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EDITORIAL
Seit am 16. Januar dieses Jahres im Gefängnis von «Es ist das Kennzeichen einer zivilisierten Gesellschaft,
Lucasville, Ohio, die Hinrichtung von Dennis McGuire dass wir Grausamkeit bestrafen, ohne sie selbst an-
nach Injektion von bis dahin für diesen Zweck noch nie- zuwenden.» Mit solch hehren Worten stützten die
mals eingesetzten Wirkstoffen in obersten Richter in Nebraska am 8. Februar 2008 ihren
einem 26-minütigen offensichtli- Beschluss, der den Einsatz des elektrischen Stuhls auf-
chen Todeskampf endete, ist in grund von Beweisen für starke Schmerzen der auf diese
vielen Ländern und insbesondere Weise Exekutierten für verfassungswidrig erklärte und
in den USA selbst die Diskussion der Klage eines zum Tode Verurteilten stattgab. Seit-
um die Todesstrafe aufs Neue ent- dem ist in diesem erzrepublikanischen Herzstaat der
flammt. Das Narkotikum Thiopen- USA zwar kein Todeskandidat mehr durch elektrischen
tal-Natrium, das als erste der Strom hingerichtet worden, nach wie vor ist dies jedoch
standardmässig per «Giftspritze» dort die einzig vorgesehene und in mehreren anderen
sukzessiv verabreichten drei Sub- der immer noch 32 die Todesstrafe verhängenden
stanzen den Delinquenten zunächst Bundesstaaten eine sekundäre Methode ihrer Vollstre-
bewusstlos machen soll, bevor ckung. Und obwohl es auch mit der letalen Injektion –
Pancuroniumbromid die Muskeln Ende der 70er-Jahre ersonnen als «humanere» Alter-
lähmt und Kaliumchlorid das Herz zum Stillstand native – seit Anbeginn ihrer Anwendung immer wieder
bringt, ist nicht zuletzt wegen dieser Anwendung in den zu horrenden Komplikationen kam und ihre vermeint-
USA mittlerweile nicht mehr erhältlich. Auf der landes- liche Schmerzlosigkeit Studien zufolge zumindest
weiten Suche nach Alternativen waren die Behörden im angezweifelt werden darf, hat der Oberste Gerichtshof
der USA am 16. April 2008, nur
Das letzte Mittel
wenige Wochen nach dem Richterspruch in Nebraska, in einem weiteren Grundsatzurteil festgestellt,
diese Hinrichtungsmethode sei
keine grausame und ungewöhn-
Fall McGuires auf ein Zweisubstanzenprotokoll aus liche Bestrafung und somit von der Verfassung gedeckt.
Midazolam und Hydromorphon eingeschwenkt – ein Aus diesen Widersprüchlichkeiten wird deutlich, wie
«gescheitertes, qualvolles Experiment des Staates Ohio», wenig tragfähig moralisch-ethische Kernaussagen de
wie es der Anwalt des verurteilten Mörders formulierte. facto in einem Land sind, das allzu oft den Allein-
Welche grundsätzliche Haltung der Einzelne in einer anspruch auf Deutungs- und Schutzhoheit über einen
demokratischen Gesellschaft hierzu auch immer ein- aufgeklärten Humanismus und die globalen Menschen-
nehmen mag – an bestimmten ethischen Kernfragen rechte erhebt, in der Frage der Todesstrafe aber seit
zur Todesstrafe lässt sich nicht vorbeiargumentieren. Jahrzehnten jäh gespalten ist.
Diese Fragen sind allerdings nicht neu, und sie betref- Auch in dieser emotional aufgeladenen Gemengelage
fen in den USA insbesondere die Art und Weise, wie die bleibt die ethische Pflicht von Ärzten, Grausamkeit im
Exekution zu vollziehen sei, um nicht gegen das in der Rahmen der medizinischen Möglichkeiten abzuwenden,
Verfassung verankerte Gebot zu verstossen, wonach jedoch an die Existenz eines Arzt-Patienten-Verhältnis-
eine Bestrafung weder «grausam» noch «ungewöhn- ses gebunden. Wenn – wie es der Supreme Court sieht –
lich» sein darf. Und sie betreffen nicht zuletzt die Rolle, die Prozedur der tödlichen Injektion nicht grausam ist,
die Ärzte und anderes medizinisch geschultes Personal bedarf sie keinerlei (und auch keiner ärztlichen) Verbes-
in diesem Zusammenhang spielen (dürfen). Nicht nur, serung. Ist sie es doch, haben Mediziner ausserhalb der
dass sie, denen die Ethik ihres Berufsstands eine Betei- Arzt-Patienten-Beziehung kein Mandat, dem etwa durch
ligung an Exekutionen eigentlich verbietet (eine Sicht- Anpassung der eingesetzten Substanzen abzuhelfen, zu-
weise, die auch die American Medical Association, der mal die Abwesenheit von Grausamkeit allein einen Vor-
allerdings nur jeder fünfte US-amerikanische Arzt gang noch nicht menschlicher macht. Bestenfalls kann
angehört, in ihre Richtlinien übernommen hat), bei die Anästhesie den äusseren Eindruck der Entspannt-
Hinrichtungen regelmässig zugegen sein müssen – heit des Verurteilten erzeugen, sein Leiden in Erwar-
Mediziner waren und sind in vielerlei Hinsicht in deren tung des Todes bleibt davon jedoch völlig unberührt.
Abläufe und Weiterentwicklungen wesentlich involviert. Dies gilt insbesondere für die Methode der letalen
Ralf Behrens
Injektion, einer Prozedur, bei der ärztliche Kenntnisse und Fähigkeiten gefordert sind, um sie effektiv durchzuführen, und die daher die Anmutung einer medizinischen Handlung bekommt.
Death Penalty Information Center, www.deathpenaltyinfo.org. Zivot JB, Philosophy, Ethics, and Humanities in Medicine 2012; 7:13. Boehnlein JK, Virtual Mentor – American Medical Association Journal of Ethics 2013; 15: 240–243. Litton P, The Journal of Law, Medicine & Ethics 2013; 41: 333–352.
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