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KONGRESSBERICHT
European Lung Cancer Congress (ELCC) 2023, 29. März bis 1. April 2023, Kopenhagen
Nicht kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC)
Was gibt es Neues in der Therapie?
In Kopenhagen fand von 29. März bis 1. April 2023 der diesjährige European Lung Cancer Congress (ELCC) statt. Unter den zahlreichen Präsentationen fanden sich mehrere finale Analysen bzw. Updates zu Zulassungsstudien und anderen relevanten Studien, die in der Zukunft Auswirkungen auf das Management des nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) im klinischen Alltag haben dürften.
Die Phase-III-Studie CheckMate 816 hatte mit einem Follow-up von mindestens 29,5 Monaten gezeigt, dass bei Patienten mit einem resektablen, nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) eine neoadjuvante Immuntherapie mit Nivolumab in Kombination mit einer neoadjuvanten platinhaltigen Chemotherapie, im Vergleich zu einer neoadjuvanten Chemotherapie allein, das krankheitsfreie Überleben signifikant verlängert und bei einem höheren Prozentsatz an Patienten zu einem kompletten pathologischen Ansprechen führt (1). Auf Basis dieser Daten erhielt Nivolumab die Zulassung für die neoadjuvante Therapie resezierbarer Lungenkarzinome von mindestens vier Zentimeter Grösse und/oder positiven Lymphknoten. Im Rahmen des European Lung Cancer Congress 2023 wurde nun ein LangzeitFollow-up dieser Studie mit einer medianen Beobachtungszeit von 44,1 Monaten präsentiert (2). Die Daten bestätigen die Resultate über mehr als drei Jahre. Exploratorische Subgruppenanalysen zeigen, dass das ereignisfreie Überleben sowohl bei Patienten nach minimalinvasiver (67 versus 53 %) als auch nach offener Operation (61 vs. 51 %) nach kombinierter neoadjuvanter Therapie höher war als nach Chemotherapie allein. Bei Patienten, die operiert werden konnten, lag die Rezidivrate nach adjuvanter Immun- plus Chemotherapie bei 28 Prozent, nach Chemotherapie allein hingegen bei 42 Prozent. Das mediane Gesamtüberleben war nach drei Jahren in keinem der beiden Studienarme erreicht. Allerdings machen die aktuellen Daten auch einen Mortalitätsvorteil sehr wahrscheinlich, da das ereignisfreie Überleben als Surrogatmarker für das Gesamtüberleben gilt,
wie Studienautor Dr. Nicolas Girard vom Institut Curie in Paris betonte. Auch waren nach kombinierter neoadjuvanter Therapie mehr Patienten frei von Fernmetastasen als nach alleiniger neoadjuvanter Chemotherapie. In der Verlängerung der Studie CheckMate 816 traten weder zusätzliche Sicherheitssignale noch unerwartete Toxizitäten auf (2). Damit sollte die neoadjuvante Kombination von Chemo- und Immuntherapie bei Patienten mit resezierbarem NSCLC Standard werden, so Girard.
Patienten mit stabilen Hirnmetastasenprofitieren von Cemiplimab
Dass eine Patientenselektion nach PD-L1 Expression durchaus sinnvoll sein kann, legen die Ergebnisse der finalen Analyse der Studie EMPOWER-Lung 3 nahe, die mit dem Anti-PD1-Antikörper Cemiplimab (in Kombination mit platinhaltiger Chemotherapie) in einer Population von Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem NCSLC durchgeführt wurde. Diese hatte in den USA und Europa zur Zulassung in Kombination mit platinbasierter Chemotherapie als Erstlinientherapie bei Erwachsenen mit fortgeschrittenem nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) ohne EGFR-, ALK- oder ROS1Aberrationen und einer PD-L1-Expression von mindestens 1 % geführt. In der Schweiz ist Cemiplimab aktuell zugelassen zur Monotherapie des NSCLC in der Palliation bei hoher PD-L1-Expression. In die EMPOWER-Lung-Studien wurden Patienten unabhängig von ihrer PD-L1Expression aufgenommen. Die aktuellen Auswertungen zeigen nun, dass 1. die Begrenzung auf Patienten mit zumindest einer gewissen PD-L1Expression berechtigt ist und dass 2.
