Transkript
FORTBILDUNG
Die digitale Schweissanalyse
Eine Chance mit Herausforderungen
Bis heute wurden zahlreiche Proteine, Peptide, Metaboliten und Medikamente im Schweiss nachgewiesen (1–5). Schweiss wird nicht invasiv gewonnen und kann somit repetitiv abgenommen werden. Die fortschreitende technologische Entwicklung auf dem Gebiet der Sensorik ermöglicht es in naher Zukunft, die digitale und laborunabhängige Schweissanalyse direkt auf der Haut durchzuführen (6). Somit verspricht die digitale Schweissanalyse, einen wichtigen Beitrag zur Patientenversorgung der Zukunft zu leisten.
Foto: zVg
Noé Brasier
von Noé Brasier1, 2
D ie menschlichen Schweissdrüsen teilen sich grob in ekkrine und apokrine Schweissdrüsen auf (7). Ekkrine Schweissdrüsen kommen an den meisten Stellen der Haut vor, die apokrinen Schweissdrüsen sind meist axillär und perianal lokalisiert (7, 8). Die ekkrinen Schweissdrüsen sezernieren einen primär wässrigen, die apokrinen Drüsen einen viskösen und lipidreichen Schweiss (9). Die ekkrinen Schweissdrüsen dienen primär der Thermoregulation, während die apokrinen Schweissdrüsen im Rahmen der Kommunikation von Gerüchen am ehesten eine soziale Funktion einnehmen (7). Eine Veränderung der Schweissproduktion tritt bekanntermassen im Rahmen verschiedener Erkrankungen auf. Es kommt zu Nachtschweiss im Rahmen von akuten Infektionen, aber auch bei onkologischen Tumorleiden. Ein exzessives oder vermindertes Schwitzen wird zudem im Rahmen von Stoffwechselerkrankungen im Zusammenhang mit der Schilddrüse beschrieben. Klinische Schweisstests existieren nur wenige. Der bekannteste Test erfolgt zur Diagnose der Mukoviszidose bei Säuglingen (10). Dabei werden die Chloridkonzentrationen im Schweiss zur Detektion einer Störung der Chloridkanäle exokriner Drüsen untersucht (11). Der thermoregulatorische Schweisstest (TST) dient dagegen zum Nachweis von Veränderungen des Schwitzens mittels eines auf die Haut aufgetragenen Indikatorpulvers nach Aufenthalt in einer Wärmekammer (12). Bei Patienten mit einer Small-Fiber-Neuropathy (SNF) kann somit eine eingeschränkte sudoromotorische Funktion im TST nachgewiesen werden (13).
1 Institut für Translationale Medizin, ETH Zürich 2 Department für Digitalisierung & ICT, Universitätsspital Basel
Schweissmessung Schweiss wird derzeit entweder passiv mit Filterpapier oder aktiv durch Stimulation der Schweissdrüsen gesammelt (2, 14). Die passive Schweisssammlung erfolgt durch Auflegen des Filterpapiers auf die entsprechende Hautstelle über mehrere Minuten beziehungsweise Stunden. Der gewonnene Schweiss repräsentiert dabei eine Summe über die Zeit, während der die Schweissrate stark schwanken kann. Die aktive Induktion der Schweisssekretion führt zu einer konstanten Schweissabgabe (15). Das Prozedere der Induktion ist relativ komplex, da neben einer lokal chemischen Stimulation ein lokaler elektrischer Strom zum Einsatz kommt (Dauer total ca. 1 h) (14). Die Bestimmung der optimalen Methode zur Schweissentnahme ist noch Gegenstand wissenschaftlichen Diskurses (7). Nach passiver oder aktiver Schweisssammlung müssen die Proben heutzutage entweder direkt verarbeitet oder entsprechend gelagert werden (bei Proteinanalysen meist bei –80 °C). Die Analysen werden dann meist mit Massenspektrometrie in spezialisierten Einrichtungen durchgeführt (2, 16).
