Transkript
ESC
Neue Guidelines
Operationen und Krebstherapien besser antizipieren
Die European Society of Cardiology (ESC) hat an ihrem Jahreskongress 4 Guidelines vorgestellt, 2 davon sind neu. Zum einen bietet die neue Guideline für Kardioonkologie Empfehlungen und Handlungsanleitungen für Herzpatienten, die unter oder vor einer Tumorbehandlung stehen. Ziel dabei ist es, die kardialen Schäden einer solchen Therapie möglichst klein zu halten. Zum anderen enthält die 2. neue Guideline Empfehlungen zu Patienten mit oder ohne kardiale Vorerkrankungen, die vor einer grösseren, nicht kardialen Operation stehen. Auch diese Guideline hat das Ziel, die kardialen Komplikationen nach solchen Eingriffen zu reduzieren. Ein Update hat die Guideline zur pulmonalen Hypertonie erfahren, die Frühdiagnostik erhält dabei noch mehr Gewicht. Ebenfalls revidiert wurde die Guideline zur Prävention eines plötzlichen Herztodes. Hier soll die Öffentlichkeit noch mehr eingebunden werden.
Dank Tumorbehandlungen wie Chemotherapien, Bestrahlung und Immuntherapien ist die Überlebenszeit von Krebspatienten erfreulicherweise gestiegen, doch haben diese Behandlungen das Potenzial, kardiovaskuläre Erkrankungen zu verursachen. Überlebende von soliden Tumoren und Lymphomen haben im Vergleich zu Menschen ohne Krebstherapie ein doppelt so grosses Risiko für die Entwicklung einer tödlichen Herzerkrankung. Dazu gehören auch Überlebende, bei denen eine Knochenmarktransplanation durchgeführt wurde. Sie können Jahre später aufgrund der erfolgten Therapie kardiale Probleme entwickeln. Mit den neuen Guidelines zur Kardioonkologie ist in Zusammenarbeit mit europäischen Fachgesellschaften für Onkologie und Hämatologie ein Leitfaden für das Management von Herzpatienten entstanden, die unter einer onkologischen Therapie stehen oder mit kardiotoxischen Spätfolgen aufgrund früherer Antitumorbehandlungen konfrontiert sind. Er beinhaltet spezifische Empfehlungen zur kardialen Behandlung während und nach einer Krebstherapie mit kardiotoxischem Potenzial. Es sei wichtig zu wissen, welche Onkologika zu Herzproblemen führen könnten und bei welchen Patienten dies eher eintreten könne, betonte Dr. Teresa Lopez-Fernandez, La Paz University Hospital, Madrid (E), bei der Vorstellung der neuen Guidelines. Aus diesem Grund ist es empfohlen, bei allen Tumorpatienten vor Beginn der Krebstherapie ein kardiovaskuläres Assessment durchzuführen, um jene mit einem hohen kardiovaskulären Risiko zu finden. Bei dieser Patientengruppe sollten die kardiovaskulären Risiken behandelt beziehungsweise deren Therapie optimiert werden. Während und nach erfolgter Krebstherapie empfiehlt sich ein regelmässiges kardiales Monitoring. Denn Anthrazykline wie zum Beispiel Doxorubicin, Daunorubicin oder Epirubicin, verwendet bei Brustkrebs, Leukämie und Lymphomen be-
ziehungsweise Sarkomen, können beispielsweise eine linksventrikuläre Dysfunktion verursachen (1).
Herz-Check vor jeder Operation
Patienten über 65 Jahre, auch gesund erscheinende, sollten obligat eine Herzuntersuchung durchlaufen, wenn bei ihnen eine grössere Operation geplant ist. Das empfehlen die neuen Guidelines zum kardiovaskulären Assessment vor der Durchführung von nicht kardialen Operationen. Die Guidelines beinhalten Empfehlungen für die präoperative, operative und postoperative Phase bei grösseren, nicht kardialen Eingriffen, mit dem Ziel, kardiovaskuläre Komplikationen zu vermeiden. Denn allein in der EU ereignen sich pro Jahr mindestens 660 000 kardiovaskuläre Komplikationen nach grösseren, nicht kardialen Eingriffen. Nicht kardiale Eingriffe machen die Mehrheit (85%) aller Operationen aus. Das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen hängt neben der Patientencharakteristika auch von der Art des Eingriffs ab. Ein tiefes Risiko für einen Myokardinfarkt, Hirnschlag oder kardialen Tod innerhalb von 30 Tagen hat zum Beispiel eine Knieoperation (< 1%), bei einer Nierentransplantation ist es mittelhoch (1–5%), bei einer Lungentransplantation hoch (> 5%), berichtete Guideline-Mitautorin Prof. Julinda Mehilli, Landshut-Achdorf Klinik, Landshut (D), am ESC-Kongress. Vor einer nicht kardialen Operation mit hohem Risiko sollte demnach bei Patienten zwischen 45 und 65 Jahren ohne kardiovaskuläre Vorgeschichte, Zeichen oder Symptome ein EKG durchgeführt und das Troponin gemessen werden. Zusätzlich sollten Patienten mit Medikationen wie zum Beispiel Blutverdünnern eingehend informiert werden, ob sie die Medikation vor der Operation ab- oder fortsetzen und wann sie diese nach dem Eingriff wieder aufnehmen sollen.
