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FORTBILDUNG
Der lange Schatten der frühen Jahre
Beziehungsstörungen als Risikofaktoren für die psychosoziale Entwicklung
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Margarete Bolten
Die Bindungstheorie nach Bowlby und Ainsworth sowie deren Erweiterungen durch die Säuglingsund die Interaktionsforschung stellen wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der herausragenden Bedeutung der frühen Eltern-Kind-Beziehung für viele über die Kindheit hinausgehende Aspekte des Erlebens und des Verhaltens sowie für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen bereit. Frühkindliche Deprivationserfahrungen und unsicher-desorganisierte Bindungsmuster sind nicht nur ein Risiko für die Entstehung von Bindungsstörungen, sondern auch für die gesamte psychosoziale Entwicklung. Im Erwachsenenalter finden sich nach frühen aversiven Beziehungserfahrungen ebenfalls Muster aus gehemmtem oder enthemmtem Beziehungsverhalten, beispielsweise im Kontext von Persönlichkeitsstörungen. Es scheint daher wahrscheinlich, dass Bindungsstörungen im Kindesalter, wenn sie nicht frühzeitig durch ein adäquates Beziehungsangebot kompensiert werden, im Verlauf der Adoleszenz die Entstehung einer Persönlichkeitsstörung begünstigen können.
von Margarete Bolten
Einleitung
D er Legende nach wollte Friedrich II. (1194–1250) die Ursprache der Menschen finden und liess deshalb Säuglinge isoliert ohne menschliche Nähe und Fürsorge aufwachsen. Obwohl ihre körperlichen Bedürfnisse gedeckt wurden, verstarben sie nach kurzer Zeit. Auch Studien in rumänischen Waisenhäusern nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zeigen Ähnliches. Obwohl die Grundbedürfnisse der Kinder nach Nahrung, Kleidung und Unterkunft in diesen Institutionen befriedigt wurden, fehlte es ihnen an menschlicher Zuwendung, Liebe und Wärme. Die Folgen waren gravierend: Sowohl auf körperlicher als auch seelischer Ebene wiesen sehr viele dieser Kinder massive Defizite, aber auch erhebliche emotionale und Verhaltensstörungen auf (1). Säuglinge kommen mit einem angeborenen Bedürfnis nach Schutz und emotionaler Nähe zur Welt. Eine fürsorgliche und liebevolle Beziehung ist zentral für ihre psychosoziale Entwicklung, denn im Rahmen von Interaktionen mit den Bindungspersonen eines Kindes entwickeln sich emotionale und soziale Kompetenzen. Die negativen Folgen eines Mangels an verfügbaren Bindungspersonen sind seit Langem bekannt. Sie wurden bereits 1945 von René Spitz beschrieben (2). Er beobachtete bei Babys, deren unmittelbare Umgebung vor allem durch Diskontinuität und einen Mangel an emotionaler Zuwendung geprägt war, erhebliche Verhaltensauffälligkeiten. Dabei zeigten die von ihm beobachteten Kinder in einer ersten Phase anhaltendes Weinen und Schreien, um Bindungspersonen in ihre Nähe zu holen. In einer zweiten Phase kam es jedoch
mehr und mehr zum Rückzug, was schliesslich in einer dritten Phase zum Verlust der gesamten Lebensfreude der Kinder führte. Spitz nannte dieses Verhalten «anaklitische» (von altgriechisch anaklīnein – sich anlehnen) Depression oder auch «psychogenen Hospitalismus». Der Begriff Bindung geht wiederum auf die Arbeiten des britischen Kinderpsychiaters und Psychoanalytikers John Bowlby zurück. Dieser legte in den 1950er-Jahren den Grundstein für die Entwicklung der Bindungstheorie, als er im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die psychische Gesundheit von obdachlosen Kindern im Nachkriegseuropa und die Zustände in Kinderheimen und Erziehungsanstalten jener Zeit untersuchte (3). Bowlby formulierte in seinem WHO-Bericht erstmals die Grundannahmen seiner Theorie über die Bindung zwischen Kindern und ihren Bindungspersonen und integrierte dabei Konzepte der Verhaltensbiologie, der Kybernetik, der Kognitionsforschung, der Entwicklungspsychologie und der Psychoanalyse. Er revolutionierte dabei bisherige Vorstellungen über Beziehungen zwischen