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Risikominimierung und Nachhaltigkeit wichtiger als Art der Intervention
Gewichtsreduktionsdiäten im Vergleich
David Fäh
David Fäh
Welche Diät funktioniert am besten: Low Carb, Low Fat, Intervallfasten, mediterran, ketogen? Die Debatte ist hitzig. Unterscheiden sie sich tatsächlich so stark, was die Gewichtsveränderung anbelangt? Und wie sieht es mit dem Langzeitresultat aus, wie mit Risikofaktoren und Krankheitsendpunkten? Das sagt der aktuelle Stand der Wissenschaft dazu.
Diäten und ihr grundsätzliches Problem
Übergewicht entsteht durch eine positive Energiebilanz. Entsprechend liegt es nahe, diese ins Negative zu drehen, um das Gewicht zu reduzieren. In den meisten Fällen geschieht das mit einer Kalorienrestriktion, indem entweder die Energiedichte generell gesenkt oder aber spezifisch die Zufuhr an Kohlenhydraten oder Fetten verringert wird (1). Gesünder und nachhaltiger als eine Einschränkung der Energiezufuhr wäre eine Gewichtsreduktion durch Erhöhung des Verbrauchs. In der Praxis ist der Effekt von isolierten Bewegungsmassnahmen auf das Körpergewicht jedoch zu bescheiden, weshalb diese mit Ernährungsinterventionen kombiniert werden müssen (1). Der Mensch ist kein Murmeltier, und seine Physis und Psyche tolerieren eine Energierestriktion, z. B. auf 500 bis 800 kcal/Tag, vergleichsweise schlecht. Auch die Dauer des Erfolgs von stark kalorienreduzierten Diäten ist mit maximal 6 Monaten kurz (1–5). Evolutionsbiologisch ist unser Organismus vielmehr dafür konzipiert, kaloriendichte Nahrung aufzunehmen und zu verwerten und diese Energie in Form von Bewegung zu verbrennen: Bei Ausdauerathleten, z. B., kommt in Trainingsphasen ein Verbrauch von 6000 kcal/Tag und mehr zustande (6). Entsteht ein
Defizit, also eine negative Kalorienbilanz, durch einen Mehrverbrauch, ist das physiologischer und verträglicher, als wenn es sich durch eine Reduktion der Energiezufuhr einstellt. Wenn hingegen weniger im Körper ankommt, als er verbraucht, bewegt sich der Organismus in Richtung einer lebensbedrohlichen Situation. Entsprechend kennt unsere Physiologie zahlreiche Mechanismen, die zeitnah nach einer Restriktion einsetzen, um sich einer weiteren Gewichtsabnahme entgegenzustellen. Vorgänge, die eine übermässige Gewichtszunahme verhindern, fehlen hingegen weitgehend (7). Bis vor etwa 100 Jahren waren solche, betrachtet man die Bevölkerungsebene, nicht nötig. Vor dem Hintergrund immer wiederkehrender Hungersnöte wäre ein solches «Übergewichtsventil» ein Selektionsnachteil gewesen. Wenn Nahrung vorhanden war, konnten unsere Ahnen, also richtig zuschlagen und das taten sie auch. Die Regulation des Körpergewichts ist beim Menschen also ausgeprägt asymmetrisch (8, 9). Nahrungsentzug erzeugt Stress, der sich mit Kortikosteroidkonzentra- tionen im Speichel oder im Schweiss quantifizieren lässt. Wiederholte akute Deprivation kann zudem Vorgänge im Gehirn dauerhaft beeinflussen, die den Bezug zur Nahrung und deren Einnahme verändert. Das kann bis zur Entwicklung eines Zwangs, einer
Veränderung des Körpergewichts (%) Veränderung der fettfreien Masse (kg) Veränderung der Fettmasse (kg)
0.5 LF-Diät LC-Diät
0
–0.5
–1
–1.5
–2
–2.5 0 2 4 6 8 10 12 14 Tage mit Diät
0.5
LC-Diät
LF-Diät
0
–0.5
–1
–1.5
–2 0 2 4 6 8 10 12 14 Tage mit Diät
0.5
LC-Diät
LF-Diät
0.25
0
–0.25
–0.5
–0.75
–1 0 2 4 6 8 10 12 14 Tage mit Diät
Abbildung 1: Veränderung von Gesamtgewicht, fettfreier Masse und Fettmasse in der Low-Carb-(LC-) und Low-Fat-(LF-) Gruppe. (adaptiert nach Hall KD et al. [16])
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Sucht, bis zu Episoden von Kontrollverlust oder anderen Verhaltensstörungen reichen (10–14). Da solche Endpunkte in Studien in der Regel nicht berücksichtigt werden, fliessen diese Risiken bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Diät bei Patienten und Therapeuten oft nicht ein.
