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FORTBILDUNG
Schmerzbehandlung mit nicht steroidalen Entzündungshemmern
Indikationen, Sicherheitsaspekte und individuelle Therapieauswahl
Bei Schmerzen unterschiedlicher Genese und insbesondere bei Gelenkbeschwerden kommen häufig nicht steroidale Entzündungshemmer zum Einsatz. Aufgrund ihrer möglichen Neben- und Wechselwirkungen sowie Kontraindikationen sind jedoch insbesondere orale Darreichungsformen und vor allem ein Langzeitgebrauch dieser Substanzen kritisch zu hinterfragen und individuell abzuwägen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Nicht steroidale Entzündungshemmer (non-steroidal antiinflammatory drugs, NSAID) entfalten ihre schmerzstillende, antiinflammatorische und antipyretische Wirkung über die Inhibierung der Enzyme Cyclooxygenase (COX)-1 und -2,
Merksätze
O Bei akuten Schmerzen und Dysmenorrhö sind selektive und nicht selektive NSAID analgetisch gleichermassen effektiv.
O Vertreter beider NSAID-Gruppen können mit ihren antientzündlichen Eigenschaften auch zur zusätzlichen Behandlung der rheumatoiden Arthritis geeignet sein.
O Für chronische Beschwerden wie Arthrose oder Rückenschmerzen werden eher topische NSAID oder aufgrund der besseren Verträglichkeit generell Paracetamol als Erstlinienmedikament empfohlen.
O Das Risiko für Nebenwirkungen nimmt ab einem Alter von 70 Jahren sowie mit der Anwendungsdauer und der Dosierung der NSAID deutlich zu.
O Unter nicht selektiven NSAID treten am häufigsten gastrointestinale Nebenwirkungen auf; COX-2-selektive NSAID gelten als weniger toxisch für Magen und Darm. Die zusätzliche Gabe eines Protonenpumpeninhibitors kann gastrointestinale Beschwerden reduzieren.
O Anders als selektive COX-2-Hemmer inhibieren nicht selektive NSAID mit Ausnahme von Diclofenac den antithrombotischen Effekt von Acetylsalicylsäure. Wegen ihrer kardiovaskulären Nebenwirkungen sollten aber auch COX-2-Hemmer bei erhöhtem Thrombose- oder Myokardinfarktrisiko in Kombination mit ASS kritisch und möglichst niedrig dosiert eingesetzt werden.
die an der Synthese von Prostaglandin beteiligt sind. NSAID werden grob in zwei Gruppen unterteilt: O (ältere) nicht selektive NSAID, hemmen COX-1 und COX-2, O (neuere) selektive NSAID, hemmen überwiegend COX-2.
Wirksamkeit Indikationen und Effektivität der verschiedenen NSAID sind in der Tabelle zusammengefasst. In ihren Hauptwirkungen unterscheiden sich die einzelnen Substanzen nur unwesentlich, wobei eine Auswertung von Patientendaten andeutet, dass interindividuelle Unterschiede hinsichtlich des Ansprechens auf ein und dasselbe NSAID existieren. Ebenso variiert der Effekt der NSAID-Therapie unter bestimmten Bedingungen: O Bei akuten Schmerzen und Dysmenorrhö sind selektive
und nicht selektive NSAID analgetisch gleichermassen hocheffektiv; O bei akuter Gicht können beide Substanzklassen Schmerzen und Entzündung rasch lindern; O beide NSAID-Gruppen sind wegen ihrer antientzündlichen Effekte nützlich zur zusätzlichen Behandlung der rheumatoiden Arthritis (RA), wobei eine Krankheitskontrolle mit Antirheumatika wie Methotrexat und Biologika entscheidend ist; O Vertreter beider NSAID-Gruppen werden häufig bei Arthrose und Kreuzschmerzen eingesetzt, ihre Wirksamkeit ist hier allerdings gering.
Topische NSAID Bei akuten Weichgewebeverletzungen haben topische nicht selektive NSAID in der Darreichungsform als Creme, Lösung, Gel, Spray oder Pflaster in systematischen Reviews ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen können. Was die Behandlung arthrotischer Beschwerden anbelangt, existieren die umfassendsten Daten mit Diclofenac, welche dieser Substanz eine moderate Schmerzlinderung attestieren. Das britische National Institute for Health and Clincal Excellence (NICE) empfiehlt Diclofenacgel zur Behandlung von insbesondere älteren Patienten mit geringfügig oder mässig ausgeprägter Arthrose an Händen oder Knien.