Eltern und Kind, Trennungen, Vernachlässigung und Trauer. Mary Ainsworth, eine Schülerin Bowlbys, trug schliesslich mit innovativen Methoden dazu bei, dessen theoretische Überlegungen empirisch zu untersuchen. Sie erweiterte damit das Wissen über die Bedeutung der Eltern-Kind-Bindung und konnte unter anderem nachweisen, dass das kindliche Bindungs- und Explorationsverhalten entscheidend von feinfühligen Elternverhaltensweisen abhängt. Papousek und Papousek (4) schliesslich führten das Konstrukt der «intuitiven Elternschaft» ein. Sie propagierten, dass erwachsene Personen über eine biologisch verankerte Grundkompetenz zur optimalen Kommunikation und
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Interaktion mit jungen Kindern verfügen. Diese kann jedoch durch psychische Störungen, unzureichende eigene Bindungserfahrungen in der Kindheit, aktuelle negative Beziehungserfahrungen, psychosoziale Stressfaktoren oder genetische Prädispositionen und damit assoziierte neurobiologische Veränderungen aufseiten der Bezugspersonen gestört werden, was langfristig die Interaktionen mit dem sich entwickelnden Kind erschwert.
Die Bedeutung der frühen Kindheit für die Organisation neuronaler Strukturen Innerhalb der kurzen Zeitspanne von der Empfängnis bis zum 2. Lebensjahr findet eine massive Entfaltung und Reifung des kindlichen Gehirns statt. Frühe interaktionelle Erfahrungen während der Zeit des stärksten Hirnwachstums prägen massgeblich entsprechend neuronale Strukturen durch die Neuorganisation synaptischer Verbindungen. Früheste Lernerfahrungen bewirken also eine grundlegende Reorganisation von ursprünglich unspezifisch organisierten neuronalen Verschaltungen, wodurch es allmählich zur Ausformung eines synaptischen Netzwerks kommt, was wiederum die neuronale Basis für sozioemotionale Kompetenzen bildet (5). Wachsen Kinder in der frühen Kindheit emotional depriviert auf oder machen in dieser sensitiven Entwicklungsphase Erfahrungen von Vernachlässigung oder Gewalt, können sich neuronale Verschaltungen adaptiv verändern (6). Solche frühen Stresserfahrungen durch fehlende emotionale Fürsorge führen auch zu Veränderungen der neuroendokrinen Stresssystemen. Diese biologischen Anpassungsmechanismen durch frühkindliche emotionale Lernprozesse sollen dem heranwachsenden Individuum das Überleben in der erwarteten Umwelt ermöglichen. So ist es beispielsweise in Gefahrensituationen ein Vorteil, wenn ein Individuum hypervigilant, also in permanenter Alarmbereitschaft, ist. In einer latent feindlich gesinnten Umgebung kann es auch ein Überlebensvorteil für ein Kind sein, wenn dieses eher aggressiv und misstrauisch ist. Jedoch sind diese Anpassungsmechanismen in einem «normalen» sozialen Umfeld weniger angemessen. Aufgrund dieses Mismatchings zwischen Individuum und Umwelt kann es zu Verhaltensproblemen kommen. Aufgrund ethischer Restriktionen in Bezug auf die experimentelle Manipulation der frühen Umwelt im Humanbereich wurden zur Untersuchung von akuten und Langzeiteffekten früher aversiver Lebensbedingungen vielfach Tiermodelle herangezogen. In Experimenten mit Nagern zeigte sich, dass eine Trennung vom Muttertier und eine isolierte Haltung bei den Versuchstieren zum sogenannten «social isolation syndrome» führten. Es kam zu einer Reihe von Veränderungen in der Kortexarchitektur und in den Neurotransmittersystemen, was wiederum zu Veränderungen im Verhalten der Nachkommen führte (7). Isoliert aufgewachsene Ratten verhalten sich besonders in einer neuen Umgebung hyperaktiv, zeigen Stereotypien und andere motorische Auffälligkeiten. Generell sind diese Tiere ängstlicher und weisen eine stärkere neuroendokrine Stressreaktivität auf. Wegweisend in diesem Zusammenhang sind die Arbeiten von Steven Suomi (8). Er untersuchte mit seiner Arbeitsgruppe den Einfluss früher mütterlicher Deprivation
