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Harnwegsinfekte und zunehmende Antibiotikaresistenzen
Therapieoptionen neu betrachtet
Harnwegsinfektionen (HWI) zählen zu den häufigsten Infektionen der Frau. Sowohl zur Behandlung des akuten als auch zur Prophylaxe der rezidivierenden HWI werden häufig Antibiotika eingesetzt. Angesichts zunehmender Antibiotikaresistenzen und damit assoziierter Komplikationen sind wirksame Alternativtherapien sowie die nicht antibiotische Prophylaxe gefragt.
GLORIA RYU, NICOLE KELLER, DANIELE PERUCCHINI, GABRIEL SCHÄR, CORNELIA BETSCHART, DAVID SCHEINER
Foto: Christoph Stulz (USZ)
Gloria Ryu David Scheiner
Die Harnwegsinfektion (HWI) zählt zu den häufigsten bakteriell verursachten Infektionen weltweit. Jede zweite Frau erleidet in ihrem Leben eine HWI, wovon diese bei jeder vierten Frau rezidivierend auftritt (1). Der erste Häufigkeitsgipfel liegt bei Aufnahme der sexuellen Aktivität, weitere Häufungen kommen im Rahmen von Schwangerschaft und in der Menopause vor. 20% aller Antibiotika im klinischen Alltag werden zur Behandlung von HWI verordnet (2). Die zunehmende Prävalenz von Antibiotikaresistenzen stellt ein weltweites Problem dar. Mittlerweile verursachen multiresistente Erreger eine substanzielle Zunahme der Morbidität und der Mortalität. In diesem Artikel möchten wir aufzeigen, wie wir der nicht komplizierten, akuten oder rezidivierenden HWI bei der erwachsenen, nicht schwangeren Frau auch ohne Antibiotika begegnen und damit einen wichtigen Beitrag zur Strategie gegen Antibiotikaresistenzen leisten können.
Merkpunkte
n Angesichts der zunehmenden Antibiotikaresistenzen und der damit im Zusammenhang stehenden Probleme und Todesfälle sind Strategien zur Behandlung einer Harnwegsinfektion (HWI) notwendig, denn:
n Unkomplizierte HWI heilen häufig ohne Antibiotikatherapie ab. Eine antibiotische Behandlung ist erst empfohlen, wenn Symptome nach 48 Stunden persistieren.
n In erster Linie können NSAR wie Ibuprofen eingesetzt werden. Verschiedene Phytotherapeutika stellen bei der Behandlung von unkomplizierten und wiederkehrenden HWI eine Alternative dar, um Antibiotikaresistenzen vorzubeugen.
n Bei rezidivierenden HWI sind Prophylaxemassnahmen wie die lokale Östrogenisierung, Immuntherapien, D-Mannose oder intravesikale Instillationen bedeutend zur Reduktion der HWI-Frequenz.
Definitionen1
n Von einer asymptomatischen Bakteriurie sprechen wir beim Nachweis von uropathogenen Keimen in der Urinkultur, wenn keine HWI-Symptome vorliegen (≥ 105 KBE/ml koloniebildende Einheiten [KBE] an Bakterien im sauber gewonnenen Mittelstrahlurin oder 102 KBE/ml im Einmalkatheterurin).
n Die unkomplizierte HWI geht mit den typischen Symptomen einer Zystitis wie vor allem Dysurie, Pollakisurie, Harndrang, eventuell Hämaturie oder suprapubischem Schmerz einher.
Bei der aufsteigenden HWI (Pyelonephritis) kommt es ausserdem zu Übelkeit, Erbrechen, Flankenschmerzen oder Fieber und zu einer Pyurie (über 10 Leukozyten/mm3 im Hauptgesichtsfeld) und einer positiven Urinkultur mit Nachweis eines spezifischen Uropathogens (≥ 103 KBE/ml, ggf. sogar 102 KBE/ml bei einem bekannten Uropathogen wie E. coli).
n Bei Vorliegen von strukturellen oder funktionellen Anomalien der Harnwege, bei liegendem Harnkatheter, während der Schwangerschaft oder bei Zustand nach Nierentransplantation liegt eine komplizierte HWI vor.
n HWI werden als rezidivierend bezeichnet, wenn mindestens 2 HWI innert 6 Monaten oder 3 HWI innert 12 Monaten auftreten.
n Kommt es aber innerhalb von 2 Wochen nach Therapieende zu einer erneuten HWI durch denselben Erreger, so ist das ein Relapse (und kein Rezidiv).
