Transkript
UPDATE
Revolution in der Therapie
Hepatitis C lässt sich in der stationären Psychiatrie einfach behandeln
Menschen mit psychischen Erkrankungen weisen gehäuft eine chronische Hepatitis C auf. Da die Diagnostik und Behandlung einer chronischen Hepatitis C in den letzten Jahren sehr viel einfacher geworden sind, kann eine Therapie heute auch von Psychiaterinnen und Psychiatern durchgeführt werden. Das Programm HepCare unterstützt sie auf Wunsch dabei. Suchtpatienten sind am stärksten von Hepatitis C betroffen.
Foto: zVg
Foto: zVg
Bettina Maeschli Philip Bruggmann
von Bettina Maeschli1 und Philip Bruggmann1
Personen, die Substanzen konsumieren oder dies in der Vergangenheit getan haben, sind besonders häufig von Hepatitis C (HCV) betroffen (1). Sie machen über die Hälfte der Hepatitis-C-Population aus. Aber auch unabhängig von Abhängigkeitserkrankungen ist die Hepatitis-C-Prävalenz im psychiatrischen Setting erhöht. Eine unbehandelte chronische Hepatitis C kann schwere Folgeerkrankungen nach sich ziehen. Über die Jahre vernarbt die entzündete Leber, und es entsteht eine Leberzirrhose. Weiter kann sich, auch in einem früheren Stadium der Lebererkrankung, ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) entwickeln. Eine Hepatitis C erhöht aber auch das Risiko von Krankheiten ausserhalb der Leber wie Diabetes mellitus, maligne Lymphome oder andere Krebserkrankungen. Auch kardiovaskuläre Ereignisse können als Folge einer Hepatitis C auftreten. Häufig leiden Patienten unter massiver Fatigue, die bis zur Arbeitsunfähigkeit führen kann, unter kognitiven Störungen, Arthritis und gastrointestinalen Beschwerden. Da diese Symptome unspezifisch sind, werden sie oft nicht mit einer Hepatitis-C-Infektion in Verbindung gebracht, respektive erst, nachdem mit der Ausheilung auch diese Symptome verschwinden.
Einmal jährlich zum Test Patienten in Behandlung mit Opioid-Agonisten-Therapie (OAT) sollten einmal pro Jahr auf Hepatitis C getestet werden (2). Das gilt auch für alle anderen Patienten mit i. v. oder nasalem Substanzkonsum. Personen, bei denen eine chronische Hepatitis C nachgewiesen wird, sollten sobald als möglich einer Behandlung zugeführt werden, um Folgeerkrankungen zu verhindern. Die früheren Interferontherapien waren langwierig, mit vielen Nebenwirkungen behaftet und hatten geringe Heilungsraten. Das hat sich seit der Verfügbarkeit der antiviral wirksamen Medikamente, den sogenannten Direct Acting
1 Hepatitis Schweiz, Zürich
Antiviral Agents (DAA), grundsätzlich geändert. Waren diese bei Marktzulassung nur für die Therapie von Personen mit bereits geschädigter Leber zugelassen, werden diese Medikamente seit 2017 bei allen Personen mit einer chronischen Hepatitis C von den Krankenkassen vergütet.
