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EHA2022
Jahreskongress der European Hematology Association, 15. bis 17. Juni 2022, Wien und online
Chronische lymphatische Leukämie
Zeitlich begrenzte Kombinationstherapien bringen auch fitten, jüngeren Patienten Vorteile
Die CLL14-Studie zeigte für Obinutuzumab-Venetoclax bei älteren, komorbiden Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) ein deutlich besseres progressionsfreies Überleben (PFS) als für Obinutuzumab-Chlorambucil. In der GAIA/CLL13-Studie mit jüngeren, fitten Patienten erreichte Obinutuzumab-Venetoclax, mit bzw. ohne Ibrutinib, im Vergleich zu einer Chemoimmuntherapie ebenfalls einen signifikanten PFS-Vorteil. Daneben wurden auch aktuelle Daten zum nicht kovalent bindenden BTK-Inhibitor Pirtobrutinib präsentiert.
Die CLL14-Studie untersuchte bei im Median 72 Jahre alten, komorbiden CLL- Patienten (erhöhter «Cumulative Illness Rating Scale» Score oder reduzierte Kreatininclearance) die auf ein Jahr begrenzte Therapie mit Venetoclax und Obinutuzumab (GV) im Vergleich zu Obinutuzumab und Chlorambucil (G-Clb) (je 216 Patienten pro Arm). Nachdem am letztjährigen EHA-Kongress bereits positive Resultate für GV in Bezug auf das PFS und die Zeit bis zur nächsten Therapie präsentiert worden waren, gab es in diesem Jahr nun die 5-Jahres-Daten zu sehen (1).
Venetoclax-Obinutuzumab weiterhin überlegen
Die in die Analyse eingeschlossenen Studienteilnehmer hatten nun alle seit > 4 Jahren die Behandlung abgeschlossen. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 65,4 Monaten erwies sich GV im Vergleich zu G-Clb hinsichtlich PFS weiterhin als signifikant überlegen (Median nicht erreicht vs. 36,4 Monate; Hazard Ratio [HR]: 0,35; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,26–0,46; p < 0,0001). Die 5-Jahres-PFS-Rate betrug 62,6% für GV und 27% für G-Clb. Die Kombination GV erwies sich auch bei Patienten mit einer TP53-Mutation / Deletion (medianes PFS: 49 vs. 19,8 Monate) und unmutiertem IGHV-Status (medianes PFS: 64,2 vs. 26,9 Monate) als überlegen. Die Mehrheit der mit GV Behandelten benötigte keine Zweitlinien-CLL-Therapie. Vier Jahre nach Abschluss der Behandlung wiesen 39 Patienten (18,1% der Intention-toTreat-Population) in der GV-Gruppe immer noch eine nicht mehr nachweisbare
minimale Resterkrankung auf (uMRD, < 10-4 durch NGS im peripheren Blut). Fünf Jahre nach der Randomisierung betrug die geschätzte Gesamtüberlebens(OS)-Rate 81,9% in der GV-Gruppe und 77,0% in der G-Clb-Gruppe (HR: 0,72; 95%-KI: 0,48–1,09; p = 0,12). Zweitmalignome wurden bei 44 Patienten (20,8%) unter GV und bei 32 (15,0%) unter G-Clb beobachtet.