Risikofaktoren
Eine mögliche Strategie zur Verringerung des Antibiotikaverbrauchs und der Resistenzen ist die Reduk-
1 Siehe auch Guidelines «Harnwegsinfekt» unter ssi.guidelines.ch
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Risikofaktoren für unkomplizierte, rezidivierende Harnwegsinfektionen bei der erwachsenen, nicht schwangeren Frau
Prämenopausal Geschlechtsverkehr
Postmenopausal Genitalatrophie Östrogenmangel
Geschlechtsverkehr innert 48 Stunden (RR: 60) Spermizide, Diaphragma (RR: 1,8) Antibiotika (RR: 1,5) Anatomie (Abstand Urethra–Anus)
Gesunde Frauen (50–70 Jahre) ohne Katheter ambulant
Östrogenmangel Urogenitaleingriffe Inkontinenz (OR: 5,8) Zystozele Restharn
≥ 70-jährige Frauen
Heim, Spital Katheterismus
Katheterismus Inkontinenz (OR: 6,7) Urogenitaleingriffe Antibiotika
Abbildung 1: Risikofaktoren für unkomplizierte, rezidivierende Harnwegsinfektionen bei der erwachsenen, nicht schwangeren Frau. (Adaptiert nach: Aydin IUJ 2015, Raz Clin Infect Dis 2000, Raz Korean J Urol 2011, Stamm Clin Infect Dis1999, Bottex Int. J. Immunopath Pharm 1989) Abkürzungen: OR = Odds Ratio; RR = relatives Risiko.
tion der HWI (3). Deshalb sollten Massnahmen zu deren Vermeidung angestrebt werden. Bei den Risikofaktoren für unkomplizierte, rezidivierende HWI bei der erwachsenen, nicht schwangeren Frau unterscheiden wir zwischen der prämenopausalen und der postmenopausalen Altersgruppe (Abbildung 1). Die Aszension von uropathogenen Keimen, die meist der Darmflora entstammen, wird durch die weibliche Anatomie mit kurzer Harnröhre begünstigt. Bei der prämenopausalen Frau ist Geschlechtsverkehr ein Hauptrisikofaktor für die Entwicklung einer HWI innerhalb der ersten 48 Stunden; weitere Risikofaktoren sind die Verwendung von Diaphragma oder spermiziden Substanzen, aber auch die Einnahme eines Antibiotikums in den letzten Tagen (1,5-faches relatives Risiko). Postmenopausal kommt es durch die Genitalatrophie mit Östrogenmangel zu Veränderungen des Vaginalsekrets mit Anstieg des pH-Werts. Das begünstigt die Entwicklung einer HWI durch Besiedlung mit uropathogenen Keimen. In der Postmeno-
pause erhöht eine vorangegangene Antibiotikaeinnahme das HWI-Risiko. Senkungszustände mit Zystozele oder Restharnbildung sind weitere, klinisch relevante Risikofaktoren. Wir empfehlen bei rezidivierenden HWI die gynäkologische Untersuchung mit der Frage nach Genitaldeszensus (und hier insbesondere Zystozele) einerseits und Restharnbestimmung andererseits im Hinblick auf deren Behandlung. Diese kann bei Verdacht auf das Vorliegen eines Genitaldeszensus in der postpartalen Phase oder nach Operationen im kleinen Becken indiziert sein. Als weitere Risikofaktoren gelten erfolgte Urogenitaleingriffe, Katheterismus und Heim- bzw. Spitalaufenthalt.
