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FORTBILDUNG
Serie: Palliativmedizin in der Praxis
Sondenernährung in der Palliativmedizin
Indikationen, Vorteile und Grenzen künstlicher Ernährung
Eine starke Forderung nach künstlicher Ernährung drückt oft die Unfähigkeit aus, das nahende Sterben zu akzeptieren. Als Behandelnde sind wir aufgefordert, einerseits die existenziellen Ängste von Patient und Angehörigen aufzunehmen, andererseits die Indikation für eine enterale Ernährung mittels Sonde sehr sorgfältig abzuwägen und zu begründen.
ROLAND KUNZ
Appetitlosigkeit und ungewollter Gewichtsverlust sind neben Fatigue die häufigsten Problemkreise bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Aus Sicht der Patienten ergibt sich daraus ein kausaler Zusammenhang: «Ich muss nur wieder genügend Nahrung aufnehmen, dann werde ich wieder zu Kräften kommen.» Auch von den Angehörigen wird mit der gleichen Überlegung Druck aufgebaut, hinter dem die existenzielle Sicht «Essen gleich Leben» steht. Die folgenden Überlegungen und Fakten zu verschiedenen Krankheitssituationen aus den Bereichen Onkologie und neurodegenerative Erkrankungen sollen bei diesem Entscheidungsprozess helfen.
Merksätze
O Die Indikation für eine Sondenernährung ergibt sich nicht in erster Linie aus einer gestörten Nahrungsaufnahme.
O Häufig wird vergessen, dass sich der Zustand des Patienten wegen der fortschreitenden Krankheit verschlechtert und nicht wegen der abnehmenden Nahrungsaufnahme.
O Wenn ein demenzkranker Mensch immer weniger isst, stellt sich primär nicht die Frage nach der PEG-Sonde, sondern nach möglichen Ursachen.
O Der BMI sagt nichts über die Lebensqualität multimorbider älterer und demenzkranker Menschen.
O Schwer demente Menschen essen aus unserer Sicht zu wenig, aber sie verhungern nicht, sondern befinden sich in einem Zustand der physiologischen Homöostase. Eine PEG-Ernährung bringt für sie keinen Nutzen.
Patienten unter onkologischer Therapie Bei Krebspatienten können bereits in der Phase krankheitsbeeinflussender Massnahmen, wie zum Beispiel Chemotherapie oder Bestrahlung – einer Zeit also, in der noch eine längere Lebenserwartung besteht – Schluckschwierigkeiten auftreten, die meistens vorübergehend sind und mit einer Massnahme zur Krankheitsstabilisierung zusammenhängen. Eine Radiotherapie im Bereich des Mediastinums kann zu einer strahlenbedingten schweren passageren Ösophagitis führen, die das Schlucken von Nahrung unmöglich werden lässt. Selten kann es auch als Folge einer Chemotherapie zu einer so schweren Mukositis kommen, dass eine perorale Nahrungsaufnahme vorübergehend nicht möglich ist. In diesen beiden Situationen ist es das Ziel, den Ernährungszustand des Patienten so gut wie möglich zu erhalten, um ihm nach Abklingen der akuten therapiebedingten Nebenwirkungen wieder gute Voraussetzungen für ein selbstständiges Leben zu bieten. Sofern die enterale Resorption nicht beeinträchtigt ist, ist die Einlage einer PEG-Sonde (PEG = perkutane endoskopische Gastrostomie) zu prüfen und mit dem Patienten zu diskutieren. Ihr Vorteil gegenüber einer vollständigen parenteralen Ernährung liegt im einfacheren Handling, das auch zu Hause von den Angehörigen erlernt werden kann, und in der geringeren Komplikationsrate. Der Aufbau der oralen Ernährung nach Abklingen der Schluckproblematik ist nach enteraler Sondenernährung ebenfalls einfacher als nach parenteraler Ernährung.