Unterschiedliche Diättypen, ähnliche Effekte
Die heute gängigsten Diäten setzen unterschiedlich stark bei den Kohlenhydraten an, entweder mit oder ohne Kalorienrestriktion. Vor 2 Jahrzehnten mussten die Fette daran glauben, weshalb Low-Fat-Diäten die populärsten waren. Studien zeigen, dass die beiden Diäten bezüglich Körpergewicht mittelfristig vergleichbar dürftig abschneiden, siehe Tabelle (2, 3, 15). Bei ad-libitum-Einnahme einer minimal verarbeiteten Low-Carb vs. Low-Fat Diät, nahmen die Probanden bei der Low-Fat Diät, die überwiegend aus Früchten bestand, rund 700 kcal/Tag weniger zu sich als die Low-Carb-Gruppe. Nach 2 Wochen nahm die LowCarb-Gruppe mit 2 Kilogramm etwas mehr Gewicht ab, dieses bestand aber überwiegend aus fettfreier Masse. Der Verlust an Fettmasse war in der Low-FatGruppe signifikant höher (Abbildung 1) (16). Nicht nur die Low-Carb-Ernährung, auch Intervallfasten ist kein Wundermittel. Manche, aber längst nicht alle Studien dazu zeigen zwar geringe positive Effekte bei Blutfetten, Blutzuckerwerten und beim Blutdruck. Bezüglich Gewichtsreduktion sind die Resultate jedoch nicht besser als bei der klassischen, kontinuierlichen Kalorienreduktion mit 3 Hauptmahlzeiten. Ebenso wichtig wie die Dauer des Kalorienverzichts ist, was und wie wir ausserhalb des Intervalls essen (17–19).
Risikofaktoren und Krankheitsendpunkte werden oft nicht berücksichtigt
Bei der Wahl eines Diättyps entscheiden die Anzahl Kilogramm, die der Körper verliert, und die Zeit, die es dafür braucht. Wie nachhaltig die Gewichtsreduktion ist und woraus das Gewicht besteht, das man abgenommen hat, also aus Fett oder fettfreier Masse, wird ungenügend berücksichtigt. Dabei sind diese Parameter von zentraler Bedeutung bei der Frage, ob eine Veränderung der Ernährung nicht nur Effekte auf das Körpergewicht, sondern auch auf andere Gesundheitsrisiken hat. Entscheidend dabei ist, wie sehr sich die Bandbreite von Lebensmitteln und wie stark sich deren Verarbeitungsgrad durch die Umstellung verändern. Schliesslich gehen viele Diäten mit einer Einschränkung des kulinarischen Spektrums einher und manchmal auch mit einem höheren Anteil an stark verarbeiteten Lebensmitteln wie Mahlzeitersatzprodukten (20). Das ist auch der Fall, wenn mehr verarbeitete Diätprodukte wie Zerogetränke oder Low-Carb/ High-Protein-Lebensmittel oder aber mehr vegane Fertigprodukte konsumiert werden (21). Das wichtigste Kriterium einer Diät ist, wie dauerhaft das tiefere Körpergewicht gehalten werden kann. Gerade hier ist
es teilweise schwierig, sich ein Bild zu machen, weil viele Studien oft nur 6 oder 12 Monate dauern und die Beobachtungszeit selten länger als 2 Jahre ist. Über eine Beobachtungszeitspanne von 6 Monaten zeigen fast alle Diäten einen Effekt, der nach 12 Monaten aber häufig wieder verschwindet (1, 2, 4, 5, 22, 23). Risikofaktoren wie Blutzuckerparameter, Blutdruck oder Lipide werden zwar zunehmend berücksichtigt, diese sagen allerdings nur die halbe Wahrheit: Positive Veränderungen bei diesen Faktoren bedeuten nämlich nicht zwingend, dass sich Krankheitsrisiken verringern oder das Sterberisiko sinkt. Beispielhaft zeigen das stark kohlenhydratreduzierte Diäten, die zwar initial das Gewicht effizient reduzieren, auch manche Risikofaktoren wie erhöhte Blutzucker- oder Blutdruckwerte verbessern, jedoch ziemlich einheitlich mit einem er-