Arzneimittelresistenz
In der Schweiz wird etwa ein Fünftel aller Antibiotika zur Behandlung von HWI verordnet (4). Angesichts der (weltweiten) Zunahme der Antibiotikaresistenzen einerseits und des sich abzeichnenden Mangels an künftig wirksamen Antibiotika andererseits stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen. In einem aktuellen Review wird für das Jahr 2019 von 1,27 Millionen Todesfällen ausgegangen, die direkt den Antibiotikaresistenzen zugerechnet werden; ferner wird vermutet, dass Infektionen durch antimikrobiell resistente Erreger bei weiteren 4,95 Millionen Todesfällen eine Rolle spielten (5). Mittlerweile ist die Arzneimittelresistenz weltweit eine der häufigsten Todesursachen und übertrifft HIV/AIDS oder Malaria. Unabhängig davon, ob (rasche) Investitionen in neue Antibiotika oder Behandlungen und verbesserte Infektionskontrollen greifen, gehört bereits jetzt der optimierte, gezielte respektive sparsame Einsatz von Antibiotika zu den Massnahmen, um die Antibiotikaresistenzen zu vermindern und damit die Gesundheitssysteme vor deren Bedrohung zu schützen. Auch in der Schweiz zeigt sich eine Zunahme der Resistenzen, so beispielsweise für E. coli als einen der häufigsten uropathogenen Keime (www.anresis.ch).
%R
Aminoglykoside Aminopenizilline Amoxicillin-Clavulansäure Carbapeneme Cephalosporin 2. Generation Cephalosporin 3./4. Generation Fluorchinolone Fosfomycin Nitrofurantoin Piperacillin-Tazobactam Jahr Trimethoprim-Sulfamethoxazol
Abbildung 2: Entwicklung der Antibiotikaresistenzen in Prozent (%) in der Schweiz von 2004 bis 2021 am Beispiel von Escherichia coli (Stand 19. Januar 2022, Grafik und Daten adaptiert aus anresis.ch).
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Substanzen und ihre Resistenzen
Fosfomycin und Nitrofurantoin, die zur Behandlung der HWI die erste Wahl darstellen, weisen derzeit eine konstant tiefe Resistenzrate von knapp 1% auf, wogegen die Resistenzraten für Antibiotika wie Amoxicillin/ Clavulansäure zwischen 2004 und 2021 von 9% auf 27% sich verdreifacht und für Fluorochinolone von 10% auf 16% deutlich zugenommen haben (Abbildung 2). Die Resistenzrate für Sulfamethoxazol/Trimethoprim hat zwar nur von 23% auf 25% zugenommen, doch ist diese Antibiotikakombination in Regionen mit einer Resistenzrate von über 20% nicht empfohlen (6). Insgesamt zeigt sich die Schweizer Resistenzlage hinsichtlich HWI günstiger (7): E. coli war in 89% der Fälle empfindlich gegenüber Ciprofloxacin, gegenüber Trimethoprim/Sulfamethoxazol in 86% der Fälle und gegenüber Nitrofurantoin und Fosfomycin in 99,5% bzw. 99,4% der Fälle. Weltweit haben die World Health Organisation (WHO; https://www.who.int/health-topics/antimicrobial-resistance) und auf regionaler Ebene bei uns in der Schweiz das Bundesamt für Gesundheit mit seiner Strategie gegen Antibiotikaresistenzen (StAR) (https:// www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/ nationale-gesundheitsstrategien/strategie-antibiotikaresistenzen-schweiz.html) Massnahmenpläne und Konzepte zur Überwachung, Prävention und Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenzen erstellt.
Guidelines
Die Schweizer Guidelines und die Literatur zur Behandlung der akuten oder rezidivierenden HWI bei der erwachsenen Frau sind im Internet unter folgenden Links aufrufbar: n Schweizer Guideline für Harnwegsinfekte der
Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (https://ssi.guidelines.ch/guideline/2981) n Expertenbrief der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zu den akuten und rezidivierenden Harnwegsinfektionen (https:// www.sggg.ch/fileadmin/user_upload/58_Akute_ und_rezidivierende_Harnwegsinfekt.pdf) n Review zum oben genannten Expertenbrief auf Swiss Medical Weekly (https://smw.ch/article/doi/ smw.2020.20236). Dort ist das Vorgehen bei HWI ausführlich beschrieben, sodass wir im Folgenden auf die nicht antibiotische Thematik eingehen.