Tumorpatienten in der fortgeschrittenen und präterminalen Krankheitsphase In den letzten Lebenswochen schwinden die Kräfte des Patienten von Tag zu Tag spürbar, häufig begleitet von einer zunehmenden Kachexie. Parallel mit dem Tumorwachstum und der zunehmenden Organschwäche nimmt der Appetit ab, oft noch verstärkt durch Verdauungsschwierigkeiten bei intraabdominaler Metastasierung. Wenn Patient und Angehörige das nahende Lebensende akzeptieren können, steht in der palliativen Behandlung die Erhaltung der Lebensqualität im Vordergrund. Einen Bissen einer geliebten Speise riechen und schmecken zu können, wird wichtiger als die Menge der eingenommenen Kalorien. Wenn das Sterben noch nicht akzeptiert werden kann oder irrationale Hoffnungen auf Heilung im Wege stehen, legen Patient und/oder Angehörige grossen Wert auf die Erhaltung der Ernährung. Kulturelle Faktoren spielen dabei eine bedeutende Rolle. Diese Situation erfordert vom Behandlungsteam eine einfühlsame Kommunikation und Begleitung. Es muss
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Tabelle 1:
Gründe für Nahrungsverweigerung oder beeinträchtigtes Essverhalten bei Demenzkranken
Probleme im Mundbereich Polypharmazie orale bzw. bukkofaziale Apraxie Schmerzen fehlender Lebenswille
Sie sind bedingt durch mangelhafte Mundhygiene bei fehlender Kooperation des Patienten: entzündliche Veränderungen des Zahnfleisches, Druckstellen der Prothese, kariöse Restzähne oder Soorinfektion.
Einerseits Einnahme einer grossen Zahl von Medikamenten, andererseits deren Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Appetitverminderung.
Der Patient schiebt seine Bissen endlos im Mund herum, verliert sie in der Mundhöhle und verschluckt sich schliesslich daran.
Demenzkranke leiden häufig an unerkannten Schmerzen, die Ursache einer Inappetenz sein können.
Nahrungsverweigerung als nonverbales Signal einer Depression.
versucht werden, Nutzen und Belastung einer Sondenernährung darzulegen. Tatsache ist, dass der weitere Krankheitsverlauf durch eine Ernährung über eine PEG-Sonde kaum beeinflusst werden kann; der Patient wird nicht am Nahrungsmangel versterben, sondern an der fortschreitenden Tumorerkrankung. Manchmal können Patient und Angehörige den Verzicht auf eine Sondenernährung besser akzeptieren, wenn alternativ eine subkutane Infusion mit Glukoselösung in beschränkter Menge angeboten wird. Das Gefühl, weiterhin mit Nährstoffen versorgt zu werden, kann entspannend auf die Situation wirken und den Druck der Angehörigen auf den Patienten, dass er unbedingt essen müsse, deutlich mindern. Intraabdominale Tumorerkrankungen und vor allem eine peritoneale Ausbreitung führen in der fortgeschrittenen Krankheitssituation oft zu enteraler Obstruktion im Sinne eines Ileus oder Subileus. Vor allem die Obstruktion im oberen Verdauungstrakt verursacht eine Retention mit rezidivierendem Erbrechen, das für den Patienten sehr belastend ist. Eine nasogastrale Sonde zur Entlastung und Ableitung ist die wirksamste palliative Massnahme. Sie verhindert nicht nur weitgehend das Erbrechen, sondern ermöglicht dem Patienten auch, weiterhin zu trinken. Es kann viel Lebensqualität bedeuten, wenn geliebte Getränke schluckweise eingenommen werden können, und es vermindert die Mundtrockenheit. Mit dieser Ableitung kann der Patient manchmal sogar über einige Wochen nochmals eine recht gute Lebensqualität erleben. Da aber von der oral aufgenommenen Flüssigkeit kaum mehr etwas resorbiert wird, muss je nach Behandlungsziel parallel eine minimale Flüssigkeitsmenge als Infusion verabreicht werden.
Neurodegenerative Erkrankungen Verschiedene neurodegenerative Krankheiten führen in ihrem Verlauf zu Schluckproblemen. Früher oder später stellt sich deshalb fast immer die Frage, ob dem Patienten eine PEG-Sonde eingelegt werden soll oder besser darauf verzichtet wird. Dieses Dilemma kann nur gelöst werden, wenn sowohl Daten zur medizinischen Evidenz wie auch psychologische, existenzielle und ethische Aspekte in die Diskussion einbezogen werden. Im Folgenden werden diese Fragen für die beiden häufigsten neurologischen Krankheitssituationen beleuchtet, in denen sich die Sondenfrage stellt: die amyotrophe Lateralsklerose und die Demenz.
