Transkript
Pflanzliche Proteinquellen
Was gehört auf den «veganen Teller»?
BERICHT
Weniger Fleisch essen oder auch der komplette Verzicht auf tierische Lebensmittel liegt im Trend. Wie man bei vegetarischer oder veganer Ernährung den Proteinbedarf des Körpers aus pflanzlichen Quellen decken kann, war Thema eines Vortrags von Anita Gröli, selbstständig praktizierende Ernährungsberaterin in Bern, an den FOMF-Hausarzt-Fortbildungstagen.
Als Einstieg in ihren Vortrag gab die Expertin einen Überblick über die verschiedenen Aminosäuren (AS), die Bausteine der Proteine, hinsichtlich ihrer Einteilung in essenziell, bedingt essenziell und nicht essenziell. Essenzielle AS kann der menschliche Körper im Unterschied zu nicht essenziellen selbst nicht synthetisieren, sie müssen daher stets zwingend über die Nahrung zugeführt werden. Als bedingt essenziell werden solche AS bezeichnet, welche vom Körper in bestimmten Stoffwechsellagen, also etwa während des Wachstums oder in der Schwangerschaft, ebenfalls nicht selbst hergestellt werden können.
Proteinzufuhr für den Muskelerhalt
Ohne Proteine sind viele Abläufe im Körper nicht möglich. So sind die essenziellen AS wichtig für die Bildung von Muskelgewebe. Über die Synthese von Muskelprotein kommt es zum Muskelaufbau durch Belastung oder auch durch Krafttraining. Ein Energiedefizit, zum Beispiel bei strikter Diät oder zu geringer Kalorienaufnahme aufgrund von Erkrankungen, kann mit einer Unterversorgung mit Protein einhergehen, nämlich dann, wenn keine bedarfsdeckende Proteinversorgung besteht. Sind keine anderen energieliefernden Substrate in ausreichender Menge im Körper vorhanden, kommt es über den Vorgang der Glukoneogenese zum Muskelabbau. Wichtig für den Muskelerhalt sind daher einerseits eine adäquate Energiezufuhr, aber andererseits auch ausrei-
KURZ & BÜNDIG
Wie ersetze ich tierische Proteine korrekt?
� Gemüse, Früchte und Salat bei jeder Mahlzeit mit Hülsenfrüchten, Getreideprodukten, Nüssen, Samen und Kernen ergänzen (Modell des «veganen Tellers»).
� Sojadrink (mit Kalzium) gilt als erste Wahl beim Milchersatz.
� Biologische Wertigkeit beachten!
� Fertigprodukte auf Zutaten und Nährstoffe (Proteine) prüfen und miteinander vergleichen.
chend Bewegung und die Zufuhr der «richtigen» AS in entsprechender Menge. Dies gilt ebenfalls bei übergewichtigen Personen: «In meiner Praxis sehe ich viele solcher Patienten, die zwar ausreichend Kalorien, aber viel zu wenig Protein zu sich nehmen», berichtete Gröli.
Pflanzliche Quellen und Proteingehalt
Bei den pflanzlichen Proteinlieferanten unterscheidet man unverarbeitete und verarbeitete Quellen. Zu Ersteren zählen zum einen Hülsenfrüchte (Soja, Lupinen, Linsen, Kidneybohnen usw.), die etwa 20 bis 34 g Protein pro 100 g enthalten, und zum anderen Nüsse, Samen und Kerne (Mandeln, Baumnüsse, Kürbiskerne, Chiasamen, Flohsamenschalen usw.), die mit etwa 16 bis 35 g pro 100 g ebenfalls einen grossen Proteinanteil liefern, vor allem bei regelmässigem Einbau in die Ernährung. Des Weiteren fallen die verschiedenen Getreide beziehungsweise Scheingetreide (Haferflocken, Quinoa, Amaranth, Mais usw.) mit etwa 12 bis 14 g Protein pro 100 g in diese Kategorie. All diese pflanzlichen Quellen gelten als sehr proteinreich. Zum Vergleich gab die Referentin hier den jeweiligen Proteingehalt der sehr potenten und vom Körper sehr gut verwertbaren tierischen Quellen (Fleisch: 21 g, Fisch: 20 g, Hühnerei: 14 g) an. Zu den verarbeiteten Quellen zählen Tofu (16 g Protein/100 g), Saitan (28 g), Tempeh (fermentierte Sojabohnen; 20 g), Nussmus (z. B. Mandelmus; 20 g), pflanzlicher Fleischersatz (plantbased chicken; 24 g) und pflanzliche Milchersatzprodukte (z. B. Nuss- und Getreidedrinks sowie Käse-/Rahm-/Joghurtersatz; ca. 2–4 g). Doch die alleinige Betrachtung der Proteinmenge reicht nicht aus. Auch die Verzehrmenge muss beachtet werden. So ist der fettarme Tofu ein sehr empfehlenswerter Proteinlieferant, während Kürbiskerne zwar ebenfalls reichlich Protein enthalten, allerdings mit einem Energiegehalt von 1130 kcal/ 200 g natürlich nicht in entsprechenden Mengen gegessen werden können, vor allem deshalb nicht, weil sie viel Fett enthalten. «Wichtig ist also zu schauen, was sonst noch in den jeweiligen Proteinquellen, auch an Kalorien, steckt und wie viel man jeweils davon essen kann, um die benötigte Proteinmenge abzudecken», riet Gröli.