Diagnostiziert, aber nicht behandelt Aktuell sind geschätzt 32 000 Personen in der Schweiz mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert. Von diesen sind 40% getestet (3). Jährlich werden etwa 900 bis 1000 Personen neu mit Hepatitis C diagnostiziert. Das sind etwa gleich viele, wie jährlich behandelt werden. Bei den neu diagnostizierten Personen handelt es sich fast immer um chronische Fälle, bei denen die Ansteckung länger zurückliegt (1). Auch bei Patienten im stationären psychiatrischen Setting gibt es viele Betroffene, die vor vielen Jahren diagnostiziert wurden, sich damals aber für die Interferontherapie nicht qualifizierten. Ihnen wurde gesagt, dass eine Therapie nicht notwendig sei und die Leberwerte überwacht werden müssten. Das Wissen darum, dass Hepatitis C heute einfach und gut verträglich geheilt werden kann, ist bei den Patienten oft nicht vorhanden. Genausowenig wie das Bewusstsein um die Gefährlichkeit der Infektion. Wohl auch aus diesem Grund ist der Anteil von sogenannten «Late Presenters» mit 18% bei Personen unter Opioid-Agonisten-Therapie besonders hoch (4). «Late Presenters» sind Patienten, die bei Therapiebeginn eine bereits fortgeschrittene Leberfibrose (Metavir F3 oder F4), also eine fortgeschrittene Lebererkrankung, aufweisen. Auch nach Ausheilung haben diese Personen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms und andere bleibende Schäden. Eine regelmässige ärztliche Kontrolle ist bei diesen Patienten notwendig. Es gibt heute keinen Grund mehr, mit einer Therapie zuzuwarten. Die heutigen Therapien mit DAA dauern noch 8 bis 12 Wochen, sie haben kaum Nebenwirkungen und die Heilungsraten sind über 95%. Aus diesem
2/2023
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
23
UPDATE
Abbildung 1: Zur Abklärung einer chronischen Hepatitis C erfolgt eine AntikörperBestimmung, im positiven Fall gefolgt von einer HCV-RNA-Bestimmung mittels PCR. * Zur Bestätigung einer spontanen Clearance bzw. zum Ausschluss einer niedrig fluktuierenden Virämie sollte eine einmalig negative HCV-RNA nach 4 bis 6 Monaten nochmals bestätigt werden. ** Im Fall einer Risikosituation sollte ein negativer HCV-Antikörper-Test nach 3 bzw. 6 Monaten wiederholt werden, da er anfangs noch falsch-negativ ausfallen kann.
Grund und um die schweren Folgeerkrankungen zu verhindern, empfehlen nationale und internationale Richtlinien allen Personen mit einer chronischen Hepatitis C und einer Lebenserwartung von mehr als 6 Monaten eine zeitnahe Therapie, unabhängig von der Schwere der Schädigung der Leber und vom Alter (5, 6).
Ansteckungen vor allem über Blut Das Hepatitis-C-Virus wird in der Regel von Blut zu Blut übertragen. Ansteckungen auf dem sexuellen Weg sind sehr selten und werden vor allem bei HIV-positiven Männern, die Sex mit Männern haben, beobachtet. Häufigster Ansteckungsweg ist das Teilen von Materialien zur Drogenzubereitung bzw. -konsum. Es gibt aber auch Übertragungen durch unsauber durchgeführte Tätowierungen (z. B. im Gefängnis) und Piercings sowie im (zahn-)medizinischen Setting. Aber auch der Erhalt von Blutprodukten, vor der Zeit, als das Virus im Blut nachgewiesen werden konnte, führte in der Vergangenheit zu Ansteckungen. Seit 1990 werden alle Blutprodukte in der Schweiz darauf geprüft und sind sicher.
Wen testen? Alle Patienten mit einer Anamnese von i.v. oder nasalem Substanzkonsum (auch wenn lange zurückliegend) brauchen einen HCV-Antikörper-Test (HCV-Ak-Test). Bei anhaltendem Risikoverhalten sowie bei OAT-Patienten sollte der Test jährlich wiederholt werden (2). Aufgrund der allgemein erhöhten Prävalenz kann ein generelles Screening bei allen Patienten mit psychiatrischem Klinikaufenthalt sinnvoll sein. Weitere Risikopersonen: Die Geburtsjahrgänge 1950 bis 1985 weisen eine deutlich erhöhte Prävalenz auf. Allen Personen, die zwischen 1950 und 1985 geboren sind, ist es daher empfohlen, einmal im Leben einen Test auf Hepatitis C durchführen zu lassen (7). Ebenso empfiehlt sich ein Test für Personen, die sich medizinischen Eingriffen unter nicht sterilen Bedingungen unterzogen haben, zum Beispiel Migrantenpopulationen. Zudem
kommen in Haftanstalten viele der erwähnten Risiken wie Substanzkonsum oder Tätowierungen unter nicht sterilen Bedingungen zusammen. Deshalb qualifizieren auch Personen, die in Haft waren oder sind, für einen Test.