Sicherheitsaspekte Die unerwünschten Nebenwirkungen von Vertretern beider NSAID-Gruppen stellen ein Problem bei Arthrosepatienten dar, da diese Erkrankung einer Langzeittherapie bedarf. Das Risiko von Nebenwirkungen nimmt ab einem Alter von 70 Jahren sowie mit der Anwendungsdauer und der Dosierung deutlich zu. Individuelle Risikofaktoren, insbesondere
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Tabelle:
Indikationen und Effektivität selektiver und nicht selektiver NSAID (nach Day und Graham)
Klinischer Zustand und Behandlungszeitraum Postoperativer Schmerz (inkl. Zahnextraktion); für 4–6 h, orale Einzeldosis
Verstauchungen, Weichteilverletzungen; für 7 Tage Dysmenorrhö Arthroseschmerz (Knie); für 2–4 Wochen Arthrose (Knie); für bis zu 12 Wochen Kreuzschmerzen; 1 Woche
NSAID
Ibuprofen (Brufen® und Generika) Diclofenac 50 mg (Voltaren® und Generika) Naproxen 500 oder 550 mg (z.B. Apranax®, Proxen® und Generika)
Celecoxib 400 mg (Celebrex®) Etoricoxib (Arcoxia®) Mehrere (topisch) Mehrere (oral) Mehrere (oral, nicht selektiv, selektiv) Diclofenac (topisches Gel) Mehrere (oral)
Quantitativer Effekt (95%-KI)1 NNT 2,5 (2,4–2,6) NNT 2,7 (2,4–3) NNT 2,7 (2,3–3,3)
NNT 2,5 (2,2–2,9) NNT 1,9 (1,7–2,1) NNT 4,5 (3,9–5,3) Odds Ratio 4,5 (3,85–5,27) Effektstärke 0,29 (0,22–0,35) NNT 11 (7,7–17) Nutzen-Risiko 1,19 (1,07–1,33)
1 Vergleiche wurden jeweils angestellt gegenüber Plazebo; die Resultate stammen aus systematischen Reviews (Literatur siehe Originalpublikation).
NNT: «number needed to treat», Anzahl von mit der aktiven Substanz zu behandelnden Patienten, um für einen Patienten eine 50-prozentige Schmerzreduktion zu erreichen, die dieser mit Plazebo nicht hätte erzielen können (je kleiner die NNT, desto besser der Behandlungseffekt).
Effektstärke: Differenz zwischen Behandelten und Kontrollgruppen, geteilt durch die Standardabweichung der Gruppen; eine Effektstärke von 0,2 wird als gering, eine von 0,5 als moderat und eine > 0,8 als hoch erachtet.
Nutzen-Risiko: proportionales Verhältnis von Patienten mit > 50-prozentiger Schmerzreduktion unter der aktiven Substanz vs. Patienten mit > 50-prozentiger Schmerzreduktion unter Plazebo.
für kardiovaskuläre oder gastrointestinale Störungen, spielen hier ebenfalls eine Rolle. Neben den in den folgenden Abschnitten häufigeren Nebenwirkungen kann es unter NSAID selten und offenbar dosisunabhängig zu Lebertoxizität (insb. mit Diclofenac und Ibuprofen), aseptischer Meningitis (v.a. bei Patienten mit entzündlichen Erkrankungen) oder in Einzelfällen auch zu schweren Hautreaktionen kommen.
Gastrointestinale Nebenwirkungen Die häufigste Nebenwirkung von nicht selektiven NSAID sind Schäden im Bereich des oberen Gastrointestinaltrakts (Perforationen, Ulzera, Blutungen). COX-2-selektive NSAID gelten im Allgemeinen als weniger toxisch für Magen und Darm, obwohl eine aktuelle grosse Metaanalyse randomisierter Studien dies infrage stellt. Die zusätzliche Gabe eines Protonenpumpeninhibitors (PPI) zu NSAID scheint die Rate an gastrointestinalen Nebenwirkungen zu reduzieren und hat sich in Grossbritannien für beide NSAID-Gruppen zudem aufgrund der geringen zusätzlichen Kosten einer PPITherapie und der gleichzeitigen Einsparungen bei der Behandlung von Nebenwirkungen als kosteneffektiv erwiesen. Dennoch wird der routinemässige Einsatz von PPI in Kombinaton mit NSAID kontrovers diskuiert. Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin®) reduziert die gastrointestinale Toleranz gegenüber selektiven COX-2-Hemmern, wobei diese Kombination noch eher vertragen wird als nicht selektive NSAID allein. Dyspepsie tritt mit beiden NSAID-Typen relativ häufig auf, das Risiko scheint jedoch mit selektiven COX-2-Hemmern geringer zu
sein. Zu beachten ist, dass das Auftreten einer Dyspepsie keinen Hinweis auf die Entwicklung von Magengeschwüren, Blutungen oder Perforationen darstellt. Auch bei zusätzlicher PPI-Gabe können beide NSAID-Typen zu Blutungen und möglicherweise zur Obstruktion im Bereich des Dünndarms jenseits des Duodenums führen. Bei Patienten unter Langzeit-NSAID-Gebrauch kann Eisenmangelanämie ein Anzeichen für solche Dünndarmschäden sein. Es existiert darüber hinaus ausreichende Evidenz, dass NSAID beider Gruppen zu Exazerbationen bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie zu Dickdarmschäden führen.
