Transkript
FORTBILDUNG
Unzureichende Blutdruckkontrolle trotz Antihypertensiva
Echte therapieresistente oder pseudoresistente Hypertonie?
Die der arteriellen Hypertonie zuzuschreibenden gesundheitlichen Gesamtbelastungen sind immens: Bis zu 62 Prozent aller Schlaganfälle und 49 Prozent sämtlicher Herzerkrankungen mit insgesamt 7,1 Millionen Todesfällen pro Jahr (13% aller Sterbefälle weltweit) gehen ursächlich direkt auf Bluthochdruck zurück oder werden von ihm entscheidend beeinflusst. Diese eindrücklichen Zahlen machen deutlich, welchen Stellenwert eine konsequente antihypertensive Behandlung hat und wie wichtig es ist, die Ursachen einer therapieresistenten Hypertonie zu ermitteln und die Blutdruckwerte auch bei diesen Patienten möglichst in den Zielbereich zu bringen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Internationale Leitlinien definieren die therapieresistente Hypertonie als erhöhten Blutdruck (sitzend in der Praxis gemessene Werte > 140/90 mmHg) trotz Therapie mit mindestens drei antihypertensiven Medikamenten (darunter 1 Diuretikum) in optimaler oder besttolerierter Dosierung. Gemäss den aktuellen NICE-(National Institute for Health and Clinical Excellence-) Guidelines umfasst diese medikamentöse Therapie gewöhnlich einen ACE-Hemmer oder einen Angiotensinrezeptorblocker plus einen Kalziumkanalblocker plus ein Thiaziddiuretikum (A+C+D-Therapie). Weiterhin ist hier festgeschrieben, dass bei einer trotz dieser Medikation nach wie vor inadäquaten Blutdruckeinstellung die Diagnose einer therapierefraktären Hypertonie über ein ambulantes Blutdruckmonitoring (Blutdrucktagesmittel > 135/85 mmHg) gestellt werden sollte, um eine sogenannte Weisskittelhypertonie auszuschliessen.
Merksätze
❖ Therapieresistente Hypertonie ist definiert als unzureichende Blutdruckkkontrolle trotz optimal dosierter Behandlung mit mindestens drei antihypertensiven Medikamenten. Für die Diagnose einer echten Therapieresistenz sind schein- oder pseudoresistenter Bluthochdruck auszuschliessen.
❖ Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ist bei Patienten mit therapieresistenter Hypertonie gegenüber gut kontrollierten Bluthochdruckpatienten um 50 Prozent erhöht.
❖ Laut Studien liegt die Prävalenz des therapieresistenten Bluthochdrucks in der hypertensiven Gesamtpopulation bei 10 bis 20 Prozent; darunter sind etwa 5 bis 10 Prozent Patienten, bei denen eine sekundäre Hochdruckursache vorliegt.
❖ Zur Effektivität einzelner medikamentöser Regime bei therapieresistentem Hochdruck fehlen klinische Studiendaten. Bei Blutkaliumwerten unter 4,5 mmol/l wird als zusätzliche Substanz niedrig dosiertes Spirolacton, bei höheren Kaliumwerten eher die Intensivierung der bestehenden Thiaziddiuretikatherapie empfohlen.
❖ Die renale Denervation als apparative Massnahme könnte künftig zu einem Paradigmenwechsel im Management der therapieresistenten Hypertonie führen.
Wen betrifft die therapieresistente Hypertonie? Gemäss retrospektiven Populationsstudien aus Spanien und den USA sind etwa zwischen 7,6 und 8,9 Prozent der Bluthochdruckpatienten von einer therapierefraktären Hypertonie betroffen. Post-hoc-Analysen von Daten aus grossen klinischen Untersuchungen zur antihypertensiven Therapie (z.B. ALLHAT, ASCOT, ACCOMPLISH, LIFE, INVEST, CONVINCE) legen dagegen die Vermutung nahe, dass die Prävalenzwerte mit bis zu 35 Prozent deutlich höher liegen, allerdings ist das Patientengut in diesen hochselektionierten Studien durchweg älter und zu einem grösseren Ausmass kardiovaskulären Risikofaktoren ausgesetzt als die allgemeine hypertensive Population. In einer amerikanischen Studie entwickelte je 1 von 50 Hypertonikern innerhalb von im Mittel 1,5 Jahren nach Beginn der antihypertensiven Behandlung eine therapieresistente Hypertonie, was einer Inzidenz von 1,9 Prozent und einer Prävalenz von 16,2 Prozent (bei mit ≥ 3 Medikamenten behandelten Patienten) entspricht. Hier zeigte sich auch, dass die von Therapieresistenz betroffenen Hypertoniker im Verlauf der im Mittel 3,8 Jahre dauernden Nachbeobachtungszeit einem um 50 Prozent höheren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ausgesetzt waren als Patienten, deren Blutdruck mithilfe dreier oder weniger Antihypertensiva gut einstellbar war; dieses erhöhte Risiko ging dabei hauptsächlich auf die Entwicklung einer chronischen Nierenerkrankung zurück. Es sind bestimmte Patientencharakteristika beschrieben worden, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine therapieresistente Hypertonie einhergehen (Kasten 1), darunter viele, die mit einem vermehrten Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse korrelieren.