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Tabelle:
Vergleich des Nährstoffgehalts von Hafer- und Sojadrink mit Kuhvollmilch
Nahrungsmittel pro 100 ml Kuhvollmilch Haferdrink Calcium (Referenz, von Oatly) Sojadrink Calcium (Referenz, von alpro soya)
kcal Kohlenhydrate (g) 67 5 46 6,7 39 2,5
Proteine (g) 3,5 1,0 3,0
Fett (g) 3,7 1,5 1,8
Kalzium (mg) 120 120 120
Limitierende Aminosäuren
Die AS-Zusammensetzung der Proteine eines Nahrungsmittels entscheidet darüber, wie gut der menschliche Körper das Protein verwerten kann. So enthalten Sojabohnen zwar eine ganze Reihe von AS, diese und vor allem die essenziellen AS aber nicht in jeweils ausreichender Menge. Viele pflanzliche Proteinquellen stellen durchaus relativ viel Protein bereit, allerdings sind die meisten von ihnen arm an einer bestimmten essenziellen AS; dies gilt für Getreide (Lysin) und Hülsenfrüchte (Methionin) oder auch für Mais (Tryptophan). «Wir sprechen hier von einer limitierenden AS, weil sie den Proteinaufbau begrenzt, denn der Körper kann nur so viel Protein neu bilden, wie es die Konzentration der limitierenden AS zulässt», erklärte die Referentin. Bei den Vorschlägen zur veganen Ernährung kommen diese Zusammenhänge nicht so sehr zum Tragen, hier werden nicht sämtliche Lebensmittel entsprechend analysiert. Aber insbesondere im weltweiten Kampf gegen den Hunger spielen limitierende AS eine sehr grosse Rolle. Deshalb achtet zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation (WHO) darauf, welche Quellen in einem Proteinprodukt/-pulver enthalten sind, um sicherstellen, dass diese Mischungen vom Körper gut verwertet werden können.
Gesundheitliche Aspekte
In den Vordergrund der Forschung rücken zunehmend die Quelle der Proteine und deren gesundheitliche Wirkung. Heute wird vermehrt zum Verzehr pflanzlicher Proteine geraten, denn Studien aus den letzten Jahren dokumentieren mit einer pflanzenbetonten Ernährung ein geringeres Mortalitätsrisiko durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jedoch stellt sich die Frage, wie dies richtig umgesetzt werden kann. «Aus der Praxis weiss ich, dass ein latenter Proteinmangel vor allem bei Risikogruppen, zum Beispiel im Alter oder aufgrund von Erkrankungen, nicht zu unterschätzen ist, obwohl wir eigentlich genügend Nahrungsmittel zur Verfügung hätten», sagte Gröli. Eine weitere Gruppe, auf die sie in diesem Zusammenhang abhob, sind Patienten mit Allergien oder mit Nahrungsmittelintoleranzen, die ihrer Erfahrung nach ganze Nahrungsmittelgruppen einfach weglassen und nicht adäquat supplementieren. Hier sei es wichtig, dass man genau hinschaue, was und wie die Personen stattdessen konsumierten, unterstrich die Ernährungsberaterin.