Antibiotikafreie Behandlung
Unkomplizierte HWI heilen in bis zu 50% der Fälle spontan ab, wobei bis zur Beschwerdefreiheit eine längere Zeit (etwa 2 Tage mehr) vergeht als unter antibiotischer Therapie. Das Risiko für eine aufsteigende Infektion ist sehr gering: Nur 0,4 bis 2,6% der unkomplizierten HWI entwickeln sich unbehandelt zu einer Pyelonephritis (8).
Nach den Schweizer Guidelines kann in den ersten 48 Stunden ein antibiotikafreier Ansatz zur Behandlung von unkomplizierten HWI versucht werden (9). Unterstützende Massnahmen wie Trinkvolumen erhöhen, Einnahme von nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) oder Phytotherapeutika können den Heilungsverlauf beschleunigen. Trinken erhöht den Harnfluss und damit die schnellere Ausschwemmung der Bakterien. Auch NSAR können HWI-Beschwerden lindern: Ibuprofen (3 × 400 mg) konnte in Studien die HWI-Symptome nach 4 Tagen vergleichbar gut wie Ciprofloxacin (2 × 250 mg) reduzieren (10).
Phytotherapeutika Angocin® enthält zwei pflanzliche, arzneilich wirksame Bestandteile: Meerrettichwurzel (80 mg) und Kapuzinerkressenkraut (200 mg). Beide haben eine nachgewiesene antimikrobielle Wirkung aufgrund der enthaltenen Isothiocyanate. Es zeigte eine ähnlich gute Wirkung wie die Antibiotikatherapie bei geringeren Nebenwirkungen (11). Die empfohlene Dosierung sind 3 × 4 Tabletten pro Tag. Canephron® besteht aus einer Kombination von Tausendgüldenkraut, Liebstöckelwurzel und Rosmarinblättern. Es wirkt spasmolytisch, antiadhäsiv und entzündungshemmend. Gegenüber Fosfomycin war Canephron® nicht unterlegen. In bis zu 83% der Fälle konnte eine zusätzliche Antibiotikagabe vermieden werden. Antibakterielle Wirksamkeit wird auch verschiedenen Blasentees zugesprochen: Bärentraubenblätterextrakt wie zum Beispiel Cystinol® verhindert das Anhaften von Bakterien im Harntrakt, und sein Hauptwirkstoff Arbutin wirkt desinfizierend. In einer neueren randomisierten Studie konnte eine Verringerung des Antibiokaeinsatzes gezeigt werden (12).
Nicht antibiotische Prophylaxe
Verhaltensänderung Die Beratung hinsichtlich Verhaltensänderung sollte die Basis bei der Behandlung von rezidivierenden HWI sein (Tabelle).
Tabelle:
Verhaltensänderung als Grundlage der HWI-Prophylaxe
Verhaltensänderung Ausreichende Flüssigkeitszufuhr (1,5 bis 2 Liter/Tag) Postkoitale Miktion innerhalb einer Stunde (bei postkoital auftretenden rezidivierenden HWI) Verzicht auf Spermizide Reinigung nach Stuhlgang von vorn nach hinten Hautpflege mit rückfettenden Cremes Vermeidung von übermässiger Hygiene vulvär und perianal Vermeidung von Unterkühlung
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Cranberry Die Pflanzenextrakte im Cranberry-Saft enthalten das Tannin Proanthocyanidin (PAC). Dieses verhindert die Adhäsion von E. coli und anderen gramnegativen uropathogenen Keimen mittels P-Fimbrien an den uroepithelialen Zellen der Blasenwand. Die empfohlene Tagesdosis von PAC für diese beliebte Option zur HWI-Prophylaxe liegt bei 36 mg.
Lokale Östrogenisierung Lokal angewendetes Östrogen als Creme oder Ovulum ermöglicht die Glykogenbildung. Das erlaubt die Besiedelung der Vagina mit Laktobazillen. Dadurch wird der vaginale pH-Wert gesenkt, was eine antibakterielle Wirkung nach sich zieht. In Studien konnte unter der Anwendung von intravaginalem Östrogen eine signifikante Reduktion der HWI-Frequenz nachgewiesen werden (13).