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen der Kohlenhydratzufuhr in Prozent der Gesamtkalorieneinnahme und dem relativen Gesamtsterberisiko in 2 Kohortenstudien. ARIC = Atherosclerosis Risk in Communities. PURE = Prospective Urban Rural Epidemiology (1.0, gestrichelte Linie = Referenz). (nach Seidelmann SB et al. [24])
höhten Sterberisiko assoziiert sind (Abbildung 2) (24, 25). Andere Ernährungsumstellungen wie die mediterrane Ernährungsweise oder DASH (dietary approach to stop hypertension), die initial weniger wirksam bei der Gewichtsreduktion sind, können dafür mit Vorteilen nicht nur bei den Risikofaktoren, sondern auch bei nicht übertragbaren Krankheiten punkten (22, 23, 26–29). Der Verlust an Körpermasse sollte bei der Entscheidung deshalb nur einer von vielen Aspekten sein, die berücksichtigt werden sollten.
Weg vom Fokus auf Kalorien und Makronährstoffe
Die meisten populären Diäten zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen oder mehrere Makronährstoffe – Fette oder Kohlenhydrate – oft in Kombination mit einer verringerten Energiezufuhr reduzieren. Aktuelle Metaanalysen von randomisierten kontrollierten Studien zeigen jedoch, dass die Veränderung der Makronährstoffzufuhr unerheblich ist für den Erfolg, und dass der Haupteffekt aus dem Kaloriendefizit re-
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Tabelle:
Diättyp
Durchführung
Gewichtsveränderung
Vorteile
Nachteile
Nachhaltigkeit
Referenzen
Ketogen
Low-Carb Low-Fat
Mediterran
Intervallfasten
≤ 50 g Kohlenhydrate pro Tag resp. < 10% der Gesamtkalorien dürfen von Kohlenhydraten stammen V. a. mit Kalorienrestriktion Gewichtsverluste von bis zu 18 kg nach 6 Monaten, allerdings starker Rebound (Jo-Jo) • Rasche Gewichtsreduktion • Erfordert ärztliche Abklärung • Vor allem die stark 3, 16, 20, 30, • V. a. bei Diabetespateinten Ver- • Nicht für alle geeignet (z. B. Men- kalorienreduzierte Ver- 31, 38, 39 besserung der Blutzuckerpara- schen im Wachstum, Frauen mit sion (500–800 kcal/ meter und des Insulinspiegels Kinderwunsch, Schwangere, …) Tag) ist kaum nach- • Teilweise sättigende Wirkung • Verlust fettfreier Masse haltig mit geringerem Heisshunger, • Hohe Zufuhr an tierischen Produk- • Die beobachteten Resultate aber inkonsistent ten, gesättigten Fetten, geringe positiven Effekte • Erhöhter Kalorienverbrauch auf- Zufuhr an Nahrungsfasern, man- stammen überwiegend grund der metabolischen Effekte chen Mikronährstoffen von der Kalorienre- der Umwandlung von Fett und • Möglicherweise erhöhtes Risiko duktion und nicht wie Eiweiss in Ketonkörper (KK) resp. für Entwicklung von Essstörungen postuliert von der Koh- Glukose und für Mangelernährung lenhydratrestriktion • Erhöhte