Amyotrophe Lateralsklerose Die amyothrophe Lateralsklerose (ALS) ist gekennzeichnet durch eine unaufhaltsam fortschreitende Lähmung als Folge einer Degeneration der Motoneurone. Obwohl in der ersten Zeit meistens die progredienten Lähmungen der Extremitätenmuskulatur im Vordergrund stehen, wirft vor allem die früher oder später auftretende Lähmung der Atem- und der Schluckmuskulatur schwierige Fragen auf. Auf die Diskussion der Massnahmen bei Ateminsuffizienz soll hier bewusst verzichtet werden. Beide Problemkreise, Atem- und Schluckschwierigkeiten, bedrohen ohne Behandlung das Weiterleben der Betroffenen. Da bis heute keine kurative Behandlung der ALS zur Verfügung steht, ist mit der Diagnosestellung klar, dass der Patient innert weniger Jahre versterben wird. Alle Massnahmen haben somit einen rein palliativen Charakter, und alle Entscheidungen für oder gegen invasive Therapieschritte sind sehr sorgfältig und wiederkehrend mit dem Patienten zu diskutieren. Es gibt keine allgemeingültigen Richtlinien, sondern nur individuelle Entscheidungen. Der Leidensdruck der Betroffenen kann in einer identischen Krankheitsphase sehr unterschiedlich sein. Wo der eine Patient sich noch lebenserhaltende Massnahmen wünscht, hat ein anderer bereits mit seinem Leben abgeschlossen und wünscht sich keinerlei Massnahmen mehr, die der Lebenserhaltung dienen. Die Anlage einer PEG-Sonde zur Gewährleistung der enteralen Ernährung ist frühzeitig zu diskutieren. Wenn lebenserhaltende Massnahmen vom Patienten gewünscht werden, kann durch den frühzeitigen Beginn einer enteralen Sondenernährung der Kachexie vorgebeugt werden und damit wahrscheinlich auch die Selbstständigkeit etwas länger erhalten bleiben. Experten schlagen vor, die PEG-Ernährung zu starten, solange die Vitalkapazität des Patienten noch über 50 Prozent liegt (1). Erst in späteren Krankheitsphasen eingelegte Sonden sind mit höheren Komplikationsraten und nur noch fraglichem Nutzen verbunden. Aspirationen sind trotz liegender Sonde häufig, weil der Patient Speichel aspiriert.
Demenz ist eine zum Tod führende Krankheit Es ist hinreichend bekannt, dass Menschen mit einer Demenzerkrankung im Krankheitsverlauf praktisch immer an Gewicht verlieren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ablehnendes Essverhalten kann in jeder Krankheitsphase auftreten, ist aber in der Endphase am häufigsten und deutlichsten. Ältere Menschen haben grundsätzlich eine reduzierte Stoff-
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Tabelle 2:
Ernährung und Lebensqualität bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz mit und ohne PEG-Sonde
O Soziale Integration: Am Tisch zu sitzen mit anderen Bewohnern, die Speisen zu riechen, Gemeinschaft und das vertraute Ritual des Familientisches zu erleben, bietet viel mehr Lebensqualität als allein in einem Bett zu liegen mit einem tropfenden Sondenbeutel voller Kalorien und Nährstoffe neben dem Bett.
O Wenige Bissen in geeigneter Form zu essen oder mindestens zu schmecken, angeboten mit der entsprechenden Zuwendung, bedeutet mehr Lebensqualität als eine optimale Nahrungszusammensetzung.
O Den Lieblingskuchen des Patienten zu Hause mit viel Empathie zu backen und zu bringen, ermöglicht den Angehörigen, Zuwendung zu schenken ohne verbale Kommunikation, und erleichtert es ihnen, die Situation zu ertragen, auch wenn der Patient kaum etwas davon isst.
O Fixation: Demenzkranke Menschen fühlen sich häufig gestört durch die Sonde, die aus ihrem Bauch kommt. Sie versuchen deshalb, die Sonde zu entfernen. Um dies zu verhindern, werden Fixationsmassnahmen notwendig, die eine weitere Einschränkung der Lebensqualität bedeuten.
Tabelle 3:
Entscheidungsalgorithmus für die Einlage einer PEG-Sonde
O Übersteigt der Nutzen die Schadensrisiken deutlich, sollte man eine PEG-Ernährung anbieten und empfehlen (z.B. bei ALS, wenn die Vitalkapazität noch über 50% liegt).
O Halten sich Nutzen und Schadensrisiken die Waage, sollte man eine PEG-Ernährung als Behandlungsoption zwar anbieten, aber nicht explizit empfehlen.
O Übersteigt das Schadensrisiko den Nutzen, sollte man eine PEGErnährung zwar anbieten, von der Anwendung jedoch abraten (z.B. bei schwerem Schlaganfall).