Kardiovaskuläre Nebenwirkungen Der plättchenhemmende Effekt von niedrig dosierter ASS wird im Gegensatz zu selektiven COX-2-Hemmern von sämtlichen nicht selektiven NSAID mit Ausnahme von Diclofenac blockiert. Wegen ihrer kardiovaskulären Nebenwirkungen sollten auch COX-2Hemmer allerdings bei Patienten mit erhöhtem Thrombose- oder Myokardinfarktrisiko in Kombination mit ASS mit Vorsicht und möglichst niedrig dosiert eingesetzt werden. Der Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Myokardinfarkten und einer NSAID-Therapie ist nicht hinreichend geklärt. Laut einer Metaanalyse besteht ein erhöhtes Herzinfarktrisiko unter täglich 2400 mg Ibuprofen, während sich in einer anderen Untersuchung mit 1200 mg Ibuprofen pro Tag kein statistisch signifikanter ähnlicher Effekt zeigte. Naproxen hat sich in dieser Hinsicht als das sicherste NSAID erwiesen; die Herzinfarktraten waren hierunter ähnlich hoch wie ohne NSAID-Therapie, weshalb
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es in geringer Dosis (≤ 750 mg/Tag) für alle NSAID-bedürftigen Patienten empfohlen wird, bei denen ein geringes oder mässiges Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse besteht und die kein ASS erhalten. Unter den nicht selektiven NSAID scheint Diclofenac mit dem grössten Herzinfarktrisiko assoziiert zu sein, vergleichbar mit jenem von COX-2-Hemmern. Niedrig dosiertes Ibuprofen (1200 mg/Tag) wird als Alternative für Patienten empfohlen, die kein Aspirin erhalten. Das Schlaganfallrisiko scheint nicht mit dem NSAIDGebrauch zu korrelieren. Renale Prostaglandine und Prostazyklin werden durch COX-1 und COX-2 synthetisiert; daher erhöhen NSAID beider Klassen das Risiko für eine weitere Verschlechterung von Nierenfunktion und Herzinsuffizenz. Darüber hinaus führen sämtliche NSAID dosisabhängig zu einer Erhöhung des Blutdrucks, die normalerweise nur geringfügig ist (durchschnittlich 2–3 mmHg syst.), bisweilen aber auch dramatisch ansteigen und ebenso bei Patienten mit Hypertonie oder bei Einnahme von ACE-Hemmern, Angiotensin-II-RezeptorBlockern, Betablockern oder Diuretika deutlich höher ausfallen kann.
ASS-induziertes Asthma Laut einem systematischen Review zufolge reduziert die Einnahme von ASS bei etwa 20 Prozent der erwachsenen Asthmapatienten und bei 5 Prozent der Kinder mit Asthma die FEV1-(Einsekundenkapazität-)Werte. Es besteht eine nahezu totale Kreuzreaktivität mit nicht selektiven NSAID. Selektive COX-2-Hemmer haben demgegenüber bei ASSsensitiven Asthmapatienten überwiegend keine entsprechenden Zustandsverschlechterungen ausgelöst.
Schwangerschaft und Stillzeit Eine grosse epidemiologische Studie hat für beide NSAIDGruppen ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten im ersten Trimester ermittelt. Ausserdem können sämtliche Substanzen die Wehen verzögern und zu einem vorzeitigen Verschluss des fetalen Ductus arteriosus führen, während nicht selektive NSAID möglicherweise den Blutverlust während der Geburt erhöhen. Ein Einsatz von NSAID ist in der Schwangerschaft daher möglichst zu vermeiden. In der Muttermilch gemessene Konzentrationen von Celecoxib und Ibuprofen waren sehr gering. Dies gilt wahrscheinlich auch für andere NSAID, sodass unter NSAID-Therapie auf das Stillen von Säuglingen nicht verzichtet werden muss.