Lipolyse aufgrund des • Teilweise deutliche Verschlech- • Sollte entsprechend konstant tiefen Insulinspiegels terung der Cholesterinwerte, den Richtlinien länger- • Direkte hungerreduzierende Rolle verminderte Insulinsensitivität und fristig übergehen in der KK unklar, da Resultate v. a. erhöhte CRP-Werte eine mediterrane Er- von KK-Infusionsstudien stam- • Hohe Stickstoffbelastung für Leber nährung men und Nieren • Mit erhöhtem Sterberisiko assoziiert > 50 g bis 150 g Kohlenhydrate pro Tag resp. > 10 bis < 45% der Gesamtkalorien dürfen von Kohlenhydraten stammen Anteil von weniger als 30% am Gesamtenergiebedarf durch Gesamtfett, resp. weniger als 10% durch gesättigte Fette Durchschnittlich 4 bis 6 kg nach 6 Monaten Durchschnittlich 4 bis 6 kg nach 6 Monaten • Gewichtsverlust nach 6 Monaten • Gewichtsverlust teilweise auf ca. 1 kg höher als bei Low Fat Kosten der fettfreien Masse • Etwas stärkere Erhöhung des • Teilweise erhöhte LDL- und Ge- HDL-Cholesterins und stärkere samtcholesterinwerte Senkung der Triglyzeride, ver- glichen mit Low Fat • Geringeres Risiko für Mangel- • Bei hoher Zufuhr schnell verfüg- erscheinungen und weniger barer Kohlenhydrate erhöhtes starker Rebound, verglichen mit Risiko für De-novo-Lipogenese Low Carb und Überlastung der Leber mit • Grösseres Volumen der Mahlzeit erhöhter Triglyzeridproduktion • Bei höherem Anteil an unver- • Sehr hohe Kohlenhydratzufuhr arbeiteten pflanzlichen Produkten (> 70 Energieprozent) ist mit er-
hohe Zufuhr an Nahrungsfasern
höhtem Sterberisiko assoziiert
möglich
• Bei ausreichender Eiweisszufuhr
geringere Abnahme der fett-
freien Masse
• Kompatibel mit erhöhter körper-
licher Aktivität mit Leistungsopti-
mierung
• Effekt weniger nach- 2–5, 15, 16, haltig als mit Low Fat 22, 23
• Effekt nachhaltiger 2–5, 15, 16, als mit Low Carb, aber 22, 23 weniger nachhaltig als mit einer mediterranen Diät
Möglichst hohe Adhärenz an die mediterrane Ernährung, keine grundsätzlichen Verbote
16:8, 5:2, jeden 2. Tag
Mit durchschnittlich • Hohe Akzeptanz aufgrund feh-
2 kg Verlust vor allem lender Verbote und erhaltener
kurzfristig weniger
Lebensqualität
ausgeprägt als mit • Grösste Bandbreite an Mikro-
Low Carb und Low-
und Makronährstoffen
Fat, jedoch deutlich • Für praktisch alle Personengrup-
geringerer Rebound
pen geeignet
Resultate in Kombi- • Geringer ökologischer Fussab-
nation mit Kalorien-
druck durch reduzierten Fleisch-
restriktion: ca. 4 kg,
anteil
mit Bewegung: 4 kg, • Beste wissenschaftliche Evidenz
längerem Follow-up
für verbessertes Risikofakto-
als 6 Monate: ca. 3 kg renprofil und verringerte Krank-
heits-/ Sterberisiken
Gewichtsverlust zwischen 1 und 13 Prozent des Ausgangsgewichts
• Ausser kalorienfreiem Zeitfenster keine kulinarischen Einschränkungen und keine Produkte notwendig
• V. a. 16:8 ist in der Regel gut verträglich und einfach umsetzbar
• Teilweise Verbesserung der Risikofaktoren
• Wahrscheinlich kein erhöhtes Risiko für Entwicklung von Essstörungen
• Langsame Gewichtsreduktion • Im Vergleich zu Low 2, 3, 22, 23,