Wertigkeit von Proteinen
Zur Bestimmung der Wertigkeit von Proteinen existieren 3 verschiedene Methoden. Während der Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score (PDCAAS), der als beste Methode zur Bestimmung der Proteinqualität gilt und sowohl AS-Zusammensetzung als auch Verdaulichkeit berücksich-
tigt, sowie der Digestible Indispensable Amino Acid Score (DIAAS), welcher den Fokus auf die echte ileale Verdaulichkeit legt, sich vor allem auf wissenschaftlichem Gebiet durchgesetzt haben, wird in der Praxis noch immer das Konzept der biologischen Wertigkeit (BW) angewandt. Es handelt sich dabei um die älteste Methode, die inzwischen zwar als ungenau gilt, sich aber aufgrund ihrer Einfachheit im Alltag bewährt hat. Die BW beschreibt den Anteil, mit welchem die Proteine im Lebensmittel in körpereigene Proteine umgesetzt werden können. Als Referenzwert fungiert hier das Hühnereiprotein, das nahezu vollständig umgesetzt wird (BW = 100). Ein Lebensmittel mit einer BW von weniger als 100 zeigt einen geringeren Umsatz, bei einer BW von 100 muss demgegenüber vergleichsweise weniger Protein aufgenommen werden. Da, wie erwähnt, viele pflanzliche Proteinquellen zwar einen hohen Proteinanteil haben, die Wertigkeit dieser Proteine aufgrund ihrer AS-Zusammensetzung jeweils allerdings nicht ideal ist, kann man versuchen, durch ideale Kombination dieser Quellen dennoch auf eine Wertigkeit von 100 zu kommen. Genau dieser Aspekt wird beim Konzept der BW berücksichtigt. Entsprechend geschickte Kombinationen von pflanzlichen Proteinlieferanten sind Getreide plus Hülsenfrüchte, etwa Quinoa und Linsen oder Polenta und Kidneybohnen, oder Nüsse/Samen/Kerne plus Hülsenfrüchte, zum Beispiel Hummus (Kichererbsen + Sesam). Es gebe viele Gerichte, so Gröli, die wir im Alltag bereits entsprechend zubereiteten (z. B. Pasta e fagioli aus Süditalien, Fajitas mit Bohnenmus aus der mexikanischen Küche) und die sich sehr gut in die Ernährung einbauen liessen. Das Modell des sogenannten veganen Tellers beschreibt ein Konzept einer ausgewogenen Mahlzeitenzusammenstellung, mit der der Proteinbedarf aus pflanzlichen Quellen sehr gut abgedeckt wird. Dabei bilden Gemüse, Salat und Früchte die eine Hälfte jeder Mahlzeit sowie zum einen Getreide, Kartoffeln oder andere Stärkebeilagen (z. B. Quinoa, Nudeln) und zum anderen Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen und Kerne jeweils zu gleichen Anteilen die andere Hälfte.
Pflanzenbasierte Fertigerzeugnisse und Milchersatz
Viele pflanzenbasierte Fertigprodukte haben mittlerweile einen sehr hohen Proteingehalt, weil sie aus Soja beziehungsweise Sojaproteinen und aus Erbsenproteinen bestehen. «Wenn wir diese Produkte mit einem Nussmus kombinieren, haben wir wieder das Tellermodell, das sehr gut funktioniert», so Gröli. Ein kritischer Blick auf die Zutatenliste und eine Analyse des Proteingehalts lohnen sich trotzdem immer. Wegen ihres relativ geringen Proteingehalts handelt es sich bei den pflanzenbasierten Milchersatzprodukten (z. B. Drinks
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aus Soja, Hafer, Reis, Mandeln u. a. sowie Käse-/Rahm-/ Joghurtersatz aus Hafer, Cashew, Kokos u. a.) um nicht adäquate, lediglich küchentechnische Proteinquellen. Hier müsse man Sorge tragen, dass anderweitige pflanzliche Proteine als Ersatz zugeführt würden, mahnte die Referentin und richtete einen entsprechenden Appell an die Hausärzte: «Fragen Sie hier gezielt, welcher Milchersatz verwendet wird und ob nur die Milch oder auch Joghurt weggelassen wird!» Beide in der Tabelle aufgelisteten pflanzlichen Drinks sind mit Kalzium angereichert, es gibt aber auch Drinks ohne Kalziumzusatz. Sojadrink steht hinsichtlich des Proteingehalts der Kuhmilch am nächsten, weshalb er favorisiert werden sollte. Zum Schluss ihrer Ausführungen warf die Referentin exemplarisch noch einen Blick auf 2 typische pflanzliche Fertigprodukte, nämlich Gemüseplätzli und «plant-based chicken». Die Gemüseplätzli (Proteingehalt/100 g: 8,9 g), die zwar schon Gemüse, aber auch Weizenmehl und vor allem nicht ausreichend Proteine enthielten, seien für sich allein keines-
falls eine vollwertige Mahlzeit, sagte die Expertin warnend.
Diese erhalte man erst durch Kombination mit Gemüse,
Nussmus oder Hummus. «Plant-based chicken» als Fleisch-
ersatz dagegen ist aufgrund des hohen Anteils von Erbsen-
protein (32%) ein adäquater Proteinlieferant.
«Wenn Sie bei Ihren Patienten unsicher sind, ob sie mit ihrer
Ernährung die Proteine hinreichend abdecken, können Sie
ihnen jederzeit eine Ernährungsberatung anbieten», riet
Gröli. In ein, zwei Sitzungen komme man dabei einer eventu-
ell bestehenden Mangelernährung sehr gut auf die Spur. Bei
diesem Angebot handelt es sich um eine Pflichtleistung der
Krankenkassen, die über die Grundversicherung erstattungs-
fähig ist.
s
Ralf Behrens
Quelle: «Häufige Ernährungsfrage in der Praxis: Wie ersetze ich tierische Proteine korrekt?» Vortrag von Anita Gröli, Praxis Ernährungsberatung, Bern, im Rahmen der Hausarzt-Fortbildungstage des Forums für medizinische Fortbildung (FOMF) am 25. März 2022 in Bern.
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