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STUDIE REFERIERT
Stellenwert des Selbstmanagements bei Diabetes
Bessere klinische Ergebnisse und längeres Leben liegen zum Teil in den eigenen Händen
Über den Einfluss des Selbstmanagements auf die langfristigen Therapieergebnisse bei Typ-2-Diabetes ist bis anhin wenig bekannt. Basierend auf den Daten der populationsbasierten KORA-A-Studie haben deutsche Wissenschaftler nun untersucht, inwieweit zwischen dem berichteten Verhalten zur Selbstversorgung, zu intermediären klinischen Ergebnissen und der Sterblichkeit ein Zusammenhang besteht.
DIABETES CARE
Da die tägliche Versorgung bei Diabetes grösstenteils durch den Patienten selbst erfolgt, gilt die Fähigkeit zu adäquatem Selbstmanagement-Verhalten (self-management behaviour, SMB) als wichtiges und modifizierbares Element im Umgang mit der Erkrankung, das entscheidenden Einfluss auf die thera-
Merksätze
O Da die tägliche Versorgung bei Diabetes grösstenteils durch den Patienten selbst erfolgt, hat ein adäquates SelbstmanagementVerhalten (SMB) entscheidenden Einfluss auf die therapeutischen Ergebnisse.
O Ein hohes SMB-Level war mit einer verbesserten Blutzuckerkontrolle und einer längeren Lebenserwartung während eines 12-jährigen Follow-up assoziiert.
O Hinsichtlich einer reduzierten Sterblichkeit profitierten Patienten mit geringerem Bildungsstand von einem hohen SMB-Level, solche mit höherer Bildung dagegen nicht.
peutischen Ergebnisse hat. Randomisierte Studien konnten zeigen, dass sich durch entsprechende gezielte Unterweisungen das Selbstmanagement der Patienten und die kurzfristige Blutzuckerkontrolle leicht verbessern lassen. Eine mögliche Nachhaltigkeit dieser Effekte wurde bis anhin jedoch noch nicht untersucht. Wenige in diesem Bereich durchgeführte Beobachtungsstudien haben sich auf die Analyse von Assoziationen zwischen einzelnen Dimensionen von SMB, wie etwa der Blutzuckerselbstkontrolle, und der Mortalität beschränkt; der multidimensionale Charakter solcher Zusammenhänge wurde dabei allerdings nicht berücksichtigt, zum Teil auch deshalb, weil sich die Wechselwirkungen in einem solchen hochgradig individualisierten und komplexen Beziehungsgefüge kaum messen lassen.
Multidimensionale Zusammenhänge Eine neue deutsche Studie hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, zum einen den Zusammenhang zwischen DiabetesSMB und mittelfristigen klinischen Ergebnissen zu Beginn der Beobachtungen zu analysieren und zum anderen den prognostischen Wert von SMB hinsichtlich der Sterblichkeit zu untersuchen, indem ein spezieller Selbstmanagement-Index (siehe Arnold-Wörner et al., Exp Clin Endocrinol Diabetes 2008, 116: 123–128) mit den Daten eines 12-jährigen Follow-up in Beziehung gesetzt wurde. Für ihre Untersuchungen zum potenziellen Einfluss von SMB hat die Arbeitsgruppe um Michael Laxy vom Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH) und vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung in Neuherberg die Daten von 340 der insgesamt rund 1000 Patienten aus der in den Jahren 1997/98
durchgeführten KORA-A (Cooperative Health Research in the Region of Augsburg)-Studie ausgewertet, die Patienten aus zwei vorangegangenen populationsbasierten Untesuchungen (MONICA/KORA) sowie aus einem Herzinfarktregister (MONICA/KORA Myocardial Infarction Registry) rekrutierte und in welcher seinerzeit mittels eines umfassenden Fragebogens von den Teilnehmern unter anderem auch Informationen zu erhaltenen Diabetestherapien und SMB gesammelt worden waren. Ein hoher Grad von SMB war über einen multidimensionalen ComplianceIndex definiert worden als die Fähigkeit zur Akzeptanz und Durchführung von mindestens fünf der folgenden sechs verschiedenen Massnahmen zur Selbstversorgung: O körperliches Training
(≥ 60 min/Woche) O Fusspflege (Suche nach Wunden
≥ 1-mal/Woche) O Blutzucker-Selbstkontrolle (insulin-
behandelte Patienten: ≥ 1-mal/Tag, andere: ≥ 2-mal/Woche) O Gewichtskontrolle (≥ 1-mal/Woche) O Einhalten eines Diätplans O Führen eines Diabetes-Tagebuchs
Parallel zur Datensammlung hinsichtlich SMB wurden etablierte ScreeningTests auf Mikroalbuminurie, Polyneuropathie und periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) durchgeführt. Ausserdem wurden die HbA1c-, die LDL-Cholesterin- und die systolischen Blutdruckwerte ermittelt. Als Kovariaten wurden über Interviews, Fragebogen und körperliche Untersuchung soziodemografische Charakteristika (Geschlecht, Alter, Ausbildungsgrad) Angaben zu erfolgten Therapien, Diabetesdauer, Rauchstatus und Körpergewicht sowie die selbstberichtete Vorgeschichte bezüglich Myokardinfarkt (MI), Schlaganfall, Retinopathie, Neuropathie und Nephropathie ermittelt.