• Initial weniger effizient als Lo
Carb und Low Fat die 26, 29, 40
Carb und Low Fat
einzige Ernährungs-
• Nicht in allen Kulturen umsetzbar, weise, bei der nach 6
z. B. aufgrund der Abhängigkeit
Jahren noch eine sig-
von Olivenöl
nifikante Gewichtsre-
duktion nachgewiesen
werden konnte
• Für gewisse Personengruppen sind aufgrund schlechter Sozialverträglichkeit nicht alle Varianten umsetzbar
• Bezüglich Ausmasses des Gewichtsverlusts keine Vorteile gegenüber kontinuierlicher Kalorienrestriktion
• Daten unzureichend für eine abschliessende Beurteilung
17–19, 41
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sultiert (2, 4, 5, 15, 30, 31). Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses kontinuierlich oder mit Intervallfasten zustande kommt (19). Ausserdem zeigen strikte Diäten keine Vorteile in Bezug auf Gewichtsreduktion und Veränderung der Risikofaktoren im Vergleichsfall mit moderateren Ernährungsumstellungen (5). Aus der Sicht der Nachhaltigkeit und der Gesundheit für Körper und Geist ist es sinnvoller bei Fetten, Kohlenhydraten und Eiweissen auf Ursprung, Qualität und Verarbeitung zu achten, als auf deren absolute Menge oder deren Verhältnisse zueinander (26). Das gilt auch für die Frage, ob Lebensmittel pflanzlichen oder tierischen Ursprungs sein sollen: Obwohl Veganer und Vegetarier im Durchschnitt einen tieferen BMI haben als Omnivoren, zeigen Studien, dass eine Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung nur dann Vorteile bringt, wenn damit der Verarbeitungsgrad der Lebensmittel sinkt (32).
Alternative: Verarbeitungsgrad senken
Neue Ansätze aus der Forschung sehen nicht die Makronährstoffzusammensetzung oder die Herkunft – pflanzlich oder tierisch – von Lebensmitteln als Hauptproblem, sondern die Art und Weise, wie diese verarbeitet wurden. Im Fokus steht dabei die am stärksten verarbeitete Kategorie: «ultra-processed foods» (UPF) (21). Neben den zahlreichen Verarbeitungsschritten sind einerseits der Zusatz bestimmter Stoffe charakteristisch für UPF, wie z. B. Farbstoffe, Aromen oder Geschmacksverstärker, andererseits aber auch Substanzen, die das Volumen, die Konsistenz, die Homogenität, die Haltbarkeit oder die Feuchte des Produkts verändern. Die Herstellung von UPF kann zu Hause nicht nachgeahmt werden. Zu den typischen UPF gehören Fast Food und Fertigprodukte aber ebenso Back- und Süsswaren, Snacks, Fleisch- und Fleischersatzprodukte, Frühstückscerealien, Riegel, Kartoffelprodukte, manche Milchprodukte und viele Getränke (21). Eine viel beachtete Studie konnte zeigen, dass bei gleicher Nährstoffzusammensetzung leicht übergewichtige Probanden, die UPF assen, etwa 500 Kcal/Tag mehr einnahmen als die Vergleichsgruppe, die ausschliesslich minimal verarbeitete Speisen konsumierte. Die Studienteilnehmenden, die so viel essen durften, wie sie wollten, nahmen aufgrund des Verarbeitungsgrads nach 2wöchigem Konsum von UPF 1 Kilogramm an Gewicht zu, während die Kontrollgruppe, die minimal verarbeitete Lebensmittel konsumierte, 1 Kilogramm abnahm. Dabei war die