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KONGRESSBERICHT
Impferfolg, Infektanfälligkeit, schwerer Verlauf
Der Einfluss der Ernährung auf das Immunsystem
Bei einem beeinträchtigten Immunsystem besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen, für einen schweren Verlauf der Infektion und auch ein geringeres Ansprechen auf Impfungen. Eine Reihe von Ernährungsfaktoren beeinflussen die Immunabwehr. Prof. Philip Calder, University of Southhampton (UK) erläuterte, wie sich Übergewicht, Frailty, Malnutrition und weitere Aspekte der Ernährung auf das Immunsystem auswirken.
Die 4 Funktionen des Immunsystems
• Barriere: Haut, Schleimhaut, Magensäure, spezifische Eiweisse in Körpersekreten
• Identifikation: generisch durch Mustererkennung der Rezep toren, spezifisch durch Antigenrezeptoren
• Elimination durch Phagozytose oder Zerstörung durch Killerzellen
• Gedächtnis: Basis für die Impfungen
Das Immunsystem hat die Aufgabe, pathogene Mikroorganismen wie Bakterien, Parasiten, Pilze und Viren zu erkennen und abzuwehren, aber auch zwischen pathogenen und harmlosen oder sogar nützlichen Mikroorganismen zu unterscheiden. Das Immunsystem besteht aus einer Vielzahl von Zelltypen, die jeweils ihre spezifische Funktion haben sowie mit den anderen Zellen zusammenarbeiten und kommunizieren. Grundsätzlich unterscheiden wir die angeborene und die erworbene Immunität. Zur angeborenen Immunität gehören die Phagozyten, welche beispielsweise Bakterien fressen, und die natürlichen Killerzellen, die infizierte Zellen, aber auch Tumorzellen zerstören können. Zum erworbenen Immunsystem gehören die T-Lymphozyten, die für die zelluläre Immunantwort sorgen, und die B-Lymphozyten, die Antikörper (AK) produzieren (1).
Immunsystem in verschiedenen Lebensphasen
Bei kleinen Kindern ist das Immunsystem oft noch nicht stark trainiert, sie erkranken häufig an respiratorischen und gastrointestinalen Infektionen. Im höheren Alter wird das Immunsystem dann wieder schwächer, diesen Vorgang nennt man Immunoseneszenz. Der Thymus wird kleiner und liefert weniger T-Zellen. Durch die Abnahme der naiven T-Zellen (noch kein Kontakt mit einem Antigen) und durch die Zunahme der Gedächtnis-T-Zellen wird das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Zellen verändert. Auch die Funktion anderer Immunzellen nimmt ab, zum Beispiel die Produktion von AK in den B-Zellen. Eine im Alter häufig vorhandene niederschwellige Entzündung wirkt sich ungünstig auf das Immunsystem aus.
Impfantwort im Alter
Die Immunantwort auf eine Impfung fällt bei vielen älteren Menschen schwächer aus. Das zeigte eine Studie, die das Ansprechen von Personen verschiedenen Alters auf die COVID-Impfung untersuchte. Verglichen wurden Personen < 60 Jahre mit Personen > 80 Jahre. Die Mehrheit beider Gruppen produzierte spezifische IgG-AK-Titer gegen SARS-CoV-2-Spike-Protein. Die AK-Titer waren aber bei den älteren Studienteilnehmern signifikant tiefer. Auch wenn bei den älteren
Patienten bei der zweiten Impfung der AK-Titer-Anstieg grösser war, erreichte am Schluss der absolute Titer bei den < 60-Jährigen höhere Werte. 31% der älteren Personen hatten keine messbaren neutralisierenden AK, während bei den jüngeren das nur bei 2,2% der Fall war (2). In einer anderen Studie wurde bei älteren Personen die Immunantwort auf eine Influenzaimpfung untersucht, verglichen wurden Personen mit und ohne Frailty. Die AK-Bildung nach der Impfung fällt bei Patienten mit Frailty schwächer aus. Zudem erkrankten 30% der Patienten mit Frailty an einer Influenza trotz Impfung, hingegen nur 3% der älteren Patienten ohne Frailty (3). Körpergewicht und Immunsystem Adipositas beeinträchtigt eine ganze Reihe von Faktoren des Immunsystems ungünstig. Es konnte gezeigt werden, dass Adipositas ein unabhängiger Risikofaktor für Morbidität und Mortalität bei einer Influenza H1N1 ist. Eine Studie verglich die humorale und die zelluläre Immunantwort auf die Impfung bei normalgewichtigen, übergewichtigen und adipösen Personen 1 Monat und 12 Monate nach der Impfung. 