4 CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | Dezember 2022
ESC
Des Weiteren gibt die Guideline Empfehlungen ab zur Operationsvorbereitung bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen, Nierenerkrankung, Diabetes, Krebs, Adipositas sowie COVID-19. Bei Patienten mit einem Schrittmacher oder einem implantierten Kardioverter-Defibrillator sollte vor der Operation einen Funktionscheck durchgeführt werden, wenn der letzte schon länger her ist (2).
Pulmonale Hypertonie früher diagnostizieren
Eine frühzeitige Diagnose sowie eine zeitnahe Überweisung von Patienten mit hohem Risiko empfehlen die seit 2015 aufdatierten Guidelines zur pulmonalen Hypertonie, die von der ESC gemeinsam mit der European Respiratory Society (ERS) erstellt wurden. Häufig seien die Diagnose und der Beginn einer adäquaten Behandlung dieser potenziell tödlichen Erkrankung substanziell verzögert, betonte der Guideline-Vorsitzende der ESC, Prof. Stephan Rosenkranz, Universitätsspital Köln. Das passiere oft bei sonst gesund aussehenden jungen Menschen, vor allem Frauen, aus Unglauben an eine schwere Erkrankung. Bei älteren Patienten würden die Symptome der pulmonalen Hypertonie häufig Begleiterkrankungen wie Hypertonie, Adipositas oder kardiopulmonalen Erkrankungen zugeschrieben. Bei einer anderweitig nicht erklärbaren Kurzatmigkeit sollte daher immer auch an eine pulmonale Hypertonie gedacht werden.
Links zu den Guidelines Kardioonkologie: https://www.rosenfluh.ch/qr/gl-kardioonkologie
Nicht kardiale Operationen: https://www.rosenfluh.ch/qr/nichtkardiale-operationen
Pulmonale Hypertonie: https://www.rosenfluh.ch/qr/pulmonalehypertonie
Plötzlicher Herztod: https://www.rosenfluh.ch/qr/suddendeath
Bei der pulmonalen Hypertonie, die 1 Prozent der globalen Bevölkerung und bis zu 10 Prozent der älteren Bevölkerung > 65 Jahre betrifft, sind die Lungenarterien versteift, was infolge dauernder Mehrarbeit des rechten Herzens mit der Zeit zu einer Rechtsherzinsuffizienz führt und ohne Behandlung die Lebenserwartung erheblich verkürzt. Jüngere Daten hätten laut Rosenkranz gezeigt, dass schon eine moderate Erhöhung des Lungenarteriendrucks oder des Lungenarterienwiderstands die Mortalität ansteigen lässt. Deshalb wurden in der Revision der Guideline die hämodynamischen Kriterien angepasst. Unter anderem wurde weiter die Klassifikation der pulmonalen Hypertonie mit 5 Untergruppen revidiert, und zu jeder Untergruppe wurden die spezifischen Therapieschritte anhand von PICO-Fragen (Population, Intervention, Control, Outcome) für die klinische Praxis aufbereitet und aufdatiert (3).
Mehr Defis an öffentlichen Plätzen
Ein besonderes Anliegen ist der ESC die weitere Förderung
der kardiopulmonalen Reanimation (CPR) durch Laien.
Denn bis zu 6 Millionen Personen erleiden jedes Jahr einen
plötzlichen Herzstillstand, und nur 10 Prozent von ihnen
überleben diesen. Die allgemeine Bevölkerung sei der beste
Verbündete, um dagegen anzukämpfen. Deshalb sollten auch
Schüler die CPR erlernen sowie den Umgang mit automati-
sierten externen Defibrillatoren (AED), und die Verbreitung
solcher Geräte an öffentlichen Plätzen wie Einkaufszentren,
Stadien und Bahnhöfen muss weiter vorangetrieben werden.
Bei mit AED ausgerüsteten Sport- und Fitnesszentren wird
laut der Guideline-Vorsitzenden Prof. Katja Zeppenfeld, Lei-
den University Medical Centre, Leiden (NL), eine gute Über-
lebensrate mit günstigen neurologischen Outcomes nach
plötzlichem Herzstillstand erreicht. Die revidierten Guideli-
nes empfehlen deshalb die vermehrte Installation von AED
an Sportstätten und die Schulung des Personals betreffend
CPR und der Verwendung von AED.
Als weiteren Schritt fordert die ESC ein Mobilfunksystem für
Rettungsorganisationen, mit dem geschulte Freiwillige, die
sich in der Nähe eines Opfers befinden, lokalisiert werden
können, um zeitnah Hilfe zu leisten.
Die Guidelines geben ausserdem aufdatierte Handlungsan-
leitungen und Empfehlungen zu den verschiedenen Ursachen
eines plötzlichen Herzstillstands ab. Dazu gehören unter vie-
len anderen Erkrankungen Arrhythmien, KHK sowie ange-
borene Kardiomyopathien (4).
s
Valérie Herzog
Quelle: «ESC Guidelines Overview». Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 29. August 2022 in Barcelona.
Referenzen: 1. Lyon AR et al.: 2022 ESC Guidelines on cardio-oncology deve-
loped in collaboration with the European Hematology Association (EHA), the European Society for Therapeutic Radiology and Oncology (ESTRO) and the International Cardio-Oncology Society (IC-OS). Eur Heart J. 2022;ehac244. 2. Halvorsen S et al.: 2022 ESC Guidelines on cardiovascular assessment and management of patients undergoing non-cardiac surgery. Eur Heart J. 2022;ehac270. 3. Humbert M et al.: 2022 ESC/ERS Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension. Eur Heart J. 2022;ehac237. 4. Zeppenfeld K et al.: 2022 ESC Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death. Eur Heart J. 2022;ehac262.
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