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Kasten 1: Typische Charakteristika von Patienten mit therapieresistenter Hypertonie
eine Art klinische Trägheit, die sich aus einer mangelnden Kenntnis entsprechender Leitlinien, einer unangebrachten Akzeptanz eines zu hohen Blutdrucks oder einer Unterschätzung des kardiovaskulären Risikos ergibt.
❖ höheres Lebensalter (insbesondere > 75 Jahre) ❖ hoher Baselineblutdruck und chronisch unkontrollierte Hypertonie ❖ Endorganschäden (linksventrikuläre Hypertrophie, chronische
Nierenerkrankung) ❖ Diabetes ❖ Fettleibigkeit ❖ atherosklerotische Gefässerkrankung ❖ Aortensteifigkeit ❖ weibliches Geschlecht ❖ dunkelhäutige Ethnie ❖ exzessiv salzhaltige Ernährung
Kasten 2: Mit pseudoresistenter Hypertonie assoziierte Faktoren
Aufseiten des Patienten: ❖ Weisskitteleffekt ❖ schwer kalzifizierte oder arteriosklerotische, bei Palpation kaum
komprimierbare Arterien (manschettenbedingte Artefakte bei Blutdruckmessung) ❖ mangelnde Patientencompliance (Nebenwirkungen der Antihypertensiva?) ❖ komplizierte Dosisregime ❖ unzureichende Patientenaufklärung ❖ psychiatrische oder Gedächtnisprobleme, mangelnde kognitive Fähigkeiten (besonders bei älteren Patienten) ❖ schwierige Arzt-Patienten-Beziehung ❖ Medikamentenkosten (in manchen Gesundheitssystemen)
Aufseiten des Arztes: ❖ unzureichende Blutdruckmesstechnik in der Praxis ❖ «klinische Trägheit» ❖ inädäquate Dosierung der Antihypertensiva ❖ unangemessene Auswahl von Medikamentenkombinationen ❖ mangelnde Kommunikation und fehlende Bereitschaft zur
Patienteninformation
Diagnostik Echte oder Pseudoresistenz? Bevor einem Patienten eine therapieresistente Hypertonie attestiert werden kann, ist auszuschliessen, dass es sich lediglich um eine Schein- oder Pseudoresistenz handelt. Die häufigsten Gründe für eine pseudoresistente Hypertonie umfassen (Kasten 2): ❖ ungenügende Praxisblutdruckmesstechniken ❖ Weisskitteleffekt ❖ unzureichende Patientencompliance hinsichtlich der
verschriebenen Medikamente ❖ suboptimales antihypertensives Therapieregime. Zudem besteht aufseiten des behandelnden Arztes als weitere Ursache einer suboptimalen Hochdrucktherapie bisweilen
Blutdruckmessung Eine retrospektive Analyse in Spanien ergab, dass sich bei bis zu 40 Prozent der aufgrund von Praxisblutdruckmessungen zunächst als therapieresistent eingestuften Hypertoniker nach Auswertung von ambulanten Messungen vielmehr ein Weisskitteleffekt offenbarte. Diese Zahlen unterstreichen, wie weitverbreitet die Weisskittelhypertonie sein kann und wie essenziell ein gemäss NICE-Leitlinen durchgeführtes ambulantes Blutdruckmonitoring für eine korrekte Diagnose einer echten therapieresistenten Hypertonie deshalb ist.
Lifestyle Ist einmal die Diagnose einer echten therapieresistenten Hypertonie gestellt, sollte bei den Patienten jeweils nach mitverantwortlichen, aber möglicherweise beeinflussbaren Lebensstilfaktoren gefahndet werden. Dazu zählen: ❖ Fettleibigkeit ❖ übermässiger Alkoholkonsum ❖ übermässig salzhaltige Ernährung (> 6 g Salz/Tag) ❖ Kokain-/Amphetaminmissbrauch.
