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Pilzresistenzen
Neue Wirkstoffe erweitern die therapeutischen Möglichkeiten
Die Fortschritte in der Medizin bergen ein steigendes Risiko für invasive Pilzinfektionen. Anlass zu Besorgnis geben dabei die Resistenzen gegen antimykotische Substanzen sowie das Auftreten weniger verbreiteter Pilzarten, für die keine optimale Therapie definiert ist. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang neue Antimykotika?
Die Ausgangssituation ist komplex: Zunehmende Multiresistenzen bei Bakterien führen häufiger zur Verschreibung von Breitspektrumantibiotika, was mit einem erhöhten Risiko für invasive Candidosen einhergeht. Auch Fortschritte im Bereich der Chirurgie, etwa bei implantierbaren medizinischen Geräten, Organtransplantationen (mit immunsuppressiver Medikation) oder anderen invasiven Eingriffen, erhöhen das Risiko für invasive Pilzinfektionen. Zudem wird das Spektrum der immungeschwächten Patienten durch die Entwicklung von neuen chemotherapeutischen Medikamenten und Immunmodulatoren zur Behandlung von Patienten mit onkologischen und rheumatologischen Erkrankungen er-
weitert. Eine routinemässige Anti-Schimmel-Prophylaxe bei gewissen immungeschwächten Patienten führt wiederum zur Zunahme von Pilzen, die bis anhin als weniger häufig oder selten gelten, wie zum Beispiel Mucorales-Arten. Und neu auftretende Arten wie Candida auris stellen aufgrund ihrer Neigung zur Multiresistenz eine Bedrohung für die vorhandenen antimykotischen Optionen dar.
Limitationen bisheriger systemischer Antimykotika
Für eine wirksame Behandlung invasiver Pilzinfektionen wurden im Allgemeinen 3 Klassen von systemischen Antimykotika eingesetzt: Azole, Echinocandine und Polyene. Die Vertreter der Echinocan-
Real-World-Einsatz von Isavuconazol bei Patienten mit hämatologischen Tumoren
Invasive Pilzinfektionen sind eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität bei immungeschwächten Patienten mit hämatologischen Malignomen und Stammzelltransplantationen. Um den Einsatz von Isavuconazol bei Patienten mit hämatologischen Malignomen in der Praxis zu untersuchen, erhoben Hiba Dagher et al. im Rahmen einer retrospektiven Untersuchung am MD Anderson Cancer Center Daten zur Bewertung der klinischen Ergebnisse sowie der Sicherheit der Therapie. Einbezogen wurden 200 Patienten mit einer bestätigten (11), wahrscheinlichen (63) oder möglichen (126) Schimmelpilzinfektion, die mindestens sieben Tage lang mit dem Wirkstoff behandelt wurden. Klinische und radiologische Befunde wurden zu Studienbeginn sowie nach 6 und 12 Wochen bei den Nachuntersuchungen erhoben. Am häufigsten wurde als Erreger Aspergillus spp isoliert. Die Mehrheit der Patienten (59%) erhielt eine Prophylaxe, bei 43% der Patienten wurde Isavuconazol als Primärtherapie und bei 58% als Salvagetherapie eingesetzt. Die Umstellung erfolgte in 66% der Fälle aufgrund des Versagens der Primärtherapie und in 29% der Fälle aufgrund unerwünschter Wirkungen. Der Wirkstoff wurde in 30% der Fälle als Monotherapie und bei 70% der Fälle in Kombination mit anderen Antrimykotika (am häufigsten Polyene [54%] oder Echinocandine [27%]) gegeben. Unerwünschte Ereignisse, die möglicherweise mit Isavuconazol zusammenhängen und zum Absetzen des Medikaments führten, fand man bei 8 Patienten (4%). Nach 6 Wochen wurde bei 40% der Patienten ein Ansprechen auf Isavuconazol beobachtet, nach 12 Wochen war dies bei 60% der Patienten der Fall. Das Ergebnis einer Monotherapie unterschied sich nicht signifikant von dem einer Kombinationstherapie (6 Wochen: p = 0,16; 12 Wochen: p = 0,06). Auch wenn Isavuconazol nach Versagen einer anderen Anti-Schimmelpilz-Prophylaxe oder -behandlung eingesetzt wurde, gab es keinen signifikanten Unterschied im Ergebnis zum Einsatz als de novo Anti-Schimmelpilz-Therapie (6 Wochen: p = 0,68; 12 Wochen: p = 0,25). Ob als Erstlinientherapie oder nach dem Versagen anderer Azol- und NichtAzol-Prophylaxen oder -therapien, Isavuconazol scheint damit bei Krebspatienten mit hämatologischen Malignomen ein vielversprechendes klinisches Ansprechen und ein gutes Sicherheitsprofil als antimykotische Therapie zu haben, konstatieren die Autoren. Mü
Quelle: Dagher H et al.: Real-World Use of Isavuconazole as Primary Therapy for Invasive Fungal Infections in High-Risk Patients with Hematologic Malignancy or Stem Cell Transplant. J Fungi (Basel). 2022;8(1):74.