12 Monate später war eine signifikant stärkere Abnahme der AK-Titer bei adipösen Probanden festzustellen (4). Weiter untersuchte man, wie gut sich die T-Zellen in vitro im Kontakt mit dem Influenzavakzin aktivieren liessen. Dieser Vorgang war bei adipösen Probanden weniger ausgeprägt (4). In einer prospektiven Untersuchung wurden über 1000 Probanden mit einem trivalenten inaktivierten Influenzavakzin geimpft. Bestimmt wurde der Prozentsatz an Patienten, die entweder eine serologisch bestätigte Influenza oder eine grippeähnliche Erkrankung durchmachten. Der Prozentsatz bei übergewichtigen Probanden betrug 9,8%, bei normalgewichtigen nur 5,1% (5). Nötige Nährstoffe für das Immunsystem Für das Funktionieren des Immunsystems ist die Ernährung ein wichtiger Bestandteil. Es müssen viele neue Proteine für neue Zellen, Immunoglobuline, Rezeptoren und weitere Moleküle aufgebaut werden. Dafür sind neben ausreichender Energie Baustoffe wie essenztielle Aminosäuren und essenzielle Fettsäuren 24 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2022 U PKDOANTGE REERSNSÄBHE RRIUCNHGT wie Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) notwendig. Viele Mikronährstoffe sind Regulatoren bei verschiedenen Stoffwechselprozessen des Immunsystems. Sie spielen allein und in Kombination mit anderen Faktoren eine wichtige Rolle auf verschiedenen Ebenen (6). Einzelne Mikronährstoffe wie Zink haben spezifische antiinfektiöse Aufgaben. Bei Vorgängen zum Schutz vor oxidativem und entzündlichem Stress sind viele Mikronährstoffe beteiligt (Vitamin C, E, Cystein, Zink, Kupfer, Selen, viele sekundäre Pflanzenstoffe). Die Ernährung werde bei der Prävention von Infektionen oft zu wenig beachtet, betonte Philip Calder. Ein allfälliger Mangel sollte wieder ausgeglichen werden, besonders im Hinblick auf Impfungen. Spezielle Aspekte In den letzten Jahren wurden weitere Faktoren entdeckt, die im Immunsystem eine wichtige Rolle spielen. Einerseits sind das sekundäre Pflanzenstoffe (Phytochemicals), andererseits Betaglukane. Ausserdem wird die Funktion des Mikrobioms im Immunsystem immer stärker erkannt (7). Das Darmmikrobiom hat einen wichtigen Rolle als Barriere, um die Kolonisation von pathogenen Keimen zu verhindern. Das Mikrobiom interagiert mit dem Darmepithel und den Immunzellen des Darms. So finden sich 70% der aller Immunzellen des Menschen im Darm. Das Mikrobiom nimmt also eine wichtige Stellung bei der Regulation des Immunsystems ein. Ein vielseitiges Mikrobiom aufzubauen, ist wichtig, dabei helfen unter anderem Faserstoffe und Präbiotika. Hospitalisierte Patienten Bei hospitalisierten Patienten, besonders wenn sie an Frailty leiden, mangelernährt oder adipös sind, sollte man daran denken, dass die Immunität beeinträchtigt sein kann und Infektionen häufiger auftreten und schwerer verlaufen können. Deshalb ist es wichtig, bei den Patienten schon zu Beginn der Hospitalisation für eine adäquate Ernährung zu sorgen. Eine gute Ernährung ist eine Strategie zur Infektionsprävention. Quelle: ESPEN Congress, Wien, 3. bis 6. September 2022. Session Bugs and drugs but no hugs: Nutrition and the immune system, Philip Calder, Professor of Nutritional Immunology, Faculty of Medicine, University of Southampton UK Barbara Elke Literatur: 1. Calder PC. Nutrition and immunity: lessons for COVID-19. Eur J Clin Nutr. 2021;75(9):1309-1318. 2. Müller L et al.: Age-dependent Immune Response to the Biontech/Pfi zer BNT162b2 Coronavirus Disease 2019 Vaccination. Clin Infect Dis. 2021 Dec 6;73(11):2065-2072. 3. Yao X et al.: Frailty is associated with impairment of vaccine-induced antibody response and increase in post-vaccination influenza infec tion in community-dwelling older adults. Vaccine. 2011;29(31):501521. 4. Sheridan PA et al.: Obesity is associated with impaired immune res ponse to influenza vaccination in humans. Int J Obes (Lond). 2012;36(8):1072-7. 5. Neidich SD et al.: Increased risk of influenza among vaccinated adults who are obese. Int J Obes (Lond). 2017;41(9):1324-1330. 6. Gombart AF et al.: A Review of Micronutrients and the Immune Sys tem-Working in Harmony to Reduce the Risk of Infection. Nutrients. 2020;12(1):236. 7. Verdu E et al.: Novel players in coeliac disease pathogenesis: role of the gut microbiota. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. 2015; 12: 497– 506.