bei Rhesusaffen. Die Forscher fanden dramatische Kurzund Langzeiteffekte früher sozialer Erfahrungen sowohl im Verhalten als auch auf physiologischer Ebene (9). Suomi belegte, dass die frühen sozialen Beziehungen zur Mutter beziehungsweise zu anderen Bezugspersonen wichtige Prädiktoren für spätere Verhaltensprobleme sind. So zeigten die Studienergebnisse seiner Arbeitsgruppe unter anderem, dass erwachsene Affen nach früher sozialer Isolation ein depressionsähnliches Verhalten aufwiesen (10). Als Ursache identifizierten die Forscher Defizite in der zentralen Serotoninfunktion des Gehirns. Frühe Deprivation führte bei Rhesusaffen zu einem reduzierten Serotoninumsatz. Dieser Effekt blieb bis ins Erwachsenenalter hinein stabil (11). Serotonin spielt auch beim Menschen bei der Entstehung psychischer Erkrankungen eine wichtige Rolle.
Frühe negative Lebenserfahrungen als Entwicklungsrisiko Die Studienergebnisse der oben beschriebenen experimentellen Tierstudien lassen den Schluss zu, dass das Fehlen emotionaler Bindungsbeziehungen während sensibler Entwicklungsphasen auch beim Menschen zu neuronalen Veränderungen führen kann, was wiederum Verhaltens- oder emotionale Störungen nach sich zieht. Unser Wissen über die langfristigen Auswirkungen früher aversiver Erfahrungen stammt primär aus 2 Längsschnittstudien an rumänischen Heimkindern – dem Bucharest Early Intervention Project (12) und der English and Romanian Adoptees Study (13). In letztgenannter Studie zeigte sich eine sehr hohe Stabilität von Verhaltens- und emotionalen Störungen, die sich in Verbindung mit der frühen Vernachlässigung in rumänischen Waisenhäusern bringen liessen. Die Studie untersuchte die Entwicklung von 144 rumänischen Heimkindern, die von Familien im Vereinigten Königreich adoptiert wurden. Insbesondere jene Kinder, die länger als 2 Jahre unter den schwer deprivierenden Lebensbedingungen aufwuchsen, wiesen mehr als 30% eine Bindungsstörung auf. Dagegen entwickelten weniger als 5% der Kinder, die innerhalb von 6 Monaten adoptiert wurden, später eine Bindungsstörung. Ausserdem zeigten sich bei den Kindern mit einer Bindungsstörung häufig auch Symptome anderer psychischer Störungen wie beispielsweise ADHS, Aggressivität oder andere emotionale Schwierigkeiten. Studienergebnisse zeigen auch, dass bei Kindern, die unter institutionalisierter Deprivation aufwachsen mussten, verschiedene neurobiologische Systeme, wie das noradrenerge, das serotonerge und das GABAerge System, sowie die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) dauerhaft verändert waren, was wiederum psychische Probleme zur Folge haben kann (14, 15). So entwickelten Heimkinder, die ohne echte Bezugsperson aufwuchsen, Verhaltensstörungen und verminderte Lernleistungen. Im Vergleich mit einer Gruppe von Kindern, die nie institutionalisiert betreut wurden, wiesen die Kinder aus Adoptivfamilien signifikant stärkere Symptome von Bindungsstörungen auf (16). Anhand der gleichen Stichprobe wurden zudem das Sozialverhalten beziehungsweise autistische Verhaltensmuster bei den adoptieren Kindern untersucht (17). Die Autoren beschreiben, dass Kinder nach schwerer Deprivation im Alter von 4, 6 und 11 Jahren im Ver-
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gleich zu nicht depriviert aufgewachsenen Kindern signifikant häufiger quasiautistische Verhaltensweisen präsentieren. Jedoch zeigte sich bei etwa 25% der untersuchten Kinder, dass sich die autistischen Verhaltensweisen im Alter von 11 Jahren zurückgebildet hatten. Im jungen Erwachsenenalter (22 bis 25 Jahre) wiederum wiesen Probanden, die als Säuglinge und Kleinkinder länger als 6 Monate in rumänischen Institutionen untergebracht waren, durchgängig häufiger und stärker ausgeprägte Symptome eines gehemmten Sozialverhaltens, Probleme mit Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivitätssymptome auf. Ausserdem zeigten sich bei diesen jungen Erwachsenen deutlich stärker ausgeprägte emotionale Schwierigkeiten, die in früheren Lebensphasen (11 und 15 Jahre) noch nicht sichtbar waren (1).