Die Diagnose ist einfach und günstig Zuerst erfolgt ein HCV-Ak-Test. Der Test ist günstig und kostet derzeit 22.50 Franken. Fällt er positiv aus, hatte die Person Kontakt mit dem Virus. Um zu bestätigen oder auszuschliessen, dass eine aktive chronische Hepatitis-C-Infektion vorliegt, braucht es einen HCV-RNA-Test. Beim Auftrag für die Ak-Testung kann im positiven Fall gleich die HCV-RNA-Bestimmung mitbestellt und das erforderliche Laborröhrchen in Reserve mitgeliefert werden (6). HCV-Antikörper brauchen 2 bis 3 Monate, um sich nach erfolgter Infektion zu bilden. Liegt die Risikosituation mit Verdacht auf eine akute Hepatitis C weniger als 6 Monate zurück, muss dies bei der Diagnostik berücksichtigt werden. Bei Verdacht sollte deshalb ein negativer Antikörpertest nach 3 bzw. 6 Monaten nach der letzten Exposition wiederholt werden. Die HCV-RNA ist bereits zwei Wochen nach einer Exposition nachweisbar. Bei Verdacht auf eine akute Hepatitis C (Risikosituation wenige Wochen zurückliegend) sollte zusätzlich mittels PCR danach gesucht werden. Eine spontane Ausheilung tritt in zirka 1 von 5 akuten Fällen auf. Im Fall eines positiven HCV-RNA-Resultats sollte der Test nach 3 Monaten wiederholt werden, um eine Ausheilung, die innerhalb von 6 Monaten erfolgen kann, nicht zu verpassen. In den meisten Fällen bleiben die HCV-Ak auch nach der Ausheilung nachweisbar. Deshalb sollte bei Verdacht auf Reinfektion nach spontaner oder medikamentöser Ausheilung direkt ein HCV-RNA-Test benützt werden.
Zirrhoseausschluss mit dem APRI-Score Ist eine chronische Hepatitis-C-Infektion diagnostiziert, erfolgt eine Abklärung auf Leberzirrhose. Das ist wichtig, damit nach erfolgter Heilung im Fall einer bestehenden
Abbildung 2: Ein Rechner auf hepcare.ch (siehe QR-Link) erleichtert die Bestimmung des APRI-Score.
24
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
2/2023
UPDATE
Merkpunkte:
● Patienten mit einem Substanzkonsum in der Anamnese haben häufig eine jahrzehntealte und noch unbehandelte Hepatitis C.
● Unbehandelt kann Hepatitis C schwere Folgeerkrankungen nach sich ziehen. ● Die Hepatitis-C-Behandlung ist dank neuer Therapien einfach geworden. ● Behandlungsrichtlinien empfehlen die Therapie allen chronisch infizierten Per-
sonen. ● Die Therapie kann seit Anfang 2022 neu von allen Ärzten verschrieben werden,
eine Überweisung an Spezialisten ist nicht mehr nötig. ● Die Durchführung der Behandlung in der stationären Psychiatrie ist möglich. ● HepCare, das vom BAG mitfinanziert ist, unterstützt Psychiater auf Wunsch
dabei.
Leberzirrhose eine halbjährliche Ultraschalluntersuchung der Leber erfolgen kann, um ein hepatozelluläres Karcinom HCC frühzeitig zu entdecken. Die erfolgreiche Therapie mindert zwar auch das HCC-Risiko bei Patienten mit höhergradiger Leberfibrose (≥ F3), doch auszuschliessen ist es nicht. Ob sich eine Leberzirrhose bereits entwickelt haben könnte, kann durch die Bestimmung der AST (AspartatAminotransferase) und des Thrombozytenwerts mit der Berechnung des APRI-Scores (APRI: AST to Platelet Ratio Index) abgeschätzt werden (Abbildung 2). Ist der errechnete APRI-Score < 0,5, kann bei Hepatitis-C-Patienten ohne problematischen Alkoholkonsum und ohne weitere Lebererkrankungen eine Leberzirrhose mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Bei einem APRI-Score ≥ 1 ist die Durchführung einer transienten Elastografie (z. B. Fibroscan© oder ARFI©) empfohlen, verbunden mit einer hepatologischen oder infektiologischen Beurteilung. Bei einem Wert von 0,5 bis 1,0 ist eine Elastografie der Leber zu erwägen. APRI-Score-Rechner www.rosenfluh.ch/qr/apri-score HepCare – ein Projekt von Hepatitis Schweiz rosenfluh.ch/qr/hepatitisschweiz Therapie Gemäss internationalen Richtlinien sollte jeder Person mit chronischer Hepatitis C, deren