2022 wurde im Rahmen der randomisier ten Kontrollstudie HAUSER-RCT mit 157 pädiatrischen Patienten zwischen 10 und 18 Jahren mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie die HAUSER-OLE-Studie (HAUSER open-label extension study) veröffentlicht, wel che die Langzeitwirkung und Sicherheit von Evolocumab beschreibt (3). Bezüglich Sicherheit waren keine wesent lichen Unterschiede zur Erwachsenenkohorte erkennbar (4). Eine zweite Patientenkohorte von 42 Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 17 Jahren wurde im Rah men der «ODYSSEY KIDS study» mit Alirocumab behan delt (5). In dieser Dosierungsfindungsstudie wurde so wohl die Effektivität als auch die Sicherheit dieses
PCSK9-Inhibitors untersucht. Zusammengefasst liegen aktuell gute Hinweise auf die gegebene Wirksamkeit, aber nur eingeschränkte Langzeitdaten bezüglich Sicher heit und langfristigem Nutzen dieser neuen Medikamente vor, weshalb diese derzeit nur mit den genannten Ein schränkungen zur Anwendung kommen.
Ausblick und Fazit
• Die heterozygote familiäre Hypercholesterinämie durch Mutationen der Gene für LDLR oder ApoB100 ist die häufigste Dyslipidämie. Sie sollte möglichst früh diag nostiziert und behandelt werden. Bei positiver Fami lienanamnese sollte eine laborchemische Diagnostik ab dem 3. Lebensjahr stattfinden.
• Ein nicht selektives Screening mit (mindestens) ein maliger Bestimmung des Gesamtcholesterins bei allen Kindern oder Jugendlichen scheint derzeit als sinnvolle Massnahme, um auch Betroffene mit negativer Fami lienanamnese frühzeitig zu diagnostizieren.
• Die Therapie besteht in erster Linie aus einer konse quenten Ernährungsumstellung und dem Vermeiden anderer Risikofaktoren. Oftmals erfordert eine erfolg reiche Senkung des LDL-Cholesterins eine medikamen töse Therapie. Dabei kommen primär Statine zum Ein satz, nur selten ist Ezetimib indiziert. Die Verwendung von PCSK9-Inhibitoren scheint gemäss kürzlich publi zierten Studien zwar als sicher und effektiv; deren Ein satz unterliegt derzeit Limitationen und kommt daher nur in Ausnahmefällen zum Zuge.
• Da die Behandlung dieser Patienten oft vielschichtig und komplex ist, sollte ein Stoffwechselteam einbezo gen werden.
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Dr. phil. nat. Alexander Lämmle Oberarzt Interdisziplinäres Stoffwechselteam Abteilung für pädiatrische Endokrinologie, Diabetes und Stoffwechsel Universitätsklinik für Kinderchirurgie und Kinderheilkunde und Universitätsinstitut für Klinische Chemie Inselspital Bern Freiburgstrasse 15 3010 Bern E-mail: alexander.laemmle@insel.ch
Interessenlage: Beide Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel.
Literatur: 1. Häberle J, Lämmle A, Baumgartner MR: Fettstoffwechselstörungen im Kindesalter. Paediatrica 2013;24(4):20-23. 2. Chourdakis M et al.: Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämien bei Kindern und Jugendlichen. Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Stoffwechselstörungen (APS) in der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Berlin, 2015; verfügbar unter: http://www.aerztenetz-bad-berleburg.de/images/S2k-Leit linie-Hyperlipidaemien-Kinder-Jugendliche.pdf S3-Leitlinie angemeldet unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/ 027-068#anmeldung 3. Santos RD et al.: Paediatric patients with heterozygous familial hypercholesterolaemia treated with evolocumab for 80 weeks (HAUSER-OLE): a single-arm, multicentre, open-label extension of HAUSER-RCT. Lancet Diabetes Endocrinol 2022;10(10):732740. 4. https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/repathaepar-product-information_en.pdf 5. Daniels S et al.: PCSK9 inhibition with alirocumab in pediatric patients with heterozygous familial hypercholesterolemia: The ODYSSEY KIDS study. J Clin Lipidol 2020;14(3):322-330e5.
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