Bindungs- und Beziehungsstörungen im Lebensverlauf Wie in den vorangegangenen Abschnitten beschrieben, prägen unzureichende Bindungs- und Beziehungsangebote in der frühen Kindheit langfristig das Sozialverhalten und die emotionalen Kompetenzen der betroffenen Kinder. Das Bucharest Early Intervention Project (12, 18), die bislang einzige randomisierte Kontrollgruppenstudie (Unterbringung in Pflegefamilien vs. weiterhin institutionalisierte Unterbringung), begleitete adoptierte Kinder über 12 Jahre hinweg und untersuchte ihre Entwicklung. Die in Pflegefamilien untergebrachten Kinder zeigten dabei im Vergleich zur Kontrollgruppe im Alter von 8 und 12 Jahren eine Reduktion der Symptome sozial-emotionaler Auffälligkeiten in Form einer reaktiven Bindungsstörung (19). Solche Verbesserungen waren vor allem davon abhängig, wie lang die Kinder zuvor in Institutionen gelebt hatten und wie gut die Beziehung des Kindes zu seinen Pflegeeltern war. Diese Untersuchung zeigt, dass die Folgen ungünstiger Lebensbedingungen in der frühen Kindheit bei Bereitstellung adäquater Beziehungsangebote remittieren können. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist es wichtig zu betonen, dass die eingeschlossenen Pflegefamilien sehr hohe Qualitätsstandards erfüllten. Sie wurden im Rahmen dieser Interventionsstudie sorgfältig ausgewählt und engmaschig durch Sozialarbeiter und Psychotherapeuten geschult und betreut (20). Dabei wurde ein besonderer Fokus auf die Schwierigkeiten, die die Betreuung von zuvor bindungstraumatisierten Kindern mit sich bringen können, gelegt. Spilt et al. (21) untersuchten den Verlauf von Bindungsstörungen bei Kindern aus einer heilpädagogischen Schule vom Kindes- bis in das Erwachsenenalter. In dieser Studie waren die beobachteten soziobehavioralen Probleme im Verlauf der Kindheit bis in das Erwachsenenalter relativ stabil. Ausserdem beeinträchtigten diese Probleme die schulische Funktionsfähigkeit deutlich. Jedoch konnte die Studie auch zeigen, dass Lehrer, die besonders für die Probleme von Kindern mit Bindungsstörungen sensibilisiert worden waren, einen positiven Einfluss auf den Verlauf dieser Verhaltensstörungen hatten. Bei Lehrern mit hoher Sensitivität zeigte sich ein positiver Effekt auf das prosoziale Verhalten von früh vernachlässigten Kindern. Bei Lehrern mit einer niedrigen Sensitivität zeigten vor allem Kinder mit einer reaktiven Bindungsstörung vermehrt Aggressionen.