dine (Caspofungin, Anidulafungin, Micafungin) gelten hinsichtlich ihres Spektrums, ihrer Sicherheit und ihres klinischen Nutzens als relativ austauschbar, und sie sind gleichermassen von relevanten Resistenzmechanismen betroffen. Die Anwendung von Amphotericin B, einem Polyen, wird durch sein Nebenwirkungsprofil limitiert. Dank Fortschritten in der Entwicklung besser verträglicher Triazolund Echinocandin-Antimykotika in den letzten 20 Jahren gilt Amphotericin B nicht mehr als Mittel der ersten Wahl für bestimmte Pilzinfektionen, einschliesslich invasiver Aspergillose und Candidose. Schon eine Resistenz gegen eines der Antimykotika kann bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Nebenwirkungen und Toxizitäten die therapeutischen Optionen im Einzelfall einschränken. Die Resistenz gegen Azole (z. B. Fluconazol, Voriconazol, Posaconazol), erworben oder intrinsisch, beruht auf multiplen Mechanismen. Sie nimmt mit der Zeit zu, insbesondere bei Candida- Arten (nicht C. albicans). Da sich der Wirkmechanismus der Echinocandine von dem der Azole unterscheidet, stellen Erstere eine sehr wichtige Klasse von Antimykotika insbesondere bei der Behandlung der invasiven Candidiasis dar. Sie hemmen die Synthese von Glukan, einer wichtigen Komponente der Zellwand von Pilzen. Noch sind sie gegen die meisten azolresistenten Candidaspezies aktiv, aber auch die Resistenzen dagegen nehmen zu.
Neue antifungale Wirkstoffe
In Anbetracht der zunehmenden Resistenzen gegen verfügbare Antimykotika besteht ein Bedarf an neuen Wirkstoffen, die angesichts bestehender Resistenzmechanismen wirksam bleiben. Zum Zeitpunkt seiner Zulassung durch die FDA 2015 war Isavuconazol das erste neue Antimykotikum seit fast einem Jahrzehnt. Es handelt sich dabei um ein Breitspektrum-Triazol-Antimykotikum, für dessen Einsatz bei invasi-
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ver Aspergillose und Mukormykose Evidenz vorliegt. In Leitlinien wird es als alternative Behandlung für Aspergillose (Infectious Diseases Society of America) sowie als Erstlinientherapie bei Mukormykose (European Confederation of Medical Mycology) empfohlen. In der Praxis sei es insbesondere für Patienten mit einem hohen Risiko für Amphotericin-bedingte Nebenwirkungen oder als orale Step-down-Therapie nach einer Erstbehandlung mit Amphotericin B zu empfehlen, wie Logan et al. berichten. Mechanistisch ist es den anderen Triazolen ähnlich, bietet aber klinische Vorteile (keine QT-Verlängerung, gleichmässige Bioverfügbarkeit). Seine Nützlichkeit bei der Behandlung von Voriconazol-resistenten Candida-Infektionen sollte, falls verfügbar, durch Empfindlichkeitstests bestätigt werden, so die Autoren weiter.
Ein vielversprechender Wirkstoff ist auch Ibrexafungerp, es wurde 2021 von der FDA zur Therapie der vulvovaginalen Mykose zugelassen. Auch seine fungizide Aktivität gegenüber Candida basiert auf der Hemmung der Glukansynthase. Der orale Wirkstoff mit geringer Kreuzresistenz unter den derzeit verfügbaren Antimykotika, inklusive der Echinocandine, ist vielversprechend für die Behandlung einer invasiven Candidiasis, einschliesslich azolresistenter
Candidaarten. Bei Aspergillose kann er in Kombination mit Voriconazol eingesetzt werden. Dank des Spektrums der gezeigten In-vitro-Aktivität gegenüber den häufigsten Candidaspezies wird die Substanz derzeit in Studien zur Behandlung verschiedener Pilzinfektionen, einschliesslich arzneimittelresistenter Spezies, weiter untersucht.
Pipeline umfasst weitere Ansätze
Daneben finden sich weitere Antimykotika in der Pipeline, einige mit neuartigen Mechanismen. Dazu zählt Rezafungin, ein neuartiges Echocandin, das sowohl wegen seiner einzigartigen Dosierungsstrategie als auch wegen seines potenziellen Nutzens gegen Echinocandin-resistente Isolate vielversprechend scheint. Der seit April 2022 zur oralen Behandlung von rezidivierenden Vulvovaginalcandidosen in den USA zugelassene Wirkstoff Oteseconazol, ein orales Tetrazol-Antimykotikum, könnte ein verbessertes Sicherheits- und Wechselwirkungsprofil im Vergleich zu Triazolen haben. Olorofim, der erste Wirkstoff der neuen Klasse der Orotomiden, unterbricht die Pyrimidinsynthese durch Hemmung des Enzyms Dihydroorotat-Dehydrogenase – ein Mechanismus, der sich von allen anderen derzeit verfügbaren Antimykotika unterscheidet. Und Opelcanozol schliesslich ist ein lang wirken-
des Triazol-Antimykotikum (Aktivitätsspektrum Candidaspezies), das inhaliert wird, um systemische Toxizität zu vermeiden und um die Wirkstoffkonzentration in der Lunge zu maximieren.
Fazit
Sowohl Isavuconazol als auch Ibrexafungerp seien willkommene Ergänzungen zum Arsenal der Antimykotika, so die Autoren, und die Aussicht auf mehr antimykotische Optionen in der Zukunft ist ermutigend. Eine solche Auswahl an Antimykotika wird wichtig sein, da die Resistenzen gegen Pilze mit der Weiter entwicklung der medizinischen Praxis weiter zunehmen werden. Die Behandlung resistenter Pilzinfektionen wird jedoch immer komplexer werden. Therapeutische Entscheidungen können nicht mehr zuverlässig auf der Grundlage von Annahmen über die Antimykotikaklasse oder die Wirkmechanismen getroffen werden – insbesondere wenn eine Resistenz gegen einen oder mehrere Wirkstoffe vorliegt oder wenn die identifizierte Pilzart weniger verbreitet ist. n
Christine Mücke
Quelle: Logan A et al.: Antifungal Resistance and the Role of New Therapeutic Agents. Curr Infect Dis Rep. 2022;24(9):105-116.
Interessenlage: Die Autoren der Studie geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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