Bei fitten Patienten zeitlich begrenzte Kombinations therapie
Bei jungen, fitten CLL-Patienten stellt die Chemoimmuntherapie (CIT), vor allem bei günstigem Risikoprofil, weiterhin die Standarderstlinientherapie dar. Daten wie aus der CLL14-Studie zu den älteren, komorbiden Patienten liegen bisher nicht vor. Darüber hinaus hat die Therapieintensivierung durch die Kombination von GV mit BTK(Bruton-Tyrosinkinase)Inhibitoren wie Ibrutinib kürzlich in Phase-II-Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Die GAIA/CLL-13-Studie verglich daher die Wirksamkeit und Sicherheit der CIT mit drei unterschiedlichen, zeitlich begrenzten VenetoclaxKombinationen bei 926 fitten Patienten mit therapienaiver CLL (2). In der CITGruppe erhielten Patienten unter 65 Jahren Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab (FCR), während Patienten über 65 Jahre mit Bendamustin und Rituximab behandelt wurden. In den Veneto clax-Armen wurden die Patienten auf eine der folgenden Kombinationen randomisiert: Venetoclax plus Rituximab (RV), Venetoclax plus Obinutuzumab
(GV) oder Venetoclax plus Obinutuzumab plus Ibrutinib (GIV). Die am Kongress präsentierte Interimsanalyse zum PFS (61 Monate nach Einschluss des ersten Patienten) ergab eine signifikante Überlegenheit von GIV und GV gegenüber der CIT (GIV vs. CIT: HR: 0,32, p < 0,000001. GV vs. CIT: HR: 0,42, p < 0,0001) (Abb. 1). Die OS-Raten und die Raten an hämatologischen Nebenwirkungen waren in allen Behandlungsarmen vergleichbar. Infektionen > Grad 3 traten häufiger bei Patienten auf, die mit GIV (22,1%) bzw. CIT (20,4%) behandelt wurden, als bei Patienten unter GV (14,9%) bzw. RV (11,4%). In Bezug auf das PFS ist damit die zeitlich begrenzte Therapie mit Venetoclax-Obinutuzumab mit / ohne Ibrutinib einer Chemoimmuntherapie überlegen. Ob die Dreifachkombination GIV der Zweifachkombination GV überlegen ist, wird nun im weiteren Follow-up der Studie evaluiert.
Erneute Venetoclax-haltige Therapie ist möglich
Zur besten Reihenfolge der derzeit verfügbaren Therapien und dazu, ob zeitlich begrenzte Therapien bei Fortschreiten der CLL wiederholt werden könnten, gibt es nur wenig Daten. Cramer et al. haben daher 13 Patienten mit zwei aufeinanderfolgenden V-haltigen Behandlungslinien aus den GCLLSG-Studien gepoolt und die Wirksamkeit und Sicherheit einer erneuten Behandlung mit Veneto clax-haltigen Therapien untersucht (3). Als erste Venetoclax-haltige Behandlung (V1) hatten 10 Patienten GV und 3 GIV erhalten. Die mediane Behandlungsdauer betrug 13 Monate. Als nachfolgende Therapie (V2) kam bei 4 Patienten GV und bei 9 GV plus Acalabrutinib zum Einsatz. Hier betrug die mediane Behandlungsdauer 16 Monate. Die mediane Zeit zwischen dem Ende von V1 und dem Beginn von V2 lag bei 29 Monaten, 8 Patienten führen die Behandlung weiterhin fort.
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Die Auswertung der Daten zeigte, dass alle Patienten sowohl auf V1 als auch V2 ansprachen. Am Ende von V1 wiesen 92% der Patienten (12/13) eine uMRD auf, bei V2 waren es zum Zeitpunkt der Auswertung 69% der Patienten (9/13). Das mediane PFS ab Start von V1 betrug 42 Monate. Mit einem Follow-up von 19 Monaten wurde nach V2 noch kein Fall einer Progression registriert. Alle Patienten sind am Leben und es zeigten sich keine erhöhten Raten an Nebenwirkungen.
