Transkript
FIRST-TO-DISCUSS-Newsletter Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Menopause (SGEM)
Management von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen mit POI
Kritische Bewertung klinischer Leitlinien und Entwicklung eines Algorithmus
Hintergrund: Prämature Ovarialinsuffizienz (POI) ist definiert als Ausfall der Ovarialfunktion bei Frauen < 40 Jahren bei einer Prävalenz von 1 bis 2%. Die POI geht mit Unfruchtbarkeit, urogenitaler Atrophie, Osteoporose und Frakturen, Typ-II-Diabetes, Depression, Demenz und erhöhter Mortalität einher. Frauen mit POI weisen ein 1,5- bis 2-fach höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD) auf als Frauen, die im typischen Alter in die Menopause kommen. Zudem wird bei Frauen mit POI eine CVD oft erst in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert, das aufgrund mangelnder professioneller Gesundheitsvorsorge.
Zusammenfassung der Studie von Yang
In dieser Arbeit wurde eine systematische Suche für die Jahre 2015 bis 2020 nach Clinical Practice Guidelines (Leitlinien) betreffend POI und CVD durchgeführt, insgesamt 14 dieser Leitlinien wurden mittels AGREE II (Appraisal of Guidelines for Research and Evaluation II) bewertet. Dieses Instrument bewertet die Qualität von Leitlinien, indem Anwendbarkeit, Stricktheit bei der Entwicklung, redaktionelle Unabhängigkeit, Umfang und Zweck, Klarheit der Darstellung und Beteiligung von Interessengruppen (= Patientinnen») untersucht werden. Die methodische Gesamtqualität der vorliegenden Leitlinien wurde als mässig
bis schlecht bewertet, lediglich 3 Leitlinien wurden als hochwertig und für die klinische Praxis als empfehlenswert befunden: die der ESHRE, des NICE und der Endocrine Society. Auf der Grundlage dieser drei Leitlinien und der verfügbaren Evidenz wurde nachfolgend von den Autoren ein Algorithmus für die klinische Umsetzung entwickelt, um Klinikern die Einhaltung von Leitlinien zu erleichtern und zu einer evidenzbasierten Versorgung beizutragen.
Kommentar
Da für Frauen mit POI nebst anderen gesundheitlichen Folgen auch ein beträchtliches Risiko für CVD besteht, sollen diese Patientinnen bezüglich ihres
Prof. Dr. med. Petra Stute, Präsidentin der SGEM und Leitende Ärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Inselspital Bern, resümiert und kommentiert im Turnus mit Kolleginnen und Kollegen, hier:
Dr. med. Ursula Gobrecht-Keller, (USB), kürzlich publizierte Studien zu wichtigen und teilweise kontrovers diskutierten Themen.
Kommentierte Studie: Yang M, Jiang Li, et al.: Management of cardiovascular disease in women with premature ovarian insufficiency: critical quality appraisal of clinical guidelines and algorithm development. Menopause 2022; 29 (2): 189-199. DOI: 10.1097/gme.0000000000001899.
Herz-Kreislauf-Risikos gut beraten und
begleitet werden. Diverse bestehende
Leitlinien erscheinen ungenügend,
sodass sich vorliegendes Destillat aus
den besten 3 aktuell verfügbaren Leit-
linien für die Anwendung in der Praxis
empfiehlt.
n
Prof. Dr. med. Petra Stute Herausgeberin der SGEM-Newsletter Universitätsfrauenklinik, Inselspital Bern E-Mail: petra-stute@insel.ch Internet: www.meno-pause.de
Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
Management-Algorithmus für kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD) bei Frauen mit prämaturer Ovarialinsuffizienz (POI)
Frauen mit POI
Erstbeurteilung
1
Management
2
Monitoring
3
Allgemeine Risikofaktoren für CVD (Expertenmeinung)
• Bluthochdruck • Fettleibigkeit • Gestörte Glukosetoleranz • Hyperlipidämie • Rauchen • HbA1c erhöht
Blutuntersuchungen
• höhere Triglyceride und geringfügig niedrigeres HDL
• Veränderung hämostatischer Faktoren und von Markern der Blutplättchenfunktion
• Erhöhung des Gesamtcholesterins, LDL und Lipoproteins (a) und eine Verringerung von HDL
• niedrigere Estradiolkonzentrationen im Plasma
Erkrankungen im Zusammenhang mit CVD
• Metabolisches Syndrom: ist vorhanden, wenn ≥ 3 der folgenden Merkmale vorliegen:
− Taillenumfang ≥ 88 cm − Nüchternglukose ≥ 6,1
mmol/L − BD ≥ 130/85 mmHg − HDL ≤ 1,3 mmol/L − Triglyceride ≥ 1,7 mmol/L
EKG
• elektrokardiografische Überleitungs- und Repolarisationsanomalien, Abweichung des Lagetyps (Herzachse), T-WellenAnomalien, beschleunigte atrioventrikuläre Überleitung und QTcVerlängerung
Beibehalten eines gesunden Lebensstils (Evidenz von moderater bis hoher Qualität):
• Rauchstop
• regelmäßiges Krafttraining
• Erhaltung eines gesunden Körpergewichts
Umfassende Gesundheitsversorgung
• Überweisung von Frauen mit POI an den erfahrenen Spezialisten, um bei der Bewältigung aller Aspekte der körperlichen und psychosozialen Gesundheit im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung zu helfen
Hormontherapie (HT) (Evidenz von niedriger bis moderater Qualität)
• HT mit früher Einleitung wird bei Frauen mit POI dringend empfohlen; sie sollte mindestens bis zum Durchschnittsalter der natürlichen Menopause fortgesetzt werden.
• HT kann sich im Vergleich zu einem kombinierten oralen Kontrazeptivum günstig auf den Blutdruck auswirken.
• Bei jüngeren Frauen mit POI, die an höhere endogene Östrogenspiegel gewöhnt sind, verschreiben Kliniker häufig höhere Anfangsdosen der Östrogentherapie (z. B. transdermales Östradiol 100 μg) und senken die Dosis dann langsam, falls toleriert. Wenn sich Frauen mit POI dem Alter der natürlichen Menopause nähern, erscheint eine Neubewertung und Reduzierung der HT-Dosis sinnvoll.
Jährliche Überwachung von
• Blutdruck (mit dem Ziel eines systolischen Blutdrucks < 140 mmHg bei trikuspider Aortenklappe oder < 120 mmHg bei bikuspider Aortenklappe
• Rauchen
• Gewicht
• Lipidprofil
• Nüchternglukose
• HbA1c
Management-Algorithmus modifiziert nach Yang, et al BD=Blutdruck; EKG=Elektrokardiographie; HDL=Lipoprotein hoher Dichte; HDL-C=High-Density-Lipoprotein-Cholesterin; LDL=Low-Density-Lipoprotein
GYNÄKOLOGIE 2/2022
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