Patienten mit hoher PD-L1-Expression (≥ 50 %) auch dann von der Therapie profitieren, wenn sie unter klinisch stabilen Hirnmetastasen leiden. Eine Langzeitauswertung der Phase-II-Studie EMPOWER-Lung 1 ergab, dass in dieser Patientenpopulation in der Gruppe mit Cemiplimab plus Chemotherapie nach 30 Monaten das mediane Gesamtüberleben noch nicht erreicht war, während im Chemotherapie-Arm nach 24 Monaten nur noch 44,7 % der Patienten am Leben waren (3). Die finalen Zwei-Jahresdaten aus EMPOWER-Lung 3 belegen einerseits die Stabilität der in den früheren Auswertungen beobachteten Resultate, mit einem Gesamtüberleben von 21,1 Monaten in der Cemiplimab plus Chemotherapie-Gruppe im Vergleich zu 12,9 Monaten in der Chemotherapie-Gruppe (Hazard Ratio [HR]: 0,71; 95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,53–0,93; p = 0,014). Stratifiziert nach PD-L1-Expression ergibt sich bei Patienten mit mindestens 1 % Expression ein noch deutlicherer Vorteil für die Immuntherapie. Bei PD-L1 Expression < 1 % geht der Vorteil jedoch verloren, mit einem numerisch sogar ungünstigeren Gesamtüberleben im Immuntherapie-Arm (4). Amivantamab auch nach mehreren Vortherapien wirksam Eine Reihe von Arbeiten, die im Rahmen des ELCC-Kongresses 2023 vorgestellt wurden, beschäftigten sich mit Lungenkarzinomen mit onkogenen Treibermutationen. Präsentiert wurde unter anderem ein Update der CHRYSALIS-Studie, einer grossen Phase-I-Studie, die mit dem bispezifischen, gegen EGFR (Epidermal Growth Factor) und MET (mesenchymal-epithelialer Transitionsfaktor) gerichteten Antikörper Amivantamab durchgeführt wurde. Eingeschlossen waren Patienten mit EGFR-mutiertem NSCLC (mit Exon 20 Insertion-Mutationen), bei denen es nach einer platinhaltigen Chemotherapie zur Progression 30 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 2/2023 KONGRESSBERICHT European Lung Cancer Congress (ELCC) 2023, 29. März bis 1. April 2023, Kopenhagen gekommen war. In dieser Indikation besteht mittlerweile die Zulassung in den USA, der EU und der Schweiz. Auch Patienten mit zum Teil mehrfachen anderen Vortherapien wurden in die Studie aufgenommen. Die aktuelle Auswertung zeigt nun ein medianes Gesamtüberleben von 23 Monaten nach Progression unter Chemotherapie. Nach einem medianen Follow-up von 19,2 Monaten lag die Gesamtansprechrate bei 37 % und die mediane Dauer des Ansprechens bei 12,5 Monaten. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Ausschläge und Infusionsreaktionen. Amivantamab zeigte eine konsistente Aktivität in allen untersuchten Subgruppen. Das Ansprechen war unabhängig von den vorhergegangenen Therapien (Immuntherapie oder EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitor) sowie vom Ansprechen auf die Chemotherapie. Bei 42 % der Patienten wurde ein anhaltender klinischer Benefit, definiert durch Verabreichung von mindestens 12 Zyklen, festgestellt. Dies war assoziiert mit gutem Performance-Status (ECOG 0), dem Erreichen von zumindest partiellem Ansprechen und dem Fehlen von Alterationen im RAS/RAF/MEK-Pathway. Nach 2,6 Jahren wurden 15 Patienten noch mit Amivantamab behandelt, davon waren 7 anhaltend progressionsfrei (5, 6). Osimertinib gegen sekundäre TKI-Resistenz Ebenfalls im Rahmen des Kongresses vorgestellt wurde die finale Analyse der APPLE-Studie (EORTC Lung Cancer Group 1613), die unter anderem zwei unterschiedliche Strategien der Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren beim fortgeschrittenen, resektablen, EGFRmutierten Lungenkarzinom verglich. Hintergrund dieser Studie ist der Umstand, dass unter Therapie mit EGFR-TKI der ersten und zweiten Generation bis zu 60 % der Tumoren aufgrund einer erworbenen EGFR T790-Mutation in Exon 20 resistent gegen die Therapie werden (7). Dieser Entwicklung kann mit einem Switch zu Osimertinib begegnet werden. In der APPLE-Studie wurde zunächst gezeigt, dass ein laufendes Monitoring des Mutationsstatus anhand zirkulierender Tumor-DNA (liquid biopsy) machbar ist und bei 17 % der Patienten eine EGFR T790-Mutation identifizierte, bevor es zur klinischen Progression kam. Wurden diese Patienten vorzeitig auf Osimertinib umgestellt, so zeigte sich über 18 Monate ein progressionsfreies Überleben (PFS) von 87 %. Zusätzlich wurde im Rahmen der Studie ein randomisierter Vergleich zwischen zwei Therapie-Strategien untersucht: 156 Patienten erhielten entweder von Beginn an Osimertinib 80 mg/d bis zur Progression oder zunächst Gefitinib 250 mg/d und bei Progression Osimertinib. Dabei wurde eine Progression im Gefitinib-Arm entweder klinisch nach den RECIST-Kriterien (Response Evaluation Criteria in Solid Tumors) oder durch Nachweis einer T790-Mutation anhand zirkulierender Tumor-DNA diagnostiziert. Die nun präsentierte Analyse verglich den Osimertinib-Arm mit dem Sequenz-Arm ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Verfahren zur Diagnose von Progression. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben nach 18 Monaten. Dabei erwies sich die sequenzielle Therapie als numerisch, nicht jedoch signifikant überlegen. Nach 18 Monaten waren 51 % der Patienten im Osimertinib-Arm und 61 % im Gefitinib/Osimertinib-Arm progressionsfrei. Hinsichtlich der Entwicklung oder Progression von Hirnmetastasen (brain progression-free survival) zeigte sich jedoch eine signifikante Überlegenheit für den OsimertinibArm. Diese blieb bei 82,2 % der Patienten im Osimertinib- und bei 63,5 % der Patienten im Gefitinib/Osimertinib-Arm aus. Das Gesamtüberleben war in beiden Armen vergleichbar und mit mehr als 80 % nach 18 Monaten hoch. Studienautor Dr. Jordi Remon vom Centro Integral Oncológico Clara Campal (CIOCC) in Barcelona wies allerdings auf einen exploratorischen Endpunkt hin, der die Ergebnisse der Studie in ein anderes Licht rücken könnte. Betrachtet man nämlich den Sequenzarm abhängig von der Methode zur Progressionsdiagnose als 2 Studienarme, so zeigen sich die besten Ergebnisse bei Patienten, die mit Gefitinib behandelt und bei Mutationsnachweis aus der zirkulierenden Tumor-DNA auf Osimertinib umge- Auf einen Blick n Neoadjuvante Immuntherapie mit Nivolumab in Kombination mit neoadjuvanter platinhaltiger Chemotherapie bringt beim resezierbaren NSCLC einen signifikanten Vorteil im Hinblick auf das ereignisfreie Überleben. n Der Checkpoint-Inhibitor Cemiplimab verlängert das Überleben bei Patienten mit NSCLC und Hirnmetastasen. n Auch mehrfach vortherapierte Patienten mit NSCLC sprechen auf den bispezifischen, gegen EGFR und MET gerichteten Antikörper Amivantamab an. n Die Clearance der zirkulierenden Tumor-DNA nach Beginn der Therapie mit einem TKI dürfte ein valider prognostischer Marker sein. stellt wurden. In dieser Gruppe lag das Gesamtüberleben nach 18 Monaten bei 100 %. Allerdings betonte Remon den exploratorischen Charakter dieser Ana- lyse und die geringe Patientenzahl in diesem zusätzlichen Studienarm. Eine weitere Analyse könnte ebenfalls zukünftige Therapiestrategien beein- flussen. Patienten, bei denen nach Beginn der TKI-Therapie keine Clea- rance der zirkulierenden Tumor-DNA erreicht werden konnte, hatten generell eine schlechte Prognose und könnten Kandidaten für frühe Eskalationsstrate- gien sein (8). n Reno Barth Referenzen: 1. Forde PM et al.: Neoadjuvant Nivolumab plus Che- motherapy in Resectable Lung Cancer. N Engl J Med. 2022;386:1973-1985. 2. Girard N et al.: Neoadjuvant nivolumab (N) + platinum-doublet chemotherapy (C) for resectable NSCLC: 3-y update from CheckMate 816. European Lung Cancer Congress 2023, Abstract 84O. 3. Kilickap S et al.: EMPOWER-Lung 1: Cemiplimab (CEMI) monotherapy as first-line (1L) treatment of patients (pts) with brain metastases from advanced non-small cell lung cancer (aNSCLC) with programmed cell death-ligand 1 (PD-L1) ≥ 50% – 3-year update. European Lung Cancer Congress 2023, Abstract 10MO. 4. Makharadze T et al.: Cemiplimab plus chemotherapy versus chemotherapy alone in non-small cell lung cancer: Longer follow-up results from the phase III EMPOWER-Lung 3 trial. European Lung Cancer Congress 2023, Abstract 5O. 5. Park K et al.: Amivantamab in EGFR Exon 20 Insertion-Mutated Non-Small-Cell Lung Cancer Progressing on Platinum Chemotherapy: Initial Results From the CHRYSALIS Phase I Study. J Clin Oncol. 2021;39(30):3391-3402. 32 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 2/2023 KONGRESSBERICHT European Lung Cancer Congress (ELCC) 2023, 29. März bis 1. April 2023, Kopenhagen 6. Garrido Lopez P et al.: Long-term efficacy, safety, and predictors of response to amivantamab among patients with post-platinum EGFR Ex20ins-mutated advanced NSCLC. European Lung Cancer Congress 2023, Abstract 3O. 7. Jänne PA et al.: AZD9291 in EGFR inhibitor-resistant non-small-cell lung cancer. N Engl J Med. 2015;372(18):1689-1699. 8. Remon J et al.: Osimertinib versus gefitinib followed by osimertinib in patients with EGFR-mutant nonsmall cell lung cancer (NSCLC): EORTC Lung Cancer Group 1613 APPLE trial. European Lung Cancer Congress 2023, Abstract ID 241. SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 2/2023 33