Makronährstoffzusammensetzung der beiden Ernährungsweisen, also der Gehalt an Fett, Kohlenhydraten, Eiweissen und sogar Nahrungsfasern, identisch, was darauf hinweist, dass die Unterschiede bei der Kalorieneinnahme und dem Körpergewicht allein auf den Verarbeitungsgrad zurückzuführen war (Abbildung 3) (33). Problematisch scheinen auch Zusatzstoffe wie Süssstoffe zu sein, die in Zerogetränken und anderen kalorienfreien oder -reduzierten Produkten vorkommen. Süssstoffe mögen zwar für unseren Körper inert sein, jedoch beeinflussen sie die Zusammensetzung und die Aktivität unserer Darmbakterien. Diese Veränderun-
Abbildung 3: Kalorieneinnahme und Gewichtsveränderung über 2 Wochen mit unverarbeitete und ultraverarbeiteten Lebensmitteln (nach Hall KD et al. [33]).
gen führen zu einer statistisch signifikanten Erhöhung des Blutzuckerspiegels und zu einer Verminderung der Glukosetoleranz bei gesunden Probanden (34). In Ländern wie den USA, UK oder Australien liegt der Anteil des Einkaufs an UPF bei über 50% (35). In der Schweiz gehört rund ein Viertel aller konsumierten Lebensmittel zu den UPF (36). Eine allgemeine, nährstoff unabhängige Senkung des Verarbeitungsgrads der konsumierten Lebensmittel scheint also ein vielversprechender Ansatz mit ausreichend Potenzial für die Gewichtskontrolle zu sein. Das bestätigen unter anderem Studien, die zeigen konnten, dass der Konsum unverarbeiteter Nüsse trotz ihrer hohen Energiedichte bei Übergewichtigen zu einer Gewichtsreduktion führte (37).
Fazit: Nach der Diät ist vor der Diät
Diäten haben sehr selten einen nachhaltigen Effekt auf das Körpergewicht, dabei spielt es längerfristig keine Rolle, wie die Kalorienrestriktion zustande kommt und wie sich die Makronährstoffzufuhr verändert. Vor allem bei der Wahl von stark einschränkenden Diäten ist die Aufklärung über die möglichen Risiken – insbesondere die für das Essverhalten – wichtig. Sinnvoller als mit Diäten bei Übergewicht anzusetzen ist es, massvolle Verhaltensänderungen im Bereich der Ernährung, des Essverhaltens und der Alltagsbewegung bereits bei Normalgewichtigen oder leicht übergewichtigen Personen durchzuführen, um eine längerfristige Stabilisierung anzustreben. Der längerfristige Erfolg einer Gewichtsreduktion hängt davon ab, wie alltagstauglich die umgesetzten Massnahmen sind und vor allem wie systematisch körperliche Aktivität in das tägliche Leben integriert werden kann. Da weder eine starke Restriktion noch die Einschränkung auf Makronährstoffebene längerfristig einen Vorteil bringen, sollte der Fokus vermehrt auf Art und Intensität der Verarbeitung und der dabei eingesetzten Zusatzstoffe gerichtet werden.
Referenzen in der Online-Verson des Beitrags unter www.sze.ch
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. David Fäh Master of Public Health, FMH Prävention und Gesundheitswesen, NDS Humanernährung ETH Berner Fachhochschule Departement Gesundheit / Ernährung und Diätetik Finkenhubelweg 11 3008 Bern david.faeh@bfh.ch
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