Transkript
FORTBILDUNG
Neue Leitlinie zum Prostatakarzinom
S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie 2014
Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) wurden die Leitlinie zur Früherkennung und Diagnose eines Prostatakarzinoms aktualisiert sowie die Empfehlungen zu den therapeutischen Optionen. Im Folgenden werden einige Neuerungen dieser Leitlinie erläutert und die Massgaben zum PSA-Test als Vorsorgemassnahme mit den aktuellen Empfehlungen in der Schweiz verglichen.
Renate Bonifer
PSA-Test bei asymptomatischen Männern? In der aktualisierten deutsche Leitlinie empfehlen die deutschen Urologen und andere an der Leitlinie beteiligte Facharztverbände, alle Männer ab 45 Jahren mit einer Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren auf den PSA-Test anzusprechen und sie über die Vor- und Nachteile der Früherkennungsmassnahmen aufzuklären. In der früheren Version der Leitlinie lag diese Altersgrenze noch bei 40 Jahren; sie sollte nach Ansicht der deutschen Autoren ab jetzt nur noch für Risikopatienten gelten (1). In der Schweiz ist man hier ohnehin zurückhaltender: Die Schweizerische Gesellschaft für Urologie (SGU) empfiehlt die PSA-Bestimmung zur Krebsvorsorge nach entsprechender Aufklärung für alle Männer zwischen 50 und 70 Jahren, bei familiärer Belastung ab 45 Jahren. Anders als bei den deutschen Leitlinien wurde von der SGU aber nicht eindeutig formuliert, ob symptomfreie Männer aktiv angesprochen werden sollen oder nicht (2).
MERKSÄTZE
O In den deutschen Leitlinien wird eine PSA-Messung für Männer ab 45 Jahren empfohlen (bei einer weiteren Lebenserwartung >10 Jahre).
O Die deutschen Hausärzte raten davon ab, symptomlose Männer aktiv auf den PSA-Test hinzuweisen.
O Vor dem Entscheid für eine Chemotherapie bei Prostatakarzinom sollte eine geriatrische Evaluation erfolgen.
O Für Patienten mit kastrationsresistentem, progredientem Prostatakarzinom gibt es neue therapeutische Optionen.
Die deutschen Hausärzte (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, DEGAM) raten vom aktiven Ansprechen in der Hausarztpraxis ab und haben in der neuen Leitlinie ein abweichendes Sondervotum formuliert (1): «Männer, die den Wunsch nach einer Früherkennungsuntersuchung mittels PSA in der Hausarztpraxis nicht von sich aus äussern, sollen darauf nicht aktiv angesprochen werden. Diejenigen Männer, die von sich aus nach einer Früherkennung fragen, sollen ergebnisoffen über die Vorund Nachteile aufgeklärt werden. Dabei sollen der mögliche Nutzen wie auch die Risiken (Überdiagnose und Übertherapie) in natürlichen Zahlen und auch grafisch dargestellt werden. Ebenso soll die Aussagekraft von positiven und negativen Testergebnissen dargestellt werden.» Während sich SGIM und SGAM auf ihren Websites zum aktiven Ansprechen asymptomatischer Männer bezüglich des PSA-Tests nicht äussern, sprach sich das Swiss Medical Board bereits vor einiger Zeit dagegen aus, und ähnlich sehen es auch die Autoren der Guidelines des Hausärztenetzwerks mediX (3): «Da der Schaden den Nutzen deutlich überwiegt, ist PSA-Screening bei asymptomatischen Männern ohne besondere Risiken keine geeignete Früherkennungsmethode und wird deshalb nicht empfohlen.» Die digitale rektale Palpation verliert als Vorsorgeuntersuchung in der neuen Leitlinie an Bedeutung und wird nicht mehr dringend empfohlen (1).
PSA-Test zur Vorsorge: wie häufig?
In der Leitlinie werden folgende Intervalle gemäss aktuellem PSA-Wert definiert: Männer ab 45 Jahren, Lebenserwartung > 10 Jahre O PSA < 1 ng/ml; alle 4 Jahre; ab 70 Jahren keine weiteren
PSA-Tests O PSA 1–2 ng/ml: alle 2 Jahre O PSA > 2 ng/ml: jedes Jahr.
Dies entspricht im Wesentlichen den Empfehlungen der SGU, wobei diese bei PSA < 1 ng/ml ein Intervall von nur 3 Jahren empfiehlt (2). Als Indikation für eine Prostatabiopsie gilt das Vorliegen von mindestens einem der folgenden Kriterien: kontrollierter PSA-Wert von ≥ 4 ng/ml unter Berücksichtigung der bekannten Einflussfaktoren, Karzinomverdacht bei der digitalen rektalen Palpation, auffälliger PSA-Anstieg (mit gleicher Methode gemessen!). Bei jüngeren Patienten kann individuell auch bei niedrigeren PSA-Werten eine Biopsie indiziert sein (1).