Patienten mit geringerem Bildungsstand profitieren am meisten Bei der Analyse der Daten zeigte sich, dass ein hohes SMB-Level mit einer verbesserten Blutzuckerkontrolle und einer längeren Lebenserwartung während einer 12-jährigen Follow-up-Dauer assoziiert war.
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STUDIE REFERIERT
Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Mikroalbuminurie, Polyneuropathie und pAVK war bei Patienten, die ein hohes SMB-Level aufwiesen, leicht geringer als bei denjenigen mit niedrigem SMB-Level (Odds-Ratios [OR] zwischen 0,65 und 0,88), keine dieser Assoziationen war allerdings statistisch signifikant. Daneben wiesen Patienten mit hohem SMB-Level grenzwertig signifikant bessere HbA1c-Werte auf als weniger kompliante Patienten; LDL-Cholesterin- und systolische Blutdruckwerte unterschieden sich in Abhängigkeit vom SMB nicht signifikant. Unter Berücksichtigung der Kovariaten wiesen Personen mit hohen SMB-Werten eine um 39 Prozent geringere Mortalität jeglicher Ursache auf (HazardRatio [HR]: 0,61; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,40–0,91). Ähnliche, jedoch nicht signifikante Effekte waren für die kardiovaskulär bedingte Sterblichkeit zu beobachten, die für Patienten mit hohem SMB-Level um 35% niedriger war (HR: 0,65; 95%-KI: 0,41–1,03). Eine signifikante Interaktion mit SMB ergab sich für den Bildungsstand der Patienten: Bei Teilnehmern mit niedrigerem Ausbildungsgrad (≤ 9 Jahre Schule) war ein hoher SMB-Wert mit einer reduzierten Mortalität jedweder Ursache assoziiert (HR: 0,44; 95%-KI: 0,26–0,74), bei hochgradig komplianten Personen mit höherer Schulbildung (>9 Jahre) war die Sterblichkeit dagegen sogar leicht, aber nicht signifikant erhöht (HR: 1,68; 95%-KI: 0,76– 3,69). Eine Erklärung dieses Phänomens könnte darin liegen, dass weniger gebildete Personen weit mehr von einer grundlegenden gesundheitlichen Unterweisung und einem entsprechend gesundheitsbewussteren Verhalten profitieren als solche, die bereits hochgradig gebildet und generell darin geübt sind, erlerntes Wissen in die Tat umzusetzen.
Hohe prognostische Aussagekraft Aus den Daten liess sich ableiten, dass der prognostische Wert des multidimensionalen Selbstmanagement-Index mit einer rund 40-prozentigen Reduktion des Sterblichkeitsrisikos fast genauso gross wie derjenige klinischer Parameter (z.B. Mikroalbuminurie oder Retinopathie) und deutlich grösser als derjenige einzelner Selbstmanagement-Dimensionen war. Dies verweist auf die Bedeutung der verschiedenen SelbstmanagementDimensionen für die Patienten im Umgang mit ihrer Erkrankung und unterstreicht, wie wichtig eine Berücksichtigung der komplexen Struktur des SMB für zukünftige Forschungen auf diesem Gebiet ist. Um das SMB von Diabetespatienten und möglicherweise mithin die Therapieergebnisse zu verbessern, wären daher in der Praxis (kosten-) effektive und weitreichend anwendbare Programme wünschenswert, welche geeignet sind, auch Patienten mit geringerer Schulbildung zu erreichen. Die Wissenschaftler sehen die Stärken ihrer Studie darin, dass die eingeschlossenen Patienten aus zwei populationsbasierten Stichproben aus derselben Region stammten, sowie in der relativ langen Follow-up-Zeit von 12 Jahren. Schwächen der Untersuchung bestehen neben der geringen Stichprobengrösse unter anderem darin, dass Validität und Verlässlichkeit der Selbstberichterstattung der Patienten hinsichtlich ihres SMB nicht zu bestimmen waren. Darüber hinaus wurde der Grad des SMB im Verlauf der Studie nur einmal erhoben, sodass mögliche Veränderungen des individuellen Patientenverhaltens nicht erfasst wurden. Das empirische Design der Studie hat überdies nicht sämtliche vorstellbaren Störvariablen und deren Interaktionen (z.B. psychischer Gesundheitszustand, sozioökonomischer Status oder Erwartungen der Patienten) mitberücksichtigt. Dennoch erachten die Autoren ihre Ergebnisse als Beleg
für eine Assoziation eines hohen SMB-
Levels mit einer verlängerten Lebens-
erwartung bei Diabetes, die zukünftig
in Langzeituntersuchungen weiter über-
prüft und gegebenenfalls Inhalte und
Schwerpunkte der Patientenunterwei-
sung mitbestimmen sollte.
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Ralf Behrens
Laxy M et al.: The association between patient-reported self-management behaviour, intermediate clinical outcomes, and mortality in patients with type 2 diabetes: results from the KORA-A-study. Diabetes Care, published online March 25, 2014.
Interessenkonflikte: keine deklariert.
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