Lebenserwartung 6 Monate übersteigt, eine Therapie angeboten werden (6). Wie oben erwähnt, können mit den heute verfügbaren, gegen alle Genotypen des Hepatitis-C-Virus hochwirksamen DAA-Kombinationspräparaten mehr als 95% der Patienten geheilt werden. Die Kombination Sofosbuvir/ Velpatasvir (Epclusa©) wird mit 1 Tablette pro Tag über 12 Wochen verabreicht. Die Einnahme von Epclusa© erfolgt nahrungsunabhängig. Das Kombinationspräparat aus Glecaprevir und Pibrentasvir (Maviret©) wird in den meisten Fällen mit 3 Tabletten pro Tag über 8 Wochen verschrieben. Es muss mit etwas Nahrung eingenommen werden. Ausnahmen gibt es bei vorbehandelten Patienten und Personen mit dekompensierter Leberzirrhose oder weiteren Erkrankungen. Hier ist es angezeigt, dass diese Person an eine Spezialistin oder einen Spezialisten überwiesen wird. Es empfiehlt sich, einen Interaktionencheck beim Verschreiben der Therapie durchzuführen, zum Beispiel über die Webseite der Universität Liverpool: www. hep-druginteractions.org. Nach 2 bis 4 Wochen kann eine Bestimmung der Viruslast hilfreich sein. Die Hepatitis-C-Viren sind in den meisten Fällen in den ersten Therapiewochen bereits nicht mehr nachweisbar, was die Patienten weiter motiviert, die Therapie zu Ende zu führen. Parallel dazu normalisieren sich die Transaminasen (sofern nicht noch weitere Leberpathologien vorliegen). 12 Wochen nach Ende der Therapie sollte ein PCR-Test erfolgen. Ist kein Virus mehr im Blut nachweisbar, gilt die Person als geheilt. Verschreibung in der stationären Psychiatrie Seit 1.1.2022 dürfen die Hepatitis-C-Medikamente (DAA) durch alle Ärzte, also auch durch Psychiater, verschrieben werden. Es gibt diesbezüglich keine Einschränkungen mehr; die Krankenkassen sind verpflichtet, die Kosten aus der Grundversicherung zu decken. Zudem figurieren im psychiatrischen stationären Bereich die Hepatitis-C-Medikamente neuerdings auch auf der Zusatzentgeltliste. Das bedeutet, dass die zirka 30 000 Franken teuren Therapien ausserhalb der Fallkostenpauschale abgerechnet werden dürfen und somit während eines stationären Psychiatrie-Aufenthaltes ohne finanzielles Risiko eingesetzt werden können. Das HepCare-Projekt von Hepatitis Schweiz (www.hepcare.ch) bietet den Kolleginnen und Kollegen aus der Psychiatrie Unterstützung an bei der selbständigen Durchführung einer Hepatitis-C-Therapie. Ein Netzwerk von Hepatitis-C-Spezialisten steht für Aktenkonsilien, Beratung und bei Bedarf für das Ausstellen von Rezepten (z. B. bei drohenden Problemen mit dem KostenIndex) zur Verfügung. Die Webseite HepCare.ch bietet alle notwendigen Informationen zu diesem kostenlosen, vom Bundesamt für Gesundheit und diversen Kantonen unterstützten Projekt von Hepatitis Schweiz. l Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Philip Bruggmann Hepatitis Schweiz c/o Arud Zentrum für Suchtmedizin Schützengasse 31 8001 Zürich E-Mail: p.bruggmann@arud.ch Referenzen: 1. Bundesamt für Gesundheit BAG. BAG-Bulletin 45/2022, Hepatitis C in der Schweiz im Jahr 2021. Bern; 2022. 2. Bundesamt für Gesundheit BAG, Infodrog. Hepatitis C bei Drogenkonsumierenden. Bern; 2019 Mar. 3. Bihl F et al.: HCV disease burden and population segments in Switzerland. Liver Int. 2022;42:330-339. 4. Bregenzer A et al.: HCV elimination in a Swiss opioid agonist therapy programme - a cohort study. Swiss Med Wkly. 2022;152:40009. 5. SASL, SGG, SSI. Treatment of Chronic Hepatitis C, Expert Opinion Statement. 2021 Jan. 6. Pawlotsky JM et al.: EASL recommendations on treatment of hepatitis C: Final update of the series. J Hepatol. 2020;73(5):11701218. 7. Bruggmann P et al.: Birth cohort distribution and screening for viraemic hepatitis C virus infections in Switzerland. Swiss Med Wkly. 2015;145. 26 PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE 2/2023