Vielversprechende Daten zu Pirtobrutinib
BTK-Inhibitoren wie Ibrutinib oder Acalabrutinib haben in der Behandlung der CLL einen hohen Stellenwert, jedoch können Patienten auch Resistenzen oder Unverträglichkeiten entwickeln. Beide Substanzen gehen eine kovalente Bindung mit einem Cysteinrest im aktiven Zentrum der BTK ein, was zur irreversiblen und selektiven Inaktivierung der Tyrosinkinase führt. Pirtobrutinib dagegen ist ein neuer, hochselektiver, nicht kovalent bindender BTK-Inhibitor, der sowohl die Wildtyp- als auch die C481-mutierte BTK hemmt. In der multizentrischen Phase-I/II-Studie BRUIN wurde eine Pirtobrutinib-Monotherapie bei Patienten mit fortgeschrittenen bösartigen B-ZellErkrankungen untersucht (4). Die Studienteilnehmer hatten alle mehr als 2 Vortherapien erhalten. Pirtobrutinib zeigte dabei eine vielversprechende Wirksamkeit, sowohl bei BTK-Inhibitor-vorbehandelten Patienten als auch bei Patienten mit einer C481-Mutation. Die Behandlung erwies sich zudem als gut verträglich. In der BRUIN Phase-Ib-Studie untersuchten Roeker et al. die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Pirtobrutinib plus Venetoclax (PV, n = 15) sowie Pirtobrutinib, Venetoclax und Rituximab (PVR, n = 10) bei rezidivierten/refraktären CLLPatienten (5). Die mediane Anzahl Vortherapien betrug 2, die meisten Patienten in beiden Kohorten hatten eine Chemotherapie, Anti-CD20-Antikörper und/oder kovalent bindende BTK-Inhibitoren erhalten. Es wurden keine dosislimitierenden Toxizitäten registriert. Die häufigsten behandlungsassoziierten Nebenwirkungen waren Neutropenie
(36%), Übelkeit (32%), Fatigue (32%), Durchfall (28%) und Verstopfung (24%). Die einzige Nebenwirkung > Grad 3 bei mehr als 2 Patienten war eine Neutropenie (36%; n = 9). Kein Patient brach die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen ab. Für 22 Patienten liegen Daten zur Wirksamkeit vor. Bei einem medianen Follow-up von 9 Monaten betrug die Gesamtansprechrate 95,5%. Mit Ausnahme eines Patienten, der an einer nicht mit der Studienmedikation in Zusammenhang stehenden Ursache verstarb, führen alle ansprechenden Patienten die Behandlung weiter. Diese frühen Resultate zeigen eine vielversprechende Wirksamkeit von Pirtobrutinib und Venetoclax +/-Rituximab sowie eine gute Verträglichkeit ohne additive Toxizitäten. Dass die Entwicklung neuer, nicht kovalent bindender BTK-Inhibitoren wichtig ist, machte auch die Arbeit von Eyre et al. deutlich (6). Hier wurde anhand der Daten aus einem elektronischen Patientenregister gezeigt, dass CLL-Patienten, die bereits mit einem kovalent bindenden BTK-Inhibitor und einem BCL2-Inhibitor behandelt wurden, eine schlechte Prognose haben und damit einen hohen Bedarf an neuen Optionen aufweisen.
Zeitlich begrenzte Therapie erlaubt Regeneration des Immunsystems
Ibrutinib und Venetoclax wirken durch ihre unterschiedlichen und komplementären Wirkungsweisen synergistisch. Ibrutinib senkt durch die BTK-Hemmung die Spiegel der Anti-apoptotischen Proteine MCL-1 und BCL-XL, nicht aber von BCL-2. Dadurch erhöht sich die Sensibilisierung gegenüber der BCL-2-Hemmung durch Venetoclax. Bekannt ist zudem, dass Ibrutinib als Einzelwirkstoff die mit einer CLL verbundenen Veränderungen in Zahl und Funktion der Immunzellen normalisiert. Welche Auswirkungen die Kombination von Ibrutinib und Venetoclax (VI) auf die Immunzellen hat, wurde bisher nicht evaluiert. Dies haben nun Solman et al. anhand der CAPTIVATE-Studie untersucht (7). Die Patienten hatten 3 Zyklen Ibrutinib gefolgt von 12 Zyklen VI erhalten und wurden ab Zyklus 16 entweder zu Plazebo oder Ibrutinib (bestätigte
Auf einen Blick
■ Die 5-Jahresdaten der CLL14-Studie bestätigen den Vorteil einer zeitlich begrenzten Therapie mit Venetoclax und Obinutuzumab (GV) bei älteren, komorbiden Patienten (1).
