Transkript
ESC
Interview mit Prof. Franz Eberli
«Das Pingpong zwischen Hausarzt und Kardiologe hat sich gut bewährt»
Am Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona wurden viele Studien vorgestellt, unter anderem zur Therapie der Hypertonie, der Herzinsuffizienz und zur Lipidsenkung. Deren Resultate werden im Heftinnern weiter ausgeführt. Wie die Ergebnisse allerdings eingeschätzt werden müssen und welche Implikationen sie für die Praxis haben, haben wir am Kongress Prof. Franz Eberli, Stadtspital Triemli, Zürich, gefragt. Seine Einschätzung lesen Sie hier im Interview.
zVg
Was fanden Sie am diesjährigen ESC-Kongress
besonders spannend?
Prof. Franz Eberli: Spannend und sehr hilfreich
ist die Erkenntnis, dass es egal ist, ob ein Anti-
hypertensivum morgens oder abends genom-
men wird. Die HYGIA-Studie hatte vor ein
paar Jahren einen Vorteil für die abendliche
Einnahme erbracht und damit Unklarheit über
den besten Zeitpunkt der Einnahme der anti-
Prof. Franz Eberli
hypertensiven Therapie hervorgerufen. Jetzt hat die sehr gut gemachte TIME-Studie gezeigt,
dass es bezüglich der Anzahl kardialer Ereignisse nach
5 Jahren keinen Unterschied macht, ob man den Blutdruck-
senker morgens oder abends einnimmt. Das bedeutet mehr
Flexibilität für die Patienten. Jene, die zuverlässig all ihre
Tabletten mit ihrer Morgenroutine einnehmen, können das
jetzt auch mit dem Antihypertonikum tun, und jene, die ihre
Tabletten gewohnheitsmässig lieber am Abend schlucken,
können es so belassen. Den Zeitpunkt der Einnahme der anti-
hypertensiven Medikamente kann man jetzt mit den Patien-
ten ganz pragmatisch ausmachen.
«Man darf sich entspannen und kann den ARNI ganz beruhigt geben.»
Was gab es weiter Wichtiges? Eberli: Ganz wichtig sind die Resultate der PERSPECTIVEStudie, die gezeigt hat, dass der AngiotensinrezeptorNeprilysininhibitor (ARNI) Sacubitril/Valsartan keine negativen Auswirkungen auf die Kognition hat. Seit der Einführung der ARNI-Therapie bestand diesbezüglich eine Unsicherheit, und einige Wissenschaftler hatten vor der Einnahme gewarnt, weil befürchtet wurde, dass die potenzielle Amyloidakkumulierung durch die Neprilysinhemmung vermehrt zu Demenz führt. Nun ist aber klar, dass die kognitive Funktion unter Therapie davon nicht beeinträchtigt ist. Man darf sich also entspannen und kann den ARNI ganz beruhigt geben. Abgesehen davon ist in der Zwischenzeit auch die
Amyloidhypothese als Demenzursache ins Wanken gekommen.
Es gab noch die SECURE-Studie mit einer Polypille, die gezeigt hat, dass damit die kardiovaskuläre Sekundärprävention besser funktioniert als wenn man die gleichen Substanzen einzeln verabreicht. Was halten Sie davon? Eberli: Diese Studie verglich während 3 Jahren die kombinierte Gabe von Acetylsalicylsäure, Ramipril und Atorvastatin mit der einzelnen Gabe. In der Polypill-Gruppe sank im Vergleich zu den Einzelgaben vor allem die kardiovaskuläre Mortalität. Erstaunlicherweise wurde aber die Anzahl der nicht tödlichen Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall, Notwendigkeit für eine koronare Revaskularisation) nicht reduziert. Der Grund dafür ist aber nicht klar. Die Adhärenz der Medikamenteneinnahme war in beiden Gruppen nicht berauschend, und es gab keinen Unterschied bezüglich LDL-Senkung oder Blutdrucksenkung. Interessanterweise war auch die Gesamtmortalität in beiden Gruppen gleich. Die Polypille, die Substanzen aus verschiedenen Indikationsgebieten vereint, wird es schwer haben, zugelassen zu werden. Zu viele Fragen hinsichtlich einer möglichen wechselseitigen Beeinflussung, beispielsweise der Pharmakokinetik, müssten zuerst geklärt werden.