O Sofern die PEG-Ernährung keinen Nutzen (mehr) für den Patienten bietet, sollte sie auch nicht angeboten werden (z.B. fortgeschrittene Demenz).
wechselrate, die bei Abnahme des Körpergewichts weiter reduziert wird und über lange Zeit persistieren kann. Schwer demente Menschen essen aus unserer Sicht zu wenig, aber sie verhungern nicht, sondern befinden sich in einem Zustand der physiologischen Homöostase (2). Ihr Zustand ist durch eine niedrige Stoffwechselrate, einen tiefen Energieverbrauch und meist ein stabil tiefes Gewicht charakterisiert. Es konnten keine gesundheitlichen Schäden damit in Verbindung gebracht werden (3). Wenn ein demenzkranker Mensch immer weniger isst oder ganz damit aufhört, ist nicht primär die Frage nach der PEGSonde zu stellen, sondern nach möglichen Ursachen zu suchen. Meistens können die Betroffenen ihre Beschwerden nicht mehr verständlich äussern, weshalb der sorgfältigen und einfühlsamen Abklärung eine zentrale Bedeutung zukommt (Tabelle 1).
Die Demenz ist eine unheilbare, fortschreitende Krankheit wie die ALS oder viele Tumorerkrankungen. Ihr Verlauf kann sich aber über 5 bis 10 Jahre hinziehen, und ihre Progredienz ist oft für die Angehörigen kaum nachvollziehbar. Sie haben den Rollenwechsel angenommen, haben ihr Leben auf die Fürsorge für den demenzkranken Partner ausgerichtet. Im Gegensatz zu einer Krebsdiagnose wird die Diagnose einer Demenz sehr lange nicht als zum Tod führende Krankheit wahrgenommen.
PEG-Sonde bei Demenz? Wenn nun der Zustand des Patienten sich verschlechtert und die Nahrungsaufnahme immer mehr abnimmt, wird von den Angehörigen und auch vom Behandlungsteam die Kausalität oft verwechselt. Obwohl die Nahrungsaufnahme sich wegen der Krankheitsprogression verschlechtert, entsteht die Vorstellung, mit einer besseren Ernährung wäre auch der Allgemeinzustand des Patienten wieder besser und könnte stabilisiert werden, seine Lebenserwartung würde steigen. Wenn mit angepasstem Nahrungsangebot (z.B. Fingerfood, stetiges Angebot) keine Verbesserung der Nahrungsaufnahme erzielt werden kann, steht die Frage «to PEG or not to PEG» (4) im Raum. Die Mehrzahl der Ärzte ist der Ansicht, mit einer PEG-Sonde entscheidend zur Lebenserhaltung und zur Vermeidung von Komplikationen beizutragen. Eine amerikanische Studie hat gezeigt, dass 76,4 Prozent der Ärzte überzeugt waren, mit einer PEG-Sonde Aspirationspneumonien zu vermeiden, 74,6 Prozent waren der Meinung, damit der Entwicklung eines Dekubitus vorzubeugen, und 61,4 Prozent glaubten, die Lebenserwartung ihrer Patienten zu verbessern (5). Entsprechend werden in den USA 34 Prozent der Demenzpatienten mit einer PEG-Sonde versorgt (6). Die Entscheidung «to PEG or not to PEG» bei demenzkranken Menschen darf nicht auf der individuellen Einstellung des behandelnden Arztes beruhen oder auf der Angst der Angehörigen vor dem Sterben ihres Patienten. Der Nutzen und die möglichen Risiken für den Patienten müssen im Zentrum stehen. Die Resultate zweier grosser Reviews zu dieser Fragestellung liefern eindeutige Aussagen (6, 7): O Aspirationspneumonien waren in der PEG-Gruppe gleich
häufig oder häufiger als in der Kontrollgruppe. O Keine Studie konnte eine Verlängerung der Überlebenszeit
oder eine Reduktion der Dekubitusprävalenz zeigen. O Die Infektionsrate in der Sondengruppe wurde nicht ver-
ringert. O Keine Studie konnte eine Verbesserung der Lebensqualität
nachweisen (Tabelle 2).