Die digitale Schweissanalyse (internetfähige Sudorologie) Die internetfähige (mit dem Internet verbindbare) Sudorologie, die auch als digitale Schweissanalyse bezeichnet wird, beruht auf der Analyse von Schweiss direkt auf der Haut durch mit dem Internet verbundene Biosensoren (Abbildung) (17). Verschiedene auf Mikrofluidik basierende Schweissbiosensoren sind in Entwicklung. Die selektive und quantitative Bindung von Biomarkern im Schweiss basiert unter anderem auf Aptameren (kurze Nukleinsäuresequenz) oder auf einem chemisch basierten Farbumschlag (18, 19). Die beschriebenen Biosensoren verbinden sich dank Bluetooth, oder Near Field Communication (NFC) mit Appli-
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kationen auf einem Smartphone. Diese Applikationen verarbeiten den Biosensorinput zu einem verständlichen und ablesbaren Datenpunkt. Mithilfe künstlicher Intelligenz können diese Werte zudem automatisiert in einen komplexen Zusammenhang gestellt und interpretiert werden (20). Dank cloudbasierten Netzwerken können diese Daten sofort auf sicheren Datenspeichern hinterlegt und/oder mit dem behandelnden Arzt geteilt werden (21, 22). Die internetfähige Sudorologie eröffnet somit die Möglichkeit für eine digitale, nicht invasive und molekulare Diagnostik der Zukunft. Ein erster kommerziell käuflicher Sensor lieferte bereits Einsichten in Schweissrate und Chloridkonzentrationen bei Athleten im Rahmen der Überwachung ihrer Hydrierung (23). Der Nachweis von Antibiotikaspiegel im Schweiss stellt eine weitere vielversprechende Anwendung der digitalen Schweissanalyse der Zukunft dar (24). Die Veränderungen der Antibiotikakonzentrationen könnten zur Überwachung von therapeutischen Antibiotikaspiegeln bei Gewebeinfektionen genutzt werden (3, 25, 26). Aufgrund der einfachen Platzierung des Sensors in unmittelbarer Nähe zum Infektionsgebiet ist die Schweissanalyse somit eine grosse Chance, um die Frage zu klären, wie gut das Antibiotikum durch das Gewebe zum Ort der Infektion penetriert. Das ist unter anderem bei kritischen oder chronisch kranken Patienten für die optimale Therapieeinstellung entscheidend (27, 28).
Die Herausforderungen
Die Sensortechnologie ist noch nicht bereit für den brei-
ten Einsatz, zudem werden die Biomarkerkonzentratio-
nen durch die starke Dynamik der Schweisssekretion
beeinflusst.
Die Technologie konnte durch die Entwicklung von Sen-
soren für komplexere Moleküle wie die Harnsäure kürz-
lich entscheidend vorangebracht werden (29). Mit der
Normierung der Biomarkerkonzentrationen mittels
Schweissrate wurden ausserdem wichtige Informatio-
nen für die Standardisierung gewonnen (30). Die Wahl
der besten Vorgehensweise zur Schweisssammlung ist
weiterhin unklar und noch nicht abschliessend definiert.
Voraussichtlich sind beide Arten, die aktive und die pas-
sive Methode, je nach Indikation von Nutzen.
l
Korrespondenzadresse: Dr. Noé Brasier
Institut für Translationale Medizin Leopold-Ruzicka-Weg 4 8093 Zürich
E-Mail: noekarl.brasier@hest.ethz.ch
Merkpunkte:
● Im Schweiss sind verschiedene Biomarker nachweisbar, die nicht invasiv gewonnen werden können.
● Schweiss kann in Zukunft durch tragbare Biosensoren (wearables) direkt auf der Haut untersucht und mit Smartphones vor Ort analysiert und interpretiert werden.
● Verschiedene Herausforderungen wie die noch unreife Technologie, die ausstehende Standardisierung der Biomarkerkonzentrationen sowie die Bestimmung der besten Art der Schweisssammlung müssen noch gemeistert werden.
Abbildung: Farbumschlag-basierter Biosensor für die Schweissanalyse auf der Haut (Bildquelle: Reprinted from (19). © The Authors, some rights reserved; exclusive licensee American Association for the Advancement of Science. Distributed under a Creative Commons Attribution Non-Commercial License 4.0 (CC BY-NC) http:// creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/)
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