Einige Autoren gehen davon aus, dass es direkte Zusam-
menhänge zwischen desorganisierten Bindungsstilen
und dem späteren Auftreten einer Boderline-Persönlich-
keitsstörung (BPS), einer antisozialen Persönlichkeitsstö-
rung oder einer dissoziativen Störung gibt (22). Diese
Annahmen basieren jedoch vor allem auf theoretischen
Überlegungen zu Bindungsstilen und inneren Arbeits-
modellen als Grundlage für die Persönlichkeitsentwick-
lung. Einige empirische Arbeiten untermauern diese
theoretischen Annahmen zwar, allerdings handelt es
sich bei den meisten Studien, die sich mit dem Zusam-
menhang zwischen Bindungsmustern und Persönlich-
keitsstörungen beschäftigen, um Querschnittstudien,
also Studien, in denen heute erwachsene Patienten ent-
weder zu ihren aktuellen Bindungsmustern befragt wer-
den oder deren Erinnerung an ihre Kindheit und dortige
Beziehungsmuster untersucht wurden. Ausserdem han-
delt es sich mehrheitlich um Studien, die die Assoziation
zwischen unsicheren Bindungsstilen, also nicht einer
Bindungsstörung im Sinne einer Psychopathologie, und
Persönlichkeitsstörungen betrachten (23). Scott und
Kollegen (24) untersuchten in einer Querschnittstudie
junge Erwachsene hinsichtlich ihrer Bindungsmuster.
Mithilfe von Strukturgleichungsmodellen konnten die
Autoren zeigen, dass Bindungsangst und Bindungsver-
meidung mit verstärkt auftretender negativer Affektivi-
tät und Impulsivität und somit direkt mit den zentralen
diagnostischen Merkmalen einer BPS assoziiert waren.
Bakermans-Kranenburg and van IJzendoorn (25) bestä-
tigten diese Zusammenhänge auch anhand einer Meta-
analyse zur Verteilung von Bindungsstilen in klinischen
Stichproben. Sie fanden unter anderem, dass ungelöste
Bindungstraumata mit BPS assoziiert waren. Crick und
Murray-Close (26) beleuchteten die Entstehungspfade
der BPS mithilfe einer prospektiven Längsschnittstudie
mit Grundschülern (54% weiblich), die sie über 2 Jahre
hinweg begleiteten. Dabei zeigte sich, dass das Vorfor-
men von Persönlichkeitsstörungen bereits in der Kind-
heit signifikant mit Beziehungsschwierigkeiten und der
Angst vor Zurückweisung assoziiert waren. Diese Prob-
leme waren ausserdem mit Schwierigkeiten in der
Autonomieentwicklung und dem Beziehungsaufbau
assoziiert. Diese frühen Verhaltensmuster repräsentie-
ren nach Ansicht der Autoren Vorstufen für spätere Be-
ziehungsprobleme, die im Zusammenhang mit einer
BPS auftreten können.
Doch nicht nur in Bezug auf die BPS, sondern auch be-
treffend anderer Persönlichkeitsstörungen zeigen sich
Zusammenhänge mit frühkindlichen Bindungserfah-
rungen. So untersuchten Anglin, Cohen und Chen (27)
in einer Längsschnittstudie mit insgesamt 766 Kindern,
die 20 Jahre lang begleitet wurden, inwiefern eine frühe
Trennung von der Mutter die Entwicklung der schizo-
typen Persönlichkeitsstörung vorhersagen kann. Analy-
sen zeigten, dass eine Trennung von der Mutter in den
ersten 2 Lebensjahren zu erhöhten Symptomscores
einer schizotypen Persönlichkeit führten, wenn ver-
mehrt ärgerlich-emotionales Interaktionsverhalten auf-
seiten der Mütter beobachtet wurde. Zusammenhänge
mit anderen Störungsbildern wurden in dieser Studie
nicht untersucht, weshalb nicht beurteilt werden kann,
wie spezifisch dieser Zusammenhang ist.
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Korrespondenzadresse: PD Dr. rer. nat. Margarete Bolten Co-Leitung Säuglings- und Kleinkindsprechstunde Universitäre Psychiatrische Kliniken Klinik für Kinder und Jugendliche (UPKKJP) und Universitätskinderspital
Beider Basel (UKBB) Wilhelm Klein-Strasse 27
4002 Basel E-Mail: margarete.bolten@upk.ch
Interessenkonflikte: Die Autorin deklariert keine Interessenkonflikte.
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