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EDITORIAL
Allergien und Intoleranzen auf Nahrungsmittel – Herausforderung und Chance
20 bis 25% der Bevölkerung glauben, eine Nahrungsmittelintoleranz zu haben. Und: Wer von Ihnen war nicht schon mit Betroffenen konfrontiert, die Intoleranzen auf Milch, Weizen, Fruktose und/oder Histamin entwickelt haben – reell oder vermeintlich – und deshalb Ihren Rat suchten. Ganz zu schweigen von denjenigen, die auf kleinste Mengen von Erdnuss oder Krevette reagieren, einen schweren anaphylaktischen Schock erleiden und sich deshalb kaum mehr getrauen, auswärts zu essen, weil die Speisen Spuren dieser Lebensmittel enthalten könnten. Somit sind wohl alle, die sich in irgendeiner Form mit Ernährung beschäftigen, auch mit Patientinnen und Patienten mit Allergien und/oder Intoleranzen auf Nahrungsmittel konfrontiert. Ich freue mich deshalb sehr, Ihnen die neue Ausgabe der «Ernährungsmedizin» vorstellen zu können, die in grossem Umfang den Allergien und Intoleranzen auf Nahrungsmittel gewidmet ist. Zu Beginn jeglicher Beratung bei solchen Beschwerden stehen eine korrekte Diagnose sowie fachkundige und auf das Individuum ausgerichtete Ernährungsempfehlungen. Hier sollen Ihnen unsere Beiträge praxisrelevante Tipps sowie einen Einblick in aktuelle Optionen bei Diagnostik und Therapie geben. Ausgewiesene Expertinnen und Experten aus den Bereichen der Ernährungswissenschaften, der Gastroenterologie, der Pädiatrie, der Grundversorgung und der Allergologie haben mitgeholfen, diese Ausgabe zu gestalten, und wir hoffen, dass Sie von ihren Beiträgen profitieren. Der Umsatz an glutenfreien Lebensmitteln hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verzwanzigfacht. Zwar hat die Prävalenz der Zöliakiebetroffenen um ein Mehrfaches zugenommen, daneben scheint es jedoch eine unbekannte Anzahl an Personen zu geben, die über Beschwerden gegenüber glutenhaltigen Lebensmitteln klagen, die vergleichbar mit denjenigen bei einer Zöliakie sind. Man ist versucht, von einem «Hype» der Weizenunverträglickeit sprechen. Es ist deshalb sehr wertvoll, dass Dr. oec. troph. Steffen Theobald die verschiedenen Formen der Weizenunverträglickeit und vor allem die Besonderheiten der Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NCGS) ausführt. Diese muss sowohl von der Zöliakie als auch der eigentlichen Weizenallergie abgegrenzt werden. Dieser Beitrag skizziert den Stand des Wissens, eine mögliche Einordnung in das Schema von glutenassoziierten Erkrankungen sowie diätetische Therapieoptionen bei einer NCGS. Während bisher die Karenz oft die einzige mögliche Therapie bei IgE-vermittelten Nahrungsmitteln darstellte, ist nun vor allem bei Kindern mit solchen
Allergien eine neue Option verfügbar: die orale Immuntherapie. PD Dr. med. Oliver Fuchs bespricht dieses Verfahren, das aktuell bei Allergien auf Erdnuss, Kuhmilch und/oder Hühnerei bei Kindern zum Einsatz kommt. Er zeigt sehr schön die Möglichkeiten, die Methodik, aber auch die Grenzen der oralen Immuntherapie auf. Die Mehrheit der Nahrungsmittelallergien (NMA) manifestiert sich im Kindesalter. Die Anamnese ist oft anspruchsvoll, aber zentral für die Diagnosestellung, da bei einigen NMA-Formen keine aussagekräftigen Laboruntersuchungen vorhanden sind. Auch eine Abgrenzung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten und anderen Darmerkrankungen ist wichtig. Dr. med. Marcel Bergmann führt klar strukturiert durch die verschiedenen Formen der IgE-vermittelten Allergene, Intoleranzen und anderer nicht IgE-vermittelter Erkrankungen, so die noch etwas weniger bekannten Proteinenteropahtien wie das «food protein-induced enterocolitis syndrome» (FPIES). Das Akronym FODMAP ist die englische Abkürzung für «fermentable oligo-, di-, monosaccharides and polyols» (deutsch: fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole, vereinfacht etwa vergärbare Mehrfach-, Zweifach-, Einfachzucker und mehrwertige Alkohole). Diese Diät kommt zunehmend zum Einsatz. Im Artikel von Frau Prof. Laurance Genton Graf werden die Erfolge und mögliche negative Langzeitfolgen besprochen sowie ein Therapiekonzept vorgeschlagen. Schliesslich versuchen wir im Team von Gastroenterologie, Ernährungsberatung und Allergologie, die verschiedenen Facetten der Histaminintoleranz etwas näherzubringen. Neben dem klinischen Bild besprechen wir sinnvolle und weniger sinnvolle diagnostische Massnahmen und strukturierte Behandlungsansätze. Im Namen aller Autoren sowie der Herausgeber hoffe ich, dass Ihnen diese Beiträge nützliche und spannende Informationen liefern. Ich wünsche Ihnen viele interessante Einsichten und Spass bei der Lektüre. Peter Schmid-Grendelmeier Leiter Allergiestation der Dermatologie USZ
Prof. Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier Leiter der Allergiestation, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich Mitglied Scientific Board Christine Kühne Center for Allergy Research and Education (CK-CARE), Davos
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2022 1