Sekundäre Ursachen Die Prävalenz einer sekundären Hypertonie ist bei Patienten mit therapieresistentem Bluthochdruck grösser (5–10%) als in der allgemeinen hypertensiven Population. Neben Hyperaldosteronismus und chronischer Nierenerkrankung (sowohl Ursache als auch Folge chronischer unkontrollierter Hypertonie) sind auch Nierenarterienstenose und obstruktive Schlafapnoe häufige sekundäre Ursachen. Hier ist es für den Allgemeinarzt wichtig, mithilfe einer gezielten Krankenanamnese, einer gründlichen körperlichen Untersuchung, einer biochemischen Beurteilung (siehe Kasten 3) und der nicht invasiven Bildgebung (Nierensonografie) entsprechende Hinweise und Symptome zu erfassen. Falls notwendig, ist der Patient an eine spezialisierte Hochdruckklinik weiterzuweisen.
Endorganschäden Die durch einen chronisch zu hohen Blutdruck hervorgerufenen Endorganschäden betreffen Herz (linksventrikuläre Hypertrohie), Augen (hypertensive Retinopathie) und Nieren (dauerhaft erhöhte Albuminausscheidung über den Urin, Hämaturie, Nierenschädigung). Hier ist neben Fundoskopie, Urinanalyse sowie biochemischer und wenn verfügbar auch bildgebender Nierenuntersuchung die Durchführung einer Elektrokardiografie und idealerweise einer Echokardiografie angezeigt. Sollte sich dabei der Verdacht auf einen Endorganschaden bestätigen, ist dies ein weiterer Hinweis auf das Vorliegen einer schlecht eingestellten Hypertonie und entscheidendes Kriterium für die Auswahl geeigneter therapeutischer Massnahmen.
Therapie Patientencompliance Auch aufgrund der Tatsache, dass eine Hypertonie weitgehend asymptomatisch verläuft und mit mehreren Medikamenten
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Kasten 3: Biochemische Abklärung bei Patienten mit Verdacht auf therapieresistente Hypertonie
❖ Harnstoff und Elektrolyte ❖ geschätzte glomeruläre Filtrationsrate ❖ Plasmaglukose ❖ Plasmarenin- oder -aldosteronwerte ❖ 24-h-Harn-Meta- und -Normetanephrine (Phäochromozytom?) ❖ Urinanalyse (Mikro-/Makroalbuminurie, Hämaturie)
gleichzeitig behandelt werden muss, kommt der Compliance des Patienten eine entscheidende Bedeutung zu. Vermehrt wird daher in spezialisierten Kliniken dazu übergegangen, vor weitergehenden Abklärungen oder Therapiemassnahmen zunächst mittels überwachter Medikamenteneinnahme vor Ort und eines sich daran anschliessenden ambulanten oder häuslichen Blutdruckmonitorings oder über den Nachweis von Wirkstoffmetaboliten im Urin den Effekt einer antihypertensiven Medikation beziehungsweise die Therapietreue des Patienten zu überprüfen.
Nicht pharmakologische Massnahmen Aufgrund der meist multifaktoriellen Ätiologie der therapieresistenten Hypertonie sollte eine umfassende Behandlungsstrategie auch Lebensstilveränderungen wie Gewichtsreduktion, ausreichende körperliche Aktivität und das Einhalten einer ballaststoffreichen, fett- und salzreduzierten Diät sowie eines moderaten Alkohol- und Koffeingenusses einbeziehen. Auf die Einnahme die Therapie beeinträchtigender exogener Substanzen sollte weitestgehend verzichtet werden. Neben der Suche nach und gegebenenfalls der Behandlung von sekundären Hochdruckursachen sind die Patientenschulung hinsichtlich des Stellenwerts von Compliance und des eigenverantwortlichen häuslichen Blutdruckmonitorings sowie das Vereinbaren realistischer Zielblutdruckwerte weitere Bausteine des nicht medikamentösen Managements.