Bei einer Herzinsuffizienzdiagnose sollen gemäss Empfehlung der neuen ESC-Guidelines die 4 Basismedikationsklassen ACE-Hemmer oder ARNI, Betablocker, Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist (MRA) und SGLT2-Hemmer gleichzeitig begonnen werden. Wie macht man das ganz praktisch? Eberli: Ja, das ist ein Problem. Drei der vier Medikamente senken den Blutdruck. Man muss aufpassen, dass die Patienten keine orthostatische Hypotonie oder kardiale Synkope erleiden, sonst sinkt die Bereitschaft, alle vier Medikamente einzunehmen, bei den Patienten massiv. Der SGLT2-Hemmer senkt den Blutdruck wenig und kann daher von Beginn an in der Dosis von 10 mg gegeben werden. ARNI und Betablocker kombiniert können den Blutdruck dagegen massiv senken. Diese beiden Medikamente sollte man einschleichen. Spironolacton als kaliumsparendes Diuretikum verstärkt
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diesen Effekt noch. Ganz praktisch heisst das, den ARNI und den Betablocker so schnell wie möglich aufzudosieren, bis der Patient etwas spürt. Den SGLT2-Hemmer kann man gleichzeitig dazugeben. In einem nächsten Schritt folgt dann die Gabe des MRA. Bis zum Erreichen der Zieldosen vergehen in der Regel 6 bis 8 Wochen. Wenn nicht alles so rund läuft, braucht es 3 bis 4 Monate. Dieses Regime gilt für die Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF). Für eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) sind SGLT2-Hemmer momentan noch nicht zugelassen, obwohl sie hier auch gute Resultate zeigten.
Inwiefern ist der Hausarzt in die Herzinsuffizienztherapie involviert? Eberli: Der Hausarzt ist sicher derjenige, der die Herzinsuffizienztherapie überwacht, auch wenn sie von einem Kardiologen oder einem Herzinsuffizienzzentrum begonnen wurde.
«Das ist eine gute Nachricht für alle Patienten, die einen PCSK9-Inhibitor zur Senkung des LDL benötigen.»
Das Aufdosieren der Therapie erfolgt meist durch den Hausarzt, die genaue Anweisung dazu kommt häufig vom Kardiologen. Zur Kontrolle der Laborwerte, der Elektrolyte, vor allem des Kaliums nach Zugabe des MRA, und zur Aufrechterhaltung der Therapie ist der Hausarzt sehr wichtig. Für den Fall, dass der Patient trotzdem eine Dyspnoe entwickelt, steht der Kardiologe respektive das Herzinsuffizienzzentrum als Rückversicherung im Hintergrund zur Verfügung. Dieses «Pingpong» zwischen Hausarzt und Kardiologe hat sich sehr gut bewährt.
Sind die SGLT2-Hemmer nun für alle Formen der Herzinsuffizienz einsetzbar? Eberli: Ja, eindeutig. In den Studien zu HFrEF wie auch in den jüngeren Studien zu HFpEF haben sie immer besser abgeschnitten als der Plazeboarm. SGLT2-Inhibitoren sind also wertvolle Medikamente. Das Problem ist aber, dass man nicht genau weiss, wie die kardioprotektive Wirkung zustande kommt. Die diuretische Wirkung durch die vermehrte Glukoseausscheidung genügt als Erklärung für die gute Wirkung nicht. Inzwischen wurden viele zelluläre Wirkmechanismen aufgezeigt, welche zur Wirkung beitragen. Wie sie zu gewichten sind, ist im Moment aber noch unklar. Es ist offensichtlich, dass SGLT2-Hemmer zusätzlich zur nephrologischen eine systemische Wirkung haben.
