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STUDIE REFERIERT
Antidepressiva
Im Zweifel kombinieren!
Mit einer standardmässigen antidepressiven Monotherapie lassen sich oft keine hinreichenden Be-
handlungserfolge erzielen. Eine aktuelle Metaanalyse zeigt jetzt auf, dass die Kombination von Mono-
aminwiederaufnahmehemmern und α2-Agonisten eine effektivere und zudem verträgliche Option
darstellt.
JAMA Psychiatry
Zur initialen Behandlung bei schwerer Depression empfehlen die internationalen Leitlinien die Gabe eines NichtMAO-(Monoaminoxidase-)HemmerAntidepressivums. Allerdings lassen die Response- (ca. 60%) und Remissionsraten (ca. 40%) einer solchen Monotherapie zu wünschen übrig. Für Patienten, die nicht auf die medikamentöse Therapie ansprechen (sog. Nonresponder), kommen gemäss Guidelines im zweiten Schritt unter anderem der Wechsel auf ein anderes Medikament, eine Dosiseskalation, eine Augmentation (z. B. mit Lithium oder Zweitgenerationsantipsychotika) oder aber die Kombination zweier verschiedener Antidepressiva infrage. In einigen früheren Untersuchungen konnte einer solchen Kombinationsbehandlung, vor allem wenn sie Monoaminwiederaufnahmehemmer (selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer [SSRI], Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer [SNRI] oder trizyklische Antidepressiva [TZA]) oder Antagonisten präsynaptischer α2Autorezeptoren (α2-Agonisten; Mianserin, Mirtazepin, Trazodon) enthält und bereits in der Erstlinie eingesetzt wird, eine im Vergleich zur Monotherapie höhere Wirksamkeit bei ähnlicher Verträglichkeit bescheinigt werden. Zuletzt haben mehrere wichtige Studien hier allerdings zum Teil widersprüchliche Ergebnisse geliefert.
Besonders wirksam «first-line» und bei Nonrespondern
Ziel eines aktuellen systematischen Reviews mit Metaanalyse war es deshalb, bei Erwachsenen mit akuter Depression eine aus 2 verschiedenen Antidepressiva bestehende Kombinationstherapie mit einer Monotherapie hinsichtlich der Effektivität und der Sicherheit zu verglei-
chen. Dabei sollte auch die Frage geklärt werden, ob bestimmte Kombinationen anderen gegenüber im Vorteil sind. Eine zu diesem Zweck durchgeführte Literaturdatenbankrecherche lieferte 39 entsprechende randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) mit insgesamt 6751 Patienten. Der primäre Endpunkt der Metaanalyse war definiert als Therapiewirksamkeit, gemessen als standardisierte mittlere Differenz (SMD) zwischen Kombinationsund Monotherapie. Sekundäre Endpunkte umfassten Remission und Response (entsprechend dem Unterschreiten bzw. Erreichen vordefinierter Schwellenwerte in einschlägigen Fremdbeurteilungsskalen zur Einschätzung des Depressionsschweregrads, z. B. Hamilton Depression Rating Scale [HDRS], Montgomery-Asberg Depression Rating Scale [MADRS]), die Veränderung gegenüber Baseline und die Anzahl von Therapieabbrüchen. Die Auswertung der Wirksamkeitsdaten belegte mit einer insgesamt ermittelten SMD von 0,31 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,19–0,44; p < 0,001) einen Vorteil für die Kombinationstherapie, die sich jeweils in 31 (82%) der 38 eingeschlossenen RCT als der Monotherapie überlegen erwiesen hatte. Dabei zeigte die Kombinationsbehandlung insbesondere in Populationen von Nonrespondern (SMD: 0,18; 95%-KI: 0,04–0,33) und als First-line-Therapie (SMD: 0,52; 95%-KI: 0,24–0,79) bessere Ergebnisse als die Monotherapie. Als besonders vorteilhafte Antidepressivakombination erwies sich die gemeinsame Gabe eines Monoaminwiederaufnahmehemmers und eines α2Agonisten, die in allen 18 entsprechenden RCT (SMD: 0,37; 95%-KI: 0,19– 0,55), unter Nonrespondern (SMD: 0,24; 95%-KI: 0,03–0,45) und wiede- rum vor allem als First-line-Therapie (SMD: 0,64; 95%-KI: 0,12–1,15) effek- tiver war als die Monotherapie. Eine Kombinationsbehandlung, die Bupro- pion enthielt, war zwar weder insge- samt noch als First-line-Therapie im Vergleich zur Monotherapie mit höhe- rer Effektivität assoziiert, wohl aber bei Nonrespondern. Auch die Auswertung der sekundären Wirksamkeitsend- punkte bestätigte die Überlegenheit der Kombinations- gegenüber der Mono- therapie. Hinsichtlich der Anzahl der Therapieabbrüche, sowohl jedweder Ursache als auch bedingt durch Neben- wirkungen, ergaben sich zwischen Mono- (Odds Ratio [OR]: 1,17; 95%- KI: 0,79–1,75) und Kombinationsthe- rapie (OR: 0,99; 95%-KI: 0,86–1,14) keinerlei relevante Unterschiede. Mit den Ergebnissen ihrer Metaanalyse kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Kombinationstherapien, beste- hend aus Monoaminwiederaufnahme- hemmern und α2-Agonisten, wirkungs- volle Behandlungsoptionen für Patien- ten mit Depression darstellen, die zu besseren Resultaten führen als die Mo- notherapie. Da diese Vorteile offensicht- lich nicht mit einer verminderten Ver- träglichkeit erkauft werden müssen, ist diese Strategie insbesondere bei schwe- ren Fällen und bei auf die Standardme- dikation unzureichend ansprechenden Patienten zu empfehlen. RABE s Henssler J et al.: Combining Antidepressants vs Antidepressant Monotherapy for Treatment of Patients With Acute Depression: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Psychiatry. 2022;79(4):300-312. Interessenlage: Ein Teil der Autoren der referierten Metaanalyse deklariert, Beratungshonorare von Roche bzw. öffentliche Forschungsunterstützung erhalten zu haben. Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine korrigierte Onlineversion des in ARS MEDICI 10/22 erschienenen Artikels. 344 ARS MEDICI 10 | 2022