Auswahl von NSAID Sinnvoll ist es, mit den Patienten deren bisherige Behandlungserfahrungen mit NSAID sowie mögliche Erfolge, Anzeichen für Nebenwirkungen oder Toxizitäten und andere therapeutische Marker einer künftigen Behandlung zu besprechen. Orale NSAID sind Zweitlinienmedikamente; bei Arthrose oder Rückenschmerzen sind zunächst Paracetamol und topische NSAID zu bevorzugen. Ältere Patienten (insb. > 75 Jahre) sollten soweit möglich ebenfalls mit topischen statt oralen NSAID behandelt werden. Zusätzliche (frei verkäufliche) orale NSAID sind möglichst zu vermeiden, da Nebenwirkungen dosisabhängig sind; topische NSAID und Paracetamol können dagegen unter oraler NSAID-Therapie als Begleitmedikation eingenommen werden
Therapiemonitoring Bei hohem Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen (Patientenalter > 65 Jahre, vorangegangene Ulzera, Blutungen oder Perforationen, ernste Komorbiditäten wie Leber-, Nieren- oder Herzerkrankungen, Alkohol- und Nikotinabusus sollten für 1 bis 4 Wochen nach Therapiebeginn die Hämoglobinwerte kontrolliert werden. Bei Dyspepsie ohne Anzeichen für gastrointestinale Blutungen sollte auf ein anderes NSAID ausgewichen oder zusätzlich ein PPI gegeben werden. NSAID sollten stets zusammen mit Nahrung eingenommen werden. Vor Beginn einer NSAID-Langzeittherapie bei älteren Patienten oder solchen mit Hypertonie sollten während 1 bis 4 Wochen die Blutdruckwerte überprüft werden. Ebenfalls sollten Ältere oder Patienten mit Herzinsuffizienz für 1 bis 2 Wochen nach Therapiebeginn und anschliessend unregelmässig auf erhöhte Plasmakreatininkonzentrationen und eine erniedrigte glomeruläre Filtrationsrate getestet werden. Bei inadäquatem Therapieansprechen sind Trainingszustand und Gewichtsverlust zu kontrollieren. Bei nicht ausreichender Wirkung bei Arthrose sollten entweder topische NSAID eingesetzt beziehungsweise deren Dosis erhöht oder aber ein Wechsel des oralen NSAID vorgenommen werden.
NSAID im Vergleich zu anderen Schmerzmitteln
In chronischen Situationen wie Arthrose oder Rückenschmer-
zen wird aufgrund der besseren Verträglichkeit generell
Paracetamol als Erstlinienmedikament empfohlen, auch wenn
sich in Metaanalysen beide NSAID-Klassen hinsichtlich der
analgetischen Wirkung im Allgemeinen als überlegen erwie-
sen haben. Das britische NICE empfiehlt bei ungenügendem
Ansprechen arthrosebedingter Beschwerden auf Paracetamol
die zusätzliche Gabe von Opioiden. Bei akuter Gicht oder RA
ist Paracetamol dagegen nicht geeignet. Hier kommen, falls
sämtliche NSAID kontraindiziert sind, Kortikosteroide wie
Prednisolon oder aber das klassische Medikament Colchicin
infrage.
Wegen ihrer Nebenwirkungen (Obstipation, Benommenheit,
kognitive Beeinträchtigung) sollten Opioide bei Arthrose
nicht als Erstlinienmedikamente eingesetzt werden. Bei älte-
ren Patienten ist zusätzlich ein durch Opioide erhöhtes
Risiko für Stürze und Frakturen zu bedenken.
O
Ralf Behrens
Quelle: Day RO, Graham GG: Non-steroidal anti-inflammatory drugs. BMJ 2013; 346: f3195.
Interessenkonflikte: ROD erklärt, für mehrere Pharmaunternehmen bei der Patentierung verschiedener analgetischer Wirkstoffe sowie anderer Medikamente zur Arthrosebehandlung beratend tätig gewesen zu sein und ausserdem in der Funktion eines sachverständigen Gutachters für ein veterinärmedzinisches Nicht-NSAID-Produkt ebenfalls Gelder erhalten zu haben.
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