■ In der GAIA/CLL13-Studie profitierten auch jüngere, fitte Patienten von einer zeitlich begrenzten Therapie mit GV mit / ohne Ibrutinib (2).
■ Resultate der Phase-Ib der BRUIN-Studie mit rezidivierten / refraktären Patienten weisen auf eine vielversprechende Wirksamkeit des nicht kovalent bindenden BTKInhibitors Pirtobrutinib mit Venetoclax +/-Rituximab sowie auf eine gute Verträglichkeit ohne additive Toxizitäten hin (5).
■ Eine zeitlich begrenzte Therapie mit VI eradiziert die CLL-Zellen wirkungsvoll und erlaubt eine Regeneration des Immun systems (7).
uMRD) bzw. zu Ibrutinib oder VI randomi-
siert (unbestätigte uMRD).Die zeitlich be-
grenzte Therapie mit VI (bestätigte
uMRD, Randomisierung zu Plazebo ab
Zyklus 16) führte zu einer effektiven Eradi-
kation der CLL-Zellen auf das Niveau ge-
sunder Spender und ermöglichte, im
Gegensatz zur laufenden Therapie in den
anderen Behandlungsarmen, eine anhal-
tende Regeneration normaler B-Zellzah-
len. VI erlaubte zudem die Normalisie-
rung anderer wichtiger Immunzellen,
darunter T-Zell-Untergruppen, klassische
Monozyten und konventionelle sowie
plasmazytoide dendritische Zellen. Die
Autoren schliessen daraus, dass ihre Da-
ten eine vielversprechende Evidenz für
die Wiederherstellung des Immunsys-
tems unter einer zeitlich begrenzten VI-
Therapie darstellen.
n
Ine Schmale
Referenzen: 1. Al Sawaf O et al.: Venetoclax obinutuzumab for previously
untreated chronic lymphocytic leukemia: 5 year results of the randomized CLL14 study. EHA 2022, Abstract S148. 2. Eichhorst B et al.: Time Limited Venetoclax Obinutuzumab +/- Ibrutinib Is Superior To Chemoimmunotherapy In Frontline Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL): PFS Co Primary Endpoint Of The Randomized Phase 3 GAIA/CLL13 Trial. EHA 2022, Abstract LB2365. 3. Cramer P et al.: Retreatment With Venetoclax After Venetoclax, Obinutuzumab +/-Ibrutinib: Pooled Analysis Of 13 Patients With Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL) Treated In GCLLSG Trials. EHA 2022, Abstract P641. 4. Mato AR et al.: Pirtobrutinib, a highly selective, non-covalent (reversible) BTK inhibitor in previously treated CLL/SLL: updated results from the phase 1/2 BRUIN study. EHA 2022, Abstract S147.
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5. Roeker LE et al.: Pirtobrutinib, A Highly Selective, Non Covalent (Reversible) BTK Inhibitor In Combination With Venetoclax ± Rituximab In Relapsed/Refractory CLL: Results From The BRUIN Phase 1b Study. EHA 2022, Abstract P640.
6. Eyre TA et al.: Outcomes Following Treatment With A Covalent BTK And Bcl2 Inhibitor Among Patients With Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL)/Small Lymphocytic Lymphoma (SLL): A Real World Study Of A Large UK Database. EHA 2022, Abstract P653.
7. Solman I et al.: Immune Restoration And Synergistic Activity With First Line Ibrutinib Plus Venetoclax: Translational Analyses Of CAPTIVATE Patients With CLL. EHA 2022, Abstract S144.
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