Nimmt die Nahrungsaufnahme eines Patienten mit fortgeschrittener Demenz kontinuierlich ab, muss das Behandlungsteam das Gespräch mit den Angehörigen aufnehmen. Dabei geht es in erster Linie darum, den Nächsten aufzuzeigen, dass der Zustand des Patienten sich wegen der fortschreitenden Krankheit verschlechtert und nicht wegen der abnehmenden Nahrungsaufnahme. Die obgenannten Fakten, dass weder das Überleben noch allfällige Komplikationen mit der verminderten Nahrungsaufnahme korrelieren, müssen verständlich dargelegt werden, ebenso müssen die möglichen negativen Effekte und Risiken der Sondeneinlage thematisiert werden. Gleichzeitig muss den Angehörigen
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aber eine aktive Rolle in der Betreuung gegeben werden, damit sie nicht hilflos und passiv der Situation ausgeliefert sind. Sie müssen verstehen, dass in dieser Krankheitsphase unter Berücksichtigung der Lebensqualität ein gewichtiger Wertewandel von der «Ernährung» zum «Essen» stattfindet. Eine gefährliche Tendenz entwickelt sich aus ökonomischen und qualitätsbezogenen Überlegungen. Die Autoren einer amerikanischen Studie (8) haben nachgewiesen, dass die Betreuungskosten von Heimpatienten mit einer PEG-Sonde 44 Prozent tiefer sind als für Patienten, die durch das Pflegepersonal peroral ernährt werden! Das An- und Abhängen eines Sondennahrungsbeutels braucht einige Minuten, die Eins-zu-Eins-Betreuung eines Patienten bei der Nahrungsaufnahme kann Stunden in Anspruch nehmen. In einzelnen europäischen Ländern hat man angefangen, die Betreuungsqualität in Pflegeheimen unter anderem am BodyMass-Index (BMI) der Bewohner zu messen. Leider korreliert der BMI in keiner Art und Weise mit der Lebensqualität dieser multimorbiden älteren und meist demenzkranken Menschen. Solche Vorgaben leisten einer falsch motivierten PEG-Einlage Vorschub und sind deshalb abzulehnen.
Literatur: 1. Borasio GD et al.: Palliative medicine in non-malignant neurological disorders. In:
Doyle et al: Oxford textbook of palliative medicine. Oxford university press, Oxford 2004: 925–935. 2. Hoffer LJ: Tube feeding in advanced dementia : the metabolic perspective. BMJ 2006; 333: 1214–1215. 3. Wang S et al.: Longitudinal weight changes, length of survival, and energy requirements of long-term care residents with dementia. J Am Geriatr Soc 1997; 45: 1189–1195. 4. Cervo FA, Bryan L, Farber S: To PEG or not to PEG: A review of evidence for placing feeding tubes in advanced dementia and the decision-making process. Geriatrics 2006; 61 (6): 30–35. 5. Shega JW et al.: Barriers to limiting the practice of feeding tube placement in advanced dementia. J Pall Med 2003; 6 (6): 885–893. 6. Sampson EL, Candy B, Jones L: Enteral tube feeding for older people with advanced dementia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2. Art. No.: CD007209. DOI: 10.1002/14651858.CD007209.pub2. 7. Finucane TE, Christmas C, Travis K: Tube feeding in patients with advanced dementia: a review of the evidence. JAMA 1999; 13: 1365–1370. 8. Mitchell SL et al.: Tube-feeding versus hand-feeding nursing home residents with advanced dementia: A cost comparison. J Am Med Dir Assoc 2004; 5: 22–29. 9. Kunz R: Möglichkeiten, Nutzen und Grenzen medizinischer Behandlungen bei Demenz. In: Christen M, Osman C (Hrsg). Herausforderung Demenz. Spannungsfelder und Dilemmata in der Betreuung demenzkranker Menschen. Peter Lang 2010, S. 99–113. 10. Synofzik M et al.: Perkutane endoskopische Gastrostomie: Ernährung bis zuletzt? Deutsches Ärzteblatt 2007; 104 (49): A3390–93.
Zusammenfassung Die Frage der Einlage einer Ernährungssonde bei Patienten in palliativen Situationen ist von Fall zu Fall individuell zu entscheiden. Die Indikation ergibt sich nicht in erster Linie aus der gestörten Nahrungsaufnahme, sondern aus den Zielen des Patienten unter Berücksichtigung der Balance of Burden and Benefit (9). Der pragmatische Entscheidungsalgorithmus des Ethikers Matthias Synofzik für die Einlage einer PEGSonde (Tabelle 3) erleichtert im Alltag die Entscheidungsfindung abhängig vom jeweiligen Nutzen-Schaden-Verhältnis (10). O
Dr. med. Roland Kunz Chefarzt Geriatrie und Palliative Care Spital Affoltern 8910 Affoltern am Albis E-Mail: roland.kunz@spitalaffoltern.ch
Erstabdruck in «Schweizer Zeitschrift für Ernähungsmedizin SZE» 1/14.
Wir danken Herrn Dr. med. Markus Denger, wissenschaftlicher Beirat von ARS MEDICI, Frau Dr. med. Heike Gudat, Vorstandsmitglied von palliative ch, und Dr. med. Klaus Bally, Institut für Hausarztmedizin der Universität Basel, für ihre Unterstützung bei der Konzeption und der Planung unserer Serie «Palliativmedizin in der Praxis».
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