Wie ist das bei HFpEF? Eberli: Die Studienergebnisse der SGLT2-Inhibitoren sind hier ebenfalls gut, aber weniger durchschlagend wie bei der HFrEF. Bei der HFpEF verminderten die SGLT2-Inhibitoren die Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz, aber sie brachten keine Reduktion der Gesamtmortalität. Zusätzlich muss man beachten, dass Studienresultate immer Mittelwerte sind. Beim dem einen Patienten funktioniert die Therapie gut, beim anderen nicht. Das ist auch meine Erfahrung. Die Pa-
thophysiologie einer HFpEF ist viel komplexer als bei einer HFrEF. Man kann diese Therapie zum Beispiel während zwei, drei Monaten ausprobieren. Der Patient spürt entweder eine Verbesserung der Symptomatik oder eben nicht. Wenn er keine Verbesserung spürt, soll die Gabe reevaluiert werden. Eine gute Eigenschaft der SGLT2-Hemmer ist, dass sie weder ein- noch ausgeschlichen werden müssen. Die Wirkdosis ist immer 10 mg pro Tag. Bei sehr alten und fragilen Patienten kann es allerdings dennoch klug sein, mit der halben Dosierung zu beginnen.
Am Kongress wurden noch Langzeitergebnisse der FOURIERStudie mit dem PCSK9-Hemmer Evolocumab präsentiert. Was bedeuten diese Ergebnisse für Sie? Eberli: Während in der ursprünglichen, etwa 2 Jahre dauernden Studie die kardiovaskuläre Mortalität noch nicht signifikant gesenkt wurde, wurde dieses Ziel in der 5-jährigen Open-label-Extensionsstudie (FOURIER-OLE) erreicht. Die kardiovaskuläre Mortalität sank signifikant um 23 Prozent. Diese Wirkung begann sich etwa 1 Jahr nach Verlängerungsbeginn abzuzeichnen. Bei der Interpretation der Resultate sind folgende Punkte zu beachten: An der Verlängerungsstudie nahm nur etwa ein Viertel der ursprünglich in der FOURIER-Studie eingeschlossenen Patienten teil. Alle Patienten erhielten Evolocumab. Der beobachtete Effekt ist ein Memoryeffekt. Das heisst, die Studie postuliert, dass die Patienten, bei denen über eine längere Zeit eine massive LDL-Senkung erreicht wird, im Lauf der Jahre davon einen Vorteil haben. Eine ebenso wichtige Aussage der Studie ist, dass der Antikörper über die Jahre anhaltend gleich gut wirkt, keine Anti-Antikörper gebildet und keine neuen Nebenwirkungen induziert werden. Das ist eine gute Nachricht für alle Patienten, die einen PCSK9-Inhibitor zur Senkung des LDL benötigen.
Eine neue ESC-Guideline zur Vor- oder Nachbehandlung von
Herzpatienten bei nicht kardialen Operationen wurde am
Kongress vorgesellt. Ist sie hilfreich?
Eberli: Ja, die Guideline ist hilfreich. Im Bereich der Risiko-
abschätzung und der nötigen Abklärungen dazu schlagen sie
weiterhin ein dem Operationsrisiko und dem kardiovaskulä-
ren Risiko angepasstes, stufenweises Vorgehen vor. Bei grös-
seren Operationen wird bei Patienten mit mehreren kardio-
vaskulären Risikofaktoren und/oder Vorerkrankungen eine
gezielte Anamnese, eine klinische Untersuchung, ein EKG
und bei Vorliegen von pathologischen Befunden eine Echo-
kardiografie empfohlen. Eine präoperative Ischämieabklä-
rung und eine koronare Revaskularisation sind weiterhin nur
bei entsprechenden Symptomen oder Befunden empfohlen.
Neu legen die Guidelines ein grosses Gewicht auf das Erfas-
sen und das Behandeln von perioperativen Ischämien. Da
perioperative Myokardinfarkte häufig wegen fehlender oder
nicht typischer Schmerzen unerkannt ablaufen, sollen vor der
Operation und nachher in regelmässigen Abständen die kar-
dialen Biomarker gemessen werden. Das ermöglicht ein
rechtzeitiges Erfassen und eine rechtzeitige Therapie von
Koronarischämien.
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Das Interview führten Christine Mücke und Valérie Herzog.
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