Probiotika Der Stellenwert von Probiotika ist nicht geklärt. Probiotika sind Bakterien, die eine nutzbringende Wirkung auf den Körper haben können. Es besteht einige Evidenz, die nahelegt, dass Probiotika Blasenentzündungen bei Frauen vorbeugen können. Die Gabe von intravaginalen Laktobazillen kann helfen, das Auftreten von bakteriellen Vaginosen und Soorkolpitiden zu vermindern.
Immuntherapie Die perorale Impfung wird mit dem lyophilisiertem Bakterienlysat von E. coli (OM-89, Urovaxom®) durchgeführt. Dadurch wird die IgA-Exkretion in der Blase stimuliert. Es kommt zu einer Immunisierung gegenüber uropathogenen E.-coli-Bakterien. Eine prospektive, randomisierte Multizenterstudie verglich das E.-coli-Extrakt OM-89 (Studiendauer 12 Monate mit 3 Behandlungsmonaten und 3 zehntägigen Boostergaben) mit Plazebo bei rezidivierenden HWI: Die Verumgruppe erlitt statistisch signifikant weniger Rezidive (14).
D-Mannose Dieser Einfachzucker wird aufgrund seiner speziellen chemischen Struktur im menschlichen Körper nicht verstoffwechselt und unverändert über den Urin ausgeschieden. D-Mannose bindet an bakterielle Pili, was die Adhäsion und die Invasion der Bakterien in die uroepithelialen Zellen verhindert. Die Einnahme von 2 g D-Mannose täglich führte in einer plazebokontrollierten Studie zur Reduktion von HWI (15).
Utipro plus Ein Biofilm aus Xyloglycan-Gelatine verhindert die Vermehrung der Bakterien im Darm. Zudem kann durch die zusätzliche Urinansäuerung mit Hibiskus und Propolis das Bakterienwachstum in der Blase ge-
hemmt werden. In einer plazebokontrollierten Studie konnte bei Einnahme von 2 Kapseln/Tag zu einer Ciprofloxacin-Therapie, gefolgt von 1 Kapsel/Tag für 15 Tage, eine um 20% signifikante Reduktion der Häufigkeit des Wiederauftretens von HWI aufgezeigt werden (16).
Instillationstherapie mit Chondroitinsulfat/ Hyaluronsäure Ein weiterer Therapieansatz besteht im Erzeugen einer Schutzschicht für die Blasenwand. Durch die Instillation von Chondroitinsulfat mit Hyaluronsäure, die Hauptbestandteile der schützenden Glykosaminoglykan-Schicht (GAG-Schicht) des Urothels sind, soll die Infektrate gesenkt werden. ialuril® Prefill reduziert die Anzahl der Blasenentzündungen pro Jahr um durchschnittlich 2,56 (p < 0,001) nach Behandlung im Vergleich zur Kontrolle (17). Die Instillationen erfolgen im 1. Monat wöchentlich, im 2. Monat zweiwöchentlich und anschliessend für weitere 4 Monate monatlich. Für die Instillationstherapie muss vorher eine Kostengutsprache eingeholt werden.
Impfung mit extraintestinalen E. coli (ExPEC4V) Dieser tetravalente Biokonjugatimpfstoff befindet sich in Phase Ib der klinischen Prüfung. Er wurde in einer plazebokontrollierten Studie gut vertragen, und es wurden keine relevanten Nebenwirkungen beobachtet (18).
Mikrobiom Seit einigen Jahren kann mithilfe der 16S-rRNA-Sequenzierung das Bakteriengenom bestimmt werden. Entgegen der früheren Vorstellung, dass der Urin «steril» sei, konnten anhand dieser Technik aus Urinproben sowohl von symptomatischen als auch von asymptomatischen Patientinnen Bakterien identifiziert werden, die gemäss Standardurinkulturprotokollen kulturnegativ sind (19). Durch intravesikales oder intravaginales Einbringen von E.-coli-Stämmen, die in asymptomatischen Bakteriurien nachgewiesen wurden, konnte eine antiinfektiöse und analgetische Aktivität nachgewiesen werden (20). Ob diese Erkenntnisse in Zukunft therapeutisch oder präventiv genutzt werden können, muss sich noch zeigen. n
Dr. med. Gloria Ryu (Erstautorin)
PD Dr. med. David Scheiner E-Mail: david.scheiner@usz.ch (Korrespondenzadresse)
Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich 8091 Zürich
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