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FORTBILDUNG
Aktive Überwachung ausgeweitet
Die aktive Überwachung (active surveillance) kommt für Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom und geringem Risiko eines Voranschreitens der Erkrankung infrage, um Behandlungsrisiken (z. B. Inkontinenz, Impotenz) vorerst zu vermeiden. Die Indikation zur aktiven Überwachung wurde um inzidenzielle Prostatakarzinome der Stadien cT1a und cT1b erweitert. Die klinischen Parameter für eine aktive Überwachung lauten nun wie folgt (1): O PSA-Wert ≤ 10 ng/ml O Gleason-Score ≤ 6 O cT1 und cT2a O Tumor in ≤ 2 Stanzen bei leitliniengerechter Entnahme von
10–12 Stanzen O ≤ 50% Tumor pro Stanze.
Für Patienten mit einem Gleason-Score 7a (3+4) wird die aktive Überwachung nicht routinemässig empfohlen, kann aber auf Wunsch des Patienten erfolgen; diese Patienten können und sollten auch in Studien aufgenommen werden (1). Eine Rebiopsie sollte nach 6 Monaten gemacht werden, in den ersten 3 Jahren alle 12 bis 18 Monate, danach bei stabilem Befund alle 3 Jahre. In den ersten beiden Jahren der aktiven Überwachung erfolgt alle 3 Monate eine PSABestimmung plus digitale rektale Palpation, danach bei stabilem PSA nur noch alle 6 Monate. Verkürzt sich die PSA-Verdoppelungszeit auf weniger als 3 Jahre, rät man zur Behandlung. Das Gleiche gilt, falls eines der oben genannten Kriterien nicht mehr zutrifft (1). Das sogenante «Watchful Waiting» ist nicht kurativ orientiert und kommt für Patienten infrage, die vermutlich keine 10 Jahre mehr leben werden (1).
Neue Empfehlungen
bei kastrationsresistentem Prostatakarzinom
Sind die Symptome bei einem Patienten mit einem progredienten, kastrastionsresistenten Prostatakarzinom nur gering, sprechen sich die Leitlinienautoren für ein abwartendes Vorgehen unter Beibehaltung der Androgendeprivation aus. Vor dem Entscheid bezüglich einer Chemotherapie sollte eine geriatrische Evaluation bei multimorbiden Personen über 70 Jahre erfolgen (1). Entscheidet sich ein Patient mit geringen Symptomen gegen das Abwarten, sollte ihm Abirateron (Zytiga®) als Erstlinientherapie empfohlen werden. Ebenfalls infrage kommen eine Chemotherapie mit Docetaxel (Taxotere® und Generika) oder das Immuntherapeutikum Sipuleucel-T (Provenge®, in der EU, aber nicht in der Schweiz zugelassen).
Bei symptomatischen Patienten in gutem Allgemeinzustand
können als Erstlinientherapie Docetaxel (zwei- bis drei-
wöchiges Dosierungsschema) oder Abirateron angeboten
werden, bei ossärer Metastasierung Radium-223 (Xofigo®),
auch in Kombination mit Docetaxel und Abirateron plus
Bisphosphonaten oder Denosumab [Xgeva®]). Ist der All-
gemeinzustand des symptomatischen Patienten schlecht, rät
man zu Abirateron und nur dann zu einer Chemotherapie,
wenn der reduzierte Allgemeinzustand vor allem auf das
metastasierte Prostatakarzinom zurückzuführen ist. Bei
schlechtem Allgemeinzustand kommen neben den oben
genannten Optionen auch Steroide (Dexamethason, Pred-
nisolon, Prednison) infrage.
In der Zweitlinientherapie nach einer Chemotherapie mit
Docetaxel werden unabhängig vom Allgemeinzustand fol-
gende Optionen genannt, bei Bedarf in Kombination mit
symptombezogener und supportiver Therapie: Abirateron,
Enzalutamid (Xtandi™), Cabazitaxel (Jevtana®) sowie bei
Knochenmetastasen Radium-223 beziehungweise die Kom-
bination mit Bisphosphonaten oder Denosumab. Bei schlech-
tem Allgemeinzustand kommen, wie bereits ausgeführt,
auch Steroide infrage oder eine Chemotherapie, sofern der
reduzierte Allgemeinzustand vor allem auf das metastasierte
Prostatakarzinom zurückzuführen ist.
O
Renate Bonifer
Referenzen: 1. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe,
AWMF): Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, Langversion 3.0, 2014 AWMF Registernummer: 034/022OL, http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien. 7.0.html (Zugriff am: 12.01.2015). 2. Gasser T et al.: PSA-Bestimmung – Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie (SGU). Schweiz Med Forum 2012; 12(6): 126–128. 3. Huber F, Beise U: Guideline Prostatakarzinom und PSA-Screening. mediX 12/2014, www.medix.ch/wissen/guidelines/urologische-krankheiten/prostatakarzinompsascreening.html (Zugriff am 12.01.2015).
Interessenlage: Die deutsche Leitlinie (1) wurde von der Deutschen Krebshilfe im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie gefördert; Autoren mit potenziellen Interessenkonflikten wurden aufgefordert, sich bei entsprechenden Abstimmungen zu enthalten. Die Autoren der SGU (2) geben keinen Interessenkonflikte an. Die «mediX»-Autoren (3) geben an, dass die Guideline unabhängig erstellt wurde und keine Interessenkonflikte bestehen.
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