Medikamente Definitionsgemäss erhalten Patienten mit therapieresistenter Hypertonie bereits eine Kombination aus mindestens drei Antihypertensiva, die idealerweise synergistische Wirkungen besitzen. Die NICE-Guideline empfiehlt hier einen ACE-Hemmer oder einen Angiotensinrezeptorblocker plus einen Kalziumkanalblocker plus ein Thiaziddiuretikum (A+C+D); andere Leitlinien stützen diese Empfehlung prinzipiell, wobei die stufenweise Abfolge der einzelnen Substanzen nicht immer so klar vorgegeben ist. Zur Frage, welcher Wirkstoff am ehesten als vierte Substanz hinzukommen sollte, fehlen bis anhin Daten aus klinischen Studien. Zudem ist wahrscheinlich keine der zusätzlich zu A+C+D verabreichten Substanzklassen für sämtliche Fälle therapieresisteten Hochdrucks geeignet. Eine doppelte Blockade des Renin-Angiotensin-AldosteronSystems (RAAS), also die Kombination aus ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker, wird hier einerseits wegen mangelnder Evidenz bei dieser Patientengruppe und andererseits angesichts des bei Hochrisikopatienten in der ONTAR-
GET-Studie fehlenden zusätzlichen Nutzens sowie der gleichzeitig vermehrt aufgetretenen Nebenwirkungen jedenfalls nicht empfohlen. Es existieren einzig schwache Hinweise aus Beobachtungsstudien, dass bei einer Blutkalziumkonzentration von höchstens 4,5 mmol/l Spirolacton in geringer Dosierung (25 mg 1 × tgl., ansteigend auf bis zu 50 mg 1 × tgl.) der zu bevorzugende vierte Wirkstoff sein könnte. Die unter Spirolacton hauptsächlich auftretenden Nebenwirkungen (Druckdolenz der Brust und Gynäkomastie) sind dosis- und anwendungsdauerabhängig und im Allgemeinen nach Absetzen reversibel. Ist Spirolacton zwar wirksam, aber von den Patienten nicht toleriert, können alternativ die allerdings weniger potenten kalziumsparenden Diuretika Amilorid oder Eplerenon zum Einsatz kommen, indes ist hier das Risiko einer Hyperkaliämie zu berücksichtigen. Bei Blutkalziumwerten über 4,5 mmol/l sollte zunächst eine Verdoppelung der bereits eingesetzten Thiaziddiuretikadosis in Erwägung gezogen werden, bevor bei auch darunter noch fortbestehender ungenügender Blutdrucksenkung dann zusätzlich ein Alpha- oder Betablocker gegeben werden kann. Weitere Optionen können zentral wirksame Alphaagonisten (Methyldopa, Clonidin) oder direkte Vasodilatoren (Hydralazin, Minoxidil) darstellen. Welche Medikamentenkombination auch immer am Ende gewählt wird – angesichts der Vielzahl der von den Patienten einzunehmenden Wirkstoffe ist gemäss Leitlinienempfehlungen und hinsichtlich der Compliance ein Einsatz fixer Kombinationen wenn immer möglich zu bevorzugen.
Apparative Therapie Als Optionen zur Senkung des Blutdrucks ohne weitere Medikation sind in jüngster Zeit die Aktivierung des Karotissinus-Baroreflexes und vor allem die perkutane transluminale Radiofrequenzablation untersucht worden. Mit Letzterer liess sich in den Symplicity-HTN-1- und -HTN-2-Studien eine beachtliche Blutdrucksenkung erzielen. Allerdings ist anzumerken, dass die Patienten dennoch weiterhin antihypertensive Medikamente einnehmen mussten. Wenn auch bei einigen von ihnen Dosis und Anzahl der Wirkstoffe reduziert werden konnten – festzuhalten bleibt, das auch die renale Denervation die Hypertonie nicht zu heilen vermag.
Ausblick Zum Zwecke der weiteren gezielten Suche nach effektiven Massnahmen zur Behandlung der therapieresistenten Hypertonie haben die British Heart Foundation (BHS) und das britische National Institute of Health Research Clinical Research Network die PATHWAY-Studien (Prevention And Treatment of resistant Hypertension With Algorithm guided therapY) initiiert. Die Ergebnisse dieser und anderer Untersuchungen werden mit Spannung erwartet und direkten Eingang finden in zukünftige Leitlinien auf diesem Gebiet. ❖
Ralf Behrens
Myat A et al.: Resistent hypertension. BMJ 2012; 345: e7473.
Ein Teil der Autoren gibt an, Forschungsgelder, Reisekosten- und Ausbildungsunterstützung von Boston Scientific, Biosensors, Eli-Lilly, Medtronic und Servier sowie Vortragshonorare von Novartis, Boehringer Ingelheim und Pfizer erhalten zu haben. Einer der Autoren war von April 2011 bis November 2012 in Vollzeit angestellt bei Cordis (Johnson & Johnson).
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